Salve, liebe Stargazer-Leser,
so, endlich geht es weiter!
Das nächste Stargazer-Kapitel ist da!
Wie immer danke ich Nakago für seine kurze Fluff-Kontrolle und wünsche viel Spaß beim Lesen.
Alles Vale
Das Grauen rückte näher.
Es klang wie eine abgehende Lawine, entfernter Donner eines Crescendo aus tausenden Füßen, Motoren, Rüstungen, Rädern und Ketten, die in breiter Front auf sie zu marschierten.
Der Horizont flackerte wie von einem Waldbrand erleuchtet.
Ekko trotzte dem geheimnisvoll und gefährlich anmutenden Spektakel, maß die anrollende Flut mit kritischen Blicken. Er versuchte sich auszumalen, in welcher Größenordnung der Feind auf die Mauern der Kathedrale prallen würde.
Eigentlich das Einzige, was ihm nun noch zu tun blieb. Die Würfel waren gerollt, die Wetten platziert worden.
Und man konnte nicht sagen, dass sie als Sieger gehandelt wurden. Wenn er ehrlich sein sollte, musste er zugeben, dass selbst er keine Perspektive mehr sah. Mit der Vernichtung von General Iglianus Armee fehlten ihnen einfach die Truppen und Mittel, um sich gegen die Wand aus Verwüstung zu stellen, die sich unaufhaltsam auf sie zuschob.
Der Feind besaß einmal mehr sowohl die taktische, als auch die strategische Initiative, mehr Truppen, Fahrzeuge und Waffen als seine Leute.
Es gab kein Wunder, das diese Bedrohung vergessen oder ungeschehen hätte machen können.
Zudem spürte er nun endlich die so verzweifelt ersehnte Müdigkeit einsetzen. Kurz nach dem Gespräch mit Nurin hatte ihn die überwältigende Ermattung angefallen und sich in seinem Geist verbissen.
Sie saß auf seinen Schultern, schmiegte sich eng an ihn und benebelte ihm Kopf und Sinne.
Ekko wusste im ersten Moment nicht, wie ihm geschah, als sämtliche Anspannung und Energie aus seinem Körper entwich.
Es fühlte sich an, als hätte die kurze Diskussion mit Nurin eine verklemmte Last aus dem Innern seines Geistes gelöst, die ihn die ganze Zeit über wach gehalten hatte. Nun kehrte die Leere einer tiefen Erschöpfung ein, erinnerte den Basteter daran, dass auch er in erster Linie noch ein Sterblicher war.
Plötzlich fühlte er sich schwach und einsam. Eigentlich wollte er sich einfach hinlegen und den Rest seines Lebens schlafend verbringen.
Aber, so paradox es schien, wieder einmal fand das Universum einen Weg, ihm einen Stich durch seine Rechnung zu machen (wobei man Strich mit etwas gutem Willen bereits als Balken klassifizieren konnte).
Er fand einfach keine Gelegenheit, seinen Körper und seinen Geist zur Ruhe zu betten. Dafür schwirrten zu viele Gedanken in seinem Kopf umher. So blieb dem Colonel nichts anderes, als rastlos durch die Nacht zu streifen und zu hoffen, dass sich seine Gedankenwelt an irgendeinem Baum oder einem Mauervorsprung verfing, um sich so von ihm zu lösen.
Aber irgendwie kam es ihm nicht so vor, als wenn der Imperator oder das Universum ihm diesen Gefallen tun würden.
Und zu versuchen, sie vom Dach der Kathedrale zu werfen, kam ihm im Augenblick auch nicht sonderlich intelligent vor.
Leise, seichte Schritte näherten sich. Ekko wandte sich um.
Es war die alte Ekklesiarchin. Er hatte die Frau mit dem langen, schlohweißen Haar bereits einige Male gesehen, seitdem sie Krood und den Kasrkin im Beinhaus begegnet war, doch sich immer auf Abstand zu ihr gehalten.
Die Ekklesiarchie war nun einmal nichts, mit dem Galardin Ekko noch viel anfangen konnte oder wollte.
Und wäre dies eine normale Begegnung an einem normalen Tag gewesen, er wäre aufgestanden und gegangen.
Allerdings war dies kein normaler Tag – und er fand auch nicht die Lust, aufzustehen und ein Spielchen mit der Dame zu treiben.
Es war ihm schlichtweg egal.
Kurz darauf erreichte ihn die alte Frau und stellte sich an seine Seite. »Sie wirken so ernst«, sprach sie ihn an.
Er nickte. »Vielen Dank. Auch Ihnen wünsche ich einen guten Abend.«
Die Ekklesiarchin lächelte ein dünnes Lächeln, das so spartanisch und vorsichtig über ihre Lippen kam, dass es nur von einer Person stammen konnte, die ihr Leben lang nicht mehr besessen hatte als den Glauben zum Imperator. Deren Leben aus Gebet und Selbstkasteiung bestand – also Dingen, von denen Galard Ekko nicht die geringste Ahnung hatte.
»Also«, wiederholte sie. »Weshalb sind Sie so ernst?«
Obwohl sein Geist ihm riet, ihr irgendeine zynische Antwort entgegenzuschleudern, sah er keinen Grund, weshalb er ihre Frage nicht beantworten sollte. Mit einer ausholenden Handbewegung schloss er die Kathedrale in seine Worte ein. »Ich frage mich, wie lange wir dem Ansturm der Orks standhalten können. Meine Leute werden schreckliche Verluste erleiden.«
»Das ist nun einmal die Wirklichkeit, Colonel.«
Er zuckte desinteressiert die Schultern. »Ich lehne Ihre Wirklichkeit ab. Ich nehme lieber meine eigene.« Einige Zeit lang ließ der imperiale Offizier den scharfen Wind das Gewicht seiner Worte unterstreichen, bevor er sich entschloss, einen Punkt anzusprechen, der ihn bereits seit einiger Zeit interessierte, den anzusprechen er aber bisher keine Gelegenheit gehabt hatte. »Ich habe da allerdings eine andere, brennende Frage.«
Die Ekklesiarchin wandte sich ihm zu. Ihr langes, zerschlissenes Gewand raschelte leise.
»Wussten Sie, dass die Space Marines Kernwaffen unter der Stadt positioniert hatten, als meine Männer Sie fanden?«, wollte Ekko wissen.
Sie nickte lediglich. Mehr war auch nicht nötig. Die sorgenvolle Miene, mit der sie ihn bedachte, reichte vollkommen, um dem Colonel aufzuzeigen, dass er mit seiner Vermutung vollkommen richtig lag.
»Herr auf dem Thron«, seufzte er. »Und wir sind mittenrein und haben den Kram abgebaut.« Die bittere Verwünschung, die bereits auf seinen Lippen lag, verkniff er sich im Angesicht der Heiligen Mutter.
»Natürlich war es für die Imperiale Armee wichtig, diesen Ort zu sichern und ihre Operationsbasis hier aufzubauen.« Er schlug sich mit der Faust in die offene Hand. »Hätte ich gewusst, was noch alles passiert, hätte ich diesen Ort in die Luft gesprengt und wäre heim geflogen.«
»Aber Sie haben es nicht getan.« Die Augen der alten Frau blitzten. »Das ist der Stoff, aus dem Legenden sind«, erinnerte sie den Offizier.
»Höchstens Idioten.« Ekko lachte auf und winkte ab. »Legenden gibt es nicht – ebenso wenig wie Helden. Die Menschen schaffen sich ihre Legenden, weil sie hoffen, dass es Dinge im Universum gibt, die im Gegensatz zu allem Schlechten stehen.«
»Dem Erzfeind?«
»Nein, nicht dem Erzfeind. Ich meine im Allgemeinen. Nehmen Sie mich als Beispiel. Es gibt bestimmt hunderte Heldengeschichten, die über mich kursieren. Aber was ist nun, wenn ich Ihnen sage, dass ich mich nur umbringen wollte? Wie sehen Sie die Sache dann? Was genau macht mich jetzt zur Legende? Zum Helden?
Ist das nicht eigentlich nur der Wunsch der anderen zu glauben, dass ich nicht versucht habe, mich selbst zu töten, sondern einzig und allein vorwärts gestürmt bin, um mich meinen Männern voran in den Kampf zu werfen und das Blatt der Schlacht zu wenden? Ist es nicht viel eher so, dass all die Geschichten nur dem Zufall entsprungen sind, durch den ich überlebte und für den ich das Universum und den Gott-Imperator Tag meines Lebens verfluchen werde?«
Die Ekklesiarchin dachte lange darüber nach. Als sie auf sah, stand in ihrem Blick ein nicht zu definierender Schmerz. »Damit mögen Sie recht haben. Aber sind Sie wirklich so traurig und verbittert, dass Ihnen nur diese eine Ansicht der Dinge geblieben ist, Ekko?«
Ein wehleidiges Lächeln quälte sich über die Lippen des Offiziers. »Es konnte mir bisher niemand das Gegenteil beweisen.«
»Dieser jemand wird kommen, Colonel. Irgendwann – und er wird Sie erlösen«, versprach sie. Sie meinte es ehrlich, das konnte er aus der Art schließen, wie sie ihn ansah. Herr auf dem Thron, vermutlich legte diese Frau sogar noch ein Wort in ihrem Nachtgebet für ihn ein.
Er ließ die Worte einfach an sich abprallen. »Ich hoffe ja noch immer auf eine sie.«
Für eine Weile schwiegen sie, betrachteten den schwarzen Nachthimmel, dessen Sterne sich langsam, aber allmählich vor der nahenden Streitmacht der Xenos zurückzuziehen begannen.
Schließlich entschied die Ekklesiarchin, den Faden ihres Gespräches wieder aufzunehmen.
»Wie ich Sie einschätze, warten Sie darauf, dass bald das große Schwinden einsetzt und das Imperium einen langsamen, aber qualvollen Tod stirbt.«
»Wenn Sie mich so einschätzen«, erwiderte er.
»Das Schwinden wird kommen«, prophezeite die alte Frau. »Es ist bereits im Gange.«
Es gelang ihm, ein Lachen aus seiner Kehle zu pressen, obwohl die Weise, mit der die Frau das Ende des Imperiums prophezeite, ihm kalte Schauer über den Rücken jagte. »Das Schwinden? So, wie meine Truppen gerade schwinden?«
»Nein. Gegen dieses Schwinden wird Ihr eigenes nahezu lächerlich anmuten.«
Aus der Ferne grollte dumpfer Donner heran, bedeckte den Lärm, den die imperialen Truppen in der Makrostätte der Kathedralenstadt produzierten.
