40k Stargazer (Abgeschlossen 17.04.2015)

Guter Anfang, schöner Humor im Mittelteil (besonders die Ekko - Sile Dialoge und Gedanken), ein für deine Geschichte bezeichnendes und passendes Ende des Kapitels. Ekko, der durch die Umstände um seinen verdienten "Heldentod" gebracht wird und nun Captain Nurin, der den Mann überfahren (und ihn somit seinen Wunsch erfüllt) hätte, hätte er nur von dessen Identität gewusst.

Die Bewegungen des zweiten Panzers waren mir im ersten Moment zu unübersichtlich, mal ist er da, und dann ist er weg, ohne dass ich weiß, in welche Richtung. Andererseits wusste es ja Ekko auch nicht. Ich denke meine Verwirrung rührte daher, dass ich erst beim zweiten Hinsehen mich erinnert habe, dass der Destroyer ein Panzerjäger ist. (Und das, obwohl wir noch gestern abend drüber gesprochen haben^^). Als ich dann kapierte, dass der Panzer Halten und Wenden musste, um zu Feuern, war mir wieder alles klar.

Ich bin nun tatsächlich gespannt, wie die Beziehung zwischen Ekko und Nurin nun weitergehen wird und zu welchem Status die beiden schlussendlich gelangen werden.

Negative Kritik gibt es soweit bei diesem Teil nicht, hast wirklich gute Arbeit geleistet.


--> Was ist denn los? Ich kann doch nicht der einzige sein, der was zu diesem tollen neuen Kapitel zu sagen hat!
 
Danke, Sarash :-D

Hat ja auch lange genug gedauert, bis es endlich fertig war.

Zum Jagdpanzer: Ja, das mit dem begrenzten Richt- und Schwenkbereich des Rohres ist ja so ne sache. Aber ich habe mich da einfach an die Hetzer und Jagdpanther gehalten. Die konnten ja drehen wie eine Ballerina. Und wer weiß, dass ein Destroyer zwischen 38 im Gelände und 55 auf der Straße schafft, dann kann man sich vorstellen, wie der beschleunigt und bremst. Von daher habe ich mich an die Weisheit gehalten: Lehrer sind wie Wikinger - urplötzlich sind sie da, verbreiten Angst und Schrecken und verschwinden genauso schnell, wie sie gekommen sind und habe das dann auf den Destroyer umgeschrieben.
Von daher - ging gut ab (auch in meiner Vorstellung)

Juhu, endlich 100 Posts. Dachte nicht, dass das so schnell geht ^^

Alles Vale

SMN
 
Salve,

so, hier das neue Stargazer-Kapitel. Ich danke wieder Nakago, der noch einmal drübergelesen hat.

Viel Spaß beim Lesen!

Alles Vale

SMN




23

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Offiziere und Vorgesetzten unter dem Jubel des Augenblicks und der Lobpreisung imperialer Großartigkeit endlich wieder zu einem kleinen Stückchen Professionalität fanden und begannen, ihre Leute beschwingt, aber bestimmt, zu ordnen.
Allmählich löste sich die Versammlung auf, was Ekko die Möglichkeit gab, sich aus der Menge der Anwesenden zu quälen.
Seine Kopfschmerzen hatten inzwischen Besitz von seinem Körper ergriffen, was vermutlich aber auch daher rührte, dass er sich seit letzter Nacht ohne Unterlass im Stress befand. Wie dem auch war, er konnte nicht behaupten, dass er sich nicht über die Verschnaufpause freute – selbst wenn ihm diese wieder ungeahnte Möglichkeiten zum Nachdenken bot.
Im Schnelldurchlauf rekapitulierte sein Gedächtnis die Schlacht vor den Toren der Himmelskathedrale, seine Rettung durch Leitis Sile und schließlich das Auftauchen von Jaorah Nurin und seinen Jagdpanzern.
Nurin hatte Eindruck bei Ekko hinterlassen. Der Jagdpanzerkommandant war ein eher kleiner, muskulöser Mann, den sich der Colonel tatsächlich als eine miniaturisierte Form eines Space Marines vorstellen konnte. Ihn in der Rüstung eines Kasrkin – und der Effekt ähnelte vermutlich dem eines Cyclops-Sprengstoffträgers neben einem wild um sich feuernden Leman Russ-Kampfpanzer.
Der Gedanke war sicherlich eine nähere Überlegung wert. Er hatte einmal gehört, dass Bodentruppen des Planeten Valhalla Hunde als laufende Panzerminen einsetzten. Vielleicht konnte man so etwas in der Art auch mit winzigen Space Marines …
»Colonel«, riss ihn eine wohlklingende Stimme mit vorwurfsvollem Unterton aus seinen Gedanken. Er erkannte sie sofort als die Major Carricks, wandte sich aber erst um, als er den Atem seines Stellvertreters beinahe im Nacken spürte.
»Major Carrick, schön, dass Sie auch hergefunden haben. Hallo Balgor«, begrüßte er den Captain, der Carrick begleitete.
»Colonel«, erwiderte der Offizier mit unverhältnismäßig scharfer Stimme.
Ekko tat so, als habe er den Einwurf nicht gehört, vor allem, weil er noch immer irgendwo zwischen den höchsten Höhen des Himmels und tiefsten Tiefen der Hölle schwebte, sich beschwingt und verletzt zugleich fühlte und am liebsten seinen Kopf gegen den eines anderen getauscht hätte.
»Bitte geben Sie mir einen Moment Ruhe«, verlangte er. »Ich bin verwirrt, gestresst und genervt.«
»Das gilt nicht«, erwiderte Balgor. »Das sind Sie immer.«
Entnervt gab Ekko nach. »Also gut«, seufzte er und rieb sich über die Stirn. »Punkt für Sie, Captain. Im Augenblick fehlt mir allerdings so ein bisschen der Überblick. Was ist denn passiert?«
»Das fragen Sie, Sir?«, platzte es aus Balgor hervor, bevor Carrick überhaupt die Möglichkeit zu einer Erwiderung erhielt. »Sie haben mit ihrem Entsatzangriff die halbe Ebene in Brand gesteckt. Das sieht aus, als wenn die Heilige ein paar Freiern mit ihrem Feuerschwert den Arsch versohlt hätte.«
»Tut denen sicherlich auch mal ganz gut«, entgegnete der dunkelhaarige Colonel. »Aber das meine ich nicht. Ich will wissen, wie der Entsatz verlaufen ist. Also, Major, berichten Sie«, wandte er sich an Carrick.
Der hochgewachsene Basteter zuckte die Schultern und strich sich durch sein blondes Haar. »Wir sind noch dabei, die Überlebenden zu zählen. Derzeit sieht es aber nach einem Missverhältnis aus, Sir.«
»Ein Missverhältnis?« Ekko runzelte die Stirn, versuchte seinen Kopf zu klären. Vielleicht würde es ihm helfen, wenn er sich bei Calgrow Schmerzmittel besorgte.
Er bedeutete den Offizieren, ihm zu folgen, während er die Ebene hinter dem Haupttor des ersten Rings verließ.
»Erklären Sie das genauer.«
Carrick holte tief Luft, um sich Zeit zu geben, seine nächsten Worte mit Bedacht zu wählen, dann begann er zu berichten. »Unsere Truppen konnten insgesamt dreiundachtzig Überlebende retten, dazu drei Panzerfahrzeuge vom Typ Chimäre und ein Lastkraftfahrzeug.«
»Klingt nicht schlecht«, merkte der Regimentskommandeur an.
Balgor winkte einen jungen, hochgeschossenen Offizier herbei, den Ekko im ersten Moment für schlaksig hielt.
Erst, als sich der Mann vor ihm aufbaute, konnte er erkennen, dass der Mann, ein Cadianer, wohldefinierte Muskeln sein eigenen nannte, die sich sichtbar unter seiner zerschlissenen Kampfuniform abzeichneten.
Das Gesicht des Offiziers wies Schnittwunden und Blessuren auf, erinnerte auf eine etwas unangenehme Weise an seine letzte Begegnung mit Leitis Sile.
»Lieutenant Gess Valeen, Sir«, meldete sich der Lieutenant und salutierte. Tränen brannten in seinen Augen. »Zweite Kompanie, 41. Cadianisches Infanterieregiment. Lob sei dem Imperator. Ich bin verdammt froh, dass er uns zu Ihnen geführt hat.«
Ekko nickte. »Das ist in Ordnung, Junge. Dafür sind wir hier. Sie brauchen nicht zu weinen. Sparen Sie Ihr Wasser.«
Der Offizier nickte, sammelte sich kurz und erstattete dann Meldung: »Sir, ich melde mich und vierundsechzig Überlebende des 41. cadianischen Infanterieregiments zum Dienst, Außerdem sind uns fünfzehn Überlebende des 78. cadianischen Artillerieregiments angeschlossen und drei Überlebende des 34. Borodian-Regiments. Mit Ihrer Erlaubnis übergebe ich Ihnen die Kampfkraft dieser Truppen zur Verteidigung dieser Stätte.«
»Ja«, erwiderte Ekko nachlässig. »Dankend angenommen. Carrick, implementieren Sie die Truppen als neue Kompanie unter dem Kommando von Lieutenant …«
»Valeen, Sir.«
»… Lieutenant Valeen in die Regimentsorganisation.«
Carrick nickte. »Verstanden, Colonel. Unter welchem Namen soll ich die Truppen führen?«
Ekko starrte ihn eine Weile verständnislos an. Die Kopfschmerzen nahmen wieder überhand. »Mann, Carrick, Sie fragen manchmal Sachen«, brummte er und ließ sich gegen die metallene Stütze eines Sperrigels sinken.
Er atmete tief ein, rieb sich über die Stirn und ließ dann seine Hand deprimiert auf sein Bein prallen. »Was weiß ich … 1. Fremdenlegion meinetwegen.«
»1. Fremdenlegion?« Carrick schien der Vorschlag nicht zu überzeugen. »Sir, eine Legion ist eine Armee, so steht es im Strategiehandbuch der Imperialen Armee.«
»Kann sein«, entgegnete der Basteter erschöpft. »Ich bin erst auf Seite fünfunddreißig. Hatte in letzter Zeit nicht viele Möglichkeiten, zum Lesen.« Er stand auf. »Also hören Sie mir zu, Carrick: es ist mir total gleichgültig, wie Sie die Herren ins Regiment einfügen. Nur tun Sie es. Und wenn Sie beim großen Gott-Imperator anfragen, ob er sie mit seinem Rechenschieber beim Zusammenstellen der Trupps unterstützt.«
»Verstanden, Sir«, bestätigte der Major angefressen, machte sich einige Notizen.
Der Regimentskommandeur winkte Valeen heran. »Sagen Sie, Lieutenant. Haben irgendwelche Offiziere überlebt?«
Der Cadianer überlegte kurz. »Außer mir, soweit ich weiß, niemand, Sir.«
»Was ist mit Derend?«, fragte Ekko und ignorierte den anklagenden Blick, den Balgor auf ihn richtete.
»Derend, Sir?«
»Major Derend vom 512. Sera. Etwas älter als Sie, aber etwas kleiner. Haselnussbraune Haare. Hat einen Großteil meiner schweren Waffen mit Ihnen ins Feld geführt.«
»Nein Sir, ein Major Derend ist mir nicht bekannt.« Valeen überlegte einen Moment, dann nahm er Haltung an. »Wir haben allerdings Kommissar-General De Mar retten können.«
Del Mar?! In dem Moment, als der Name des höchsten Kommissars und zugleich Iglianus rechter Hand auf dieser Welt fiel, riss Ekko die Augen auf. Für einen Moment versteckten sich sogar seine Kopfschmerzen vor dem Grauen, das dieser Name in ihm auslöste. »Del Mar?«, brachte er hervor.
»Wir haben ihn gerettet«, wiederholte der Cadianer nicht ohne einen gewissen Stolz.
Ekko ließ ein Stöhnen erklingen. »So ein Scheiß. Hätten Sie den nicht liegen lassen können?«
»Wie meinen?«, wollte Valeen wissen.
Der Colonel seufzte. »Schon gut. Vergessen Sie es einfach. Sie sprachen von einem Missverhältnis, Major?«, fuhr er an Carrick gewandt fort. »Was bedeutet das?«
»Unsere Verluste, Sir«, erklärte der stellvertretende Regimentskommandeur. »Wir haben alle neun Sentinels verloren und elf Chimären. Sämtliche Crews mussten als Totalverlust abgeschrieben werden. Sechs Chimären haben schwere Schäden erlitten und sind nur noch bedingt einsatzfähig. Weitere acht Besatzungsmitglieder wurden getötet.
Insgesamt fallen uns so fünfzehn Chimären und neun Sentinels aus. Zudem ist Major Maryan umgekommen. Diese Verluste stehen in keinem Verhältnis zu dem, was die Unternehmung eingebracht hat.«
»Das klingt ja fast, als wenn Sie den Tod des Majors bedauern, Carrick«, erwiderte Ekko in seinem Anflug bitterer Ironie. Das resignierte Lachen über den Umstand, dass er mehr Leute verloren als gerettet hatte, wollte sich einfach nicht einstellen.
Beim Goldenen Thron von Terra – Maryan, dachte er. Das letzte Gespräch mit dem Sentinel-Führer kam ihm in den Sinn. Die Entschlossenheit des imperialen Offiziers, als Ekko ihm die Möglichkeiten eröffnete.
Er dachte an die Ruhe in der Stimme des Majors, als er seiner Einheit kurz darauf den Angriff auf die Grünhäute befahl.
Und das Bild des brennenden Sentinels, den der Destroyer während seiner wilden Flucht passiert hatte, fiel ihm wieder ein.
Als er sich daran erinnerte, schoss ihm unwillkürlich die Frage durch den Kopf, ob es sich dabei vielleicht um Maryans Sentinel gehandelt hatte. Es wäre ihm in der Hitze der Schlacht höchstwahrscheinlich nicht aufgefallen – wohl auch nicht, wenn er stehengeblieben wäre und nachgesehen hätte – aber ihn beschlich das unbestimmte Gefühl, dass er dem abgeschossenen Läufer seines Untergebenen begegnet war.
»Thronverdammt«, zischte er, bevor er sich daran erinnerte, das Lieutenant Valeen noch bei ihnen stand. »Vielen Dank, Lieutenant. Gehen Sie erst einmal zurück zu Ihren Männern. Major Carrick wird sich darum sorgen, dass Sie integriert und versorgt werden.«
»Jawohl, Sir«, bestätigte Valeen, nahm Haltung an und zog sich zurück, nachdem er dem Colonel salutiert hatte.
Als der Lieutenant die drei Offiziere verlassen hatte, seufzte Ekko. »Beim Barte des Propheten, was für eine Scheiße.«
»Colonel«, ermahnte ihn Carrick, »wir müssen uns überlegen, wie wir weiter vorgehen. Wir haben eine ganze Menge Feuerkraft in einer sinnlosen Aktion verbrannt. Damit sind die Truppen dem Feind regelrecht ausgeliefert.«
»Erzählen Sie mir nichts von sinnlosen Aktionen, Major«, brummte Ekko gereizt. »Wir haben Leben gerettet.«
»Aber damit unser aller Todesurteil unterschrieben, Colonel!« Der Major schüttelte verständnislos den Kopf. »Sir, was sollen wir jetzt machen? Wir haben fast alle unsere schweren Waffen eingebüßt.«
»Wir haben neue«, wandte der Regimentskommandeur ein.
Sein Stellvertreter war schier fassungslos. »Sir, das sind nur zwei Jagdpanzer!«
»Eines von den Scheißteilen ist fünfzehn Chimären wert«, grummelte der dunkelhaarige Basteter.
»Zwanzig, Chef«, warf Balgor ein. »Wenn alle sitzen. Nach zwanzig Schuss ist die Batterie leer und muss neu aufgeladen werden.«
»Aber es sind nicht unsere Leute!«, schoss der Major zurück, nachdem er den Captain an seiner Seite mit bösen Blicken gemaßregelt hatte.
Ekko richtete sich abrupt auf. »Es sind Soldaten! Es sind unsere Leute!«, fuhr er Carrick an. Sein Hirn explodierte regelrecht. Er wandte sich schmerzerfüllt ab. »Gott-Imperator auf dem Thron! Mein Schädel bringt mich um!«
Er stieß einen Zischlaut aus, hielt sich für einen Moment den schmerzenden Kopf, dann atmete er gepresst aus. »Wir reden hier nicht von einem Schweißgerät oder einer Taschenlampe, Major. Das sind Destroyer. Wenn meine Laserpistole eine Mami hätte – und die Mami hätte eine Mami - und die Mami hätte eine Urahnin – und die Urahnin hätte eine Heilige angebetet … dann wäre diese Heilige in Form eines Destroyers erschienen. Und -«, fuhr er an Balgor gewandt fort, »- es ist ja nicht so, als wenn die Panzerjäger Nahkämpfer sind. Die schießen nicht nur zweiundsiebzig Zoll weit, Balgor. Wir reden hier von bis zu fünf Kilometern Gefechtsentfernung. Bis die leergeschossen sind, haben die die ganze feindliche Armee im Alleingang vernichtet.«
»Nicht mit nur zwanzig Schuss, Chef.«
Ekko überging Balgors Bemerkung. »Wo wir schon bei weiblichen Zerstörern sind – was war denn das für eine Aktion mit Sile?«
Carrick und der Captain sahen sich an. »Was für eine Aktion?«, erkundigte sich der gutaussehende Major.
»Sie wissen genau, was ich meine«, grummelte ihr Vorgesetzter missmutig. »Wie konnten Sie mir die Schwester in einer Such- und Rettungsaktion hinterherschicken?«
»Aber, Sir!« Carrick riss die Augen auf. »Keiner von uns hat Sile den Auftrag gegeben, Sie zu suchen und zu retten. Die Schwester war von Ihrem Vorstoß so ergriffen, dass sie Ihnen in die Schlacht gefolgt ist.«
Fassungslos fuhr sich der imperiale Colonel mit seinen Händen durchs Gesicht. »Ich fasse das nicht. Da zieht sie los, um mich zu retten … hätten Sie sie nicht aufhalten können?«
»Ich erinnere mich da an eine Szene im Lazarett. Doktor Calgrows Höschen dürften davon noch immer recht feucht sein, Chef«, wies Balgor seinen Vorgesetzten auf eine bestimmte Situation vor einigen Tagen hin, während Carrick vollkommen fassungslos daneben stand.
Verstehend und nachgiebig nickte der Basteter ihm gegenüber. »Meine Unterbekleidung hat bei dem Vorfall auch leichte Schäden hinnehmen müssen. Danke für die Erinnerung.«
»Immer wieder gerne, Chef.«
Carrick, der die Situation nicht so humoristisch nahm wie Balgor, knirschte deutlich hörbar mit den Zähnen. »Es tut mir wirklich leid, dass niemand von uns schnell genug war, um Leitis Sile von ihrem Vorhaben abzuhalten.«
Einen Augenblick lang überlegte Ekko mit strengem Blick, dann plötzlich schoss sein Finger auf den Offizier, dessen Gesichtszüge im selben Augenblick jeden Glanz verloren. »Fühlen Sie sich schlecht, Major! Fühlen Sie sich jetzt richtig schlecht!«
Unruhiges Schweigen ergriff das Wort. Weder der Regimentskommandeur, noch sein Stellvertreter wagten es, sich die Blöße des nächsten Wortes zu geben. Sie starrten einander lediglich finster an. Balgor sah von einem Offizier zum anderen und suchte fieberhaft nach einer Lösung, mit der er die angespannte Situation hätte entschärfen können. Ihm fiel allerdings keine ein.
Es war schließlich Carrick, der nachgab. »Entschuldigen Sie mich kurz«, empfahl er sich, machte kehrt und marschierte schnellen Schrittes zu einem in der Nähe befindlichen Salamander-Kommandopanzer.
»Hm«, überlegte Ekko, während er seinem Untergebenen nachsah. »Damit fällt eine Bestrafung wohl flach.«
»Keine Bestrafung?«, erkundigte sich Balgor, den Blick weiterhin auf den Major gerichtet.
»Nein, noch nicht.«
»Sie lassen nach, Chef.«
»Ich weiß.«
»Warum ärgert es Sie, dass die Männer Sile nicht aufgehalten haben, als sie sich in die Schlacht warf?«
Ekko seufzte. »Es ärgert mich nicht, dass die Männer Sile nicht aufhalten konnten. Meinetwegen soll sich diese Sororita von einer Walküre mitten ins Orklager absetzen lassen. Was mich ärgert ist die Tatsache, dass sie mich danach gerettet hat.«
»Sie erinnert Sie an sie, richtig?«
»Bitte?«
»Leitis Sile. Sie erinnert Sie an Kortessa, oder?«
Der Colonel schüttelte den Kopf. »Nein. Sie erinnert mich an Ayle.«
Balgor, bestürzt ob des Geständnisses, schüttelte den Kopf. »Was ist da draußen geschehen?«
»Fragen Sie nicht, Balgor. Wenn ich es Ihnen erzähle, dann hängen wir beide über dem nächsten verfügbaren Speikübel. Sie wegen der Details … und ich wegen der Erinnerung daran.«
Balgor verstand. Der Sieg in diesem Duell fiel an Ekko.
Den Rest der Zeit schwiegen sie und verfolgten, wie Carrick im offenen Kommandoraum des Salamanders mit einer anderen Funkstelle über die Anweisungen sprach, die Ekko ihm gegeben hatte.
Der Colonel nahm sich die Zeit, seine Erlebnisse der letzten Stunden zu rekapitulieren, erneut zu verarbeiten und festzustellen, dass ihm die ganze Situation so dermaßen absurd erschien, dass er sich allein bei dem Gedanken daran idiotisch vorkam.
Schließlich beendete Carrick sein Funkgespräch und kehrte zurück zu den beiden anderen Offizieren.
»Sagen Sie«, brummte der sein Vorgesetzter, inzwischen etwas heruntergefahren. »Wo sind eigentlich die Space Marines?«
»Jagen gerade Orks, die versucht haben, die Kathedrale zu umgehen. Schlussendlich konnte ich sie doch nicht mehr aufhalten.«
»Sie haben versucht, Space Marines aufzuhalten?« Ekko hob anerkennend die Augenbrauen. »Carrick, Sie werden ja plötzlich richtig waghalsig.«
Der Major wollte etwas erwidern, zögerte jedoch. »Ich habe nur ausgeführt, was Sie mir befohlen haben, Sir.«
»Habe ich das? Schande über mich. Es hätte jemand zu Schaden kommen können.«
»Wie geht es nun weiter?«, warf Balgor ein, um der wieder erstarkenden Spannung zwischen den beiden Bastetern vorzeitig den Wind aus den Segeln zu nehmen. »Ich meine, nachdem nun unsere Schwachstellen offengelegt sind, sollten wir uns überlegen, wie wir weiter vorgehen. Immerhin ist unser Verteidigungskonzept geschwächt. Wir sollten – wir müssen – es neu überdenken.«
Ekko nickte zustimmend. »In Ordnung. Stellen Sie mir eine aktuelle Lagezusammenfassung fertig und beordern Sie die Offiziere in –«, er sah auf sein Chronometer »– in vier Stunden in die Kommandozentrale. Das schließt unsere Neuzugänge ein.«
»Verstanden«, bestätigte sein Stellvertreter.
Mit einem kurzen Kopfnicken wechselte der Colonel das Thema. »Wie sieht es mit den Verteidigungsanlagen und Fallen aus?«
»Wir haben die Anlagen um einige weitere Fahrzeugfallen und zwei Sperrriegel erweitert«, informierte ihn der Major. »Die Anlagen befinden sich kurz vor ihrer Fertigstellung und werden dann entsprechend kartographiert. Mit ihnen müssten unser Verteidigungsperimeter dann so gut wie vollständig sein.«
»Sehr schön.« Ekko nickte. »Wer überwacht die Konstruktion?«
»Solmaar und Retexer, Sir.«
»Ausgezeichnet. Schließen Sie sich mit den Captains kurz. Sagen Sie den Männern, dass sie schneller arbeiten sollen und müssen«, schloss er. »Ich werde in der Zwischenzeit kurz bei Doktor Calgrow reinschneien und mir ein Schmerzmittel gegen Schädelexplosionen besorgen.«
Mit diesen Worten drehte sich der Colonel um und wankte mehr, als dass er ging, auf den von Carrick zuvor angesteuerten Kommandopanzer zu, um sich von diesem in den dritten Ring des Kathedralenstadt bringen zu lassen.
Balgor und Carrick sahen zu, wie der Regimentskommandeur in das Fahrzeug einstieg, dessen Besatzung ihm ehrfurchtsvoll dabei behilflich war.
Als sich der Salamander endlich in Bewegung setzte, war es Balgor, der sich berufen fühlte, die Situation zu kommentieren. »Beim Barte des Propheten«, bemerkte der Captain. »Der Chef hat sich da mal wieder eine Aktion geleistet. Das wird sicherlich in die Annalen dieses Regiments eingehen.«
»Wenn das 512. nach Agos Virgil überhaupt noch Annalen führen kann, Captain«, gab Carrick missmutig zu bedenken.
»Und?«, widersprach Balgor. »Selbst, wenn nicht. Dann schreibe eben ich ein Buch darüber: Ekko, Sile und der Jagdpanzer. Eine Liebesgeschichte im Imperium. Was denken Sie?«
»Also lesen werde ich es nicht«, stellte Carrick nüchtern fest und entfernte sich, um Captain Nurin und seine Jagdpanzer einzuweisen.

***

Das Lazarett war in einer Priorei nahe der Kathedrale untergebracht, einem im Vergleich zum Riesenbauwerk winzigen Gebäude von nur drei Stockwerken Höhe.
Ekko musterte die aufragende Front kurz, während er schnellen Schrittes auf das breite Tor des ekklesiarchischen Verwaltungsgebäudes zuging.
Das Erdgeschoss wurde durch einen langen, umlaufenden Säulengang vor den Blicken Außenstehender verborgen. Die weiteren Etagen erhoben sich darüber.
Das gab dem Anwesen ein sehr zerbrechliches Aussehen, kontrastierte es vollkommen zu dem prächtigen Körper der Kathedrale.
Man konnte sofort sehen, dass die Priorei mindestens fünf Millennien nach der Kathedrale entstanden sein musste.
Sie machte einfach einen plumpen, ungalanten Eindruck. Etwa so wie ein fetter Bonze neben der schönen Tochter eines planetaren Gouverneurs.
Ekko zwang sich, seine Gedanken nicht noch weiter in diese Richtung abgleiten zu lassen und zog den Saum seines Drillichs glatt.
Er hatte noch genügend Zeit, um sich Gedanken um schöne Frauen zu machen, wenn er nicht mehr von derart malträtierenden Kopfschmerzen gequält wurde.
Nachlässig salutierte er dem vor dem Verbandsplatz stationierten Wachposten und betrat die Priorei durch das breite, zur besseren Durchlüftung geöffnete Portal, dessen hölzerne Front mit groben Schnitzereien imperialer Fresken versehen war.
Eine überraschende, aber wunderbar angenehme Kühle hieß ihn im Innern willkommen.
Er passierte das basaltfarbene Mauerwerk der Wandelhalle und bog nach links in eine weit größere Versammlungshalle ab, aus der vielstimmiges Gemurmel, Stöhnen und Jammern an seine Ohren drang.
Ein bestialischer Gestank aus Wundbrand, Salben und Desinfektionsmitteln umwaberte die halbgeschlossenen Flügeltüren wie eine warnende Geruchsbarriere.
Sein Verstand riet dem Colonel, das Tor nicht aufzustoßen, doch zwei Gedanken übertönten das vorsichtige Zeichen.
Zum einen musste er zu Calgrow, damit sie ihm ein Schmerzmittel gegen den physikalischen Alptraum in seinem Kopf geben konnte, zum anderen interessierte ihn irgendwie, was einen derartigen Gestank verursachte.
Er hätte es besser sein lassen.
Als der Basteter die Türen aufstieß, sprangen ihn Fäulnis und Verzweiflung an wie die ekelhaft vergammelte Wurzel allen Übels, die Summe aller Furcht, der Beginn allen Wahnsinns. In der Zeit einer Handvoll Herzschläge erlebte der Colonel den intensiven Schrecken des Krieges auf eine Weise, die ihm nie zuvor klar gewesen war.
Etliche Reihen Feldbetten waren in der Halle aufgestellt worden, durchmaßen sowohl die Länge als auch die Breite des improvisierten Lazaretts vollständig.
Ekko stellte eine ungeschickte Schätzung an und kam zu dem Ergebnis, dass sich etwa einhundertfünfzig bis zweihundert Liegen in dem Raum befanden – und so gut wie alle waren belegt.
Der Colonel hatte sich zuvor keine wirklichen Gedanken über die Verletzten gemacht, die von Calgrow und ihren Sanitätern an diesem Ort behandelt wurden. Erst jetzt kam ihm in den Sinn, dass sie hier vermutlich sämtliche Verletzte der Schlachten auf Agos Virgil heilten und pflegten.
Als der Kommandeur die Türen aufstieß und durch den Eingang trat, strich sich Marith Calgrow gerade eine Strähne ihres ergrauten Haares zurück.
Die Regimentsärztin stand mit zweien ihrer Sanitäter und medizinischem Personal des Officio Medicae am Krankenbett eines dick bandagierten Soldaten und beriet sich. Immer wieder sah Ekko die ehemalige Kommissarin den Kopf schütteln, auf die Lebensanzeigemonitore weisen und wieder den Kopf schütteln.
Offensichtlich wusste sie nichts Gutes über den Zustand des Soldaten zu berichten.
Er entschied, den Vorgang nicht weiter zu verfolgen, ließ Calgrow und ihren ‚Stab‘ mit sich allein und sah sich stattdessen ein wenig um. Noch immer erschütterte ihn die schiere Anzahl der Verwundeten, die an diesem Ort zusammengelegt worden waren, ein wenig.
Allein, wenn man nur Augen schloss und die vielfältigen Geräusche in sich aufnahm, das schmerzerfüllte Stöhnen der Verletzten, unruhige Rascheln der Betten, das Grummeln und Brummen unwilliger Geister und das Flüstern der Pfleger und Ärzte vernahm, dann breitet sich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend aus. Dazu kam der überwältigende Gestank.
Doch sobald man die Augen öffnete und nicht nur roch und hörte, sondern die erschreckende Verfassung der Menschen sah, die in diesem Lazarett vor sich hinvegetierten, dann konnte man nicht anders, als gegen den Brechreiz zu kämpfen, der sich langsam, aber stetig den hinteren Rachenraum hinaufwölbte.
Hinzu kam, dass die Wellen des Kopfschmerzes in ihm höher schlugen, je länger er an diesem Ort blieb.
»Colonel?«, flüsterte eine geschwächte Stimme neben ihm in ehrlicher Überraschung. Er wandte sich um.
Soldat Gorak, gezeichnet von Schlacht und Krankenbett, richtete sich schwerlich auf. Umgehend trat der Colonel an seine Seite.
»Guten Tag, Gorak«, grüßte er den Soldaten, nur um ihn mit einer energischen Handbewegung zurück in eine waagerechte Position zu befehlen. »Wenn Sie das tun, reißt mir Calgrow die Eier ab.«
Gorak hustete mehr, als dass er lachte. »Wie sieht es aus, Colonel?«
»Viel geschehen«, erwiderte der Vorgesetzte, von seinen Erinnerungen in eine geistige Abwesenheit gedrängt. »Viele Dinge.«
»Was ist mit der Prioris passiert?«
Ekko versuchte zu lächeln. Es fühlte sich gezwungen und gequält an. War es auch. »Sie ist quicklebendig.«
»Das freut mich zu hören, Colonel.« Gorak versuchte wieder, sich aufzurichten. »Wann kann ich …?«
»Gorak«, erklang das arrogante Hochgotisch Marith Calgrows hinter ihn, »habe ich Ihnen nicht befohlen, sich zu schonen?«
»Ja, Ma’am«, antwortete der Soldat kleinlaut.
Doch die Ärztin war noch lange nicht fertig. »Und gehörte dazu nicht auch, dass Sie sich nicht bewegen sollen, damit Ihr Körper sich regenerieren kann und die Nähte nicht sofort wieder aufreißen, die ich in einer stundenlangen Prozedur auf Sie verwendet habe?«
Natürlich hatte sie Recht. Sie wusste es, Gorak wusste es – und Ekko fühlte, dass auch ihm eine gewisse Ahnung innewohnte, die Ärztin könnte schon irgendwo Recht haben.
Aber die Art, wie sie dieses Recht einforderte, widerte ihn an. Diese hochnäsige Weise, ihr Hochgotisch als Aushängeschild ihres nicht vorhandenen aristokratischen Charmes zu versprühen, zwang in ihm den Drang auf – heute mehr als je zuvor – ihr einfach einmal gepflegt ins Gesicht zu langen und die Nase abzureißen. Er wusste, er durfte diesem Drang nicht nachgeben, auch wenn es sich noch so verlockend anfühlte.
»Calgrow hat Recht, Gorak. Ruhen Sie sich aus«, sagte er stattdessen. »Sie werden Ihre Kraft bald brauchen.«
Der Soldat nickte und ließ sich von der ehemaligen Kommissarin mit sanfter Gewalt zurück auf die Liege drücken.
»Eine Woche will ich Sie noch hier behalten, dann können Sie wieder ins Gefecht«, versprach sie.
Ekko schüttelte belustigt den Kopf. »So lange leben wir nicht mehr.«
Gorak riss die Augen auf. »Doktor?!«, schoss es aus ihm heraus.
Die Ärztin fuhr herum. »Colonel!«
»Öhm …«
»Hören Sie nicht auf den Colonel«, versuchte Calgrow den Soldaten zu beruhigen. Es klang eher nach einem Befehl: Hören Sie nicht auf den Colonel! Andernfalls werde ich Sie erschießen!
»Also gut«, schloss sich Ekko ihrer Meinung an, »dann hören Sie nicht auf mich. Wir werden nicht sterben.«
Calgrows Miene verfinsterte sich weiter, aber sie entschied, nicht auch noch auf die betonte Provokation des Regimentskommandeurs einzugehen. Stattdessen nahm sie seinen Arm – oder besser: packte ihn – und zog den Colonel vom Krankenbett des Soldaten weg.
»Was wollen Sie hier?«, herrschte sie ihn leise, aber bestimmt an.
»Erfolg gehabt?«, wies er, ohne auf ihre Frage einzugehen, mit einem Nicken auf den zuvor von ihr besuchten Patienten, dem gerade vom Sanitäter ein Medikamentencocktail gereicht wurde.
Die Regimentsärztin folgte seinem Blick, schüttelte in ehrlichem Bedauern den Kopf. »Nein. Ich habe meine Sanitäter angewiesen, ihm die Gnade des Imperators zu gewähren.«
Ekko rümpfte die Nase. »Wie großzügig von Ihnen.«
Calgrow fuhr herum und funkelte den Regimentskommandeur an. Die Reaktion kam so heftig und überraschend, dass der Colonel einen Schritt von ihr wegmachte. »Möchten Sie ihn sich ansehen? Vielleicht sollten Sie ihn kennenlernen? Immerhin ist er wegen Ihrem Ausfall in dieser Lage, Colonel.«
»Nein, vielen Dank«, erwiderte der imperiale Offizier mit finsterem Seitenblick. »Ich bin gerade sehr beschäftigt. Vielleicht werde ich ihn später noch besuchen.«
»Sie sind ein feiger Mistkerl, Ekko.«
Er kommentierte die Bemerkung nicht.
»Also, was wollen Sie hier?«
»Schmerzmittel«, erklärte er lakonisch.
In einem Anflug ehrlichen Erstaunens hob Calgrow die Augenbrauen. »Schmerzmittel? Seit wann nehmen Sie Schmerzmittel? Schmerzen sind doch das Größte für Sie.«
»Ja«, bestätigte er. »Aber im Augenblick werde ich von Schmerzen übermannt. Und ich brauche einen klaren Kopf.«
»Und den wollen Sie mit Schmerzmittel bekommen?« Calgrow schaffte es, soviel Unglauben in ihre Worte zu legen, dass Ekko nichts anderes übrigblieb, als aufzugeben und resigniert zu lachen.
»Geben Sie mir nun etwas gegen höllische Kopfschmerzen? Oder lassen Sie mich in dem Wissen gehen, dass ich meiner Regimentsärztin nicht vertrauen kann?«
Die Ärztin verschluckte sich beinahe an der Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag. Der Schlag, den ihr seine Worte verpassten, ließ sich deutlich an ihrem Gesicht ablesen.
Tatsächlich konnte er sich nicht erinnern, irgendwann einmal weiter aufgerissene Augen gesehen zu haben.
Gnädig, wie er war, ließ der Basteter der Cadianerin ausreichend Zeit, um ihre Fassung wiederzuerlangen und sich zu überlegen, wie sie darauf reagieren wollte.
Es dauerte eine Weile, bis sie schließlich zu dem Entschluss gelangte, sich auf ihrem eigenen Gebiet geschlagen zu geben. »Folgen Sie mir.«
Sie führte ihn zwischen den Krankenbetten entlang zum rückwärtigen Teil der Halle, der durch eine Wand aus grünen Laken vom Rest des Raumes abgetrennt worden war.
Auf dem Weg ließ der Colonel seinen Blick immer wieder zu den Verletzten links und rechts ihres Weges schweifen, deren Liegen teilweise so schmal und klein erschienen, dass er sich fragte, ob sie aus den Transporträumen verschiedener Sanitätsfahrzeuge entwendet worden waren.
Lebensanzeigemonitore und unterschiedlichste medizinische Apparaturen standen in den engen Gassen, durch die man sich zwischen den Krankenlagern zwängen musste. Beistelltische mit Ampullen, Spritzen und Untersuchungswerkszeug warteten darauf, dass man sie bei Bedarf zur Hilfe heranzog.
Sanitäter und Mitglieder des Munitorums, namentlich des O.M., standen bei mehr oder weniger schwer verletzten Soldaten, wechselten Bandagen oder gaben Medikamente, von denen sie alle wussten, dass es nicht mehr als verzweifelte Hilfsversuche der Schmerzlinderung waren.
Links von ihnen breiteten zwei Sanitäter gerade eine Decke über einen erschlafften Körper.
Ekkos Unwohlsein schlug in schiere Übelkeit um, gemischt mit einem Hauch von Panik.
Calgrows attraktiver Körper hingegen wiegte sich im seichten, selbstsicheren Schritt, der eine gewisse Abstumpfung gegenüber dem Grauen des Lazaretts erkennen ließ. Er hätte nicht sagen können, ob er sie dafür bewunderte oder verachtete.
Zielsicher dirigierte die Ärztin ihren Regimentskommandeur an den Verwundeten vorbei zu der Front aus grünen Laken, die sie ohne zu zögern zur Seite schob, um sich und den Colonel einzulassen.
Sie gab dem Basteter Zeit, mit ihr einzutreten, dann zog sie den Vorhang in einer eleganten Bewegung wieder zu und bedeutete Ekko, sich aufs Bett zu setzen. Er folgte der anweisenden Geste, obwohl ihn dabei ein nicht näher zu definierender Schauer überkam.
Vor seinem inneren Auge wandte sich eine bedürftige Marith Calgrow zu ihm um und schälte sich erst aus ihrem Kittel, dann aus ihrer Uniform. Als es so weit kam, dass er eigentlich ihre Unterwäsche hätte sehen können, löste sich seine Vorstellung glücklicherweise in Luft auf. Er kam nicht einmal mehr dazu zu prüfen, ob Balgors Behauptung über feuchte Höschen stimmte.
Die echte Marith Calgrow hingegen wandte sich von ihm ab und begann, in einem nahen Medizinschränkchen nach einem Mittel gegen den Kopfschmerz des Regimentskommandeurs zu suchen.
»Ich habe von Ihrer Heldentat gehört, Colonel«, erwähnte die Ärztin ganz beiläufig. »Ich war beeindruckt.«
»Solange Sie jetzt nicht vor mir auf die Knie fallen«, brummte er.
»Keine Sorge, Colonel. So beeindruckt war ich dann doch nicht.«
Ekko ließ ein abwesendes »Mhm« ertönen und machte sich daran, die Umgebung mit musternden Blicken zu sondieren.
Was genau diese kleine, abgeschottete Abteilung darstellte, ließ sich nicht auf Anhieb sagen. Tatsächlich musste sich Ekko gestehen, dass er es auch auf den zweiten und dritten Blick nicht erkannt hätte. Die Liege – oder besser der Tisch – auf der er saß, konnte in einem Aufgabenbereich irgendwo zwischen Operationen und Autopsien eingesetzt werden. Das Besteck auf dem Beistelltisch ließ ihn etwas Ähnliches annehmen.
Die Medizinschränke und Pharmazeutika, die auf mehrere mobile Regale verteilt standen, wiesen allerdings eher auf eine apothekenartige Funktion hin.
Und dann war da noch diese abgedeckte Bahre, die auf mehreren Beistelltischen ruhte. Er brauchte nicht lange um zu begreifen, welcher Aufgabe sie diente und wer sie gerade belegte.
»Ihr letzter Patient?«, erkundigte sich der Offizier, nachdem er die Wellen des Schauers in seinem Körper unter Kontrolle gebracht hatte.
Calgrow hielt in ihrer Tätigkeit, nach einem passenden Medikament für ihn zu suchen, inne und wandte sich um. »Wie bitte?«, fragte sie.
Kopfnickend wies der Colonel auf den Toten. »Operation erfolgreich?«
»Nein, Colonel. Die Herren sind tot gefunden worden. Ich hätte eine Autopsie vorgenommen, nur leider bin ich derzeit gewissermaßen … beschäftigt.« Sie fuhr fort, den Medizinschrank nach dem entsprechenden Mittel zu durchsuchen.
Ekko stand auf, zog den Saum seiner Uniform glatt und trat an die Liege des Toten. Er atmete durch, um sich auf das Kommende einzustellen, dann zog er das Leichentuch zur Seite. Nichts hätte ihn auf das vorbereiten können, was er sah.
»Oh«, murmelte er und machte unwillkürlich einen Schritt zurück. Der zum Vorschein gekommene Tote war eine verzerrte Fratze, der Ausdruck puren Grauens. Selbst im erschlafften Zustand des Todes konnte man ihm die Furcht und das Entsetzen seiner letzten Lebenssekunden ansehen. Blut war auf die verblassten Ansätze von kurz geschorenem, dunklem Haar und den Brustbereich der Uniformjacke gespritzt, ausgehend von der zerschmetterten Platte einer zerschossenen Stirn.
Der Regimentskommandeur schürzte die Lippen. »Oha«, entwich es ihm. Er warf einen genaueren Blick auf die Uniform des Soldaten, um ihn möglichweise so zu identifizieren. Ein dreifarbiger Tarndruck, in Sand- und Grautönen gehalten und in einem einfachen Splittermuster aufgebracht. Der Colonel konnte nicht sagen, dass ihm diese Art eines Tarnmusters sonderlich bekannt vorkam, die Regimentsbezeichnung auf der Identifikationsmarke des Soldaten hingegen las sich recht vertraut: »34. Borodian«, murmelte er leise, bevor er sich Zeit nahm, näher darüber nachzudenken.
Das 34. Borodian. Hatte nicht dieser Lieutenant Valerio, Valeris oder wie er hieß, von drei Überlebenden des 34. Borodian gesprochen? Ob dies einer von ihnen war? Wenn ja, was war mit ihm geschehen? Hatte er sich selbst umgebracht? War er bereits vorher tot gewesen? Hatten ihn vielleicht sogar seine Kameraden getötet? Und warum fragte er sich das? Nur einen Meter entfernt befand sich eine Frau, die nicht nur als Ärztin kompetent war, sondern darüber hinaus über ein beeindruckendes Wissen im Bereich der Tötungsmethoden und deren Anwendung verfügte.
Als hätte sie seine Gedanken erraten, tauchte Doktor Calgrow plötzlich an seiner Seite auf, ein Döschen mit dem geforderten Schmerzmittel in der Hand. »Kein schöner Anblick, oder?« Sie hielt ihm das Gefäß hin.
»Nein«, antwortete er, ohne die Medikamente zu beachten. »Das ist wirklich kein schöner Anblick.«
Leichter Wind fasste unter die gespannten Laken, ließ sie im Takt der Luftbewegung flattern.
Calgrow wies auf eine kleine, vom Hauptraum zusätzlich abgeschottete Nische. »Dort vorne liegen die anderen beiden.«
»Die Anderen?« Er warf ihr einen Blick zu. »Es gibt noch mehr?«
»Ja«, bestätigte sie. »Zwei.«
Zwei – plus ihn … macht drei. Drei Überlebende. Beim Barte des Propheten! »Woran sind sie gestorben?«
Die Ärztin legte den Kopf schief, schürzte die Lippen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Kopfschuss, würde ich sagen.«
»Diagnose Kopfschuss, hm?« Er nickte nachdenklich. »Die Art, mit der Sie mir diese Diagnose mitteilen, sagt mir, dass Sie gerade nicht nur als Ärztin sprechen.«
Calgrow sah den Regimentskommandeur düster an. Er zwang sich, ihr zu wiederstehen. Eine gefühlte Ewigkeit starrten die beiden sich an, versuchten einander mit den Blicken niederzuzwingen.
Nach einer Weile begannen die ersten Tränen in Ekkos Augen zu brennen. Er spürte, wie die reinigende Flüssigkeit versuchte, das Austrockenen seiner Netzhaut zu verhindern. Lange würde er dieses Duell nicht mehr austragen können, ohne dass ihm das Wasser über die Wangen lief.
Die Augen der ehemaligen Kommissarin hingegen füllten sich mit Feuer. Mit dem Feuer einer längst vergangenen Episode ihres Lebens, in der sie auf der anderen Seite gestanden hatte. Auf der Seite von elenden Scheißkerlen und Schleimkröten wie Kolwa Ligrev, Del …
Wie ein Schlag traf ihn die Erkenntnis ins Gesicht. Kolwa Ligrev.
»Nein!«, spie der Colonel aus, als er endlich begriff, was die Ärztin im wortlos vermittelt hatte. Glauben konnte er es trotzdem nicht.
Er stieß gepresst Luft auf. »Es war also Ligrev.«
Calgrow bestätigte seine Worte nicht, aber ihre Miene sagte ihm, dass er richtig lag. Es war auch nicht wichtig, dass sie etwas sagte. Wichtig war nur, dass die ehemalige Kommissarin ihm einen verzweifelt gesuchten und zugleich gefürchteten Brocken Information zuwarf.
Der Colonel nickte nachdenklich, schluckte den schlagartig in ihm aufkochenden Cocktail aus Wut und Enttäuschung herunter. Erstaunlicherweise schaffte er es, seinen heftigen inneren Kampf gut vor der Ärztin zu verbergen. Lediglich ein nervöses Händereibe und ein dumpfer Tonfall verrieten ihn. »Warum haben Sie ihn nicht aufgehalten?«
»Ich konnte es nicht.«
»Was?! Der Mistkerl scheißt sich schon bei Ihrem Blick in die Hose. Also erzählen Sie mir nicht, Sie konnten ihn nicht aufhalten!« Das letzte Wort schrie er.
Augenblicklich verstummten sämtliche Geräusche jenseits des Sichtschutzes. Selbst die Maschinen schienen angehalten zu haben.
»Ich sah keinen Grund darin, ihn aufzuhalten«, präzisierte die Regimentsärztin. »Dieser Mann hat ein Exempel statuiert an denen, die es an wahrem Glauben und Ehre mangeln ließen!«
Ekko schnaubte. Als er ihr antwortete, färbte Verbitterung seine Stimme. »Sie klingen ja beinahe wie Retexer: ‚Ehre und wahrer Glaube‘. Denken Sie eigentlich wirklich daran?«
»Tun Sie es etwa nicht?«
»Ich glaube an den Kampf«, offenbarte er ihr eindringlich. »Und mein Glaube sagt mir: Der Kommissar hat einfach Kampfkraft vernichtet! Er hat drei Männer vernichtet. Drei Männer, die wir vielleicht gebracht hätten!«
»Es waren nur drei Männer«, widersprach die ehemalige Kommissarin.
Der Regimentskommandeur schlug sich mit der Faust auf die flache Hand. »Da draußen haben mir drei Männer das Leben gerettet! Drei Männer, die mit ihrem Gerät orkische Schrottkarren auf Masse vernichtet haben. Erzählen Sie mir nicht, dass drei Mann keinen Wert besitzen, Calgrow!« Es war das erste Mal, dass er die Medizinerin lediglich mit ihrem Namen ansprach.
Sie bedachte ihn mit einem undurchsichtigen Blick. Natürlich wusste sie, wovon er sprach. Sie war Cadianerin, Ex-Kommissarin und Ärztin. Sie kannte alle Aspekte der Ehre und des Kampfes.
»Wo finde ich den Kommissar?«, fragte er, nachdem er einen Moment lang überlegt hatte, mehr an sich selbst als an sie gerichtet. »Sagen Sie nichts: In der Kommandozentrale finde ich ihn, richtig?« Er atmete tief ein. »Also gut. Sie warten hier. Ich gehe jetzt kurz nach oben und raste aus. Vielleicht kriegen Sie dann den einen oder anderen Patienten mehr.«
Er nahm Calgrow die Medikamentendose aus der Hand, wandte sich schwankend ab und verließ das Lazarett.
 