Ekko ließ sich von der rumorenden Warnung berühren, genoss das schaurige Zittern, das unter seinen Füßen gleich einer Welle durch den Boden zog. Als er sich der Ekklesiarchin zuwandte, konnte er sehen, wie sehr sie die brutale Geräuschkulisse verschreckte und verunsicherte.
»Es gibt Leute, die diese Worte als Häresie auslegen könnten«, gab er zu bedenken.
»Fraglos«, stimmte sie zu. »Das allerdings wird die Wahrheit nicht ungeschehen machen.«
»Na, da bin ich aber beruhigt«, warf er ihr sarkastisch entgegen. »Doch das hat noch etwas Zeit, oder?«
»Ja, das hat noch etwas Zeit.«
»Gut. Im Augenblick interessiert mich nur das Schwinden meiner eigenen Truppen.«
Wieder grollte Donner aus der Ferne heran, stritt mit dem Wind der Höhe um die Vorherrschaft auf dem Plateau, dem Dach der Himmelskathedrale.
Der finstere Unterton steter Bedrohung begleitete ihn dabei wie das schleichende Gift, das von Zeit zu Zeit Leitis Siles erfrischende Stimme tränkte.
Zeit, den Rückzug anzutreten.
»Nun gut«, brummte der Basteter gedankenverloren. »Ich denke, ich werde mich in die Abgeschiedenheit meines Bettes begeben. An diesem Ort hat findet man wohl sonst keine Ruhe vor dem Sturm.« Er wandte sich der Ekklesiarchin zu, verabschiedete sich mit einem angedeuteten Salut und verschwand dann schnellen Schrittes in das tröstende Dunkel der Nacht.
Die geflüsterte Antwort der Frau bekam er bereits nicht mehr mit: »Dieser Ort kennt keine Ruhe vor dem Sturm, Colonel.«
Es war still geworden in der Kommandozentrale.
Mit dem Ende der Besprechung hatte hier wieder die ruhige, von den Echos ernster Konzentration durchsetzte Atmosphäre vollkommener Professionalität eingesetzt, in der Haestian Carrick normalerweise vollkommen aufging.
Allerdings fand er gerade in diesem wichtigen Moment nicht einmal ansatzweise dahin zurück. Stattdessen fühlte er eine unerträgliche Unruhe in seinem Geist, die sein Denken im Griff hielt und ihn in beinahe regelmäßigen Abständen entweder zum Plot oder zu den Funkern blicken ließ, die an ihren Geräten saßen und auf Kontakt- oder Gefechtsmeldungen warteten.
Doch nach wie vor wussten weder die Menschen, noch das flimmernde Bild des holografischen Plots etwas zu berichten, das in diesem Augenblick für ihn oder Colonel Ekko von Interesse gewesen wäre.
Carrick seufzte richtete sich auf.
Tatsächlich wollte es ihm so vorkommen, als wenn sich das Wesentliche des Kampfes – also der Feind und die eigene Koordination – bewusst verborgen hielten, um ihm als Stellvertreter seines Kommandanten eine stete Sorge zu bereiten. Um ihn zu zwingen, seine Gedanken immer wieder umherirren zu lassen und sich zu fragen, ob sie alle Gefahren und Möglichkeiten der Verteidigung ausgeschöpft hatten.
Er wusste, dass es so war – auf jeden Fall fast. Ihr Problem mit der Sicherung der mächtigen Katakomben hatte sich noch immer nicht lösen lassen, was wohl auch eher an dem unangenehmen Faktum lag, dass ihnen keine Truppen mehr zur Verfügung standen, die eine solche Sicherung hätten vornehmen können.
Und auch die Mittel zur Verminung, zum Erstellen improvisierter Sprengladungen, gingen ihnen so allmählich aus – zumindest die konventionellen. Seitdem die Truppen des 512. die Kernwaffen der Space Marines deaktiviert und diese von den ehernen Hünen zurück in den Kern der Himmelskathedrale gebracht worden waren, schwieg sich der Colonel über die weitere Nutzung der zwölf Atombomben aus, die nun unter seinem Kommando darauf warteten, doch noch in Aktion treten und den Himmel Agos Virgils erleuchten zu dürfen.
Carrick hätte das Thema seinem Regimentskommandeur gegenüber gerne noch einmal angesprochen, aber er nahm nicht an, dass der andere Offizier sich auf noch eine Diskussion einlassen, geschweige denn eine plausible Erklärung geben würde.
Tatsächlich hatte sich der Colonel seit ihrer Ankunft hier extrem gewandelt. Er war finster geworden, verschlossen und abweisend. So, als würden ihn Geister der Vergangenheit heimsuchen und ihn zwingen, sich von all dem hier zu distanzieren, nur um in den Schmerzen der Erinnerung zu ertrinken.
Carrick kannte seinen Kommandeur noch nicht besonders lange, nur wenige Monate, aber er hatte bereits gelernt, die unorthodoxe Art des Vorgesetzten zu akzeptieren.
Doch seit dem Erreichen der Himmelskathedrale verstand er den Mann nicht mehr. Konnte es sein, dass Colonel Ekko das Betreten dieses heiligen Ortes mit seiner Seele und seinem Verstand bezahlt hatte?
Er unternahm lange Spaziergänge, war in diesen Zeiträumen nicht erreichbar und distanzierte sich allgemein von der Truppe und seinen Offizieren. Lediglich Captain Balgor, den er aus seiner ehemaligen Einheit mitgebracht hatte, drang von Zeit zu Zeit noch zu dem einsamen Offizier vor.
Das war nicht gut.
Ein Offizier, der zu lange hinter der kämpfenden Truppe steht, verliert irgendwann den Blick auf die Realität, dachte der Major, bevor er seinen Blick erneut zu den Funkern schweifen ließ, die in konzentriertem Schweigen vor ihren Geräten saßen und darauf warteten, dass neue Nachrichten eintrafen.
Bisher hatte nur die Walküre Azrael, Ekkos vormaliger Kommandoposten, einen kurzen Sichtkontakt zu den anrückenden Xenos herstellen können. Somit wussten Ekkos Leute, von wo der Feind kam und dass er sehr, sehr zahlreich sein würde.
Aber genauere Informationen würden sie erst erhalten, wenn die Truppen in Sichtweite waren – und dann war es für eine Umstrukturierung ihrer Verteidigung ohne Frage zu spät.
Feste Schritte näherten sich als wiederhallende Echos dem improvisierten Kommandozentrum, die entschlossene Ankündigung eines nahenden Menschen.
Leise Worte wurden gewechselt, dann hörte der Major das Rascheln des blickdichten Vorhangs, der sie vom Rest der Außenwelt trennte.
»Major Carrick?«, erkannte ihn die Stimme Marith Calgrows.
Er wandte sich um. »Doktor?«
Die ergraute, aber noch immer äußerst attraktive Ärztin machte einige eher vorsichtige Schritte in den Raum, als wenn sie in eine ihr vollkommen fremde Welt eintrat und sich davor fürchtete, von dieser verschluckt zu werden und nicht mehr frei zu kommen.
Der Major versuchte, ein zuversichtliches Lächeln aufzusetzen. »Nur keine Scheu, Doktor. Kommen Sie.«
»Scheu?«, fragte die Ärztin, eine Spur bitterer Belustigung in der hochgotisch akzentuierten Stimme. »Mit Nichten! Ich bemühe mich lediglich, einer Konfrontation mit dem Colonel aus dem Weg zu gehen.«
Wer tut das im Augenblick nicht?, dachte der Major, sprach seine Überlegungen jedoch nicht aus. »Dafür ist die Kommandozentrale aber ein denkbar schlechter Ort«, erinnerte er die Frau stattdessen.
»Mir blieb nur einmal keine andere Möglichkeit, mein Anliegen vorzutragen«, erwiderte sie bestimmt.
Der stellvertretende Regimentskommandeur zog die Augenbrauen zusammen. Er kannte Doktor Calgrow als resolute Frau, die ihre Entscheidungen zumeist ohne Absprache mit dem Colonel oder der Führungsebene traf, aber dennoch nie die Reglements ihres Auftrags übertrat.
Dass sie sich nun soweit herabließ, das Regimentskommando über ihr Vorhaben zu informieren – ja, es sogar um die Erlaubnis zu einem Vorhaben zu bitten – konnte eigentlich nur eines bedeuten.
»Also, was ist Ihr Anliegen?«, wollte er wissen.
Das heiße Heulen eines anfliegenden Walküre schabte schrill an der Außenmauer des Turmes entlang.
Calgrow straffte sich. »Ich bitte darum, einen Sanitätsvorposten im äußeren Ring errichten zu dürfen.«
»Einen …« Carrick brach ab und entschied, über ihre Worte nachzudenken, bevor er ihr Ersuchen in Vertretung für seinen Kommandeur bewilligte oder ablehnte. Was die Regimentsärztin vorschlug, ergab durchaus Sinn.
In einem brutalen Gefecht, besonders in den unübersichtlichen Häuserschluchten einer mächtigen Stadt konnte es bisweilen recht verworren und hektisch zugehen, sodass Sanitäter oft nur die notwendigsten Wundversorgungen vornehmen konnten. Ein zentraler Verbandsplatz, der gut zu erreichen und zudem auch gut zu evakuieren war, konnte eine Menge Last von der kämpfenden Truppe nehmen.
Allerdings – sollte der Verbandsplatz eingeschlossen und aufgerieben werden, konnte das dort eingebundene Personal als Gesamtverlust abgeschrieben werden. Und so, wie Carrick Doktor Calgrow einschätzte, würde sie nicht im sicheren dritten Ring bleiben, um die Drittversorgung der Patienten vorzunehmen.
»Colonel Ekko wird davon nicht sehr begeistert sein«, gab der Major zu bedenken.
Calgrow stieß angewidert Luft aus. »Ich denke auch nicht, dass sich Colonel Ekko ein Urteil darüber anmaßen kann.« Eine wegwerfende Handbewegung folgte. »Ich glaube nicht einmal, dass der Colonel überhaupt versteht, was in der Welt um ihn herum passiert. Dafür ist er viel zu selbstzentriert.«
Carrick versteifte sich. Selbst, wenn er ihr zugestimmt hätte, sein Ehrgefühl und seine Loyalität zu seinem Vorgesetzten verboten es ihm, solcherlei öffentlich zu äußern. Vor allem, wenn sich niedere Dienstränge im Raum befanden, deren naiv-beschränkte Sicht auf die Legionen des Imperators es nötig machten, ihr Vertrauen und ihren Glauben in die höheren Offiziersränge zu festigen.
Worte wie die Calgrows konnte man als Blasphemie ansehen.
Für einen Moment lang überlegte der Major, die Ärztin ob ihres Verhaltens zu recht zu weisen, doch er entschied sich dagegen. Zum einen wusste der Basteter, dass die Cadianerin ihre Worte generell nicht zurücknehmen würde, zum anderen vermutete er insgeheim, dass Calgrow sich sehr wohl bewusst war, was sie gesagt hatte und warum.
Sie war nun einmal eine ehemalige Kommissarin und als solche manipulativ; eine Eigenschaft, die der Major gleichermaßen bewunderte und verachtete.
Natürlich wusste die Frau, wie sie die Truppen motivieren konnte, aber sie konnte genauso gut Misstrauen und Zwietracht säen. Nur einer der Gründe, aus denen sich Carrick vornahm, Marith Calgrow niemals zu seinem Feind zu erklären.
Aber abgesehen von diesen Überlegungen und Befürchtungen sah er eigentlich keinen Grund, aus denen er der Regimentsärztin ihre Bitte hätte verweigern müssen. »Meinetwegen. Aber sagen Sie Ihren Leuten, dass sie vorsichtig sein sollen.«
Sie nickte, unmerklich erleichtert ob der Tatsache, dass das Thema dermaßen glatt über die Bühne gegangen war.
»Und«, schränkte er die Erlaubnis im gleichen Atemzug wieder ein, um in ihr keine falschen Hoffnungen zu wecken. »Ich werde Colonel Ekko darüber Bericht erstatten müssen. Sollte er meine Freigabe zurücknehmen …«
»Werde ich das akzeptieren müssen«, beendete die Ärztin den Satz. »Ja, Major Carrick, ich habe Ihre Bedenken verstanden.« Sie lächelte freundlos. »Hoffen wir das Beste.«
Die Worte der Ärztin klangen nicht wirklich zuversichtlich und irgendwie beschlich den Major das Gefühl, dass es nicht so einfach werden würde, wie er sich die Situation vorstellte.
»Dann wünsche ich Ihnen eine ruhige Nacht«, verabschiedete sie sich.
Carrick vollführte eine zustimmende Geste. »Ich Ihnen auch, Doktor.«
Calgrow wandte sich ab und verließ die Kommandozentrale so unauffällig und diskret, dass man auf den Gedanken hätte kommen können, sie habe sich von einer auf die andere Sekunde vollständig in Luft aufgelöst.
Auf jeden Fall empfand der Basteter es so. Aber was hätte man auch anderes erwarten sollen von einer Frau, die ihre Fähigkeiten in einem unbarmherzigen Krieg gewonnen und verfeinert hatte?
Grauer Qualm schwelte in unspektakulären Formen in die dunkle Nachtluft hinauf, als Captain Balgor einen weiteren tiefen Zug des Lho-Stäbchens nahm, an dem er seinen bereits recht erkalteten Körper wärmte.
Seitdem ihn die Sororita verlassen hatte (wobei ihm die eindeutige Doppeldeutigkeit des Gedankens auf tragische Weise doch recht lustig vorkam), war so ungefähr eine halbe Stunde vergangen.
In dieser Zeit hatte er sich zurück in den dritten Ring der Kathedralenstadt begeben, um einen letzten Moment in Ruhe und Frieden zu verbringen, bevor er zu seinen Leuten zurück an die ‚Front‘ musste.
Der Feind kam näher.
Inzwischen brannte der Horizont in voller Ausdehnung vor künstlichem und natürlichem Feuer, die deutlichen Vorboten der grünen Flutwelle eines barbarischen Sturms, der auf sie zurollte.
Dumpfes Grollen und Donnern wehte, getragen von einem kühlen Nordwestwind, als passende Untermalung wie das dumpfe Schlagen ferner Stammestrommeln, zu Ihnen hinüber.
Quisque est barbarus alii, dachte er. Jeder ist jedem anderen gegenüber ein Barbar.
Es würde nicht leicht werden, soviel war klar. Tatsächlich vermutete der Captain insgeheim, dass sogar Colonel Ekko ihnen nicht viel Chancen auf einen Sieg oder gar ein Überleben ausrechnete. Zwar hatte der Regimentskommandeur nicht viel Worte oder philosophische Gedanken in diese Richtung verschwendet – das tat er eigentlich nie, wenn er nicht doch eine Plan wusste, mit dem er den Kern der Bedrohung fassen und zersetzen konnte – aber man merkte es an der Art, wie er sich gab.
Im Grunde wollte Balgor eigentlich nicht daran denken, denn die Sorgen, die er bei der Erinnerung an das selbstmörderische Wesen seines Freundes empfand, zwangen ihn mehr als oft genug, seine Aufmerksamkeit zwischen Ekko und seinen eigenen Aufgaben einzuteilen.
Ein ungutes Gefühl machte sich in seinem Körper breit … obwohl … eigentlich war es eher das Gefühl. Er seufzte schicksalsergeben. Wer Armasec sät, wird Urin ernten, schoss es ihm durch den Kopf, während er sich bereits im Geiste eine Staumauer skizzierte, die seine Blase vom Ausfluss der Harnröhre abschottete.
Dass ihn dieses Thema gerade jetzt beschäftigen musste. Als wenn es in der Stadt nicht schon genug Strahlwaffen gab. Hilfreich. Äußerst hilfreich.
Der Captain kaute eine Weile auf dem völlig zerknitterten Lho-Stäbchen, während er sich im Kopf die Route in die Unterstadt skizzierte. Es wurde Zeit, dass er sich wieder auf den Weg zu seinen Truppen machte. In seiner Vorstellung funkte bereits ein vollkommen aufgelöster Soldat Jelard panisch alle Fernmeldeeinrichtungen in der Himmelskathedrale an, um den Aufenthaltsort seines Kommandanten herauszufinden.
Für den extremsten Notfall zeichnete er gleich eine Stelle für eine kurze Erleichterungspause mit ein. Man konnte nie wissen.
Tief in Gedanken versunken schnippte er das ausgebrannte Stäbchen von sich, bevor er sich zum Gehen wandte.
»Guten Abend, Captain Balgor«, begrüßte ihn unvermittelt eine Stimme, die sich unbemerkt von hinten genähert hatte.
Er sah auf
Captain Solmaar trat auf ihn zu. Ähnlich wie Ekko und er selbst war auch Solmaar ein typischer Basteter, mit dunklem Haar und dunklen Augen. Anders als sie jedoch war der Captain ähnlich groß wie Major Carrick, fast einen Meter fünfundachtzig und mit einem Körperbau, auf den ein Kleiderschrank neidisch gewesen wäre.
»Solmaar«, begrüßte Balgor den anderen Offizier. »Was kann ich für Sie tun?«
Ertappt hob der Mann die Hände. »Nichts«, versicherte er aufrichtig. »Ich sah Sie nur hier stehen und habe mich gefragt, ob wir uns einen Moment lang unterhalten könnten.«
In der Nähe rief jemand einen Befehl, der lauthals bestätigt wurde.
Balgor nickte. »Natürlich. Aber ich muss zurück zu meinen Männern. Begleiten Sie mich ein Stück?«
Solmaar lächelte. »Nach Ihnen, Captain.«
Sie machten sich auf den Weg. Ihre Kampfstiefel knirschten auf dem von Panzerketten zerschlissenen Kopfsteinpflaster.
»Sie haben sich gut erholt«, bemerkte Balgor, als er das von frischen Narben überzogene Gesicht des ranggleichen Offiziers betrachtete.
»Ja«, bestätigte der Mann und fasste an die Stelle, wo vor kurzem noch ein dicker Verband die rechte Hälfte seines Gesichtes bedeckt hatte. »Doktors Calgrows Sanitäter haben wirklich gute Arbeit geleistet. Wer weiß, wie ich sonst aussehen würde.«
Eine Gruppe Munitorumsangestellte passierte sie schnellen Schrittes. Weißer Dampf kondensierte bei jedem ihrer metallenen rasselnden Atemzüge vor den eisernen Masken, die ihre Münder bedeckten.
Offensichtlich hatten sie es sehr eilig, aus der kühlen Nachtluft in die wärmende Helligkeit eines der requirierten Gebäude zu gelangen.
Balgor konnte es ihnen nicht verdenken. Immerhin gehörten die Adepten zu der Gattung der Zivilisten, die generell recht anfällig gegenüber äußeren Einflüssen war.
»Darf ich Sie etwas fragen?«, wechselte Solmaar so unvermittelt das Thema, dass Balgor regelrecht aus seiner Gedankenwelt fiel.
Er ließ einen schiefen Blick zu dem Hünen von einem Captain schweifen, der mit riesigen Schritten neben ihm herging. »Kann ich Sie denn davon abhalten?«
Überrascht ob des Sarkasmus in der Stimme seines Kameraden zögerte Solmaar kurzzeitig, fing sich jedoch relativ schnell und brach in Gelächter aus. »Sie klingen ja fast wie Colonel Ekko.«
Resigniert stimmte Balgor zu. »Es gibt Tage, an denen mir das auch wieder in den Sinn kommt. Wer so viele Jahre an der Seite des Colonels gekämpft hat, nimmt von Zeit zu Zeit dessen Gepflogenheiten an.« Auf die hochgezogenen Augenbrauen des anderen Captains zuckte er wehleidig die Schultern. »Wissen Sie, was das Schlimmste daran ist? Es macht mir auch noch Spaß. Irgendwann wird der Gott-Imperator mich für diesen Frevel bestimmt bestrafen.«
Damit schaffte er es, den anderen Captain vollständig zu verwirren. »Was hat denn der Gott-Imperator …?«, wollte Solmaar wissen, brach allerdings mitten im Satz ab und tat dann mit einem Wink ab, worüber sie geredet hatten. »Egal. Aber das trifft eigentlich den Kern dessen, worüber ich mit Ihnen sprechen wollte.«
Balgors Kopf ruckte herum, um seinen Kameraden mit einem begreifenden Blick zu bedenken. »Also wollten Sie doch etwas von mir«, stellte er fest.