Salve,

so, nachdem meine Prüfungen geschrieben, bewertet und bestanden sind, mein Geburtstag gefeiert wurde (danke noch mal an alle Gratulanten) und ich endlich mal wieder ein richtiges Buch verschlingen konnte, geht’s nun mit Ekkos Irren weiter. Dieses Mal aus der Rubrik: Wie man auf Probleme reagiert. Wir werden zwei eindrucksvolle Einblicke erhalten.

Ich danke Nakago für seine kurze Fluff (Ich habe dieses Wort nie gemocht – ab demnächst „Wuff“)-Kontrolle und wünsche viel Spaß beim Lesen

Wuff^^

Eure Sister

24

Der blickdichte Vorhang vor dem Eingang zur Kommandozentrale flatterte regelrecht davon, so schnell wehte Galard Ekko in den Raum. Hätte er eine Tür aufschlagen müssen, sie wäre vermutlich aus den Angeln geflogen.
Ein halbes Dutzend Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften sprangen entsetzt von ihren Stühlen auf und zogen sich schnellstmöglich durch das hallenartige Beinhaus in Richtung der ausladenden Fensterfront zurück. Kolwa Ligrev fiel aus den Gedanken, in denen er versunken über dem taktischen Holo-Plot gelehnt hatte.
Keiner von ihnen hatte den Regimentskommandeur des 512. jemals zuvor dermaßen in Rage erlebt. Vermutlich glaubten sie, dass er gleich seine Pistole ziehen und schießen würde.
»Raus!!«, schrie er und warf seinen Daumen in einer energischen Geste über die Schulter. »Alle sofort raus! Außer Sie!« Er zeigte auf Ligrev.
Die Soldaten, vollkommen von ihrem Vorgesetzten überrannt, beeilten sich, dem Befehl nachzukommen. Ligrev blieb erstarrt stehen.
Ekko verharrte in völliger Bewegungslosigkeit, wartete darauf, dass der blickdichte Vorhang hinter ihm zu schwang, dann fuhr er zu Ligrev herum. Seine Stimme, nur schwer unter Kontrolle gehalten, spiegelte die Wut des imperialen Offiziers wieder. »Was für eine thronverdammte Scheiße ziehen Sie hier ab?!«
Ligrev riss die Augen auf. »Wie können Sie es wagen?! Ich bin der Kommissar dieses Regiments!
»Mann, Sie sind doch voll von der Rolle, Sie verdammtes Arschlosch!«, schoss Ekko weiter, ohne die Worte seines gegenüber zu beachten. »Sie haben drei Überlebende erschossen, nur weil es Ihnen gerade passte?!«
»Sie haben das Imperium verraten!«, herrschte der Kommissar.
»Das Imperium verraten?« Unglauben färbte die Stimme des Offiziers. »Wie können Männer, die sich nach einem verlorenen Kampf der nächsten Armee anschließen, Verräter sein?«
Ligrev blieb unnachgiebig, beachtete den Einwurf gar nicht. »Sie haben nicht bis in den Tod gekämpft! Sie sind geflohen wie Feiglinge!«
»Wer bis zum Tod kämpft wird sterben, wer vom Schlachtfeld entkommt, kann bald wieder kämpfen«, rezitierte Ekko einen Merksatz aus dem Taktikhandbuch für Offiziere.
»Es wird Zeit, dass wir den Männern zeigen, wofür Sie kämpfen! Und dass wir keinerlei Schwäche dulden, noch sie vergeben!«
»Schwäche?!«, warf Ekko ungläubig aus. Das Wort klang in seinen Ohren so scharf und reißend wie die aktivierte Klinge eines Kettenschwerts. »Thron von Terra, Ligrev! Die Männer kämpfen, um diese Welt für den Imperator zu erhalten!«
»Das sollten sie auch!«, herrschte der Kommissar mit unterstreichend erhobener Faust. »Es gibt nicht weniger, was der Imperator von ihnen verlangt! So wie er sein Leben für uns gab, müssen wir nun unser Leben für ihn geben!«
»Wir?!«, rief Ekko, ungläubig lachend. »Sie, Herr Kommissar, haben es bisher als einziger an Todesmutigkeit mangeln lassen. Also beenden Sie diesen Blödsinn auf der Stelle!«
»Blödsinn?! Das waren die ersten Exekutionen – und es werden weitere folgen. Diese Art der Häresie werde ich nicht dulden – nicht mehr!«
»Ach – jetzt plötzlich fangen Sie an, mutig zu werden?« Ekko verschränkte die Arme vor der Brust. »Woher kommt denn dieser Sinneswandel?«
Der Kommissar atmete empört ein, versuchte die dreiste Bemerkung zu entwerten oder zu entkräften. Doch wie so oft scheiterte er daran, eine schlagfertige Antwort zu finden. Kolwa Ligrev war nun einmal kein Mann, der gewandt mit Worten umgehen konnte. Und das machte ihn gegenüber verbalen Angriffen sehr verwundbar.
»Ekko«, zischte er, vor Wut bebend. Demonstrativ zog der Kommissar seine Boltpistole, legte sie vor sich auf den Plottisch. »Ich habe Sie im Auge.«
»Können Sie ein ärztliches Attest dafür vorweisen?«, schoss der Colonel so kalt wie möglich zurück.
Nun bebte Ligrev nicht mehr. Er explodierte.
»Der Imperator!«, schrie der Kommissar. »Der Imperator hat mich – mich! – Kolwa Ligrev – mit der Macht ausgestattet, den wahren Dienst an Ihm zu erfüllen! Und Sie, Ekko, werden das nicht verhindern!«
»Wahrer Dienst?« Der Colonel konnte nicht verhindern, dass er laut loslachte. Wahrer Dienst! »Die Einzige, die behaupten kann, dem Imperator auf wahre Weise zu dienen, ist Prioris Si…«, rief er, wandte sich um und starrte direkt in die stahlblauen Augen der Sororita.
Sile war so schlagartig aus dem Dunkel aufgetaucht wie die Erscheinung eines imperialen Engels, dass Ekko und Ligrev jeweils einen erschrockenen Schritt zurückwichen.
»…le. Beim Barte des Propheten, was machen Sie denn hier?«, rief der Regimentskommandeur aus, bevor er sich die Zeit nahm, sie näher zu betrachten.
Die Adepta hatte sich aus ihrer Servorüstung befreit, offensichtlich kurz gewaschen und ein ekklesiarchisches Gewand angelegt. Ihr Gesicht wies nach wie vor Schnitte und Abschürfungen auf, doch das Blut, mit dem sie vor gut einer Stunde noch bespritzt gewesen war, war aus ihren Haaren und von ihrer Haut gespült. Der eisige Hauch gnadenloser Kälte umwehte sie.
Sie wirkte beinahe so unnahbar und erhaben wie immer. So kalt und abweisend, aber gleichzeitig auch schön wie ein schneebedecktes Feld im Winter.
Die Prioris bedachte die beiden Imperialen vor sich mit starrem Blick, so als sei ihr Gespräch an diesem Ort eine Häresie ungeahnten Ausmaßes. Ekko konnte nicht anders, als sich ob der bösartig verengten Augen unmerklich zu verkrampfen.
»Colonel, Kommissar«, begrüßte die Ordensschwester die beiden Imperialen. Ihre Stimme war härter als sonst. Ihr wohnte eine gewisse Aggressivität inne, die ihn an die erste Begegnung zwischen ihr und Ligrev denken ließ. Der heiße Schauer einer bösen Vorahnung wanderte als flüsternde Warnung durch seinen Körper.
»Hat es einen Grund, weshalb Sie in Seinem Haus die Stimme erheben?«
Die flüsternde Warnung in seinem Kopf explodierte zu einem schrillen Alarm. Ligrev hingegen schien nichts zu hören. »Was wollen Sie, Schwester?«
»Ihr Geltungssucht ist verachtenswert«, fauchte die Sororita angewidert. »In Anbetracht unserer Verluste müssten Sie demütig vor Ihm knien und Ihm danken, dass Er Seine schützende Hand über Sie gehalten hat.«
Ekko bemerkte, dass er es lustig fand, wie Sile von ‚ihren‘ Verlusten sprach, als wären es ihre Leute gewesen, die während der Schlacht gestorben waren. Soweit er sich erinnern konnte war er der einzige, der vor der Himmelskathedrale Kampfkraft eingebüßt hatte.
»Also danken werde ich ihm dafür sicherlich nicht«, brummte er mit einem Nicken in Ligrevs Richtung und wandte sich der Holosphäre zu.
»Tun sie dem Imperium und der Galaxis einen Gefallen, und sterben sie endlich«, verlangte der Kommissar. Wen er damit meinte, ließ sich für Ekko in dem Augenblick nicht feststellen – und er würde es in seinem Leben auch nicht mehr erfahren.
Der Colonel schwieg, tat so, als habe er es nicht gehört, doch in seinem Innersten kämpften dunkle Mächte mit seinem Wesen um die Vorherrschaft der rechten Hand, die nur einige Zentimeter über der im Tiefziehholster befindlichen Laserpistole schwebte.
Eine innere Wut ergriff Besitz von seinem Denken, suchte sich sicher und zielstrebig ihren Weg an die Oberfläche, und bereitete sich darauf vor, dort mit der Gewalt eines Orbitalschlags auf die anmaßende Selbstüberschätzung des Kommissars niederzugehen.
Er rang noch mit seinen Dämonen, als eine andere Stimme in das ignorierende Schweigen brach, den Kommissar direkt adressierte.
Es war Sile. »Sie haben den Imperator einmal zu oft verleugnet«, stellte sie nüchtern fest.
Ekko bekam nicht mit, was genau dann geschah, doch nur einen Moment, nachdem sie das gesagt hatte, krachte eine Boltpistole und das Blut des Kommissars spritzte über den Colonel. Verwirrt taumelte er einige Schritte zurück. Die dunklen Mächte verschwanden.
»Mann«, fuhr er sie an, als der Leib des Kommissars mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden schlug. »Hackt es bei Ihnen, oder haben Sie nur einen verdammt nervösen Zeigefinger?«
»Der göttliche Imperator duldet weder Verräter, noch Häretiker, die Ihn in ihrer Geltungssucht verleugnen!«, antwortete sie, als ihr Waffenarm die Pistole auf sein Gesicht schwenkte. »Und ich dulde sie auch nicht.«
»Ach ja«, murmelte er. »Ich vergaß.«
In diesem Augenblick flogen die Türen auf und ein gutes Dutzend Basteter stürmte in den Raum, die Lasergewehre im Anschlag.
»Waffe weg!«, brüllte ein hochaufgeregter Sergeant nervös. »Nehmen Sie die Waffe herunter!«
Sile richtete die Boltpistole auf die Imperialen und schrie zurück. »Ich bin der Engel des Imperators! Ich habe Göttern und Dämonen getrotzt! Ich bin das Schild – ich bin das Schwert! Ich bin der Engel des Imperators! Ich habe …!«
»Nicht schießen!«, sprang Ekko dazwischen. Das letzte, was diesen wirklich thronverdammten Tag perfekt machen würde, war ein Feuergefecht zwischen der Prioris und seinen Soldaten inmitten der Kommandozentrale. »Herr auf dem Thron, seid ihr alle wahnsinnig?!«
»Weg mit der Pistole!«, fielen weitere Infanteristen ein. »Weg mit der Waffe oder wir schießen! Pistole runter!«
»Sergeant!«, kreischte Ekko so heiser wie nie zuvor. »Herr auf dem Thron! Befehlen Sie Ihren Männern, die Waffen zu senken! Ich will hier keine Schießerei!«
Er wurde nicht einmal beachtet. Seine Infanteristen und die imperiale Ordensschwester fuhren fort, sich anzuschreien und zu bedrohen. Waffenarme zuckten vor und sprangen zurück, eine Spirale der Eskalation und Provokation auf kleinstem Raum.
Jeder andere Mensch in Ekkos Situation wäre vermutlich in Deckung gehechtet. Doch dafür war er inzwischen viel zu müde.
Wieder einmal versuchte ihn das Universum mit der Aussicht auf einen baldigen Tod zu locken und erwartete von ihm, dass er darauf einstieg.
Nun gut. Warum nicht?
»Also dann«, knirschte er und stellte sich direkt zwischen die Adepta und seine Männer.
Schlagartig wurde es still. Sile senkte die Waffe. Die Soldaten taten es ihr zögernd gleich.
»War klar«, grummelte der Colonel. »Ich komme hoch – und alle senken die Waffen.«
Endlich bekam er Gelegenheit, die Situation mit einem genaueren Blick zu erfassen.
Die Leiche Kolwa Ligrevs lag vor dem Projektionstisch der hololithischen Anzeige, mit vollkommen zerstörter – oder besser ausgedrückt: verschwundener – Schädeldecke. Blut pulsierte fröhlich aus dem zertrümmerten Kopf des Kommissars, breitete sich als ständig wachsende Pfütze über den Boden aus.
Leitis Sile stand breitbeinig über ihm, die schlichte Boltwaffe des Mannes in den Händen. In ihren stahlblauen Augen funkelte das schimmernde Lächeln des Todes. Wie sie zu der Waffe gekommen war, wusste nur der Imperator.
Ihr gegenüber hatte sich eine Gefechtslinie aus Soldaten aufgebaut, alle mit der Panik des eigenen Todes in den Mienen. Herr auf dem Thron, wie konnten sich gut zehn ausgebildete Infanteristen so dermaßen vor einer einzelnen Frau fürchten? Nicht, dass er nicht verstanden hätte. Was Sile ihm während der letzten Tage präsentiert hatte, sprach für sie und ihresgleichen.
Der blickdichte Vorhang wehte zur Seite, entließ Balgor und weitere Soldaten in die Kommandozentrale.
»Thron von Terra!«, rief der Captain mit Blick auf das Blutbad aus. »Was ist denn hier passiert?«
Ekko ließ sich erschöpft auf den Plottisch sinken. Er fühlte sich auf einmal sehr, sehr müde. »Sie hat dem Kommissar die Gnade des Imperators gewährt – mit seiner eigenen Pistole«, erklärte er atemlos, bevor er sich an den kommandierenden Unteroffizier wandte. »Sergeant, bitte geleiten Sie Kommissar Ligrev hinaus.«
Der Mann, Sergeant Nedor, wie er erst jetzt erkannte, hielt die Prioris unverwandt im Blick, während er mit einem kurzen Wink er vier Mann herbeibefahl, die den toten Körper des Kommissars aufnahmen und ihn aus der Kommandozentrale schafften.
Erst jetzt, da die Situation weitestgehend entschärft war und gerade bereinigt wurde, ließ auch Sile einen Teil der ihr innewohnenden Anspannung fallen. Sie nahm die Pistole des Kommissars – ebenjene Waffe, mit der sie ihn gerade gerichtet hatte – und ließ sie in den Gürtel ihrer Robe gleiten.
Mit einigen kurzen Befehlen verteilte Ekko Balgors Männer im Raum und wies auch Nedor an, seine Truppen ausschwärmen zu lassen. Nicht jeder musste mithören, was in den folgenden Minuten gesagt wurde.
»Ich denke, ich muss mich bei Ihnen bedanken, oder?«, sprach er die Sororita an.
Sie schwieg einen Moment lang, dann bedachte sie ihn mit einem Blick aus ihren stahlblauen Augen. »Wollen Sie sterben, Colonel Galard Ekko?«
»Nein, verdammte Scheiße. Ich versuche, einfach nur zu überleben!«
Die Sororita verengte ihre Augen. »Dafür stellen Sie sich aber nicht sehr intelligent an.«
»Nein, das stimmt«, keifte er zurück, bevor er seine Arme theatralisch ausbreitete. »Aber was bleibt mir übrig? Diese Galaxis bescheißt mich ohne Pause. Sie hat mir sogar die Ehre genommen, als einfacher Soldat für den Gott-Imperator zu sterben. Stattdessen hat sie mich zum Colonel gemacht und mir kurz darauf ein zweites Paar Augen geschenkt, die immer panisch über meine Schulter blicken und nach Pistolen suchen, die aus den eigenen Reihen auf meinen Nacken gerichtet sind.«
»Sie sind ein sehr ungewöhnlich Mensch, Galard Ekko«, bemerkte sie mit einer winzigen Spur von belustigter Bewunderung in ihrer Stimme – aber auch nur einer ganz winzigen.
»Ja«, antwortete er erschöpft. »Menschen mit vier Augen sind meistens ungewöhnlich.«
Alles war gesagt. Für eine Zeit lang ließen sie die Stille zu Wort kommen, verfolgten die Soldaten Balgors und Nedors dabei, wie sie in den hallengroßen Raum ausschwärmten und anfingen, vorsichtshalber alle Ecken und Nischen nach versteckten Sprengfallen, Schussanlagen oder ähnlich bösen Überraschungen absuchten. Nur für den Fall, dass …
Es war die Prioris, die schließlich mit dem Schweigen brach. »Ich denke, ich werde mich nun zurückziehen und meditieren.«
Ekko winkte sie gutheißend fort. »Tun Sie das.«
Sie verneigte sich und ging.
Erst als der Vorhang hinter der Sororita zuschwang, wagte es Balgor, an seinen Vorgesetzten heranzutreten.
»Alles in Ordnung, Chef?«, fragte er.
Der Regimentskommandeur warf seinem Untergebenen einen Blick zu und seufzte matt. »Oh, Mann. Erst räumt sie meinen Kommissar weg, dann geht sie beten. Man könnte meinen, sie möchte mir nur noch Gefallen tun. Apropos Gefallen tun – wo kommen Sie eigentlich her?«
»Doktor Calgrow hat mich darüber informiert, Sie würden gerade eine wirklich große Dummheit begehen wollen. Da dachte ich mir, ein wenig Verstärkung könnte nicht schlecht sein.«
»Wie freundlich von ihr – und Ihnen«, brummte der Colonel. Er ging zum Holotisch, über dem das knisternd flackernde Abbild der Himmelskathedrale schwebte.
Dort lagen Ligrevs Schirmmütze und Mantel, die er während Leitis Siles Angriff dort liegengelassen, beziehungsweise verloren hatte. Ohne ein Wort gab der Regimentskommandeur die Kopfbedeckung an seinen Untergebenen weiter und wandte sich dem Häufchen dunklen Ledermantels zu, das, leicht rauchend, auf dem steinernen Boden vor seinen Füßen lag.
»Imperator, verdamme mich!«, ärgerte sich der Colonel, als er das zerschossene Kleidungsstück in die Höhe hielt. »Nur den Mantel hat sie nicht heil gelassen.«
Er seufzte und warf die Überreste weg.
»Major Carrick wird durchweg begeistert sein«, brummte der Captain an seiner Seite.
»Glauben Sie?«, fragte sein Vorgesetzter in der gespielten Hoffnung, es könnte so sein.
»Nein.« Balgor betrachtete die Erinnerung an den verhassten Kommissar für eine Weile, dann versteifte er sich. »Colonel, ist Ihnen überhaupt bewusst, was gerade passiert ist?«
»Ich bin noch dabei, die Details zu erfassen«, erwiderte Ekko, von den Kopfschmerzen der Erinnerung gepeinigt. »Ich brauche jetzt erst einmal ein paar Minuten, um mich zu sammeln.«
»Verstanden, Colonel. Wenn Sie uns nicht weiter benötigen, würden wir uns wieder zurückziehen. Es gibt noch einige Aufgaben zu erledigen.« Worte über das Auftauchen Major Carricks und eventueller Wutausbrüche blieben unangetastet.
Ekko nickte abwesend, entließ den Captain mit einem knappen Wink. »Viel Erfolg, Balgor.«
Er registrierte das Nicken des anderen nicht mehr und bekam auch nicht mit, wie sich der erste Trupp des zweiten Zugs wieder sammelte und den Raum an die Operatoren übergab, die ihren Colonel mit alarmierten Blicken bedachten, während sie ihre Stationen wieder besetzten.
Das war es gewesen? Er hatte lange Zeit mit dem Kommissar um die Macht in diesem Regiment gekämpft, hatte Mühe und Schweiß investiert, um dem Mann die Stirn zu bieten. Er war stets mit dem Vorsatz aufgewacht, dem inneren Feind alle möglichen Steine in den Weg zu legen und mit der Frage eingeschlafen, ob dies sein letzter Ausfall gewesen war.
Und nun – in einem Augenblick der Entscheidung – hatte Prioris Leitis Sile seinen Feind mit dem Zucken ihrer Hand aus seinem Leben gerissen. Fortgewischt, als sei er ein Strich Kreide auf einer Tafel gewesen.
Er hasste das Adeptus Sororitas. Er hasste die Mörderschwestern, die ihm im Namen des Imperators alles genommen hatten außer dem eigenen Leben. Und er hasste Leitis Sile, die ihm all das immer wieder vor Augen führte.
Aber, beim Barte des Propheten der Heiligen Bastet und im Namen des Goldenen Throns von Terra – in diesem Moment hätte er sie umarmen können. Er hätte sie küssen und halten können dafür, dass sie ihm diesen so verzweifelt gesuchten Gefallen getan hatte.
Galard Ekko atmete tief durch. Dann zog er ein kleines, schwarzes Notizbuch und einen Stift aus der Innentasche seines Drillichs. Er blätterte einen Moment lang in den Seiten umher, suchte eine bestimmte Zeile in der von ihm erstellten Liste.
Als er sie gefunden hatte, lächelte er in sich hinein. Nun gut, er war es nicht selbst gewesen, aber das sollte in dieser Situation keinen Unterschied machen.
Mit einer energischen Bewegung strich er den dort niedergeschriebenen Namen durch: Kolwa Ligrev.