Solmaar zögerte ob der scharfen Worte des anderen Basteters. Schließlich entschied er, einfach mit der Sprache herauszurücken. »Was denken Sie über die Verteidigungsstrategie des Colonels?«
»Die Verteidigungsstrategie des Colonels?«, wiederholte der langjährige Weggefährte Ekkos, den diese doch sehr direkte Frage nicht gerade vorbereitet traf. »Wie kommen Sie denn da drauf?«
»Wir haben uns da einige Gedanken gemacht«, erklärte sich der andere Basteter.
»Wer sind wir?«, wollte Balgor wissen.
»Fendel, Gaer und ich.«
»Aha.« Verstehend nickte Balgor. »Und Sie wollten mich über das Ergebnis dieser operativen Neuplanung informieren?«
»Nein.« Solmaar runzelte verwirrt die Stirn. »Nein. Ich habe eher eine Frage.«
Gutheißend ließ der Zugführer des zweiten Zuges seinen gleichrangigen Kameraden fortfahren.
Der Hüne nahm sich Zeit zu überlegen, wie er den Kern des Themas, das ihn beschäftigte, richtig anschnitt. Zumindest wirkte er beunruhigt, was auch in Balgor einen gewissen inneren Unfrieden aufstaute.
»Die Männer … wir fragen uns, weshalb wir die Atomwaffen nicht einsetzen. Immerhin befinden sich gut ein Dutzend dieser Sprengkörper in unserem Arsenal.«
»Wer sind denn jetzt schon wieder die Männer?«
»Fendel, Gaer und ich.«
»Aha.« Verstehend nickte Balgor. Natürlich. Das Thema mit den Sprengkörpern. Carrick und er selbst hatten auch schon darüber nachgegrübelt, was Ekko wohl veranlasste, die Atomwaffen unter Verschluss zu halten, anstatt sie effektiv gegen den Feind einzusetzen.
»Wie stellen Sie sich denn den Einsatz der Sprengkörper vor?«, verlangte er eine kurze Analyse des Problems.
»Wir dachten uns, so eine Form von Minensperrgürtel zu errichten, so etwa zwanzig bis dreißig Meilen vor der Kathedrale. Dort vergraben wir alle Bomben und jagen sie dann in die Luft, wenn die Grünhäute drüberfahren. Das ist eigentlich der Kern. Details lassen sich dann ja beizeiten noch ausarbeiten.«
Balgor nickte. »Ja, ich verstehe. Und im Grunde hatte ich bereits dieselbe Idee. Allerdings – und das ist der Blickwinkel, aus dem es der Colonel und Major Carrick sehen müssen – dürfen Sie auch nicht vergessen, dass unsere Kapazitäten recht begrenzt sind.«
»Aber das hat den Colonel auch nicht davon abgehalten, wertvolle Ressourcen in einer Schlacht zu verfeuern, die im Grunde vollkommen sinnlos gewesen ist«; protestierte Solmaar brummig.
»Deswegen«, stimmte Balgor zu, »wird sich der Colonel hüten, noch mehr Ressourcen zu opfern, wenn es nicht unbedingt nötig ist.«
Im Grunde hatte Solmaar ja recht. Ekkos Verhalten mochte im Angesicht der Situation nicht gerade Sinn ergeben, und wenn Balgor seinen Vorgesetzten nicht besser und nicht länger gekannt hätte, dann wäre er vermutlich auch davon ausgegangen, dass Ekko eigentlich gar keine Ahnung von dem Beruf hatte, den er da ausübte.
Allerdings – und seine zynische innere Stimme fragte ihn hämisch, ob er wirklich darauf stolz sein wollte – kannte er Ekko bereits eine ganze Weile und wusste, dass die Wege des Colonels oft so unergründlich schienen wie die Weisheiten des Imperators, aber meistens auch genauso effektiv.
Und selbst, wenn der Basteter seine erfahrungsgemäß recht überhasteten Aktionen erst im Verlauf der eigentlichen Aktion zu planen begann, stand hinter seinem Wahnsinn mehr als nur Methode.
»Eine Atomwaffe wird erst dann taktisch, wenn sie mindestens hundert Meilen weit entfernt explodiert und der Wind den radioaktiven Niederschlag in die andere Richtung trägt«, fuhr er fort, das Problem zu erklären. »Das bedeutet also, wir müssen einen mehr oder weniger großen Abstand zwischen uns und den Waffenträger bringen. Die einzigen Einheiten, die schnell genug wären, die Sprengkörper von der Kathedrale wegzubringen und sie im Weg der anrückenden Xenos zu platzieren, wären unsere Walküren. Allerdings haben die wiederrum kein Material an Bord, um eine entsprechend große Erdbewegung auszuführen, damit wir die Bomben auch tief genug vergraben können und sie nicht gleich entdeckt werden.
Wenn man es von der Seite aus betrachtet, haben wir dafür gar kein Fahrzeug. Die einzigen Kräfte, die eine solche Grabungsoperation durchführen könnten, wären Infanteristen mit Spitzhacke und Feldspaten. Und die wiederrum würden viel zu lange benötigen, um eine entsprechend tiefe Grube auszuheben.«
»Kommt immer auf die Größe der Einheit an«, wandte der große Offizier an seiner Seite ein.
»Wie viele Infanteristen wollen Sie denn einsetzen? Zu viele Köche verderben den Brei, Solmaar. Mehr als zehn Mann können sie pro Erdloch nicht arbeiten lassen. Und bei zwölf Bomben … einhundertzwanzig Mann. Wie wollen Sie die alle zeitnah an einen Ort bringen und später auch wieder abholen? Zudem brauchen sie Sicherungstruppen.« Er senkte verschwörerisch die Stimme. »Und, einmal ganz unter uns: Ich glaube nicht, dass die Orks es einfach so hinnehmen, wenn wir einen halben Ordonanzwagen in ihrem Weg vergraben – geschweige denn ein Dutzend.«
»Und wenn wir sie von einer Walküre überfliegen lassen und ihnen das Ding auf die grässlichen Fratzen schmeißen?«
Balgor ließ die Worte einen Moment in der Luft schweben, bevor er sie schließlich mit nachdenklich wiegendem Kopf aufnahm. »Nicht unmöglich, aber in unserer Situation schwierig zu realisieren: «
Auf den befremdeten Blick des anderen Captains fuhr er erklärend fort: »Die Walküre ist ein Sturmtransporter. Sie ist zum Mannschaftstransport, als fliegender Versorger und Kommandoeinheit geeignet, aber nicht für den primären Einsatz als Waffenplattform. Sie besitzt nicht einmal die richtigen Lastschienen, um einen Sprengkörper dieser Größe an der Außenseite anzubringen. Sie würde die Last im Truppenraum transportieren müssen. «
»Das geht mit Drop Sentinels auch«, bemerkte Solmaar.
Balgor nickte. »Natürlich. Aber die sind auch für das Absetzen aus der Walküre präpariert. Mit einem Atomsprengkörper geht das nicht so einfach. Der Sprengkörper muss für den Einsatz vorbereitet werden. Sie erinnern sich sicherlich an die Aufsetz- und Durchstart-Übungen, die von der PVS auf Bastet durchgeführt wurden? Diese riesigen Paletten und Container, die mit Hilfe von Gravschirmen und Bremsschirmen aus den Walküren gezogen wurden, während diese niedrig über die Abwurfzone hinwegdonnerten?
So ähnlich dürfen Sie sich den Abwurf der Atomwaffe vorstellen. Dabei gibt es dann zwei Probleme: Erstens, wie mache ich den Zünder manuell scharf? Atomwaffen sind nicht gerade für zuverlässige Maschinengeister bekannt. Als Flugzeugbesatzung würde ich mich nicht darauf verlassen, dass zwanzig Kilotonnen Sprengkraft in der dünnen Luft nicht vielleicht doch schon frühzeitig auslösen und mich in die Atmosphäre verteilen. Vor allem, wenn ich es innerhalb meiner Maschine aktivieren muss.«
»Und das zweite Problem? «, wollte Solmaar wissen.
»Wie treffe ich den Gegner? Das Problem von ungelenkten Gravschirmabwürfen aus großen Höhen ist, dass man nie weiß, wohin der Körper, den man abwirft, auch wirklich hintreibt. «
Sein Gegenüber wirkte nach wie vor nicht überzeugt. »Aber wir müssen den Abwurf ja nicht aus zehn Kilometern Höhe durchführen. Würden nicht auch nur ein- bis zweitausend Meter Höhe reichen? «
»So wie bei Lenhims Trupp oder die paar Dutzend anderen Flieger, die unsere Armeegruppe gegen die Grünhäute eingesetzt hat?«, wollte Balgor wissen. Der Sarkasmus in seiner Stimme hielt sich dabei erfolgreich in Erinnerung. Sogar so erfolgreich, dass weitere Worte lediglich Verschwendung gewesen wären.
»Verdammt«, musste Solmaar zugeben. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatte er diese Möglichkeit zuvor wahrscheinlich überhaupt nicht in Betracht gezogen.
»Genau«, bestätigte der kleinere Captain. »Verdammt. Vermutlich wird die Bombe mit dem abstürzenden Transporter beim Aufprall zerschellen, der Sprengstoff geht hoch und es gibt eine kleine Explosion, die den einen oder anderen Ork anschwärzt. Das war es dann aber auch. Glück gehabt. Lediglich die Maschine und eine Bombe verloren. Bleiben noch zwei zu elf.« Er holte tief Luft. »Geht es aber so weit, dass die Bombe heilbleibt, dann wird es für uns recht ärgerlich. Denn dann haben nämlich die Grünen die Bombe. Und wir stehen plötzlich ziemlich nackt da.«
Solmaar verstand schweigend.
»Natürlich kann ich nicht für den Colonel sprechen«, schloss Balgor. »Aber er wird seine Gründe für sein Verhalten haben. Immerhin sind die Atomwaffen das letzte Mittel, dem Gegner schwerste Verluste beizubringen. Und dieses Mittel wird der Colonel sicherlich nicht verfrüht oder falsch einsetzen.« Er schüttelte den Kopf. »Wenn er so weit geht, dann könnte er sich auch gleich selbst umbringen.«
Bei diesem Gedanken spürte er es in seinem Innern rumoren – aber dieses Mal war der Grund dafür nicht das Reservoir, das sich gerade in seiner Blase ansammelte.