***

Das hallende Dröhnen schwerer Kampfstiefel echote durch das modrige Halbdunkel des Gangs unter der Dachplattform der Himmelskathedrale.
»Chef«, begrüßte Captain Balgor seinen Vorgesetzten, der eilig die steile Wendeltreppe aus der oberen Ebene herabtrabte.
»Balgor«, bewies Ekko kurz angebunden, dass auch er die Identität des anderen erkannt hatte. »Es ist also bestätigt?«
»Ja, Sir. Azrael konnte es bestätigen. Orktruppen befinden sich im Anmarsch. Eine ganze Horde«, berichtete sein Offizier. »Sie werden im Laufe des morgigen Tages in dieser Gegend aufschlagen.«
»Na, fantastisch«, seufzte Ekko und zuckte, ohne in seinem Schritt innezuhalten, resigniert die Schultern. »Haben Sie noch irgendwelche aufmunternden Worte?«
Ein breites Grinsen zog über das Gesicht seines Freundes. »Sorgt stets dafür, dass ihr niemals in Colonel Ekkos Nähe seid, wenn eine wichtige Aufgabe ansteht. Ihr werdet dann nämlich sicherlich in eine schreckliche Lage kommen, die er überlebt – ihr aber …«
»Danke für diese äußerst hilfreichen Ausführungen, Captain«, unterbrach Ekko ihn. »Haben Sie denn einen Plan?«
»Ich?«, murmelte Balgor überrascht. Er wandte sich um, die Stirn zu einem verwirrten Runzeln verzogen. »Chef … Sie sind der Colonel, nicht ich.«
Ekko überlegte einen Moment lang. Schließlich nickte er. »Stimmt, Balgor. Sie haben Recht. Die Frage hätte ich mir selbst stellen müssen.«
»Dann tue ich das für Sie«, bot sich der Captain an. »Also, Chef: Was haben Sie geplant?«
»Wir müssen uns eine neue Strategie überlegen. Dafür brauchen wir eigentlich Catachaner und Elysianer.«
»Aber?«
»Da ich weder Catachaner, noch Elysianer mag, fällt diese Möglichkeit recht unbeachtet ins Wasser.«
»Als ob das etwas mit mögen zu tun hat«, grummelte der Captain.
Sie kamen in Reichweite der vor der Kommandozentrale stationierten Soldaten und unterbrachen ihr Gespräch.
Die Infanteristen nahmen Haltung an, was sowohl Ekko als auch Balgor mit knappen Gesten des Saluts bestätigten, bevor sie zum wiederholten Mal an diesem Tag in die Kommandozentrale eilten.
Die letzten Fetzen verschiedener Gespräche empfahlen sich und passierten sie in Gegenrichtung, als sich eine halbe Centurie Offiziere, Anführer und Vorgesetzte zu ihnen umwandte.
Der Colonel empfand es wieder einmal als fantastisch, wie viele Menschen doch in ein so kleines Beinhaus passten.
Balgor löste sich von ihm und reihte sich in die Gruppe der Offiziere ein, die fast alle den Steppentarn der Basteter trugen.
Die Männer nahmen Haltung an, erwiesen ihm den militärischen Respekt, was sie aufgrund seines eigenen Befehls sonst eigentlich nie taten. Er ließ es einfach geschehen.
Ekko ging weiter, kämpfte mit der Last der Blicke, die auf ihn einschlugen, die ihn sezierten und irgendeinen Makel, irgendein Anzeichen der Furcht suchten, während er seine Augen selbst über die versammelten Offiziere, Kommandanten und Abteilungsführer gleiten ließ. Die Männer, Frauen und Mischwesen aus Mensch und Maschine hingen regelrecht an seinen Lippen, warteten darauf, dass er sprach.
Sie alle wussten inzwischen von der Hochgeschwindigkeitsschlacht zwischen den imperialen Panzern, den Läufern und den Orks. Die meisten kannten die Verluste, hatten die Verwundeten und Toten gesehen und ob der Frage, was nun geschehen würde, verzagt.
Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie während der Begrüßung vor Schreck zusammengezuckt wären.
»Guten Tag, meine Damen und Herren. Vielen Dank, dass Sie so zahlreich erschienen sind«, zentrierte er die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich und zu der Aufgabe, die nun vor ihnen lag. Dann nickte er dem Operator zu, der neben dem Datenglobus bereit stand, um die Ausführungen seines Vorgesetzten mit vorbereiteten Darstellungen zu unterstützen.
Nun aktivierte der Soldat das Bildsystem.
Ein weiteres Mal flackerte das hololithische Abbild der Himmelskathedrale über der Plattform des Holotisches auf, zeigte sich in den flammenden Farben eines mit Photonen erzeugten Lichtbilds. Sie alle kannten diese Ansicht.
Sie hatten während der letzten Tage mehr als oft genüg über der dreidimensionalen Ansicht der Makrokathedrale gebrütet und entworfen und geplant.
Doch dieses Mal war es anders. Dieses Mal planten und entwarfen sie nicht nur für den Ernstfall. Das hier war todernst. Jetzt stand ihr Leben wirklich auf dem Spiel.
Das betraf sie alle.
Aus diesem Grund hatte Ekko entschieden, alle Offiziere und Vorgesetzte mit in die Besprechung einzubeziehen.
Das bedeutete, dass auch Calgrow, die Space Marines, das Munitorum mit seinen Unterabteilungen, seine ranghöchsten Flieger- und Panzerkommandanten und alle wichtigen Abteilungsführer vertreten waren.
War das Beinhaus zuvor lediglich überfüllt gewesen, so platzte es nun förmlich.
Sogar Krood nahm an dem Briefing teil, wenn auch sichtlich unwillig.
Wie Carrick den Grenadier trotzdem zur Teilnahme hatte bewegen können, war Ekko nach wie vor ein Rätsel. Aber er entschied, sich nicht weiter damit zu beschäftigen. Vermutlich hätte ihn die Lösung lediglich wütend oder melancholisch gemacht. Und im Augenblick gab es wichtigeres zu tun.
Stattdessen ließ er seinen Blick zu den weit aufragenden Space Marines schweifen. Die ehernen Hünen in ihren bunt bemalten Rüstungen und die bei ihnen stehende Sororita hatten es trotz der Enge fertiggebracht, eine Sphäre aus Intimität um sich zu erzeugen, durch die keiner der Offiziere oder Beamten zu durchbrechen vermochte.
Während der Panzerschlacht vor der Himmelskathedrale hatten sich die Überkrieger des Imperiums zurückgehalten, und Ekko wusste, dass er sie mit seinen Entscheidungen auf eine Ersatzbank gesetzt hatte, auf der er sie nicht halten würde können, wenn der richtige Kampf begann.
Aber vielleicht musste er das auch gar nicht. Die Schlacht hatte sie einen immensen Teil ihrer offensiven Schlagkraft gekostet, sie weiterer schwerer Waffen beraubt und zum unnötigen Tod imperialer Soldaten und dem Verlust dringend benötigten Materials geführt. Dadurch war er mehr als nur gezwungen, sich ab sofort auf die gewaltige Schlagkraft der ehernen Golems zu verlassen, die glücklicherweise auf seiner Seite kämpften.
Doch auch diese Tatsache konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie sich etwas einfallen lassen mussten, um der drohenden Xeno-Flut etwas entgegensetzen zu können.
Zudem flatterten seine Nerven noch immer wie wild. Da konnte der Imperator beschützen, wie er wollte, Galardin Alberic Ekko war fertig mit dem Universum.
Das schwere Gefecht mit den Grünhäuten, seine Flucht an Bord des Jagdpanzers und das darauffolgende Nachspiel mit Ligrev, Sile und den verschiedenen Exekutionen hatten ihre Spuren in seinem Geist hinterlassen.
Am liebsten hätte er sich in die Ecke geworfen und vor Wut über seine eigene Dummheit geheult. Sein Kopf pulsierte noch immer im Takt der an- und abschwellenden Schmerzen. Er erinnerte sich daran, von Doktor Calgrow ein Fläschchen mit Medizin erhalten zu haben, konnte sich aber beim besten Willen nicht erinnern, wo er es hingestellt hatte.
Hinzu gesellte sich die vollkommene Trostlosigkeit ihrer Situation.
Das Kommandozentrum wirkte noch immer, als befinde es sich in der Schockstarre, in der er es einige Stunden zuvor zurückgelassen hatte.
Scharfe Schatten, von den aufgestellten Scheinwerfern hinter jede Ecke und Kante des Beinhauses, der Geräte und der Menschen geworfen, ließen den Raum in einem unwirklichen Zustand des Stillstands erscheinen. Jede Bewegung, jede Regung, wirkte scharf und schwach zugleich, abgeschottet vom weichen Licht des ziehenden Tages.
Nicht einmal die schmalen Streifen schwindender Helligkeit konnten sich durch die mit Stahl verbarrikadierten Fenster ins Innere des Beinhauses zwängen.
Ekko ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, blieb bei der Stelle hängen, wo Ligrev verschieden war.
Irgendjemand hatte versucht, das Blut des Kommissars zu entfernen – und es dabei zu einer breiten Spur verwischt, die nun fröhlich in den steinernen Boden einsickerte.
Und obwohl Ekko den Mann gehasst hatte, war er nicht in der Lage, seine Augen von dem zu wenden, was an das unrühmliche Ende des anderen erinnerte.
Man konnte es nicht anders ausdrücken: Ligrevs Tod war ein herber Verlust für das 512. Selbst, wenn Offiziere wie Ekko oder Balgor lediglich den notwendigsten Respekt für den Kommissar geheuchelt hatten, war er dennoch eine Konstante in der Organisation des Regiments gewesen. Diese Konstante fiel nun weg.
Zum einen senkte das die Moral der Männer, denn trotz seiner kolossalen Unfähigkeit in den Bereichen der Truppenführung und des taktischen Geschicks war Ligrev Kommissar gewesen und als solcher recht bewandert darin, immer und überall da aufzutauchen und zuzuhören, wo man ihn am wenigsten erwartete und erst recht nicht haben wollte.
Das hatte natürlich die Aufmerksamkeit und Vorsicht der meisten Männer, ebenso wie ihren Eifer trotz aller anders lautenden Behauptungen seinerseits geschärft und gesteigert.
Dieser ‚Kommissariatsbonus‘ fiel mit dem Ausscheiden Ligrevs aus dem aktiven Dienst natürlich weg.
Allerdings – und das empfand Ekko als viel bedrohlicher: stieg gleichzeitig die Furcht der Männer vor Leitis Sile. Normalerweise war das nicht schlecht, denn Angst veranlasste die Männer, vorsichtiger und vor allem umsichtiger zu agieren. Mit der Prioris im Rücken konnte sich der Effekt allerdings allzu schnell ins Gegenteil verkehren. Höchstwahrscheinlich würden die meisten Infanteristen stets den eigenen Rücken im Blick behalten, damit die Schaum geifernde Mörderschwester nicht im Wahn über sie herfiel und ihnen bei lebendigem Leibe das Fleisch von den Knochen nagte.
Das war natürlich schlecht. Denn wenn die Soldaten Sile zu sehr fürchteten, würden sie in der Schlacht nicht an ihrer Seite kämpfen wollen, was natürlich die Effektivität der Verteidigung ungemein schmälerte.
Er wusste das, er hatte es immer gewusst und auch während seiner großteilig kalkuliert geplanten Machtspiele mit dem Kommissar nie vergessen.
Aber selbst wenn: vor gut einer Stunde hatte ihn sein Stellvertreter noch einmal umfassend an die Folgen erinnert, die Ligrevs Tod mit sich brachte.
Leider, und das hätte er am liebsten auch seinem Stellvertreter mitgeteilt, hatte er die wandelnde, gut gebaute Zeitbombe unterschätzt, die in wenigen Tagen wohl mehr Männern ins Lazarett verholfen hatte als die Orks in derselben Zeit.
Allerdings hatte er sich während des Gesprächs dann doch anders entschieden, denn trotz Balgors Versprechen, Carrick würde durchweg begeistert sein, fand der Major nicht gerade lobende Worte zu Siles Tat. Tatsächlich fielen mehrfach die Begriffe Häresie, thronverdammt und Imperatorverflucht. Zumeist in Kombination mit den Namen Leitis Sile, Del Mar, Haestian Carrick, Galard Ekko, Kolwa Ligrev und Iglianus, wobei er erstere thronverdammte, letztere auf häretische Weise ermordet fand und mittlere bereits als vom Imperator verflucht ansah.
Diese Ansicht der Dinge mochte wahr sein – aber sie war nicht minder lustig. Und tatsächlich gehörte der Gedanke an die fast schon verzweifelt anmutende Cholerik seines Stellvertreters zu den wenigen Dingen, über die er im Augenblick lächeln konnte.
Werde nie Choleriker, da kriegst du leicht die Cholera.
Nicht, dass Carrick in irgendeiner Form cholerisch gewesen wäre, aber er selbst wusste, dass er es bisweilen fertigbrachte, den Major zur Weißglut zu treiben. In der letzten Zeit wohl leider mehr als oft genug.
Nun gut. Blieb nur zu hoffen, dass sie es schafften, sich trotz allen Stresses und aller Verbitterung dennoch wieder zusammenzuraufen. Ansonsten sah er für sie keine Rettung mehr.
Doch bevor sie damit begannen, musste er eine andere, unangenehme Pflicht wahrnehmen. »Eine Schweigeminute für unseren heroischen Kommissar – reicht.«
Er atmete tief ein. »Kommissar-General Del Mar wird die Plichten Kommissar Ligrevs übernehmen, sobald er aus seinem Koma erwacht ist. Sollte jemand damit nicht einverstanden sein, bitte ich an dieser Stelle um Wortmeldung für das Protokoll.«
Gut hundert Augen musterten ihn in der peinlichen Stille eines Wissens, das niemand aussprechen wollte.
»Kommen wir also zu den Geschehnissen des heutigen Tages und den daraus resultierenden Konsequenzen, den Gründen, aus denen ich Sie hergerufen habe.«
Er ließ die Worte in die Stille verhallen, wartete auf Antwort aus dem Dunkel der in Schatten gehüllten Hallendecke. Doch er erhielt keine.
Zeit, um fortzufahren.
»Ich will Sie nicht anlügen: Die Operation war in ihrer Planung und Ausführung gut vorbereitet und professionell ausgeführt«, log er. Natürlich hatte er den ganzen Einsatz aus einer Laune heraus initiiert und die Truppen, die in das Unternehmen involviert wurden, damit vollkommen unvorbereitet getroffen. Carricks und Balgors Blicke zeigten das ganz deutlich. Aber wenn er das jetzt zugab, dann würde auch das letzte bisschen Vertrauen in seine Fähigkeiten so schnell platzen wie ein Luftballon in den Klauen eines Blutdämons. Stattdessen entschied er, die göttliche Karte auszuspielen. »Doch offensichtlich war der Gott-Imperator nicht mit uns.«
Der Knall eines lautlosen Schlages dröhnte durch das Beinhaus. Allgemein wurde scharf eingeatmet. »Blasphemie!«, zischte es aus der Gruppe.
Nein! Das war dumm gewesen. Schnell rekapitulierte der Colonel die letzten Minuten, überlegte, wie er sich auf irgendeine Weise aus der Situation retten konnte. Er fand keine.
Egal, was er sagte, egal, wie er fortfuhr, er konnte seine Worte nicht mehr zurücknehmen. Herr auf dem Thron, was für eine Scheiße!, schalt er sich wortlos. Dann atmete er durch. Nun gut, im Augenblick konnte er nichts daran ändern.
»Das hat uns eine Menge Truppen und Potential gekostet. Tatsächlich haben wir während der Situation sämtliche offensive Schlagkraft unserer Sentinels eingebüßt. Damit fallen uns neun Einheiten weg, die bei der Verteidigung der Kathedrale schnell und effektiv hätten eingesetzt werden können. Zusätzlich haben wir fünfzehn Chimären verloren, elf davon Totalverlust.«
Wieder versank er in Schweigen, ließ die Worte wirken. Dieses Mal jedoch klang ganz deutlich eine kleine, hämische Stimme in seinem Kopf an, die ihn beschimpfte und als Verräter am Imperator brandmarkte. Am liebsten hätte er sie dafür gewürgt, war es doch sein eigenes Gewissen, das ihn auf diese Weise verbal hieb.
Er entschied, nicht weiter darauf einzugehen, nickte stattdessen in Balgors Richtung. »Captain Balgor hat mich soeben informiert, dass eine unserer Walküren eine orkische Streitkraft ausgemacht hat, deren Marschrichtung sie direkt zu uns führt. Im Laufe des morgigen Tages werden diese Truppenverbände gegen die Mauern der Himmelskathedrale branden. Und so, wie wir ihre Artgenossen verprügelt haben, dürfte ihre Begeisterung über unser Hiersein recht bescheiden ausfallen.«
Aus den Augenwinkeln sah er Solmaar, Balgor und Retexer böse grinsen, wobei letzterer wohl aus anderem Grund grinste wie die anderen beiden. Carrick hatte ein ernstes Gesicht aufgesetzt, das den Worten des Colonels klar zustimmte. Die meisten anderen Anwesenden wirkten beunruhigt und verunsichert. Wer sollte es ihnen verdenken?
»Mit dem Tod von General Iglianus und aufgrund des Fehlens weiterer Kommandeure bin ich zum höchsten Befehlshaber der Imperialen Armee auf diesem Planeten aufgestiegen. Im Rahmen dieses neuen Aufgabengebiets und der damit einhergehenden Befehlsbefugnisse biete ich Ihnen nun zwei Möglichkeiten«, offenbarte er ihnen. »Die erste Möglichkeit ist der Rückzug aus der Kathedrale. Wir räumen das Gebiet, nehmen die Beine in die Hand und hoffen, dass uns der Feind nicht den Arsch aufreißt. Oder wir bleiben, igeln uns ein und Geben denen eins auf die Fresse, dass sie schreiend zu Mama zurücklaufen!«
Jetzt endlich erzielte er den gewünschten Effekt. Die Männer riefen, lachten laut und bekundeten ihre Zustimmung.
Er gab ihnen gnädig dafür Zeit, bevor er fortfuhr. »In Anbetracht der Tatsache, dass wir trotz unserer Verluste einen Erfolg verbuchen konnten, indem wir zwei Jagdpanzer unter dem Kommando von Captain Jaorah Nurin –«, er deutete auf den kleinen Panzerkommandanten, »– sowie drei Chimären und über achtzig Mann vor dem sicheren Tod retten konnten, habe ich für mich bereits entschieden, die Herausforderung des Gott-Imperators, Seine Prüfung an uns, anzunehmen und Ihm zu beweisen, dass wir es wert sind, weiter Dienst an Ihm zu leisten.«
Zustimmendes Murmeln hieß seine Worte willkommen. Besonders Sile, deren goldene, kalte Schönheit die bei weitem größte Zierde in diesem toten Beinhaus darstellte, schien den Tränen nahe zu sein.
Er betete zum Gott-Imperator, dass sie nicht in einen Weinkrampf imperialer Lobpreisung ausbrach.
»Ich möchte aber nichts ohne Sie entscheiden, denn schließlich sind es Ihre Leben, die später mit mir im Staub liegen werden.«
Wieder war es Leitis Sile, die den Ton angab. Ihre erfrischende Stimme wehte fest durch den Raum, zwang sie alle zur Kooperation: »Wir kämpfen!«
»Für Bastet! Für unsere Lieben! Für den Imperator!«, stimmte Retexer zu.
»Kämpfen!«, nickte Balgor.
Solmaar lächelte finster. »Kämpfen.«
Carrick sah seinem Vorgesetzten direkt ins Gesicht, dann bestätigte auch er sein Vertrauen in die Fähigkeiten des Basteters. »Kämpfen.«
»Kämpfen!«, schloss sich die Masse der Anwesenden an. Besonders die Bässe der Space Marines dröhnten penetrant aus dem Lärm.
Ekko atmete tief ein, als der Tumult sogar das Beinhaus erzittern ließ. Er hatte bereits gefürchtet, dass sich Carrick und das Munitorum gegen ein Halten der Makrokathedrale aussprechen würden. Doch auch sie hielten zu ihm und seiner Idee, wenigstens ihr Leben, ihre Seelen und ihre Herzen teuer zu verkaufen, sollten sich die Grünhäute entscheiden, ihre Stellung zu stürmen.
»Also gut«, rief er aus, um die Kontrolle über die Begeisterung seiner Leute zurückzuerlangen. »Ich möchte, dass wir heute einen Sturm der Himmelskathedrale durch den Xeno-Abschaum durchspielen. Aus diesem Grund sind auch alle Vorgesetzten und Abteilungsführer zu dieser Besprechung gebeten worden. Ziel ist es, jeden uns möglichen Feindkontakt taktisch abstrakt durchzuexerzieren und uns einen Plan zurechtlegen, mit dem wir darauf reagieren können. Das heißt: jede Lage, jede Situation, so unwahrscheinlich und unmöglich sie auch erscheinen mag, wird Gegenstand dieser Besprechung sein. Soweit verstanden?«
Grimmige Zustimmung antwortete ihm.
»In Ordnung. Das scheint eine sehr lange Nacht zu werden. Gehen Sie also am besten vorher alle noch einmal pinkeln. Es wird sobald keine Gelegenheit mehr dazu geben.«
 
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Salve, liebe Stargazer-Leser. Ein neues Jahr ist ins Land getreten – und bereits einigen auf den Fuß, wie ich aus dem Freundeskreis vernehmen durfte.
Also, das Jahr 2012, gerade einmal 4 Tage alt und schon so hässlich und regnerisch, als wenn es seinem Ende entgegensieht. Zeit, Eure Herzen zu wärmen ;-D
Allen ein frohes Neues und viel Spaß mit dem neuen Stargazer-Kapitel. Ich habe mich selbst gepeitscht, dass ich es nicht früher mit dem Veröffentlichen geschafft habe, aber es ging leider nicht.

Wie immer vielen Dank an Nakago für seine kurze Fluff-Kontrolle und Viel Spaß beim Lesen!



25

Als Ekko das nächste Mal die Gelegenheit nutzte, auf sein Chronometer zu blicken, war es bereits nach drei Uhr morgens Regimentszeit. Er stellte eine ungeschickte Kopfrechnung an und gelangte so zu dem Schluss, dass sie bereits seit acht oder neun Stunden in der kalten, künstlichen Beleuchtung des Kommandozentrums zugebracht haben mussten.
Zwischenzeitlich war die Anzahl der Anwesenden auf eine überschaubare Zahl abgesunken. Weniger als der Hälfte der von ihm ursprünglich zu der Besprechung Gerufenen stand noch mit ihm an der holografischen Darstellung der Himmelskathedrale. Besonders die Angestellten des Munitorums, Calgrow und ihre Chefsanitäter und ein Teil der Captains hatten sich zurückgezogen, um die ihnen zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen, ihre Bereiche vorzubereiten oder weitere Pionierarbeiten in den Verteidigungszonen der Kathedralenstadt durchzuführen.
Der Colonel seufzte leise und streckte sich. Sein Rücken schmerzte von der Zeit, die er brütend über der dreidimensionalen Karte verbracht hatte und seine Augen brannten ob der scharfen Kontraste, welche die militärisch karge Wandbeleuchtung in das Beinhaus warf.
Warum gehörte das Beinhaus eigentlich nicht zu den Gebäudeteilen, denen eine exzellente Ausleuchtung durch mächtige Deckenlampen zu Teil wurde, wie man sie den Haupt- und Querschiffen und dem Turm des riesigen Gemäuers fand?
Ach ja, richtig. Die Space Marines und Kroods Kasrkin hatten jede Chance auf eine Beleuchtung zunichte gemacht.
Die Trümmer- und Scherbenhaufen, die sich als notdürftig zusammengekehrte Häufchen gegen die Wände des Raums duckten, erinnerten mehr als deutlich daran.
»Also, egal wie wir es drehen und wenden«, zog ihn die zweifelnde Stimme Captain Balgors aus seinen Gedanken, »am Ende verlieren wir die Schlacht so oder so.«
Bei den Worten richtete der Colonel seinen Blick zurück auf die flimmernde Darstellung, die ein ums andere Mal in der roten Woge aus Feinden ertrank.
Sie hatten, aufgrund fehlender Information über die genaue Feindstärke, mit zwei imperialen Korps gerechnet, bestehend aus insgesamt sechs Divisionen, aufgeteilt zu jeweils drei Regimentern. Einhundertvierzigtausend Mann, welche die Kathedrale einkreisten und sich dann Stück für Stück vorarbeiteten, bis sie schließlich die Verteidigungsringe zerbrachen und als stilisierte Flut durch die Gassen und Häuser der mächtigen Stadt schwappten. Den Rest malte sich die Fantasie aus. Und dabei war sie nicht einmal unkreativ.
»Vielen Dank für diese Information, Balgor«, gab der Regimentskommandeur ungeniert von sich, noch bevor er es verhindern konnte. »Ich glaube auch nicht, dass irgendjemand von uns dieser kleinen Bastion imperialer Macht noch irgendeine Chance eingeräumt hätte, oder?« Sein Blick wanderte durch die Anwesenden. Er sah durchweg in betretene Gesichter. »Dachte ich mir. Es steht also nur noch die Frage, wie teuer wir unsere Leben verkaufen.«
Grummelnde Zustimmung erhob sich aus den Reihen der Offiziere.
Während ihrer theoretischen Abwehrschlacht hatten sie es geschafft, gut dreißigtausend Gegner direkt am äußeren Ring zu vernichten, weitere dreißigtausend bezahlten den Sturm durch die ersten beiden Ringe mit dem Leben. Hinzu kamen zehn- bis fünfzehntausend, die durch Sprengfallen und improvisierte Abwehrmechanismen ausgeschaltet wurden.
Der finale Angriff kostete die Feinde zusätzlich fünftausend Kämpfer, bevor sie die Verteidigungsstellungen der Basteter durchbrachen. Von dort an schrumpften die Zahlen der Verteidiger im Sekundentakt mehrstellig, bis schließlich keiner von ihnen mehr übrig war.
Machte also im besten Falle gut achtzigtausend Gegner, die von Ekkos Soldaten neutralisiert werden konnten, bevor die schiere Masse des feindlichen Sturms sie überrannte und erdrückte.
Damit blieben also noch gut sechzigtausend Gegner übrig. Definitiv zu viele, als dass diese durch weitere Fallen bis auf den letzten Mann dezimiert werden konnten.
Balgor hatte es also ganz richtig festgestellt: So oder so, sie hatten keine Chance. Doch das musste nicht bedeuten, dass sie nun verzagten und sich im Angesicht der Übermacht ihrem Schicksal fügten.
Im Gegenteil. Ekko war sich sicher, dass seine Leute alles geben würden, um seinem Vertrauen in sie alle Ehre zu machen. Und manchmal vollbrachte auch die Heilige Bastet im Namen des Imperators schier unglaubliche Wunder.
Das hoffte er zumindest.
»Entschuldigen Sie«, meldete sich die kompakte Gestalt Jaorah Nurins zu Wort. Der Captain war bereits vor einziger der Diskussion entflohen und in seinen eigenen Gedanken versunken. Ekko hatte schon geglaubt, der imperiale Offizier würde sich schließlich verabschieden und einfach gehen, doch wie es schien, kehrte er nun zu ihnen zurück. Und das mit Gedanken und Ideen.
Tja, wo ein eiserner Geist, war auch meist ein gepflasterter Weg.
So sagte man zumindest auf Bastet. Wie Carrick und Maryan schien auch Nurin zu den Personen zu gehören, denen man ihr Wissen und ihre Gedankenwelt nicht unbedingt auf den ersten Blick ansah.
Gutheißend ruckte er mit dem Kopf, gestattete dem Desposianer, fortzufahren.
»Ich habe mich gefragt, wie es mit dem Untergrund aussieht«, erkundigte sich der Captain.
Retexer, der nur zwei oder drei Meter entfernt stand, konnte nicht an sich halten. »Dem was?«
»Was ist denn mit dem Keller?«, präzisierte der Panzerkommandant.
Damit erlangte er schließlich die vollständige Aufmerksamkeit aller Anwesenden. Sämtliche Offiziere wandten sich zu ihm um.
Ein tonloser Pfiff entwich dem Colonel. Beim Barte von Bastets Propheten, der Mann hatte recht!
Die Katakomben waren ein gewaltiges unterirdisches Feld aus Trümmern, Bauten und Hallen, durch die eine ganze Armeegruppe bequem hätte marschieren können, ohne von angreifenden – in diesem Fall verteidigenden – Truppen behelligt zu werden.
Er selbst hatte die Katakomben in seinem Defensivplan außer Acht gelassen, da ihm keine Möglichkeit eingefallen war, die Unterwelt so zu verteidigen, dass seine Truppen von Attacken der Grünhäute unbehelligt blieben.
Maryan hingegen hatte einen umfassenden Plan für die Defensive der Kanalisation aufgestellt, seine Ausführung jedoch auf Grund von Zeit- und Personalmangel verschoben. Nun schlug die Erinnerung an die verdrängte Gefahr mit voller Kraft zurück.
Er hörte scharfes Einatmen. Offensichtlich erschraken einige Offiziere gerade, als ihnen dieses viel zu wenig erwogene Bedrohung ins Gedächtnis fiel.
Andere dachten nicht soweit.
Captain Solmaar, seit einer ganzen Weile mit der Betrachtung der Himmelskathedrale beschäftigt, runzelte die Stirn. »Wie meinen Sie das?«
Unbeeindruckt zuckte der Panzerkommandant die Schultern. »Das ist doch so eine Art riesiges Haus-Stadt-Dingens. So was muss doch einen Keller haben.«
»Der Keller«, entfuhr es schließlich auch Carrick, der ob seiner eigenen Überraschung für eine Sekunde die Kontrolle über seine Ordnung verlor, sich aber kurz darauf wieder fing.
Aus den Augenwinkeln sah Ekko, wie sich der Major zu ihm herüberlehnte. »Sir, haben wir die Unterstadt bedacht?«, raunte die Stimme des blonden Offiziers.
Ekko warf seinen Stellvertreter einen eindeutigen Blick zu.
»Thronverdammt«, erschauderte der Major.
Retexer, offensichtlich in seiner Sicht eines ehrenhaften Kampfes gestört, fuhr auf, als sich niemand fand, das Wort vor ihm zu ergreifen.
»Meine Leute haben die Katakomben durchmessen«, berichtete der Offizier. Sein kritischer Seitenblick in Richtung Ekko war nicht zu übersehen. »Sie schließen nach allen Richtungen ins Nichts ab.«
»Ins Nichts?« Solmaar runzelte die Stirn.
Captain Rosol an seiner Seite wirkte ebenso irritiert. »Wie meinen Sie das, Retexer: ‚Die Eingänge führen ins Nichts‘?«
Heftig, als habe er es mit der größten Beleidigung seit der Horus-Häresie zu tun, erschoss Retexer die beiden unverständigen Männer mit seinen Blicken. »Das bedeutet, dass die Gänge plötzlich und ohne erkennbare Fortführung in abgeschlossenen Räumen, eingestürzten Gängen oder vor gepanzerten Wänden enden. Es gibt von Innen nirgends sichtbare Ausgänge – und im Umfeld der Kathedralenstadt gibt es keinerlei oberirdische Zugänge. Die Katakomben sind ein in sich geschlossenes System, das lediglich Totengruben und die Abwässer der Stadt beherbergt.«
»Vielen Dank für Ihre umfassende Analyse«, murmelte Ekko halb zynisch, halb abwesend. Das alles klang für seine Ohren äußerst eigenartig und er fragte sich unwillkürlich, was die Erbauer wohl mit dieser Art der Konstruktion hatten bezwecken wollen. Zudem konnte er sich kaum vorstellen, dass die Anlage genauso geplant und bebaut worden war, wie der Captain sie beschrieb, zumal ihnen eine umfassende Kartografie der entsprechenden Areale fehlte.
»Und selbst, wenn die Kanalisation ein in sich geschlossenes System darstellt. Sobald der Gegner die Außenmauern durchbricht, hat er die Möglichkeit, die Unterstadt zu betreten. Und dann?«, gab Nurin in Richtung Retexer zu bedenken.
»Sämtliche Abflüsse, Eingänge und Versorgungstunnel sind massiv zugemauert worden. Man müsste sich gewaltsam Zutritt verschaffen. Und dazu wären viele Tonnen Sprengstoff notwendig.«
»Es ist nicht unbedingt notwendig, die Abflüsse freizusprengen, um in die Kanalisation zu gelangen. Es reicht ein einfacher Geschütztreffer, der den Erdboden aufreißt«, warnte sein Diskussionsgegner weiter. »Wenn ich mir die Karte ansehe –«, er wies auf die dreidimensionale Darstellung, die geduldig in der Luft schwebte und darauf wartete, dass die Menschen ihren Disput beendeten, »dann sehe ich ein Netz aus hunderten Abflüssen, Tunneln und Gängen, die um diese riesige Unterstadt verlaufen. Da ist es leicht, bei einem heftigen Feuergefecht den Boden soweit aufzureißen, dass der Gegner unsere Verteidigungsstellungen unterminieren kann.«
Carrick schüttelte fassungslos den Kopf. »Colonel, ich kann mir nicht vorstellen, dass die Grünhäute wirklich nach einer Möglichkeit suchen werden, uns zu unterwandern«, überlegte er, an Ekko gewandt, leise. »Immerhin reden wir hier von den Orks.«
Der Colonel zuckte die Achseln. »Aber reden auch von den Orks, die eine komplette Armeegruppe eingeschlossen und vernichtet haben.«
»Man müsste sich durch viele Meter Gestein graben, um die Katakomben zu erreichen«, wiedersprach derweil Retexer dem ranggleichen Panzeroffizier. »Und selbst danach muss man sich noch immer in die Katakomben herablassen.«
Nurin blieb unbeeindruckt. »Das Durchgraben ist kein Problem. Das schaffen wir mit dem Laser Destroyer in nur zwei Schuss.«
»Nurin, Sie gehen mir allmählich auf die Nerven«, erboste sich Retexer, der durch die scharfe Analyse des anderen Offiziers vor einem Gesichtsverlust zu stehen schien. »Ihre vermeintliche Kenntnis dieses Geländes entbehrt jeder Grundlage. Sie haben nie bei der Infanterie gedient. Sie wissen doch gar nicht, wie man das Gelände einsetzt.«
»Gelände ist eine stete Konstante des Gefechts. Sie wird nicht als vorgefertigtes Element aufs Schlachtfeld gestellt und dient dann als Deckung oder Sichtschutz, kann aber nicht bewegt werden. Das Gelände formt die Schlacht und wird von ihr geformt. So etwas bringt man uns Panzerjägern bei. Und Sie als Infanterieführer sollten das auch wissen, Captain.«
»Na ja«, stichelte Balgor »Captain Retexer war ja auch der Meinung, meine Flammenwerfer könnten ihm im Schützengraben nichts anhaben.«
»Balgor«, wies Ekko ihn zurecht, bevor der ehrbesessene Basteter die Gelegenheit zu einer harschen Antwort erhielt. »Sie können woanders blöd sein.«
Der Captain nahm Haltung an. »Woanders blöd sein. Jawohl, Colonel.«
»Dann ist das geklärt. Sehr gut. Also, Nurin, nehmen wir einmal an, der Gegner schafft es, in die Kanalisation und die Katakomben vorzudringen. Wie kommt er von dort wieder an die Oberfläche? Sämtliche Eingänge und Abflüsse sind meterdick verbarrikadiert und einbetoniert.«
»Ich habe gesehen, dass die Eingänge und Abflüsse verbarrikadiert und zugemauert worden sind. Aber das unterstützt doch die Abwehrmaßnahmen innerhalb der Kathedrale nicht. Die Sprengwirkung von Hohlladungskörpern oder Ladungsträgern wird auf diese Weise doch lediglich vervielfacht und reißt mächtige Löcher in die Abwehrmaßnahmen dieses sowieso schon schwierig zu verteidigenden Geländes. Zudem«, wandte der Captain ein, »Irgendwie müssen Captain Retexer und seine Leute ja in die Unterwelt gelangt sein. Das heißt, es gibt bereits erhebliche Schwachstellen in der Barrikade.«
Ekko brummte verstehend. Er überlegte eine Weile, in der die anderen Anwesenden so allmählich begriffen, was der Panzerkommandant entdeckt hatte. Schließlich bedeutete er dem rangniederen Offizier, fortzufahren. »Ihre Vorschläge?«
»Sprengsätze«, erklärte der Desposianer bestimmt. »Wir müssen die Unterwelt so stark verminen, dass der Gegner nicht hindurch kommen kann.«
»Es würde Jahre dauern, die Katakomben vollständig zu verminen!«, gab Solmaar zu bedenken.
Captain Fendel nickte zustimmend. »Zudem gibt es keine vollständigen Pläne der Unterstadt. Wir wissen also gar nicht, ob wir wirklich alle Gänge, Wartungsschächte und Abwassertunnel vermint haben.«
»Aus dem Grund sollten wir auch größere Sprengsätze verwenden. Die haben genug Sprengkraft, um einen ganzen Abschnitt zu räumen, sobald sie detonieren. Gibt es so etwas in Ihrem Arsenal, Sir?«, fragte Nurin, an Ekko gewandt.
»Ja – es gab da so eine Idee mit einigen Nuklearwaffen. Wir haben sie aufgrund eines winzig kleinen Problems verworfen.«
Nurin runzelte die Stirn. »Welches Problem?«
»Wir wären mit in die Luft geflogen.« Der Regimentskommandeur kratzte sich am Kopf. Im fiel auf Anhieb auch keine Lösung für das Problem ein, auch wenn im klar war, dass Nurin ein wirklich ernstes Problem angesprochen hatte. »Ich muss mir die ganze Sache noch mal durch den Kopf gehen lassen«, entschied er mit einem Blick auf die Anzeige.
Eine Weile brütete er über der Frage, wie nun weiter zu verfahren war, kam allerdings zu dem Schluss, dass er vorerst keine zufriedene Antwort darauf fand, geschweige denn eine Lösung für ihre Lage parat hatte.
Alle ihre Probleme waren angesprochen und mehr oder weniger abgehandelt worden. Damit fiel jede weitere Diskussion in dieser Richtung weg. Auf jeden Fall von seiner Seite.
»Noch irgendwelche Anmerkungen, Herr Komm…«, fragte er und wandte sich um. Betretenes Schweigen setzte ein.
Ligrev fehlte.
»Ach ja«, entfuhr es dem Colonel, bevor er laut verkündete: »Der Kommissar scheint keine Einwände zu erheben. Noch irgendwelche Fragen?«
Hallende Stille bedachte ihn mit dem müden Lächeln der Leblosigkeit. Natürlich hatte niemand mehr Fragen. Dafür waren sie bereits alle zu erschöpft und mit Informationen überladen.
»Nun gut«, beschloss er die Besprechung. »Sollten weitere Fragen oder Anregungen ihr hässliches Haupt erheben, wenden Sie sich vertrauensvoll an mich oder Major Carrick. « Er stockte kurz. »Wohl doch eher an Major Carrick. Damit beende diese Besprechung. Tod und Verderben, meine Herren.«
»Tod und Verderben«, erhielt er zur Antwort, als die Gruppe sich auflöste, um ihren Aufgaben nachzugehen.
Balgor und Carrick traten an die Seite ihres Vorgesetzten. »Tod und Verderben, Colonel?«, erkundigte sich der Captain, wieder einmal mit hochgezogenen Augenbrauen.
Ekko bedachte ihn mit dem Blick. »Müssen Sie mich jetzt jedes Mal darauf ansprechen, Balgor?«
Der Captain hob spielerisch die Hände zur lautlosen Abwehr.
Major Carrick neben ihm war in weniger guter Stimmung. »Colonel, was Sie von den Männern erwarten, ist fast unmöglich!«, gab der Major zu bedenken.
Ekko nickte müde. »Ja, ich weiß. Aber auch nur fast. Und wenn wir wirklich überleben wollen, hilft es nicht, an den Eutern der Heiligen zu nuckeln. Wir müssen uns selbst etwas einfallen lassen.«
»Das ist Blasphemie, Sir«, erboste sich sein Stellvertreter.
»Nein. Das nennt sich Pragmatismus, Major«, stoppte der Colonel jede weitere Diskussion in diese Richtung. »Sie sollen nur die richtige Sicht auf die Dinge erhalten. Zudem: Wenn die Heilige meine Worte als Blasphemie auffasst, dann wird sie mich zu entsprechender Zeit pfählen.«
»Bei Ihrem Glück pfählt sie daneben«, warf Balgor dazwischen, bevor ihm richtig klar wurde, was er gerade gesagt hatte.
»Captain«, zischte Carrick entrüstet, während Ekkos Miene schlagartig entgleiste.
Sich der Blicke der beiden anderen Offiziere bewusst murmelte der Balgor eine Entschuldigung und zog es dann vor, für die nächste Zeit zu schweigen.
»Herr auf dem Thron«, stieß der Colonel aus und rieb sich über die Augen. »Gibt es da noch irgendetwas, das ich eigentlich lieber nicht wissen möchte, Carrick?«
Der Major überlegte einen Moment, räusperte sich dann. »Es gibt da noch eine Sache, mit der ich Sie eigentlich nicht belästigen wollte, da Sie auf die Dame bisher sowieso nicht so gut zu sprechen waren.«
Bei diesen Worten sah Ekko auf und warf einen alarmierten Blick aus weit aufgerissenen Augen hinüber zu seinem Untergebenen. Oh, Herr auf dem Thron, bitte nicht!, schoss es ihm durch den Kopf. Oh, großer Gott-Imperator, bitte lass es nichts mit Sile zu tun haben! »Ich … verstehe. Dann tun Sie es jetzt: Also – ich höre?«
»Die Ekklesiarchin hat darum gebeten, unsere Fahrzeuge und Soldaten in einer Zeremonie mit geweihtem Rauch segnen zu dürfen.«
Stille übernahm die Gesprächsführung. Es war eine unangenehme Stille, die munter drauf losplapperte und Anekdoten aus ihrem Leben erzählte, während Ekkos Innere Dämonen um die Vorherrschaft rangen, ihre Pläne für seine nächste Reaktion schmiedeten.
Er wusste nicht, ob er vor Glück lachen sollte, dass es nichts mit Sile zu tun hatte, wütend die Hände über dem Kopf zusammenschlagen sollte, dass er bereits in Wahnvorstellungen vor dieser Frau lebte oder einfach nur resigniert seufzte.
Er ließ die Dämonen flüstern, wie sie wollten und entschied sich für die vierte Möglichkeit. »Nein – Ich will nicht, dass die alte Wachtel unsere Fahrzeuge mit Rauchbomben segnet.«
Carrick und Balgor sahen ihn verständnislos an.
»Irgendwann vergreift sie sich« Ekko ahmte eine kräftige Explosion mit seinen Händen nach und würzte die Geste mit entsprechender Geräuschkulisse. »Whoooosch – und dann?«
Die beiden anderen Offiziere zeigten sich weiterhin vollkommen überwältigt von den chaotischen Gedankengängen ihres Vorgesetzten.
»Dann heißt es wieder: Colonel, warum haben Sie zugelassen, dass uns Kampfkraft verloren geht?«, erklärte er.
Major Carrick schüttelte seinen Kopf in dem Versuch, ihn von allen freischwebenden Gedanken zu befreien. »Ich verstehe die Aussage nicht«, gestand er schließlich.
Entnervt winkte Ekko ab. »Ich vermute einfach einmal ganz stark, dass ich die Dame sowieso nicht davon abhalten kann, an diesem Ort wie wild herumzuqualmen. Also lassen Sie es einfach zu, Carrick. Vielleicht gibt das den Männern wenigstens ein bisschen Hoffnung.« Nachlässig wedelte er mit der Hand, scheuchte den Major und alle weiteren Probleme mit ihm fort.
Sein Stellvertreter nickte, salutierte befehlsgewohnt und zog sich dann wortlos zurück.
Balgor blieb bei Ekko. Die beiden Imperialen bedachten die traurig vor sich hin flimmernde hololithische Anzeige, auf der ein ums andere Mal die Mächte des Imperiums gegeneinander aufwogten, miteinander rangen, sich vermischten und trennten, wie ein Liebespaar – ein recht flüssiges Liebespaar zwar, aber doch ein Liebespaar.
Der Colonel schüttelte sich. Wenn er jetzt weiter in dieser Richtung dachte, würde er sich spätestens in ein paar Minuten in einer Einbahnstraße ohne Wendemöglichkeit wiederfinden. In einem reißenden Strom ohne die ruhigen Stellen völligen Stillstands, wo er seine Kräfte sammeln und ans Ufer schwimmen konnte. Und er fühlte, dass er dann unrettbar verloren war.
Zudem … ein unablässiges Kitzeln machte sich in seiner Nase breit. Wie das Krabbeln einer Spinne, die sich zielsicher ihren Weg in Richtung Opfer suchte, belästigte ihn das unangenehme Gefühl dermaßen penetrant, dass er schließlich nicht anders konnte als zu Niesen.
»Gesundheit«, wünschte der Captain an seiner Seite. Er meinte es ehrlich.
»Danke«, erwiderte sein Vorgesetzter schniefend. »Es überkam mich plötzlich.«
»Da denkt wohl gerade jemand an Sie.«
Ekko riss ein weiteres Mal alarmiert die Augen auf, warf suchende Blick in den Raum. In dem harten Licht der Scheinwerfer und den von ihnen gezeichneten, scharfkantigen Schatten ließ sich jedoch nichts ausmachen, das den Offizier hätte beunruhigen müssten.
Außer ihm, Balgor, den Operatoren der Nachtschicht und den Wachsoldaten vor dem Eingang zur Kommandozentrale hatten bereits alle anderen das Gemäuer verlassen.
Allerdings schien es auch genau das zu sein, was ihn so sehr beunruhigte.
Das leise Summen der arbeitenden Kommunikations- und Darstellungsgeräte lachte ihn durch die einkehrende Stille hindurch aus. Und aus einem für ihn nicht näher definierbaren Grund kam er sich in dem Augenblick zu Recht ein wenig dämlich vor.
»Ich hoffe nicht«, zischte der Colonel. »Denn wenn ich mir überlege, wer gerade an mich denken könnte, dann schließt das nur zwei Möglichkeiten ein: eine gewisse blonde Prioris ertrinkt gerade in Freudentränen – oder irgendwer hat es wieder einmal auf mich abgesehen.«
Balgor zuckte die Achseln. Seine Mine verzog sich zu einem schalkhaften Grinsen. »Eine liebestolle Sororita wirft einen Teppich aus und betet gen Ekko«, sinnierte er.
»Sie können mich mal, Balgor.« Ekko schüttelte resigniert den Kopf, bevor er seine Uniform straffte. »Ich werde mal eine kleine Runde machen. Vielleicht hilft mir das beim Abschalten.«
Er nickte seinem Untergebenen zu, wünschte den Operatoren noch ruhigen Dienst und verließ das Beinhaus.
Ein kühler Hauch fremder Macht begleitete ihn dabei.