Ich denke, ich sollte jetzt noch einmal nach ihm sehen, entschied er. Nicht, dass er noch irgendwelche Dummheiten macht.
Dass er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte, bemerkte er erst, als Solmaar sich angesprochen fühlte. »Glauben Sie das?«
»Wie Sie bereits ganz richtig festgestellt haben«, beendete Balgor das Gespräch in der Hoffnung, keinen allzu großen Schaden im Ansehen seines Vorgesetzten angerichtet zu haben. »Ich kenne ihn von uns allen am besten. Wenn er zu viel Zeit hat, heckt er die innovativsten Pläne aus.«
Der Mond verbarg sein Antlitz hinter neu aufziehenden Wolken, als Galardin Ekko in die nächtliche Stille des Hauptturms hinaustrat.
In der letzten Stunde hatte er sich bemüht, endlich ein wenig Schlaf zu finden, doch recht schnell festgestellt, dass weder sein Körper, noch sein Geist Ruhe zulassen wollten. Adrenalin pumpte in mächtigen Schüben durch seine Adern und der pochende Kopfschmerz, der ihn bereits seit etlichen Stunden traktierte, hatte sich auch wieder eingefunden.
Es war fast, als ob alte Freunde ihn besuchen würden. Freunde allerdings, auf die er in diesem Moment liebend gern hätte verzichten können.
Tatsächlich wollte es ihm so vorkommen, als wenn kleine Grots in seinem Kopf umhersprangen, seine Synapsen quetschten und seine Hirnwindungen fraßen wie Rost einen Leman Russ.
Und die Nachtluft bot wenig Abkühlung, selbst wenn er sich direkt in den eisigen Wind stellte, der hier oben um das Beinhaus schnitt.
Im Grunde war das auch nicht wichtig. Hier, wo er stand, sah er sich den kalten Klauen des Wetters sowieso mit seiner vollen Breitseite ausgesetzt.
Ekko atmete tief ein und entschied, alle weiteren Gedanken an Wind lediglich leises Hintergrundflüstern in seinem Kopf zu sein, bevor er an den Rand der Dachplattform trat und den tiefen Abgrund betrachtete, der sich vor ihm auftat.
In seiner Jugend, also zu jener Zeit, als ihm sein Bruder genommen worden war, hatte er sich stets vorgestellt, eines Tages die letzte, alles entscheidende große Schlacht gegen seine Feinde (die gerüsteten Bestien des Adeptus Sororitas) zu schlagen und dann, unter den dankbaren Blicken der Bevölkerung, in die Wüste gen untergehende Sonne zu marschieren.
Nun gut, die Situation hatte sich zwischenzeitlich geringfügig geändert. Tatsächlich verschluckte die tiefe Schwärze der Nacht die kilometerlange Strecke zum Boden, an deren Ende der Tod auf ihn lauerte.
Immer wieder war es dem Universum mit Hilfe des Gott-Imperators gelungen, ihn zu quälen und um sein verdientes Ende zu bringen. Sie hatten ihn regelrecht mit Leben gefoltert, bis er sich in sein Schicksal ergeben hatte und zu der Ansicht gekommen war, ihr Spiel so lange einfach mitzuspielen, bis sich ihm ein Ausweg bot.
Die Worte der Ekklesiarchin indes hatten ihn nachdenklich werden lassen. Vielleicht hatte sie ihm einen bisher versteckten Weg offenbart, sein Vorhaben doch noch durchzuführen.
Legenden hin oder her.
War es zuvor sein erklärtes Ziel gewesen, alle seine Männer von diesem leblosen Stück Gestein wegzubringen, das die Schlacht zwischen Menschen und Orks aus einem einstmals blühenden Ort gemacht hatte, so überlegte er inzwischen wieder verstärkt, sich jetzt endlich aus der Gleichung des Imperators weg zu kürzen. Im Augenblick zumindest bot sich ihm die Gelegenheit dafür.
Wenn er vor der Schlacht starb, dann würde das ohne Frage einen immensen Schlag für seine Männer bedeuten. Sicherlich würden Fragen aufkommen, Spekulationen über seinen so unerwarteten Tod.
Vermutlich würden sie eine breite Bandbreite abdecken – vom unehrenhaften Tod durch Selbstmord bis zur hinterhältigen Ermordung durch einen Attentäter.
Allerdings war es besser, wenn er jetzt ausschied, als wenn er während des Abwehrkampfes mit dem Makel des Selbstmords vom Feld ging.
Natürlich war es sein Ziel möglichst unspektakulär zu verscheiden. Aber das Letzte, was er tun wollte, war seinen Leuten ein schlechtes Vorbild zu sein. Genauso wenig wie ein Held, auch wenn das wiederrum eine vollkommen andere Geschichte war.
Langsam zog er das Büchlein, das seine ‚Schwarze Liste‘ barg, aus der Brusttasche seines Drillichs und blätterte ein weiteres Mal die Seiten durch.
Auf dramatisch humoristische Weise besaß dieses kleine, in einen dunklen Einband geschlagene Buch eine lebenswichtige Bedeutung für ihn. Immerhin hatte es seinen Verstand über die letzten Jahre in einem wachen und klaren Zustand bewahrt.
Es hatte ihn Tag um Tag am Leben und auf sein Ziel gerichtet erhalten, sodass er sich zumindest noch ansatzweise in den Prüfungen, mit der ihn der Gott-Imperator und das Universum bedachten, behaupten konnte.
Die Ekklesiarchin hatte schon recht gehabt. Er hätte am liebsten einfach dagesessen und darauf gewartet, dass sich das Imperium aus einer grausamen Laune des Universums heraus selbst fraß. Wie hatte sie es genannt? Ach ja - ‚das Schwinden“.
Doch je weiter ihn sein Weg durch die Galaxie führte, je weiter ihn die Pistole in seinem Rücken vorwärtsdrängte, umso stärker reifte in ihrem die Erkenntnis, dass er die Liste in seinem Büchlein niemals würde abarbeiten können.
Und mit dieser Erkenntnis wurde auch sein Lebensgrund seltsam wertlos.
Er hatte einfach keine Lust mehr. Er wollte nicht mehr. Er hatte diesen Dienst nicht gewollt, diesen Rang nicht und auch die Pflichten und Privilegien, die mit seiner Stellung einhergingen, hatte er nicht gewollt.
Er wäre am liebsten ein einfacher Sergeant geblieben, ein Streiter der PVS auf Bastet III, mit dem sicheren Wissen um das Herz seiner Liebe.
Aber so, Kamerad, haben wir nicht gewettet.
Wieder einmal keimte in ihm die Frage auf, was den Imperator verärgert hatte, dass Er ihn so dermaßen quälte.
Warnendes Grollen dröhnte über die Ebene, welche die Himmelskathedrale einschloss. Es war nicht mehr viel Zeit, bis die Orks die Himmelskathedrale erreichten. Der Colonel verstand das Zeichen. Jetzt – oder nie!
Er traf seine Entscheidung.
Galardin Alberic Ekko, Colonel der Imperialen Armee, Kommandeur des 512. Regiments Sera, gefallen im Jahre des Imperators 996M41. Sturz vom Dach der Himmelskathedrale auf Agos Virgil.
Der Basteter grinste bitter. Schade eigentlich. Unter anderen Umständen hätte es ein gutes, ein glückliches Leben unter dem Schutz des Imperators werden können.
Fast geräuschlos legte er das schwarze Buch ab, straffte seine Uniform und nahm Haltung an. »Bald werden wir uns wiedersehen«, flüsterte er seiner Liebe zu. »So wie es der Imperator will.«
Ein letzter, tiefer Atemzug folgte, dann trat Colonel Galardin Alberic Ekko in die Bodenlosigkeit…
so, endlich geht es weiter!
Das nächste Stargazer-Kapitel ist da!
Wie immer danke ich Nakago für seine kurze Fluff-Kontrolle und wünsche viel Spaß beim Lesen.
Alles Vale
27
Das Grauen rückte näher.
Es klang wie eine abgehende Lawine, entfernter Donner eines Crescendo aus tausenden Füßen, Motoren, Rüstungen, Rädern und Ketten, die in breiter Front auf sie zu marschierten.
Der Horizont flackerte wie von einem Waldbrand erleuchtet.
Ekko trotzte dem geheimnisvoll und gefährlich anmutenden Spektakel, maß die anrollende Flut mit kritischen Blicken. Er versuchte sich auszumalen, in welcher Größenordnung der Feind auf die Mauern der Kathedrale prallen würde.
Eigentlich das Einzige, was ihm nun noch zu tun blieb. Die Würfel waren gerollt, die Wetten platziert worden.
Und man konnte nicht sagen, dass sie als Sieger gehandelt wurden. Wenn er ehrlich sein sollte, musste er zugeben, dass selbst er keine Perspektive mehr sah. Mit der Vernichtung von General Iglianus Armee fehlten ihnen einfach die Truppen und Mittel, um sich gegen die Wand aus Verwüstung zu stellen, die sich unaufhaltsam auf sie zuschob.
Der Feind besaß einmal mehr sowohl die taktische, als auch die strategische Initiative, mehr Truppen, Fahrzeuge und Waffen als seine Leute.
Es gab kein Wunder, das diese Bedrohung vergessen oder ungeschehen hätte machen können.
Zudem spürte er nun endlich die so verzweifelt ersehnte Müdigkeit einsetzen. Kurz nach dem Gespräch mit Nurin hatte ihn die überwältigende Ermattung angefallen und sich in seinem Geist verbissen.
Sie saß auf seinen Schultern, schmiegte sich eng an ihn und benebelte ihm Kopf und Sinne.
Ekko wusste im ersten Moment nicht, wie ihm geschah, als sämtliche Anspannung und Energie aus seinem Körper entwich.
Es fühlte sich an, als hätte die kurze Diskussion mit Nurin eine verklemmte Last aus dem Innern seines Geistes gelöst, die ihn die ganze Zeit über wach gehalten hatte. Nun kehrte die Leere einer tiefen Erschöpfung ein, erinnerte den Basteter daran, dass auch er in erster Linie noch ein Sterblicher war.
Plötzlich fühlte er sich schwach und einsam. Eigentlich wollte er sich einfach hinlegen und den Rest seines Lebens schlafend verbringen.
Aber, so paradox es schien, wieder einmal fand das Universum einen Weg, ihm einen Stich durch seine Rechnung zu machen (wobei man Strich mit etwas gutem Willen bereits als Balken klassifizieren konnte).