***

Das dunkle Herz der Finsternis senkte sich als beruhigende Decke über die verbrannten Ebenen von Agos Virgil, ertränkte all die Pein und das Leid in einem Balsam aus Dunkelheit.
Die lange Nacht, das Ende allen Friedens, nahte für die Männer und Frauen, die sich im Schutz der Himmelskathedrale verbarrikadiert hatten und nun auf den Feind warteten, der sie bereits morgen erreichen und in einen verzweifelten Kampf um Leben und Tod zwingen würde.
Soldat Rahael erschauderte, als er das von Verletzten belegte Feldlazarett verließ, das Doktor Calgrows Sanitäter in einer Priorei nahe der Himmelskathedrale eingerichtet hatten.
Kühle, stellenweise bereits erkaltende Nachtluft hieß den jungen imperialen Soldaten in ihrem Schoß willkommen. Noch schien sich das Wetter auf dieser Welt nicht recht entscheiden zu können, wie es mit der planetenweiten Zerstörung der Natur und menschlichen Behausungen, deren steter Wechsel seit Jahrhunderten seine Witterungen bestimmt hatten, umgehen sollte. Allerdings war er sich sicher, dass das globale Klima bald aus allen Wolken fallen würde – im wahrsten Sinne des Wortes.
Bis eben hatte er am Bett seines Sergeants gewacht, zusammen mit Itias und Rebis, den derzeit einzigen einsatzfähigen Soldaten aus Lenhims Trupp.
Alle anderen gehörten inzwischen zur Belegschaft des Lazaretts und genossen die Führsorge der Regimentsärztin und ihrer Untergebenen.
Wie gerne hätte er sich ebenfalls einfach in eine dunkle Ecke geworfen, die Augen geschlossen und wäre an seinen Selbstzweifeln zugrunde gegangen. Doch das ging nicht – er konnte nicht!
Seit dem Kampf seiner Kameraden und der Kasrkin gegen die Space Marines war viel geschehen. Zu viel, als dass er es jetzt in Gedanken hätte abhandeln können – doch in all den Tagen seitdem hatte er den Eindruck gewonnen, nicht genug getan zu haben.
Wie die meisten anderen hatte er während der Panzerschlacht vor der Himmelskathedrale Ausschau gehalten und zum Imperator gebetet, er möge die Männer in den stählernen Fahrzeugen sicher heim geleiten.
Wie alle anderen hatte er mit einem Raunen auf das Gerücht reagiert, dass Colonel Ekko und Prioris Leitis Sile vorne bei der kämpfenden Truppe standen.
Und wie alle hatte er die siegreiche Rückkehr der beiden Helden auf den stählernen Schlachtrössern bejubelt.
Doch nun, wo er Zeit hatte, endlich über die Ereignisse zu rekapitulieren, fielen all die Begeisterung und die Freude von ihm ab. Zurück blieben lediglich Angst und Verzweiflung. Er fühlte sich klein, unbedeutend, als wenn er versagt hatte.
Aber war es nicht auch so?
Der Colonel hatte ihm das Leben gerettet, inzwischen sogar mehrmals. Itias und Gireth, mit denen er sich mittlerweile sehr gut verstand, wussten ähnliche Geschichten zu erzählen.
Im Gegenzug konnte er allerdings nichts vorweisen, das das in ihn gesetzte Vertrauen und die auf ihn verwendete Energie in irgendeiner Weise gerechtfertigt hätten erscheinen lassen können.
Es kam ihm vor, als wenn er Colonel Ekko enttäuscht hatte, den Mann, den er am Wenigsten enttäuschen wollte.
Ekko, wenn er auch als recht eigen und draufgängerisch galt, gehörte er wohl zu den umsichtigsten und überlegtesten Menschen, die Rahael in seinem kurzen Leben bislang kennengelernt hatte. Er wäre an der Seite des Basteters bis ins Herz der Finsternis, bis zum Ende der Galaxie marschiert. Nein, er wollte den Colonel wirklich nicht enttäuschen.
Und Calgrow, eine erfahrene Ärztin und kampferprobte Frau, die wie er von Cadia stammte, wollte er ebenso wenig enttäuschen, wenn auch aus anderen Gründen.
Zum einen, weil sie als Cadianerin eine unerbittliche Dienerin des Imperators war, deren Verständnis von Hingabe und Ehre sich maßgeblich von dem unterschied, was ein junger und unerfahrener Soldat wie er sich vorstellte.
Zum anderen, weil er wusste, dass sie eine ehemalige Kommissarin war und anders als Ekko ein Versagen nie vergeben würde.
Kurzum – er hatte Angst. Panische Angst vor dem Versagen, vor der Unehre - und davor, mit dem Wissen zu sterben, dass er seine Vorgesetzten enttäuscht, dass er sie verraten hatte.
Doch mit wem hätte er über diese Ängste sprechen sollen? Mit dem Colonel? Mit Captain Balgor? Mit Rebis oder einem aus dem Trupp?
Nein, das ging nicht. Das konnte er nicht. Wir hätte er ihnen sagen sollen? Wie hätten sie von ihm gedacht? Dass er ein kleiner, feiger Häretiker war, der vor seiner eigenen Angst zurückschreckte?
Es blieb also nur eine Möglichkeit: Die Basilika. Er würde vor den Altar treten, die Heilige Janaïs und den Imperator anrufen und um ihren Beistand bitten, damit er seinen Dienst auf diesem verdammten Planeten, an diesem Heiligen Ort imperialer Macht fortführen konnte und hoffentlich auch überlebte.
Rahael seufzte leise, ließ den Tag hinter sich und betrat die Himmelskathedrale durch die schier winzige Tür in den gewaltigen, mit Schädeln besetzten Toren, aus deren Zentrum ihn die Heilige mit musternden Blicken bedachte. Ihr Schwert wies drohend auf ihn.
Der junge Cadianer schluckte. Er musste unwillkürlich an die gern zitierten Worte Colonel Ekkos denken: ‚Lasset alle Hoffnung fahren, die die Ihr hier eindringt …‘. Dass er selbst nicht wusste, wie die Litanei fortgeführt wurde, beruhigte ihn nicht im Mindesten.
Als Rahael die Kathedrale betrat, fiel die Temperatur um ihn herum. War sie bisher immer recht angenehm gewesen, so fröstelte es ihn nun. Kälte kroch unter seiner Uniform umher, suchte sich Wege durch die Unterbekleidung und packte seinen Körper mit eisigen Klauen.
Er beschleunigte seine Schritte, bemühte sich das Zittern in seinem Körper unter Kontrolle zu bringen.
In dem Gemäuer selbst herrschte deprimierendes Zwielicht. Erinnerungen an den Tag, als sie die mächtige Kathedrale mit dem gewaltigen Zorn eines Gewittersturms im Nacken erreicht hatten, wurden in dem Cadianer wach. Damals hatten lediglich Blitze die mächtigen Schiffe des Ekklesiarchie-Palasts erhellt, den Soldaten einen wagen Eindruck von der Herrlichkeit dieses Orts verschafft, bis schließlich die grelle Deckenbeleuchtung eingeschaltet wurde und das Gemäuer in strahlender Helligkeit erwachte.
Heute allerdings schlief der Bau in derselben erwartenden Furcht, die auch die Stimmung der Soldaten drückte.
Nur wenige Lichter brannten noch als schwache Leuchtfeuer in der Dunkelheit, Wegweiser in den Schoß der Heiligen. Ein letzter Strahl des Lichts zu dem Ort, an dem sie Ruhe und Frieden fanden und den Imperator vor der letzten Schlacht noch einmal um Beistand bitten konnten.
Vorsichtig und mit leisen Schritten, um ja nicht den gespenstischen Schlaf des Gemäuers zu unterbrechen, machte sich Rahael auf den Weg durch den riesigen Bau, der jedes seiner Geräusche aufnahm und in einer riesigen Umkehrschleife zurück an seinen Ursprungsort warf. Echos hallten durch das allgewaltige Kirchenschiff, sprangen vom Langhaus in den Chor und zurück.
Draußen heulte der Sturm schwerer Vector-Turbojets aus der tiefen Dunkelheit der Nacht heran. Das scharfe Glühen gezündeter Triebwerke huschte an den prächtigen Buntglasfenstern des Hauptschiffs vorbei. Schatten eilten über die entgegengesetzte Flanke des Raums, umschlichen als unscharfe Formen die hoch aufragenden Säulen und Arkaden.
Gruselige Schauer tanzten Rahaels Wirbelsäule hinauf, schwärmten auf seine Haut aus und umarmten ihn. Schrecken der Erinnerung bahnten sich ihren hässlichen Weg durch seine Gedanken, lenkten seinen Blick auf die nun leeren Reihen der Bänke. Vor seinem geistigen Auge knieten die Toten, beteten als leise murmelnde Körper ohne Leben zur erhabenen Gestalt der Heiligen, die ihnen die letzte Absolution erteilte, bevor sie ihre Körper im gleißenden Feuer ihres Schwertes verbrannte.
Durch das Halbdunkel des aufragenden Kirchenschiffs war nicht viel zu erkennen, doch Rahael spürte Bewegungen, immaterielle Berührungen, die ihn streiften, ihm zuflüsterten.
Unsicher und unruhig zugleich setzte er seinen Weg fort, zwang sich zwischen die zerschmetterten Bänke.
Schnell stellte er fest, dass er wirklich nicht allein war. Eine niedrige, in Demut gebeugte Gestalt kniete vor dem riesigen Altar, dieser goldenen Hingabe an die Unendlichkeit des Imperators, in deren Verlängerung die Heilige Janaïs wachte, Gewalt und Wissen in ihren Händen. Die Ekklesiarchin!
Rahael fühlte eine schwere Last von seinem Herzen fallen. Vielleicht konnte sie ihm Rat und Sicherheit geben.
Entschlossen lenkte er seine Schritte durch das Innere der geweihten Basilika. Die Temperatur sank weiter. Feine Dampfwölkchen bildeten sich vor seinem Gesicht, verflüchtigten sich in das Zwielicht. Ein neuerlicher Schauer zog über seinen Rücken. Das dumpfe Gefühl, von hunderten Augenpaaren verfolgt zu werden, beschlich ihn.
»Heilige Mutter, habt Ihr einen Moment Zeit für mich?«, rief der junge Cadianer ins Halbdunkel des leblosen Baus. Echos hallten von den steinernen Wänden wieder, umkreisten ihn und schrien ihn klagend an.
Wenigstens war er sich nun ihrer Aufmerksamkeit gewiss.
Doch die Frau, die dort, nur in einfachste Roben gehüllt, vor der mächtigen Statue der Heiligen kniete, war nicht die Frau, die er suchte.
»Die Ekklesiarchin ist gerade nicht hier. Kann vielleicht ich Ihnen helfen, Rahael?«, hieß ihn die erfrischende Stimme Leitis Siles willkommen.
Erschrocken wich er zurück. All die Gedanken, die in seinem Kopf umherwanderten, all die Worte auf seiner Zunge, starben einen schrecklichen Tod der Erkenntnis.
Die Stimme der Vernunft riet ihm, sich umzuwenden und um sein Leben zu laufen. Und für einen Moment war er versucht, der geflüsterten Warnung nachzugeben.
Allerdings, und das hielt ihn schließlich davon ab zu flüchten, erinnerte er sich noch allzu gut daran, wie schnell, agil und stark die Sororita war.
»Ich bin eine Dienerin der Ekklesiarchie – wenn auch eine kämpfende«, holte ihn die Prioris aus seinen Gedanken. »Was auch immer Sie der Ekklesiarchin sagen wollten, sie dürfen und können es mir ebenso anvertrauen.«
Sie lächelte freundlich, doch in ihren stahlfarbenen Augen herrschte ein gefährliches Glitzern vor. Rahael verstand. Sie ließ ihm keine Wahl.
»Schwester Sile, ich würde gerne eine Beichte ablegen«, gestand er.
Die Prioris hob die Augenbrauen. »Eine Beichte?«, fragte sie. Das unmerkliche Zögern ehrlicher Überraschung belegte ihre Stimme. »Sie haben einen guten Offizier«, sagte sie zu Rahael. »Colonel Ekko kümmert sich um seine Leute. Das sieht man nicht oft. Weshalb sind Sie nicht zu ihm gegangen?«
»Aber es geht um den Colonel«, versuchte er zu erklären.
Das wiederrum erstaunte die Sororita nun offensichtlich. Ohne weitere Worte führte sie ihn zu der ersten Reihe Bänke, auf deren dunklem Holz sie Platz nahmen.
Nachdem sie dem Soldaten Zeit zum Sammeln gegeben hatte, lehnte sich die imperiale Ordensschwester zurück. »Also«, forderte sie Rahael auf. »Was ist mit Colonel Ekko?«
»Ich … ich«, begann er und brach ab. Wie sollte er es ihr erklären? Vor allem: wie sollte er ihr es erklären, ohne dass sie ihn sofort läuterte?
Wie hätte Colonel Ekko in diesem Moment reagiert? Rahael hatte den Regimentskommandeur bereits einige Male erlebt und wusste, dass dem Offizier in einer solchen Situation stets eine passende und erbauende Antwort einfiel.
Doch er war nun einmal nicht Ekko.
Er entschloss, dass es am besten war, wenn er ihr die Wahrheit sagte. »Ich fürchte, dass ich den Colonel enttäuscht habe.«
»Enttäuscht?«, hakte sie nach, so als habe er zu undeutlich gesprochen.
Der Cadianer nickte. »Ja, enttäuscht.«
»Wie das?«
Die Geschwindigkeit und gleichzeitige Beiläufigkeit, mit der Sile nach dem Kern seiner Sorgen bohrte, brachte Rahael ins Stocken. Er kam nicht umhin sich zu fragen, ob sie vielleicht längst wusste, was ihn bedrückte und ihm nur die Chance geben wollte, sich zu erklären – oder sich zu verraten.
»Nach alldem, was passiert ist – der Eroberung der Kathedrale, der Panzerschlacht und Vorbereitung auf den Sturm der Xenos – fühle ich mich, als wenn ich selbst nicht genug getan habe. Als wenn ich dem Colonel und dem Imperator nicht treu und ergeben genug gedient habe.«
Die Sororita hörte sich seine Gedanken an, dann überließ sie der Stille das Wort und dachte etwas länger darüber nach.
So, wie sie den Blick von ihm abwandte, fühlte er bereits die Hitze eines reinigenden Feuers in sich aufsteigen.
Die nach wie vor präsente Erinnerung an ihren Angriff im Lazarett kochte in ihm auf, gepaart mit der Furcht, sie könnte im nächsten Augenblick vorschnellen und ihn mit einem unter ihrer Robe verborgenen Aquila oder Kruzifix meucheln.
»Ich denke, Sie sind ein wahrer Diener des Imperators, Rahael«, kehrte sie schließlich in die Wirklichkeit zurück. »Nur ein wahrer Diener sorgt sich, nicht genug für Ihn getan zu haben. Doch sich stets Gedanken darüber zu machen, wie ergeben und treu man ist, hindert einen genauso oft daran, tatkräftig zu werden.
Colonel Ekko hat das richtig erkannt. Er ist ein großer Krieger. Er denkt nicht darüber nach, wie er seine Loyalität zum Imperium beweisen kann. Er tut es einfach. Und er lässt keine Gelegenheit aus, seine Hingabe zu beweisen.«
Rahael nickte vorsichtig. Was sie sagte, ergab Sinn. Doch beruhigt fühlte er sich dadurch trotzdem nicht.
»Manche mögen behaupten, dass sein Verhalten Selbstmord gleichkommt, ich allerdings glaube das nicht«, fuhr die Sororita fort. »Der Colonel vertraut in die Macht des Imperators. Mit Ihm an seiner Seite weiß er sich sicher. Und deswegen ist er in der Lage, all diese Dinge zu vollbringen.« Sie ließ ihre Hände in einer allumfassenden Geste in die Luft gleiten, bevor sie dem Büßer ihren schlanken Finger auf die Brust legte. »Und das solltest du auch tun. Hab Vertrauen in den Imperator, aber vertraue auch darauf, dass sein Vertrauen in dich gerechtfertigt ist. Also zweifle nicht daran, ob du würdig bist, sondern beweise es. Sei festen Herzens und klaren Geistes, dann wird der Imperator dich führen. Und du wirst keine Furcht mehr spüren.«
Er nickte, von ihren Worten inspiriert und in seinem Glauben gefestigt. Ein tiefer Wunsch begehrte in seinem Innersten auf, zog ihn in ihren Bann. Er merkte es nicht einmal wirklich.
Sie legte ihm die Hand auf den Kopf, erteilte leise die Absolution. »Deine Sünden sollen dir vergeben sein.«
Ihre stahlblauen Augen funkelten ihn an. Wie an dem Tag, als sie ihn umzubringen versucht hatte. Er wollte zurückweichen, doch er konnte nicht. Ihr Griff hielt ihn fest. Hätte sie eine Servorüstung getragen, sie hätte ihm den Schädel einfach zerquetschen können.
»Nun bete mit mir«, forderte sie ihn auf. Dann ließ sie ihn los, senkte den Kopf und bekreuzigte sich mit dem Aquila.
Rahael tat es ihr gleich. So verbrachten sie die nächste Zeit in stiller Andacht und Selbstkasteiung, bemerkten nicht einmal, wie Major Carrick und Captain Solmaar die Kathedrale betraten, sich beim Chor niederließen und jeder für sich ein Gebet an den Imperator sprachen, bevor sie wieder gingen.
Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte sich Rahael erfüllt. Als wenn ihn die Heilige persönlich geküsst und belebt hätte.
Als wenn sie ihn mitnahm und weit fortführte an einen Ort, wo all sein Schwelgen, all sein Sehnen erfüllt wurden. Den Nexus seiner Wünsche.
Sie tanzte mit ihm, lachte ihn an. Sie schenkte ihm eine Strähne ihres goldenen Haars, gestattete ihm, seinen Kopf an ihre Brust zu betten und ließ ihn den Schlag ihres Herzens hören.
Rahael verlor sich in ihrer Anmut und Schönheit. Es dauerte nicht lange, bis er in die Dunkelheit eines traumlosen Schlafes hinabglitt.
 
Nachdem auf das letzte Kapitel so viel Resonanz folgte, besonders in Richtung Rahael, der ja so gut angekommen ist (klang das jetzt irgendwie ironisch?), habe ich mich entschieden, ein etwas ruhigeres Ekkokapitel in altgewohnter Schnoddrigkeit einzufügen.

Ich hoffe, dass das jetzt mehr zusagt. Für eventuelle Typos, Satzbaufehler und sonstiges übernehme ich keine Haftung. Meine Muse ist im Augenblick irgendwie unmotiviert, kreativ zu werden.

Wie immer danke ich Nakago für seine kurze Fluff-Kontrolle, wünsche viel Spaß beim Lesen und bis zum nächsten Mal!