Er fand einfach keine Gelegenheit, seinen Körper und seinen Geist zur Ruhe zu betten. Dafür schwirrten zu viele Gedanken in seinem Kopf umher. So blieb dem Colonel nichts anderes, als rastlos durch die Nacht zu streifen und zu hoffen, dass sich seine Gedankenwelt an irgendeinem Baum oder einem Mauervorsprung verfing, um sich so von ihm zu lösen.
Aber irgendwie kam es ihm nicht so vor, als wenn der Imperator oder das Universum ihm diesen Gefallen tun würden.
Und zu versuchen, sie vom Dach der Kathedrale zu werfen, kam ihm im Augenblick auch nicht sonderlich intelligent vor.
Leise, seichte Schritte näherten sich. Ekko wandte sich um.
Es war die alte Ekklesiarchin. Er hatte die Frau mit dem langen, schlohweißen Haar bereits einige Male gesehen, seitdem sie Krood und den Kasrkin im Beinhaus begegnet war, doch sich immer auf Abstand zu ihr gehalten.
Die Ekklesiarchie war nun einmal nichts, mit dem Galardin Ekko noch viel anfangen konnte oder wollte.
Und wäre dies eine normale Begegnung an einem normalen Tag gewesen, er wäre aufgestanden und gegangen.
Allerdings war dies kein normaler Tag – und er fand auch nicht die Lust, aufzustehen und ein Spielchen mit der Dame zu treiben.
Es war ihm schlichtweg egal.
Kurz darauf erreichte ihn die alte Frau und stellte sich an seine Seite. »Sie wirken so ernst«, sprach sie ihn an.
Er nickte. »Vielen Dank. Auch Ihnen wünsche ich einen guten Abend.«
Die Ekklesiarchin lächelte ein dünnes Lächeln, das so spartanisch und vorsichtig über ihre Lippen kam, dass es nur von einer Person stammen konnte, die ihr Leben lang nicht mehr besessen hatte als den Glauben zum Imperator. Deren Leben aus Gebet und Selbstkasteiung bestand – also Dingen, von denen Galard Ekko nicht die geringste Ahnung hatte.
»Also«, wiederholte sie. »Weshalb sind Sie so ernst?«
Obwohl sein Geist ihm riet, ihr irgendeine zynische Antwort entgegenzuschleudern, sah er keinen Grund, weshalb er ihre Frage nicht beantworten sollte. Mit einer ausholenden Handbewegung schloss er die Kathedrale in seine Worte ein. »Ich frage mich, wie lange wir dem Ansturm der Orks standhalten können. Meine Leute werden schreckliche Verluste erleiden.«
»Das ist nun einmal die Wirklichkeit, Colonel.«
Er zuckte desinteressiert die Schultern. »Ich lehne Ihre Wirklichkeit ab. Ich nehme lieber meine eigene.« Einige Zeit lang ließ der imperiale Offizier den scharfen Wind das Gewicht seiner Worte unterstreichen, bevor er sich entschloss, einen Punkt anzusprechen, der ihn bereits seit einiger Zeit interessierte, den anzusprechen er aber bisher keine Gelegenheit gehabt hatte. »Ich habe da allerdings eine andere, brennende Frage.«
Die Ekklesiarchin wandte sich ihm zu. Ihr langes, zerschlissenes Gewand raschelte leise.
»Wussten Sie, dass die Space Marines Kernwaffen unter der Stadt positioniert hatten, als meine Männer Sie fanden?«, wollte Ekko wissen.
Sie nickte lediglich. Mehr war auch nicht nötig. Die sorgenvolle Miene, mit der sie ihn bedachte, reichte vollkommen, um dem Colonel aufzuzeigen, dass er mit seiner Vermutung vollkommen richtig lag.
»Herr auf dem Thron«, seufzte er. »Und wir sind mittenrein und haben den Kram abgebaut.« Die bittere Verwünschung, die bereits auf seinen Lippen lag, verkniff er sich im Angesicht der Heiligen Mutter.
»Natürlich war es für die Imperiale Armee wichtig, diesen Ort zu sichern und ihre Operationsbasis hier aufzubauen.« Er schlug sich mit der Faust in die offene Hand. »Hätte ich gewusst, was noch alles passiert, hätte ich diesen Ort in die Luft gesprengt und wäre heim geflogen.«
»Aber Sie haben es nicht getan.« Die Augen der alten Frau blitzten. »Das ist der Stoff, aus dem Legenden sind«, erinnerte sie den Offizier.
»Höchstens Idioten.« Ekko lachte auf und winkte ab. »Legenden gibt es nicht – ebenso wenig wie Helden. Die Menschen schaffen sich ihre Legenden, weil sie hoffen, dass es Dinge im Universum gibt, die im Gegensatz zu allem Schlechten stehen.«
»Dem Erzfeind?«
»Nein, nicht dem Erzfeind. Ich meine im Allgemeinen. Nehmen Sie mich als Beispiel. Es gibt bestimmt hunderte Heldengeschichten, die über mich kursieren. Aber was ist nun, wenn ich Ihnen sage, dass ich mich nur umbringen wollte? Wie sehen Sie die Sache dann? Was genau macht mich jetzt zur Legende? Zum Helden?
Ist das nicht eigentlich nur der Wunsch der anderen zu glauben, dass ich nicht versucht habe, mich selbst zu töten, sondern einzig und allein vorwärts gestürmt bin, um mich meinen Männern voran in den Kampf zu werfen und das Blatt der Schlacht zu wenden? Ist es nicht viel eher so, dass all die Geschichten nur dem Zufall entsprungen sind, durch den ich überlebte und für den ich das Universum und den Gott-Imperator Tag meines Lebens verfluchen werde?«
Die Ekklesiarchin dachte lange darüber nach. Als sie auf sah, stand in ihrem Blick ein nicht zu definierender Schmerz. »Damit mögen Sie recht haben. Aber sind Sie wirklich so traurig und verbittert, dass Ihnen nur diese eine Ansicht der Dinge geblieben ist, Ekko?«
Ein wehleidiges Lächeln quälte sich über die Lippen des Offiziers. »Es konnte mir bisher niemand das Gegenteil beweisen.«
»Dieser jemand wird kommen, Colonel. Irgendwann – und er wird Sie erlösen«, versprach sie. Sie meinte es ehrlich, das konnte er aus der Art schließen, wie sie ihn ansah. Herr auf dem Thron, vermutlich legte diese Frau sogar noch ein Wort in ihrem Nachtgebet für ihn ein.
Er ließ die Worte einfach an sich abprallen. »Ich hoffe ja noch immer auf eine sie.«
Für eine Weile schwiegen sie, betrachteten den schwarzen Nachthimmel, dessen Sterne sich langsam, aber allmählich vor der nahenden Streitmacht der Xenos zurückzuziehen begannen.
Schließlich entschied die Ekklesiarchin, den Faden ihres Gespräches wieder aufzunehmen.
»Wie ich Sie einschätze, warten Sie darauf, dass bald das große Schwinden einsetzt und das Imperium einen langsamen, aber qualvollen Tod stirbt.«
»Wenn Sie mich so einschätzen«, erwiderte er.
»Das Schwinden wird kommen«, prophezeite die alte Frau. »Es ist bereits im Gange.«
Es gelang ihm, ein Lachen aus seiner Kehle zu pressen, obwohl die Weise, mit der die Frau das Ende des Imperiums prophezeite, ihm kalte Schauer über den Rücken jagte. »Das Schwinden? So, wie meine Truppen gerade schwinden?«
»Nein. Gegen dieses Schwinden wird Ihr eigenes nahezu lächerlich anmuten.«
Aus der Ferne grollte dumpfer Donner heran, bedeckte den Lärm, den die imperialen Truppen in der Makrostätte der Kathedralenstadt produzierten.
Ekko ließ sich von der rumorenden Warnung berühren, genoss das schaurige Zittern, das unter seinen Füßen gleich einer Welle durch den Boden zog. Als er sich der Ekklesiarchin zuwandte, konnte er sehen, wie sehr sie die brutale Geräuschkulisse verschreckte und verunsicherte.
»Es gibt Leute, die diese Worte als Häresie auslegen könnten«, gab er zu bedenken.
»Fraglos«, stimmte sie zu. »Das allerdings wird die Wahrheit nicht ungeschehen machen.«
»Na, da bin ich aber beruhigt«, warf er ihr sarkastisch entgegen. »Doch das hat noch etwas Zeit, oder?«
»Ja, das hat noch etwas Zeit.«
»Gut. Im Augenblick interessiert mich nur das Schwinden meiner eigenen Truppen.«
Wieder grollte Donner aus der Ferne heran, stritt mit dem Wind der Höhe um die Vorherrschaft auf dem Plateau, dem Dach der Himmelskathedrale.
Der finstere Unterton steter Bedrohung begleitete ihn dabei wie das schleichende Gift, das von Zeit zu Zeit Leitis Siles erfrischende Stimme tränkte.
Zeit, den Rückzug anzutreten.
»Nun gut«, brummte der Basteter gedankenverloren. »Ich denke, ich werde mich in die Abgeschiedenheit meines Bettes begeben. An diesem Ort hat findet man wohl sonst keine Ruhe vor dem Sturm.« Er wandte sich der Ekklesiarchin zu, verabschiedete sich mit einem angedeuteten Salut und verschwand dann schnellen Schrittes in das tröstende Dunkel der Nacht.
Die geflüsterte Antwort der Frau bekam er bereits nicht mehr mit: »Dieser Ort kennt keine Ruhe vor dem Sturm, Colonel.«
***
Es war still geworden in der Kommandozentrale.
Mit dem Ende der Besprechung hatte hier wieder die ruhige, von den Echos ernster Konzentration durchsetzte Atmosphäre vollkommener Professionalität eingesetzt, in der Haestian Carrick normalerweise vollkommen aufging.
Allerdings fand er gerade in diesem wichtigen Moment nicht einmal ansatzweise dahin zurück. Stattdessen fühlte er eine unerträgliche Unruhe in seinem Geist, die sein Denken im Griff hielt und ihn in beinahe regelmäßigen Abständen entweder zum Plot oder zu den Funkern blicken ließ, die an ihren Geräten saßen und auf Kontakt- oder Gefechtsmeldungen warteten.
Doch nach wie vor wussten weder die Menschen, noch das flimmernde Bild des holografischen Plots etwas zu berichten, das in diesem Augenblick für ihn oder Colonel Ekko von Interesse gewesen wäre.
Carrick seufzte richtete sich auf.
Tatsächlich wollte es ihm so vorkommen, als wenn sich das Wesentliche des Kampfes – also der Feind und die eigene Koordination – bewusst verborgen hielten, um ihm als Stellvertreter seines Kommandanten eine stete Sorge zu bereiten. Um ihn zu zwingen, seine Gedanken immer wieder umherirren zu lassen und sich zu fragen, ob sie alle Gefahren und Möglichkeiten der Verteidigung ausgeschöpft hatten.
Er wusste, dass es so war – auf jeden Fall fast. Ihr Problem mit der Sicherung der mächtigen Katakomben hatte sich noch immer nicht lösen lassen, was wohl auch eher an dem unangenehmen Faktum lag, dass ihnen keine Truppen mehr zur Verfügung standen, die eine solche Sicherung hätten vornehmen können.
Und auch die Mittel zur Verminung, zum Erstellen improvisierter Sprengladungen, gingen ihnen so allmählich aus – zumindest die konventionellen. Seitdem die Truppen des 512. die Kernwaffen der Space Marines deaktiviert und diese von den ehernen Hünen zurück in den Kern der Himmelskathedrale gebracht worden waren, schwieg sich der Colonel über die weitere Nutzung der zwölf Atombomben aus, die nun unter seinem Kommando darauf warteten, doch noch in Aktion treten und den Himmel Agos Virgils erleuchten zu dürfen.
Carrick hätte das Thema seinem Regimentskommandeur gegenüber gerne noch einmal angesprochen, aber er nahm nicht an, dass der andere Offizier sich auf noch eine Diskussion einlassen, geschweige denn eine plausible Erklärung geben würde.
Tatsächlich hatte sich der Colonel seit ihrer Ankunft hier extrem gewandelt. Er war finster geworden, verschlossen und abweisend. So, als würden ihn Geister der Vergangenheit heimsuchen und ihn zwingen, sich von all dem hier zu distanzieren, nur um in den Schmerzen der Erinnerung zu ertrinken.
Carrick kannte seinen Kommandeur noch nicht besonders lange, nur wenige Monate, aber er hatte bereits gelernt, die unorthodoxe Art des Vorgesetzten zu akzeptieren.
Doch seit dem Erreichen der Himmelskathedrale verstand er den Mann nicht mehr. Konnte es sein, dass Colonel Ekko das Betreten dieses heiligen Ortes mit seiner Seele und seinem Verstand bezahlt hatte?
Er unternahm lange Spaziergänge, war in diesen Zeiträumen nicht erreichbar und distanzierte sich allgemein von der Truppe und seinen Offizieren. Lediglich Captain Balgor, den er aus seiner ehemaligen Einheit mitgebracht hatte, drang von Zeit zu Zeit noch zu dem einsamen Offizier vor.
Das war nicht gut.
Ein Offizier, der zu lange hinter der kämpfenden Truppe steht, verliert irgendwann den Blick auf die Realität, dachte der Major, bevor er seinen Blick erneut zu den Funkern schweifen ließ, die in konzentriertem Schweigen vor ihren Geräten saßen und darauf warteten, dass neue Nachrichten eintrafen.
Bisher hatte nur die Walküre Azrael, Ekkos vormaliger Kommandoposten, einen kurzen Sichtkontakt zu den anrückenden Xenos herstellen können. Somit wussten Ekkos Leute, von wo der Feind kam und dass er sehr, sehr zahlreich sein würde.
Aber genauere Informationen würden sie erst erhalten, wenn die Truppen in Sichtweite waren – und dann war es für eine Umstrukturierung ihrer Verteidigung ohne Frage zu spät.
Feste Schritte näherten sich als wiederhallende Echos dem improvisierten Kommandozentrum, die entschlossene Ankündigung eines nahenden Menschen.
Leise Worte wurden gewechselt, dann hörte der Major das Rascheln des blickdichten Vorhangs, der sie vom Rest der Außenwelt trennte.
»Major Carrick?«, erkannte ihn die Stimme Marith Calgrows.
Er wandte sich um. »Doktor?«
Die ergraute, aber noch immer äußerst attraktive Ärztin machte einige eher vorsichtige Schritte in den Raum, als wenn sie in eine ihr vollkommen fremde Welt eintrat und sich davor fürchtete, von dieser verschluckt zu werden und nicht mehr frei zu kommen.
Der Major versuchte, ein zuversichtliches Lächeln aufzusetzen. »Nur keine Scheu, Doktor. Kommen Sie.«
»Scheu?«, fragte die Ärztin, eine Spur bitterer Belustigung in der hochgotisch akzentuierten Stimme. »Mit Nichten! Ich bemühe mich lediglich, einer Konfrontation mit dem Colonel aus dem Weg zu gehen.«
Wer tut das im Augenblick nicht?, dachte der Major, sprach seine Überlegungen jedoch nicht aus. »Dafür ist die Kommandozentrale aber ein denkbar schlechter Ort«, erinnerte er die Frau stattdessen.
»Mir blieb nur einmal keine andere Möglichkeit, mein Anliegen vorzutragen«, erwiderte sie bestimmt.
Der stellvertretende Regimentskommandeur zog die Augenbrauen zusammen. Er kannte Doktor Calgrow als resolute Frau, die ihre Entscheidungen zumeist ohne Absprache mit dem Colonel oder der Führungsebene traf, aber dennoch nie die Reglements ihres Auftrags übertrat.
Dass sie sich nun soweit herabließ, das Regimentskommando über ihr Vorhaben zu informieren – ja, es sogar um die Erlaubnis zu einem Vorhaben zu bitten – konnte eigentlich nur eines bedeuten.
»Also, was ist Ihr Anliegen?«, wollte er wissen.
Das heiße Heulen eines anfliegenden Walküre schabte schrill an der Außenmauer des Turmes entlang.
Calgrow straffte sich. »Ich bitte darum, einen Sanitätsvorposten im äußeren Ring errichten zu dürfen.«
»Einen …« Carrick brach ab und entschied, über ihre Worte nachzudenken, bevor er ihr Ersuchen in Vertretung für seinen Kommandeur bewilligte oder ablehnte. Was die Regimentsärztin vorschlug, ergab durchaus Sinn.
In einem brutalen Gefecht, besonders in den unübersichtlichen Häuserschluchten einer mächtigen Stadt konnte es bisweilen recht verworren und hektisch zugehen, sodass Sanitäter oft nur die notwendigsten Wundversorgungen vornehmen konnten. Ein zentraler Verbandsplatz, der gut zu erreichen und zudem auch gut zu evakuieren war, konnte eine Menge Last von der kämpfenden Truppe nehmen.
Allerdings – sollte der Verbandsplatz eingeschlossen und aufgerieben werden, konnte das dort eingebundene Personal als Gesamtverlust abgeschrieben werden. Und so, wie Carrick Doktor Calgrow einschätzte, würde sie nicht im sicheren dritten Ring bleiben, um die Drittversorgung der Patienten vorzunehmen.
»Colonel Ekko wird davon nicht sehr begeistert sein«, gab der Major zu bedenken.
Calgrow stieß angewidert Luft aus. »Ich denke auch nicht, dass sich Colonel Ekko ein Urteil darüber anmaßen kann.« Eine wegwerfende Handbewegung folgte. »Ich glaube nicht einmal, dass der Colonel überhaupt versteht, was in der Welt um ihn herum passiert. Dafür ist er viel zu selbstzentriert.«
Carrick versteifte sich. Selbst, wenn er ihr zugestimmt hätte, sein Ehrgefühl und seine Loyalität zu seinem Vorgesetzten verboten es ihm, solcherlei öffentlich zu äußern. Vor allem, wenn sich niedere Dienstränge im Raum befanden, deren naiv-beschränkte Sicht auf die Legionen des Imperators es nötig machten, ihr Vertrauen und ihren Glauben in die höheren Offiziersränge zu festigen.
Worte wie die Calgrows konnte man als Blasphemie ansehen.
Für einen Moment lang überlegte der Major, die Ärztin ob ihres Verhaltens zu recht zu weisen, doch er entschied sich dagegen. Zum einen wusste der Basteter, dass die Cadianerin ihre Worte generell nicht zurücknehmen würde, zum anderen vermutete er insgeheim, dass Calgrow sich sehr wohl bewusst war, was sie gesagt hatte und warum.
Sie war nun einmal eine ehemalige Kommissarin und als solche manipulativ; eine Eigenschaft, die der Major gleichermaßen bewunderte und verachtete.
Natürlich wusste die Frau, wie sie die Truppen motivieren konnte, aber sie konnte genauso gut Misstrauen und Zwietracht säen. Nur einer der Gründe, aus denen sich Carrick vornahm, Marith Calgrow niemals zu seinem Feind zu erklären.
Aber abgesehen von diesen Überlegungen und Befürchtungen sah er eigentlich keinen Grund, aus denen er der Regimentsärztin ihre Bitte hätte verweigern müssen. »Meinetwegen. Aber sagen Sie Ihren Leuten, dass sie vorsichtig sein sollen.«
Sie nickte, unmerklich erleichtert ob der Tatsache, dass das Thema dermaßen glatt über die Bühne gegangen war.
»Und«, schränkte er die Erlaubnis im gleichen Atemzug wieder ein, um in ihr keine falschen Hoffnungen zu wecken. »Ich werde Colonel Ekko darüber Bericht erstatten müssen. Sollte er meine Freigabe zurücknehmen …«
»Werde ich das akzeptieren müssen«, beendete die Ärztin den Satz. »Ja, Major Carrick, ich habe Ihre Bedenken verstanden.« Sie lächelte freundlos. »Hoffen wir das Beste.«
Die Worte der Ärztin klangen nicht wirklich zuversichtlich und irgendwie beschlich den Major das Gefühl, dass es nicht so einfach werden würde, wie er sich die Situation vorstellte.
»Dann wünsche ich Ihnen eine ruhige Nacht«, verabschiedete sie sich.
Carrick vollführte eine zustimmende Geste. »Ich Ihnen auch, Doktor.«
Calgrow wandte sich ab und verließ die Kommandozentrale so unauffällig und diskret, dass man auf den Gedanken hätte kommen können, sie habe sich von einer auf die andere Sekunde vollständig in Luft aufgelöst.