Alles Vale


26

Das scharfe Heulen der Vector-Turbojets sang in Ekkos Ohren, als der Colonel sich geduckt von der gelandeten Walküre entfernte. Kaum hatte er den Strahlbereich der Triebwerke verlassen, da hob der Einweiser bereits wieder die Arme und schickte das imperiale Fluggerät zurück in seinen natürlichen Lebensraum.
Ekko nickte dem Mann kurz zu, bevor er sich abwandte und sich auf den Weg machte, das um die Kathedrale liegende Forum zu verlassen. Erst jetzt, wo er sich nicht mehr den heißen Abgasen des Sturmtransporters ausgesetzt sah, fiel ihm auf, wie kalt es in den letzten Stunden geworden war.
Feine Dampfwölkchen flohen mit jedem Atemzug aus seinem Mund, verflüchtigten sich in die nächtliche Luft.
Der Colonel zog den schweren Armeemantel zu, im Anschluss versenkte er seine Hände in den ausladenden Taschen des dick gefütterten Kleidungsstücks. Beiläufig blickte er in den sternenklaren Himmel der ariden Graslandschaft hinauf, bemerkte das helle Funkeln ferner Himmelskörper.
Das kleine Büchlein in seiner Drillichtasche rief sich in Erinnerung, genauso wie der Name, den er erst vor kurzem aus der Liste getilgt hatte.
Er zögerte kurz und überlegte, es aus der Brusttasche zu ziehen und darin zu blättern, so wie er es häufig tat. Schließlich jedoch entschied er sich dagegen und setzte seinen Weg fort.
Der Basteter hatte noch nicht einmal die Hälfte der Strecke zum Rand des Forums zurückgelegt, als er junge Stimmen vernahm, von denen er zumindest eine auf Anhieb erkannte. Zwei Schatten standen in der relativen Dunkelheit der Nacht und sinnierten, offensichtlich über den Imperator und Galaxie.
»Guten Abend, meine Herren«, kündigte sich der Regimentskommandeur an, als er zu ihnen zwischen die am Rand des Forums gestapelten Kisten trat.
Die beiden Männer nahmen Haltung an. »Sir«, begrüßte ihn Soldat Gireth. Itias neben ihm verkrampfte sich merklich.
»Stehen Sie bequem«, wehrte Ekko jede weitere Ehrbezeugung ab. »Kosmische Gedanken?«
»Nein, Sir«, bemühte sich Gireth eilig zu erklären. »Wir haben uns nur gefragt, wer die Heilige Janaïs eigentlich war und welche Taten sie vollbracht hat, dass man sie zur Heiligen ernannt hat.«
Ekko zögerte, maß die beiden Soldaten mit kritischen Blicken. Fetzen leiser Gespräche wehten aus den unteren Ebenen der Kathedralenstadt zu ihnen hinauf, vermischten sich mit dem sachten Säuseln des Windes.
Irgendwo bellte ein Offizier seine Truppen in Position, dem harschen Ton nach zu urteilen war es vermutlich Retexer.
In den Außenbezirken heulte der Motor einer Chimäre protestierend, als sich das Fahrzeug zwischen den eng gesetzten Panzer- und Personenfallen hindurchquälte.
Ekko lauschte dem nächtlichen Betrieb für eine Weile, briet die beiden jungen Soldaten unter seinen Blicken. Als sie knusprig braun waren, löste er sich aus seiner Starre und ließ sich gegen den metallenen Körper eines Transportcontainers fallen.
»Worüber sich junge Leute heutzutage Gedanken machen«, murmelte er missmutig, kramte gedankenverloren in den Taschen seines Mantels und fand dort zu seiner eigenen Überraschung ein zerknittertes Päckchen mit Lho-Stäbchen. Er wunderte sich ein wenig über die Tatsache es nicht früher entdeckt zu haben, tat sie anschließend als gegeben ab und nahm das Geschenk einfach an.
Nachdenklich klopfte sich der Regimentskommandeur eines der Stäbchen in die Hand, steckte es in seinen Mundwinkel und ließ das Päckchen wieder in die Manteltasche gleiten. »Raucht einer von Ihnen?«, wollte er wissen, als ihm aufging, dass seine Suche nach einem Feuerzeug vergebens sein würde.
»Rauchen Sie denn?«, fragte Gireth zweifelnd zurück. Tatsächlich hatte noch nie einer von ihnen den Colonel zu einer Zigarre oder einem Stäbchen greifen sehen.
Er zuckte die Schultern. »Ich hatte meiner Frau eigentlich versprochen, irgendwann damit anzufangen. Aber bis jetzt hatte sich leider keine Gelegenheit dazu ergeben.« Er kramte weiter nach einer Zündquelle. »Wie kommen Sie eigentlich auf diese Gedanken?«
»Ich habe Sie zuvor noch nie rauchen sehen, Sir«, gestand Gireth vollkommen ehrlich.
Ekko hielt inne und starrte den jungen Soldaten an, als ob der seinen Verstand verloren hatte. Wie deutlich sich das an seinem Gesicht abzeichnete, war auf der unglücklichen Miene des Funkers zu lesen.
Kurz darauf sprang der Funke der Erkenntnis auch auf den Colonel über. Herr auf dem Thron, was war er blöd! Resigniert seufzte er und gab die Suche auf. »Ich weiß, was Sie denken – und Sie haben recht, Gireth. Ich habe mich auch noch nie rauchen sehen. Vermutlich, weil ich mich nie dabei betrachte.« Mit einem Wink wischte er die Bemerkung zur Seite. »Vergessen Sie es. Ich qualme einfach virtuell.«
Mit einer gekonnten Offiziersgeste fischte er das Stäbchen aus seinem Mundwinkel und malte mit dem nicht vorhandenen Rauch Kringel in die Luft. »Worauf ich eigentlich hinauswollte, war Ihre Bemerkung in Bezug auf die Heilige. Wie kommen Sie auf solch einen Gedanken?«
Gireth und Itias sahen sich kurz an, dann zuckte der Funker die Schultern. »Wir haben die Himmelskathedrale betrachtet, Sir. Weder Itias, noch ich können uns erklären, weshalb sie so groß ist. Da haben wir uns einfach gefragt, was die Heilige getan hat, um zur Heiligen zu werden.« Hoffnungsvoll wandte sich der Basteter an seinen Vorgesetzten. »Sir, wissen Sie vielleicht …?«
»Beim Barte des Propheten!«, wehrte Ekko ab. »Was belästigen Sie mich mit solch einer Frage?!« Es folgte eine wilde Geste mit dem Lho-Stäbchen. »Ich bin nun wirklich der Letzte, der diese Frage qualifiziert beantworten könnte. Vermutlich war sie dem Gott-Imperator zu Diensten.«
Gireths Augen weiteten sich, als in seinem Kopf Bilder gewaltiger Schlachten aufbegehrten. »Sie muss Ihm wirklich sehr gut gedient haben.«
»Ja«, stimmte Itias an seiner Seite mit Blick auf die mächtige Statue im Haupteingang der Kathedrale zu. »Man kann sich wirklich vorstellen, wie sie in Demut niederkniet und ...«
»Verdammt!«, hustete der Colonel sein Lho-Stäbchen aus und schwang sich auf.
»Aber, Sir …«, rief Gireth erschüttert, als sich sein Kommandeur regelrecht verschluckte.
»Nein, bitte nicht«, wies Ekko jede Hilfeleistung ab, als wisse er um eine tödliche Verstrahlung in seinem Körper. »Ich habe gerade wirklich sehr dreckige Assoziationen.«
Die beiden Männer sahen ihn verständnislos an.
»Sie ist gestorben«, bemerkte der Colonel vollkommen richtig. »Das hat sie schließlich zur Heiligen gemacht. So, ich habe noch eine weite Runde vor mir. Gehen Sie bald schlafen und seien Sie Morgen ausgeruht. Gute Nacht.«
Mit diesen Worten entfernte er sich möglichst schnell von den beiden Soldaten, bemüht, die Bilder einer ‚kniend dienenden‘ Heiligen aus seinem Kopf zu verbannen.

***

Es dauerte bis weit in den zweiten Ring, bevor Ekko seinen Kopf endlich soweit geklärt hatte, dass er sich nicht bei jedem Blick ins Dunkel einen blonden Engel vorstellte, deren Kopf wild vor dem Goldenen Thron von Terra auf– und abtanzte, während der Heilige Schein des Imperators unkontrolliert flackerte.
Was seine Fantasien schließlich vollständig abtötete, war die Vorstellung, dass dieser Blondschopf Leitis Sile …
Nein! Das durfte einfach nicht sein!
Er schüttelte sich, versenkte die Hände noch tiefer in den Manteltaschen und blickte auf die karge Ödnis hinaus, die sich wie ein blasses Meer aus der Düsternis der Nacht schälte.
Ab und an blitzten die Strahlen nicht abgeblendeter Scheinwerfer durch den schwarzen Himmel, scheinende Reflektionen vom Erdboden, die vom nahenden Grauen kündeten.
Die Orks waren also bereits recht nah. Er brummte eine häretische Verwünschung und setzte seinen Weg fort, obwohl er gar nicht wusste, wohin er eigentlich noch gehen wollte.
Inzwischen meldeten sich auch die Kopfschmerzen wieder zu Wort, ein verzweifelter Hilferuf seines Körpers nach dringend benötigter Ruhe.
Ekko seufzte, zwang die Erinnerung an die Überreizung seiner Nerven nieder und sah sich um. Er stand am Rande eines weitläufigen Anwesens, dessen Grundstück sich weit über die ihm zugewiesene Terrasse erstreckte.
Das dazugehörige Gebäude, dessen von Säulen getragener Körper sich hinter die künstliche Sichtbarriere angelegter Zierbäume duckte, besaß einen fantastischen Ausblick über das sich um die Kathedralenstadt ausbreitende Brachland.
Eine perfekte Position für einen Scharfschützen
, dachte Ekko. Natürlich brauchte er alle seine Leute im äußeren Verteidigungsring, um die Orks so lange wie möglich zu beschäftigen und so viele wie möglich zu töten, bevor sich die Basteter in den nächsten Verteidigungsring zurückzogen und die anbrandende Flut Grünhäute erneut abwehrte. Allerdings besaß der Gedanke, hier oben Präzisionsschützen, zum Beispiel Kroods Kasrkin, einzusetzen und somit angreifende Gegner auf weite Entfernungen zu eliminieren, einen gewissen taktischen Reiz.
Traumverloren stocherte er mit seiner Stiefelspitze in der schmalen Kettenspur eines imperialen Panzers umher, der vor einige Zeit auf das Anwesen gerollt war.
Für eine Weile wurde ihm gar nicht wirklich bewusst, was er da eigentlich tat, doch dann begriff er und folgte der Spur auf das Anwesen.
Seine Intuition betrog ihn nicht.
Zwei Scharfschützen lagen hier bereits auf der Lauer.
Nurins Jagdpanzer hatten sich übereinander zwischen den mächtigen Terrassen im zweiten Ring der Kathedralenstadt positioniert, direkt auf Sichtlinie mit dem gewaltigen Haupttor. Von hier oben und mit der maximalen Elevation, der Rohrerhöhung von elf Grad im Steigungswinkel, konnten beide Fahrzeuge sowohl das Haupttor, als auch das davor und dahinterliegende Gelände, sowie das Gebiet im Durchmesser von insgesamt zehn Grad um das Haupttor unter Beschuss nehmen. Eine beachtliche Feuerkraft, bedachte man die Zielgenauigkeit, mit der die Panzerjäger die Energien ihrer Lasergeschütze auf ihre Opfer entfesselten.
Dass die Energie des Lasers bei den Gefechtsentfernungen von gut sieben Kilometern, welche die imperialen Panzerkampfwagen vom Eingang in der Außenmauer trennte, eine ganze Menge Energie an Zielgenauigkeit einbüßten und zudem auch noch maßlos Energie verloren, störte in diesem Fall weniger. Solange die Xenos keine Superschweren Panzer oder Kreaturen wie den Squiggofanten einsetzten, würden die Destroyer blutige Ernte unter den Angreifern halten – oder schrottige, je nachdem, an was man nun glaubte.
Schrottige Ernte
… Er nahm sich Zeit, über diesen Gedankengang zu lachen und machte sich dann auf den Weg zu den Kampffahrzeugen.
Bereits als er sich den Fahrzeugen näherte, erkannte er, dass sich diese Panzerjägerstellung von jeder anderen Abwehrstellung unterschied, die er jemals zuvor gesehen hatte.
Zwei schwere Generatoren saßen, auf einem Anhänger hinter einer abgedeckten Trojan-Zugmaschine platziert, gut versteckt zwischen den Bäumen und Hecken des Anwesens. Lange Starkstromkabel schlängelten sich gleich Tentakel zu den Panzerstörern hinüber und verschmolzen dort mit den gut verborgenen Steckdosen, welche die Hauptbatterien der Fahrzeuge speisten.
Ekko kannte sich nicht mit der Technik imperialer Panzerfahrzeuge aus – wer tat das schon, einmal abgesehen von den Techpriestern, die generell alles zu wissen schienen und auf alles eine Antwort hatten – aber er wusste, dass die Destroyer normalerweise als Selbstversorger vollkommen unabhängig von einer externen Energieversorgung agieren konnten.
Zusätzlich verwirrte ihn die eigenartige Felsenkonstruktion, unter der die Fahrzeuge verborgen lagen.
Nun gut, im Grunde sollte ihm egal sein, wie sich die Panzerjäger auf die kommende Schlacht vorbereiteten, solange sie es im Gefecht nicht an Effektivität mangeln ließen.
»Einen wunderschönen Abend«, begrüßte er einen Schatten, der sich just in diesem Moment von einem der beiden Panzer löste.
Die Person verharrte für einen Augenblick, versuchte die scheinbar körperlose Stimme zu identifizieren.
Erst spät erkannte der Mann Ekko und winkte ihn herbei. »Colonel Ekko? Passen Sie auf. Wir haben hier Kabel verlegt.«
Wie man an der Stimme erkennen konnte, war es Nurin.
»Wirklich?«, rief der Basteter zurück. »Ist mir gar nicht aufgefallen.«
»Das ist Starkstrom«, führte der Panzerkommandant aus, als sein neuer Vorgesetzter ihn schließlich erreichte.
»Herr auf dem Thron, da kann man sich ja verletzen!«, brummte Ekko, an den Captain gewandt. »Wofür brauchen Sie all diese komplizierten Todesfallen?«
»Mit den Kabeln können wir unsere Geschütze mit Energie versorgen, ohne unsere Motoren und Batterien zu verbrauchen und somit unsere Position zu verraten.«
»Ah, ich verstehe. Aber würde nicht ein einziger Schuss Ihre Position verraten, Nurin?«, versuchte der Colonel eine Schwachstelle im Plan des Panzerkommandanten zu offenbaren.
»Natürlich, Sir«, erwiderte der Captain unbeeindruckt. »Aber wer sollte zurückschießen? Während des Angriffs steht das ganze Gebiet hier unter einem Schutzschirm.«
»Ja, auch wieder wahr.«
»Zudem haben wir ja noch das hier.« Beinahe stolz wies der Desposianer auf das, was Ekko im ersten Augenblick für eine schlecht gehauene Skulptur eines Hügels gehalten hatte.
»Und was – beim Steiß aller von Rheuma geplagten Chaosdämonen – ist das?«, entfuhr es ihm.
Nurin bedachte ihn mit demselben Blick, den er erst vor kurzem bei Gireth selbst angewendet hatte. »Das nennt sich Tarnnetz, Colonel. Panzerfahrer verwenden so etwas des Öfteren«, erklärte der Panzerkommandant mit einer Spur von Ungeduld in seiner Stimme.
»Ich weiß, was Tarnnetze sind«, merkte Ekko an, als sei das eine Leistung, auf die stolz zu sein jeder hatte. »Aber wozu müssen Sie ihre Panzer unter einem zerrissenen Bettlaken verstecken?«
»Das dient der Sichtverschleierung«, erklärte Nurin, als sei es selbstverständlich. War es im Grunde auch.
»Aber warum?« Es wollte Ekko allerdings nicht in den Kopf, weshalb die Panzerleute ihre Kampffahrzeuge verbargen, wenn ihnen doch klar war, dass sie sich beim ersten Schuss verrieten – und sie das im Grunde gar nicht störte, das sie sich hier oben außerhalb der Reichweite aller orkischen Waffen befanden.
Irgendwie kam ihm allein der Gedankengang schon recht kompliziert vor.
Nun war es Nurin, der für eine Weile nachdenken musste. »Einfachste Tarnung ist die … ähm … einfachste Tarnung, Sir«, löste er das Geheimnis.
Schier überwältigt von der pragmatischen Weisheit, die hinter Nurins Worten stand, schüttelte der Colonel fassungslos den Kopf. »Ich bin begeistert.«
Er gab es auf, weiter nachzubohren. Irgendwie vermutete er in den Tiefen des aufziehenden Gesprächs ein ähnliches Missverständnis wie bei Itias und Gireth. Das wollte er gerne vermeiden.
»Wie ist die Lage?«, schwenkte er seine und Nurins Gedanken von den Panzern weg. Wenigstens lief er auf diese Weise nicht Gefahr, ein verstecktes Feuerwerk zu zünden.
In der Kommandantenkuppel des oberen Jagdpanzers erschien der Kopf eines anderen Soldaten. Der Mann musterte Nurin und Ekko kurz, dann salutierte er nachlässig und verschwand zurück ins Inneren des Fahrzeugs. Das Luk zog er über sich zu.
Nurin schürzte abschätzig die Lippen. »Schwer zu sagen Colonel. Die Moral meiner Männer ist niedrig. Wir haben so gut wie alles verloren. Und hier erwartet uns nur der Tod.« Seine Hand wies nachlässig auf die nahenden Xenis.
Ekko nickte, den nachdenklich auf die entfernt flammenden Lichter des Feindes gerichtet. »Ich verstehe, was Sie meinen. Mich verfolgt dieses Gefühl seit Jahren.«
Der Panzerkommandant lehnte sich schweigend an den Rumpf seines Fahrzeugs. Eine Weile verbrachten die beiden Männer auf die Weise. Leise säuselnder Wind umstrich sie, das letzte Aufbäumen einer inzwischen gefallenen Welt. In der Ferne grollten die anmarschierenden Streitkräfte.
Schließlich wandte sich Nurin seinem Kommandeur zu. »Sir, ich würde Sie gerne etwas fragen.«
»Was würden Sie tun, wenn ich ‚Nein‘ sage?«, fragte Ekko rhetorisch, doch die nicht kaschierte Abneigung im Ton des Captains alarmierte in seinem Innersten sämtliche Sinne der Vorsicht.
Der Desposianer beachtete die Frage nicht einmal. »Warum, Sir?«, verlangte er zu wissen. »Warum haben Sie das getan?«
»Ich habe was getan?«, hakte der Colonel nach. Er klang dabei so desinteressiert und abwesend, dass es nur gekünstelt sein konnte.
»Diesen verdammten Angriff«, knurrte Nurin. Der imperiale Offizier lehnte sich aggressiv in Richtung des ranghöheren Basteters vor und bedachte ihn mit einem finsteren Funkeln aus seinen Augen.
»Herr auf dem Thron«, seufzte Ekko und ließ den Kopf hängen. »Seit dieser Operation fragt mich das jeder.«
»Vielleicht, weil es keiner versteht«, ging der Captain seinen Vorgesetzten an. »Wie konnten Sie das tun?«
Ekkos Miene hellte sich auf. »Oh, das war ganz leicht«, erklärte er in der gespielten naiven Fröhlichkeit, endlich eine ausreichende Antwort geben zu können. »Ich habe dieses Frequenzmodulationsgerät verwendet, das allgemein als Funkgerät bezeichnet wird, und einen von der imperialen Armee akzeptierten Gefechtsbefehl gegeben, um den Vormarsch sämtlicher Truppen zu initiieren.«
Er lächelte freundlich, so als würde seine Erklärung sämtliche Fragen beantworten. Um sie herum frischte der nächtliche Wind auf. Die schweren Tarnnetze der Panzerjäger raschelten protestierend.
Nurins Verbitterung vertiefte sich zusehends. Ohne ein weiteres Wort funkelte der imperiale Captain den Colonel an, versuchte ihn mit der Macht der Stille niederzuzwingen. Es verging eine gefühlte Ewigkeit, in der sich die beiden Männer mit ihren Blicken maßen, bevor Ekko letztlich nachgab. Allerdings tat er es nicht, weil Nurins Blick ihn verstört oder gar bezwungen hatte. Nein, seine Gründe waren viel banaler.
»Also gut«, wischte er sämtlichen Blödsinn aus seinen Gedanken. »Dann stelle ich Ihnen einmal die Gegenfrage: Weshalb sind Sie nach der Vernichtung des Armeegruppe zur Himmelskathedrale geflohen? Woher wussten Sie, dass an diesem verfluchten Ort, dieser vom Gott-Imperator verlassenen Ödnis am Ende der Galaxie noch irgendein menschliches Lebenszeichen existierte?«
Vollkommen überrumpelt von dem abrupten Themenwechsel war es auf einmal Nurin, der sich in der Defensive wiederfand. Er versteifte sich merklich, so als erwartete er verrückte Fangfrage, bei der eine falsche Antwort den Tod bedeutete. »Ich wusste es nicht«, gab er zu. »Mir war nur die ungefähre Marschroute Ihres Regiments bekannt, daher habe ich auf einer Landkarte unsere Position und den daraus folgenden Kurs für ein Rendezvous berechnet, Sir. Es war ein Entschluss aus Logik und Gefühl zu beiden Teilen.«
»Sehen Sie?«, versuchte sich der Basteter zu erklären. »Nicht anders erging es mir bei meiner Entscheidung.« Natürlich war das eine Lüge. Ekko wusste das. Und selbst, wenn Nurin von den wahren Umständen keine Ahnung hatte, so schien er trotzdem die Unwahrheit in den Worten seines Vorgesetzten zu spüren.
Wieder funkelten die Augen des kompakten Mannes im seichten Mondscheinlicht wild. »Das stellt mich aber nicht zufrieden«, zischte er seinen Vorgesetzten an.
Ekko, der bereits mit einer derartigen Reaktion gerechnet hatte, wehrte den gegen ihn gerichteten Angriff entschieden und unnachgiebig ab. »Schlucken Sie es, Nurin«, unterband der Colonel jede weitere Bemerkung des Panzerkommandanten. »Es ist nicht meine Aufgabe, andere Leute zufrieden zu stellen. Dafür haben wir diese dick geschminkten Frauen im Tross.«
Von der abweisenden Bemerkung aus dem Konzept gebracht, bereitet der desposianische Captain einen weiteren Schlag gegen den Regimentskommandeur des 512. vor, den Ekko allerdings bereits vor der Ausführung mit einem entschiedenen Machtwort vereitelte.
»Ich habe weder die Zeit, noch die Lust, meine Entscheidungen mit Ihnen zu diskutieren, Captain Nurin«, betonte er den Rang des anderen. »Halten Sie sich an Ihren Auftrag und erledigen Sie Ihre Aufgabe.«
»Tun Sie dasselbe«, gab der Panzerkommandant bedrohlich zurück.
Ekko schnaubte vergnügt. »Wenn nicht, werden Sie es sicherlich bald merken.«
Er entließ den Panzerkommandanten – oder vielmehr sich selbst – mit einem gutheißenden Nicken aus dem Gespräch und trat den Rückweg an.

***

Nachdem er Nurin verlassen hatte, entschied Ekko, dass er seinen Weg in den äußersten Ring der Stadt nicht mehr fortsetzen wollte. Stattdessen bog er wieder in Richtung der Himmelskathedrale ab, deren erhabener Körper sich weit über die vom Mondlicht beschienen Schutzmauer erhob.

Kalter Wind strich wissend über das Gesicht des Offiziers, so als wenn seine Liebe ihre Finger in Eiswasser getaucht und ihn dann berührt hätte.
Er ließ sich von der eisigen Nachtluft umwehen und genoss deren kühlende Wirkung, während er zurück in den dritten Ring des Kathedralenstadt stapfte.
Gerade, als er die Schaugärten hinter sich gelassen hatte, entdeckte er einen stummen Zuschauer seines Aufstiegs.
Balgor lehnte an der arkanen Steinmauer des inneren Rings, den Blick ins Nichts gerichtet. Offensichtlich wartete er auf etwas, das aber nicht kam.
»Balgor«, sprach der Colonel ihn überrascht an, als er nähergekommen war. »Was machen Sie denn hier?«
»Woanders blöd sein«, erhielt er zur Antwort. »Haben Sie mich doch angewiesen.«
Ekko gab sich geschlagen, hob abwehrend die Hände. »Stellst du dumme Fragen, kriegst du dumme Antworten«, grummelte er. »Wieder ein Punkt für Sie.«
Die Miene des Captain hellte sich merklich auf. »Vielen Dank, Sir. Soll ich mir noch einen verdienen?«
»Mir gefällt nicht, wie das ‚Soll ich mir noch einen verdienen?‘ betonen.« Der Regimentskommandeur verzog das Gesicht. »Was gibt es denn dieses Mal?«
»Ich war gerade bei Doktor Calgrow«, begann sein Freund zu erzählen.
Ekko nickte. »Das klingt schon mal schlecht«, gab er zu.
Balgor ignorierte den Einwurf. »Del Mar befindet sich auf dem Weg der Besserung.«
»Ja«, bekräftigte sein Vorgesetzter. »Definitiv schlecht.«
Balgor lachte, als läge ihm nichts ferner, denn seinen Kommandeur noch weiter zu beschäftigen. Die unterschwellige Verzweiflung überhörte Ekko jedoch nicht.
»Ja, das hat mich auch sehr begeistert«, gestand sein Gegenüber. »Aber jetzt – halten Sie sich fest, Chef – was uns Calgrow bisher nicht gesagt hatte, war die Tatsache, dass Del Mar noch einen Kommissar und eine Sororita mitgebracht hat.«
Ekkos Miene brach in einer Mischung aus ehrlichem Erstaunen und Entsetzen. »Was?!«, brachte er schärfer hervor als gewollt und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. »Noch einen Kommissar und noch eine Sororita?!«
»Ja«, bestätigte der imperiale Captain. »Irgendein Kommissar Reit von der 108. Straflegion, die der Armeegruppe als Pionier- und Minensucheinheit zugewiesen war. Neben einem jungen Soldaten übrigens das Einzige, was vom gesamten Tross und den begleitenden Munitorumseinheiten übrig geblieben ist.«
»Na, Dank sei dem Gott-Imperator!«, pries Ekko die Worte seines Freundes und Untergebenen. »Ich möchte mir nicht ausmalen, was ich gemacht hätte, wenn der Haufen noch dabei gewesen wäre – mitsamt Aufsehern.«
Balgor grinste wölfisch.
»Herr auf dem Thron!«, klagte der Colonel. »Warum tust du mir das an?« Er lenkte seine Aufmerksamkeit zurück auf den Captain ihm gegenüber. »Und was ist mit der Sororita?«
»Ich habe keine Ahnung«, gestand der. »Sie hat wohl den Kommissar abgeliefert und geistert nun durch die Stadt.«
»Warten Sie mal, bis die mit Sile zusammentrifft«, dachte Ekko die Situation weiter. Was seine Fantasie aus dieser Überlegung erschuf, machte ihn nicht unbedingt glücklicher. »Das gibt ein Feuerwerk.«
»Oh, ja.« Sein Untergebener zuckte die Achseln. »Carrick weiß es noch nicht.« Er zögerte kurz, in eine Starre der Überlegung verfallen. »Glaube ich zumindest. Die Frage ist, was tun wir, wenn er es erfährt.«
»Ich kann nicht ohne Del Mar handeln«, erklärte Ekko. »Und mit diesem Kommissar kann ich auch nichts anfangen. Wir müssen ihn zu irgendeiner Untereinheit abschieben, damit er mir nicht im Weg steht.«
»Das klingt gut«, stimmte Balgor zu. »Aber wohin sollten wir ihn versetzen?«
In einer theatralischen Geste riss der Regimentskommandeur die Hände in die Höhe. »Mir egal. Hauptsache, weit weg von mir.« Er hielt sich den Kopf. »Haben Sie diesen Reit schon gesehen oder kennengelernt?«
»Nein, Sir. Bisher noch nicht.« Der Captain runzelte nachdenklich die Stirn. »Ob er groß in unsere Operation einwirken wird?«
Bestimmt schüttelte Ekko den Kopf. »Nein. Das lasse ich nicht zu. Und wenn ich ihn dafür zu Sile schleifen muss. Um den soll sich gefälligst jemand anderes kümmern.«
Er atmete tief ein und entkrampfte seine zu Fäusten geballten Hände. Merkwürdig. Wann hatten sie sich so dermaßen verkrampft?
Ein tiefen Seufzer ausstoßend gab er die Wut auf den Gott-Imperator und das Universum fürs Erste auf. »Also gut. Ich werde mich morgen früh darum kümmern«, entschied er.
Balgor nickte. »Wie Sie meinen, Chef. Aber warten Sie nicht zu lange.« Er nickte in Richtung der nahenden Front. »Die Grünen sind auf dem Vormarsch.«
Ekko, bereits halb durch das Tor in der Mauer getreten, winkte müde ab. »Ich weiß, ich …«
Durch einen Körper in seinem Weg unterbrachen brach er ab und sah auf.
Leitis Sile stand ihm gegenüber, die Augen überrascht aufgerissen. Das war doof.
Er musterte sie einen Moment länger, dann drehte er sich um und ging den Weg möglichst unauffällig zurück. Vielleicht hatte sie ihn noch nicht entdeckt oder erkannt.
Beachten Sie mich gar nicht, Prioris. Ich bin nicht hier, Sie haben mich nicht gesehen und werden mich deswegen auch nicht ansprechen.

Doch Sile zerriss seine Hoffnung zielgerichtet.
»Colonel«, hielt ihn die Sororita eilig auf, bevor er sich hinter eine Säule, Mauerecke oder ein Luftmolekül retten konnte. »Weichen Sie mir aus?«
Er wandte sich ihr wieder zu. »Öhm … nö. Warum sollte ich?«
Eine Spur Traurigkeit färbte ihre Stimme, als sie näher trat. Das fahle Mondlicht präsentierte Ekko ein verdächtiges Glitzern in ihren Augen. »Seitdem wir aus den Ebenen zurück sind, scheinen Sie sich von mir fernhalten zu wollen.«
»Nein«, wiederholte er. »Sie müssen sich irren.«
Sile kam noch näher heran. Nun stand sie so dicht vor Ekko, dass ihn ihr jungfräulicher Duft einfing und er glaubte, die erkaltete Luft ihrer Aura um sich zu spüren.
Eigentlich hätte er jetzt nur nach vorne reichen müssen und wäre in der Lage gewesen, sie vollständig zu umfassen.
Dass sie lediglich eine einfache Robe trug, die darüber hinaus in der Dunkelheit wie ein etwas festeres Nachthemd wirkte, machte es auch nicht gerade einfach, ihr standhaft ins Gesicht zu sehen.
Leise Schritte brandeten auf.
Balgor erschien, die Hand unauffällig auf das Gürtelhalfter seiner Laserpistole gelegt, wie aus dem Nichts an der Seite seines Vorgesetzten.
Schmerzen der Erinnerung schossen in Ekkos Gedächtnis. Er erinnerte sich an die wütenden Sororitas, Prioris Kortessa, die seine Liebe fest im Griff hielt und den furchtsamen, wissenden Blick seiner Frau. Damals hatte ihm Balgor ebenfalls beigestanden, wenn auch nur als einfacher Soldat.
Natürlich ließen sich die Situationen damals und heute in keiner Weise vergleichen, denn die Bedrohung, die ihm damals den letzten Funken Hoffnung genommen hatte, bestand dieses Mal nicht.
Allerdings empfand er ähnlich. Die Verlorenheit. Die Einsamkeit. Die Furcht vor der Zukunft ohne den Gegenpol in seinem Leben. Der Hass auf den Imperator, der ihm das Liebste genommen hatte. Und natürlich die Wut auf das Adeptus Sororitas, die Todesengel des Imperators.
Jetzt, wo er wieder daran dachte, wurde ihm bewusst, dass er sich nach wie vor mit dem ernsten Blick der Prioris konfrontiert sah, die bereits einige seiner Barrieren durchschmolzen hatte und versuchte, sein Innerstes zu erreichen, um dort nach dem Kern für sein Verhalten zu suchen.
Schnell reparierte er seine gebrochene Maske.
»Was verbergen Sie?«, fragte Sile.
»Nichts«, beharrte er abwesend. »Sie müssen sich irren.«
Schwerfällig schob er sich an der imperialen Schwester vorbei, bevor er sich ein letztes Mal umwandte. »Ruhen Sie sich aus, Schwester. Sie natürlich auch, Captain. Sie werden Ihre Kräfte spätestens Morgen benötigen.«
Dann ging er.

***

In dem Moment, als der Schatten seines Vorgesetzten in der Dunkelheit hinter dem Torbogen verschwand, löste sich auch die Anspannung aus Captain Balgors Körper.
»Wo ist er gewesen?«, fragte Sile den imperialen Offizier, bevor auch er sich in die Finsternis der Nacht retten konnte.
Im Gegensatz zu Ekko machte Balgor jedoch keine Anstalten, sich urplötzlich ins nächste Gebüsch zu schlagen und dort mit dem Untergrund zu verschmelzen, um ihren Fragen auszuweichen.
»Das weiß nur er allein«, erklärte der dunkelhaarige Mann und strich sich durch den gepflegten Bart. Es folgte ein knappes, kaum erkennbares Schulterzucken.
»Hat er ein Problem gelöst?«, bohrte sie weiter. Sie kannte Ekko zwar erst einige Tage, doch in dieser Zeit hatte der imperiale Offizier eine tiefe Verehrung in ihr geweckt, die sich nur mit der Verehrung an eine Prokura oder Principalis vergleichen ließ.
Höchstwahrscheinlich wäre er eine wirklich gute Ordens- oder Konventsmutter geworden.
»Colonel Ekko löst keine Probleme«, bemerkte Balgor mit einem finsteren Lächeln auf den Lippen. »Er duelliert sich so lange mit ihnen, bis sie von selbst aufgeben.« Seine wegwerfende Handbewegung wäre nur im ersten Moment falsch zu verstehen gewesen.
»Das verstehe ich nicht«, gab sie zu, eine Aufforderung an ihn, die Bemerkung weiter auszuführen.
Balgor lachte leise. »Das glaube ich Ihnen, Schwester.«
»Was ist das Besondere an ihm? Was gibt ihm diese Kraft?«, wollte sie wissen. Eine Frage, die sie bereits seit ihrem ersten Treffen mit dem Colonel faszinierte und beschäftigte. Wo fand der imperiale Regimentskommandeur die Kraft, die Energie, um all die Dinge zu vollbringen, die er vollbrachte. Der Captain schien seinen Vorgesetzten bereits sehr lange zu kennen – auf jeden Fall erhielt man diesen Eindruck, wenn man die beiden miteinander reden oder arbeiten sah. Vielleicht konnte er ihr erklären, wie Ekko all das vollbrachte, was er tat.
Als sie zu Balgor sah, konnte sie sehen, dass der Captain nachdenklich geworden war. Seine dunklen Augen fischten in den Tiefen seiner Erinnerungen lange nach einer Erklärung, bevor er schließlich in die Realität zurückkehrte.
»Die Männer … wir nennen ihn ›Stargazer‹«, erklärte Balgor der Sororita, als sie verfolgten, wie die schemenhaften Formen des anderen Offiziers langsam ins geisterhaft schimmernde Mondlicht zurückkehrten, während er den Gipfel des Hügels erklomm.
»Stargazer?«, wiederholte sie. »Warum das?«
Nachdenklich ließ der Captain seinen Blick über die Flanke des Hügels gleiten, dessen steile Steigung in den unteren Ebenen der Kathedralenstadt immer weiter abflachte. Schließlich verfolgte er die näherkommenden Lichtreflektionen, denen zeitweilig grummelndes Donnern folgte. »Jeden Abend, seitdem ich ihn kenne, geht er mit seinem Datenblock von uns weg und bleibt dann eine Stunde lang fort«, sagte er.
»Und was macht er?«, wollte sie wissen.
»Er sieht in den Himmel.«
Sile wandte sich dem Captain zu, der sie mit einem ernsten Blick bedachte. »Er tut was?«
»Er sieht in den Himmel«, sagte er nochmal. »Und er erinnert sich an alle, mit denen er noch eine Rechnung offen hat und schwört ihnen, dass er sie finden und vernichten wird.«
Mit großen Augen starrte Sile den Offizier an. Das hatte sie wirklich nicht erwartet, auch wenn sie es nicht unbedingt als unmöglich erachtete. Ekko gehörte zu einer Sorte von Menschen, denen das pragmatische, analytische Denken genauso lag wie die ausschweifende Fantasie mancher Televid-Autoren.
Er konnte sich einfach in jede Lage versetzen, sie in all ihren Aspekten beleuchten und von allen Seiten betrachten, bevor er sie zerlegte und sich Stück für Stück eine Gegenlage entwickelte, bis er jeden Plan des Feindes bedacht und entsprechend negiert hatte.
Eine wirklich großartige Gabe, mit der er wohl einen Großteil der imperialen Kommandeure ausstach.
Doch viel wichtiger war: Ekko schien in der Kunst psychologischer Kriegsführung geschult zu sein, möglicherweise sogar auf die Abwehr psionischer Angriffe. Er ließ sich kein Geheimnis, keine Informationen entlocken, wenn er nicht selbst bereit war, seinem gegenüber etwas preis zu geben.
Und er besaß Charisma. Nicht das Charisma eines Offiziers, sondern das eines Anführers, das einer wahren Hingabe. Eben jene Art von Ausstrahlung, der man sich nicht entziehen konnte.
Eine Ausstrahlung, bei der sogar eine willensstarke Frau wie sie bisweilen schwach wurde. Eigentlich war es unbegreiflich, dass er in seinem Leben bisher keine willige Partnerin gefunden hatte, um mit ihrem Nachkommen für den Imperator zu zeugen.
Ihr zumindest wäre es eine Ehre gewesen, sich mit ihm zu vereinigen, um so dem Imperium – und vor allem dem Imperator einen wahren Dienst zu leisten.
Natürlich konnte der Colonel der ungebändigten Übermacht eines Astartes nichts entgegensetzen, aber das glich er durch Intelligenz und Entschlossenheit aus.
Diese vollkommen neue Seite an ihm zu finden, nahm man einmal an, dass Captain Balgor die Wahrheit sagte, überraschte und beflügelte sie zugleich auf eine Weise, die sie selbst nicht verstand.
Als junge Progena wäre sie nun aufgesprungen, um dem Colonel nachzulaufen, ihn wild zu küssen und ihm zu Diensten zu sein in der Hoffnung, dass er der Vater ihres Geschenkes an den Imperator wurde.
Jetzt allerdings, im Angesicht des Captains, kämpfte sie ihre Gefühle nieder und zwang sich, eine distanzierte Haltung zu wahren – selbst ob des Schwarms aus Schmetterlingen, der in ihrem Magen tanzte.
»Ich sehe«, stellte sie nüchtern fest, »dass ich Colonel Ekko unterschätzt zu haben scheine.«
»Sein Sie froh«, riet ihr der dunkelhaarige Basteter. »Andere hauchen diese Feststellung mit ihrem letzten Atemzug aus.«
Der Wind frischte auf. Eine kleinere Erinnerung daran, dass er derjenige war, der als letzter auf dieser Welt etwas aushauchte.
Balgor verschränkte die Arme. »Aber sind wir nicht alle Stargazers?«
Sile bedachte ihn mit nachdenklichen Blicken. »Wie meinen Sie das?«
»Jeder von uns hier ist doch nicht das, was er zu sein scheint, oder? Ich meine: Sie, ich, Retexer, und all die anderen. Jeder von uns hat Wünsche, Träume und Sorgen, die er irgendwo zwischen den Sternen sucht.«
Die Prioris verstand. »Da haben Sie wohl recht, Captain.«
Sie kannte derlei Gefühle ebenfalls. Ihr Dienst für den Imperator, die einzige Aufgabe ihres Lebens, hatte sie bisher immer von ihrem einzigen Wunsch, ihrem Lebenstraum, abgehalten: einmal im Leben nach Terra zu fliegen und an den Goldenen Thron des Imperators zu gelangen, um den großen Hüter der Menschheit zu waschen und zu salben. Und ihre einzige Sorge bestand darin, dass ihr dieser Wunsch niemals erfüllt würde, dass sie vor seiner Erfüllung starb (was natürlich auch ein wahrer Dienst gewesen wäre, aber eben nicht so schön wie …).
Balgor zuckte die Achseln, als sie ihm weitere Antworten schuldig blieb. »Außer natürlich der Colonel. Der hat vermutlich nur den Wunsch, möglichst schnell zu verscheiden.«
Sile wirbelte herum, funkelte den Captain an. »So etwas würde er niemals tun!«, stellte die Schwester wie ein wütendes Kind klar, dessen Lieblingshaustier beschuldigt wurde, ein Vogelnest zerstört zu haben. »Colonel Ekko ist ein wahrer Kriegsheld«, fügte sie, in voller Bewunderung für den Basteter, an.
Der Captain wirkte nicht ganz so überzeugt. »Den Schaden hat er schon mal. Aber ob das in seinen Augen für einen Kriegshelden reichen würde?«
»Eigentlich müsste ich Sie für diese Blasphemie töten!«
»Ich weiß«, brummte Balgor missmutig. »Aber dann wäre die Geschichte ja zu Ende.«
Daraufhin schwiegen sie. Während Balgor die unverhoffte Stille genoss, suchte Sile sichtlich angestrengt in ihrem Geist nach der Person, der sie dieses Zitat zuordnen konnte.
»Dasselbe habe ich bereits von jemand anderem gehört«, überlegte sie laut. »Ich kann mich nur nicht mehr erinnern, von wem.«
Balgor lächelte. »Das ist vermutlich auch besser so – für Sie und ihn.« Er nahm Haltung an, salutierte nachlässig und ließ die Prioris mit ihrem Gedanken allein.
 
Hey Meister,

kurze Resonanz eines stillen Mitlesers:
Wurde anfangs mit deiner Geschichte nicht so recht warm, mir gefiel dieser widersprüchliche Ekko einfach nicht...trotzdem musste ich immer wieder mal ein Stückchen lesen und ehe ich mich versah, hing ich daran fest (lief wie bei so ziemlich jeder brauchbaren Geschichte im Board, die irgendwann zur Sucht wurde 😉).
Mir gefällt dein Schreibstil, insbesondere die Gefechte stellst du spektakulär dar, ohne dass ich bei den Details den Überblick verliere.
Keep on rollin' baby! You know what time it is...
 
Salve Potty,

Schön, dass auch ein stiller Mitleser ein paar Worte verloren hat. Ich freue mich über jede Rückmeldung.

Kontroverse Charaktere scheine ich wohl eine ganze Menge zu haben ;-D Ich weiß nicht, wie oft jemand mir schon unterschiedliche Meinungen zu verschiedenen Charakteren gegeben hat. Ekko gehört da, neben Rahael und Sile zu den Favoriten, da sie offensichtlich als besonders verschroben gelten.
Mir ist natürlich klar, dass nicht jeder Charakter jedem gefallen kann. Es freut mich trotzdem, dass du dich dennoch in der Story verfangen hast. Das zeigt, ja, dass irgendwo was richtig gemacht habe.

Was die Schlachten angeht, habe ich bei Stargazer offensichtlich den richtigen Ton getroffen. Frag mich nicht, warum, aber ich bin selbst jedes Mal überrascht, wie gut sich die Ereignisse einer Schlacht erzählen lassen, wenn man sie einfach passieren lässt und sich gar nicht vornimmt, ein bestimmtes Ziel zu erreichen.

Derzeit wird es wohl eher schleppend vorangehen, aber das nächste Kapitel kommt ... bestimmt ... irgendwann ... einmal ...

Alles Vale

SMN
 
Mittlerweile bin ich sogar mit Ekko warm geworden...mir gefällt es sogar dass du englische Dienstgrade verwendest...allgemein stichst du einfach erfrischend aus der "Menge" der 40k Geschichten/Romane heraus, jedoch auf eine ganz andere Art als zB. "Das Schwinden". Da ich momentan in der (begeisternd) ernsten HH Reihe stecke, freue ich mich jedesmal auf eine Fortsetzung, da ich so parallel eine etwas andere Sichtweise auf das 40k Universum habe.
 
So, ich hau auch mal ne Lesebestätigung für die Muse und dich raus 😉

Master bin ich jetzt, trotzdem les ich die Geschichte weiter gerne, das Ding ist einfach fesselnd. Frag mich nicht warum, aber es liest sich wirklich gut.
Bin gespannt, wo es mit der Schwester und dem Colonel noch hinführt, würde als alter Space Marine Spieler aber auch gerne noch mehr über die Astartes lesen, streng genommen müssen die ja die gute Schwester noch in die Tasche stecken. Andererseits passt es, das du sie nur als bedrohliche Randfiguren zeigst... Kann auch so was.

Anyway, ich freu mich auf die Fortsetzung!
 
Salve,

Master bin ich jetzt,

Öhm - wie meinst du das?

Ansonsten: Danke für die Blumen - ich bin derzeit daran, das nächste Kapitel neu zu strukturieren und umzuschreiben, damit es passt. Ich bemühe mich natürlich, einen maximalen lesegenuss zu bieten *lach*, daher werde ich mich bemühen, weiterhin ein einigermaßen hohes Level zu halten.

Mit den Astartes ist notiert. Die werden demnächst wieder eine wichtigeres Rolle erhalten!

Alles Vale

SMN
 
Seid gegrüßt

Ich habe deine geschichte in einem aufwaschen gelesen und..wow ich persönlich finde sie wirklich sehr gut. Sie fesselt, die kämpfe laufen eher nebenbei aber so das man genau weiß was passiert, die charaktere sind unheimlich gelungen (obwohl der schwarzkappler ein echtes weichei war ;-) und lesen lässt sie sich einfach top. Ich bitte dich ganz innig um MMEEEHHHRRR

mfg

III schweres Duniash