Auf jeden Fall empfand der Basteter es so. Aber was hätte man auch anderes erwarten sollen von einer Frau, die ihre Fähigkeiten in einem unbarmherzigen Krieg gewonnen und verfeinert hatte?
***
Grauer Qualm schwelte in unspektakulären Formen in die dunkle Nachtluft hinauf, als Captain Balgor einen weiteren tiefen Zug des Lho-Stäbchens nahm, an dem er seinen bereits recht erkalteten Körper wärmte.
Seitdem ihn die Sororita verlassen hatte (wobei ihm die eindeutige Doppeldeutigkeit des Gedankens auf tragische Weise doch recht lustig vorkam), war so ungefähr eine halbe Stunde vergangen.
In dieser Zeit hatte er sich zurück in den dritten Ring der Kathedralenstadt begeben, um einen letzten Moment in Ruhe und Frieden zu verbringen, bevor er zu seinen Leuten zurück an die ‚Front‘ musste.
Der Feind kam näher.
Inzwischen brannte der Horizont in voller Ausdehnung vor künstlichem und natürlichem Feuer, die deutlichen Vorboten der grünen Flutwelle eines barbarischen Sturms, der auf sie zurollte.
Dumpfes Grollen und Donnern wehte, getragen von einem kühlen Nordwestwind, als passende Untermalung wie das dumpfe Schlagen ferner Stammestrommeln, zu Ihnen hinüber.
Quisque est barbarus alii, dachte er. Jeder ist jedem anderen gegenüber ein Barbar.
Es würde nicht leicht werden, soviel war klar. Tatsächlich vermutete der Captain insgeheim, dass sogar Colonel Ekko ihnen nicht viel Chancen auf einen Sieg oder gar ein Überleben ausrechnete. Zwar hatte der Regimentskommandeur nicht viel Worte oder philosophische Gedanken in diese Richtung verschwendet – das tat er eigentlich nie, wenn er nicht doch eine Plan wusste, mit dem er den Kern der Bedrohung fassen und zersetzen konnte – aber man merkte es an der Art, wie er sich gab.
Im Grunde wollte Balgor eigentlich nicht daran denken, denn die Sorgen, die er bei der Erinnerung an das selbstmörderische Wesen seines Freundes empfand, zwangen ihn mehr als oft genug, seine Aufmerksamkeit zwischen Ekko und seinen eigenen Aufgaben einzuteilen.
Ein ungutes Gefühl machte sich in seinem Körper breit … obwohl … eigentlich war es eher das Gefühl. Er seufzte schicksalsergeben. Wer Armasec sät, wird Urin ernten, schoss es ihm durch den Kopf, während er sich bereits im Geiste eine Staumauer skizzierte, die seine Blase vom Ausfluss der Harnröhre abschottete.
Dass ihn dieses Thema gerade jetzt beschäftigen musste. Als wenn es in der Stadt nicht schon genug Strahlwaffen gab. Hilfreich. Äußerst hilfreich.
Der Captain kaute eine Weile auf dem völlig zerknitterten Lho-Stäbchen, während er sich im Kopf die Route in die Unterstadt skizzierte. Es wurde Zeit, dass er sich wieder auf den Weg zu seinen Truppen machte. In seiner Vorstellung funkte bereits ein vollkommen aufgelöster Soldat Jelard panisch alle Fernmeldeeinrichtungen in der Himmelskathedrale an, um den Aufenthaltsort seines Kommandanten herauszufinden.
Für den extremsten Notfall zeichnete er gleich eine Stelle für eine kurze Erleichterungspause mit ein. Man konnte nie wissen.
Tief in Gedanken versunken schnippte er das ausgebrannte Stäbchen von sich, bevor er sich zum Gehen wandte.
»Guten Abend, Captain Balgor«, begrüßte ihn unvermittelt eine Stimme, die sich unbemerkt von hinten genähert hatte.
Er sah auf
Captain Solmaar trat auf ihn zu. Ähnlich wie Ekko und er selbst war auch Solmaar ein typischer Basteter, mit dunklem Haar und dunklen Augen. Anders als sie jedoch war der Captain ähnlich groß wie Major Carrick, fast einen Meter fünfundachtzig und mit einem Körperbau, auf den ein Kleiderschrank neidisch gewesen wäre.
»Solmaar«, begrüßte Balgor den anderen Offizier. »Was kann ich für Sie tun?«
Ertappt hob der Mann die Hände. »Nichts«, versicherte er aufrichtig. »Ich sah Sie nur hier stehen und habe mich gefragt, ob wir uns einen Moment lang unterhalten könnten.«
In der Nähe rief jemand einen Befehl, der lauthals bestätigt wurde.
Balgor nickte. »Natürlich. Aber ich muss zurück zu meinen Männern. Begleiten Sie mich ein Stück?«
Solmaar lächelte. »Nach Ihnen, Captain.«
Sie machten sich auf den Weg. Ihre Kampfstiefel knirschten auf dem von Panzerketten zerschlissenen Kopfsteinpflaster.
»Sie haben sich gut erholt«, bemerkte Balgor, als er das von frischen Narben überzogene Gesicht des ranggleichen Offiziers betrachtete.
»Ja«, bestätigte der Mann und fasste an die Stelle, wo vor kurzem noch ein dicker Verband die rechte Hälfte seines Gesichtes bedeckt hatte. »Doktors Calgrows Sanitäter haben wirklich gute Arbeit geleistet. Wer weiß, wie ich sonst aussehen würde.«
Eine Gruppe Munitorumsangestellte passierte sie schnellen Schrittes. Weißer Dampf kondensierte bei jedem ihrer metallenen rasselnden Atemzüge vor den eisernen Masken, die ihre Münder bedeckten.
Offensichtlich hatten sie es sehr eilig, aus der kühlen Nachtluft in die wärmende Helligkeit eines der requirierten Gebäude zu gelangen.
Balgor konnte es ihnen nicht verdenken. Immerhin gehörten die Adepten zu der Gattung der Zivilisten, die generell recht anfällig gegenüber äußeren Einflüssen war.
»Darf ich Sie etwas fragen?«, wechselte Solmaar so unvermittelt das Thema, dass Balgor regelrecht aus seiner Gedankenwelt fiel.
Er ließ einen schiefen Blick zu dem Hünen von einem Captain schweifen, der mit riesigen Schritten neben ihm herging. »Kann ich Sie denn davon abhalten?«
Überrascht ob des Sarkasmus in der Stimme seines Kameraden zögerte Solmaar kurzzeitig, fing sich jedoch relativ schnell und brach in Gelächter aus. »Sie klingen ja fast wie Colonel Ekko.«
Resigniert stimmte Balgor zu. »Es gibt Tage, an denen mir das auch wieder in den Sinn kommt. Wer so viele Jahre an der Seite des Colonels gekämpft hat, nimmt von Zeit zu Zeit dessen Gepflogenheiten an.« Auf die hochgezogenen Augenbrauen des anderen Captains zuckte er wehleidig die Schultern. »Wissen Sie, was das Schlimmste daran ist? Es macht mir auch noch Spaß. Irgendwann wird der Gott-Imperator mich für diesen Frevel bestimmt bestrafen.«
Damit schaffte er es, den anderen Captain vollständig zu verwirren. »Was hat denn der Gott-Imperator …?«, wollte Solmaar wissen, brach allerdings mitten im Satz ab und tat dann mit einem Wink ab, worüber sie geredet hatten. »Egal. Aber das trifft eigentlich den Kern dessen, worüber ich mit Ihnen sprechen wollte.«
Balgors Kopf ruckte herum, um seinen Kameraden mit einem begreifenden Blick zu bedenken. »Also wollten Sie doch etwas von mir«, stellte er fest.
Solmaar zögerte ob der scharfen Worte des anderen Basteters. Schließlich entschied er, einfach mit der Sprache herauszurücken. »Was denken Sie über die Verteidigungsstrategie des Colonels?«
»Die Verteidigungsstrategie des Colonels?«, wiederholte der langjährige Weggefährte Ekkos, den diese doch sehr direkte Frage nicht gerade vorbereitet traf. »Wie kommen Sie denn da drauf?«
»Wir haben uns da einige Gedanken gemacht«, erklärte sich der andere Basteter.
»Wer sind wir?«, wollte Balgor wissen.
»Fendel, Gaer und ich.«
»Aha.« Verstehend nickte Balgor. »Und Sie wollten mich über das Ergebnis dieser operativen Neuplanung informieren?«
»Nein.« Solmaar runzelte verwirrt die Stirn. »Nein. Ich habe eher eine Frage.«
Gutheißend ließ der Zugführer des zweiten Zuges seinen gleichrangigen Kameraden fortfahren.
Der Hüne nahm sich Zeit zu überlegen, wie er den Kern des Themas, das ihn beschäftigte, richtig anschnitt. Zumindest wirkte er beunruhigt, was auch in Balgor einen gewissen inneren Unfrieden aufstaute.
»Die Männer … wir fragen uns, weshalb wir die Atomwaffen nicht einsetzen. Immerhin befinden sich gut ein Dutzend dieser Sprengkörper in unserem Arsenal.«
»Wer sind denn jetzt schon wieder die Männer?«
»Fendel, Gaer und ich.«
»Aha.« Verstehend nickte Balgor. Natürlich. Das Thema mit den Sprengkörpern. Carrick und er selbst hatten auch schon darüber nachgegrübelt, was Ekko wohl veranlasste, die Atomwaffen unter Verschluss zu halten, anstatt sie effektiv gegen den Feind einzusetzen.
»Wie stellen Sie sich denn den Einsatz der Sprengkörper vor?«, verlangte er eine kurze Analyse des Problems.
»Wir dachten uns, so eine Form von Minensperrgürtel zu errichten, so etwa zwanzig bis dreißig Meilen vor der Kathedrale. Dort vergraben wir alle Bomben und jagen sie dann in die Luft, wenn die Grünhäute drüberfahren. Das ist eigentlich der Kern. Details lassen sich dann ja beizeiten noch ausarbeiten.«
Balgor nickte. »Ja, ich verstehe. Und im Grunde hatte ich bereits dieselbe Idee. Allerdings – und das ist der Blickwinkel, aus dem es der Colonel und Major Carrick sehen müssen – dürfen Sie auch nicht vergessen, dass unsere Kapazitäten recht begrenzt sind.«
»Aber das hat den Colonel auch nicht davon abgehalten, wertvolle Ressourcen in einer Schlacht zu verfeuern, die im Grunde vollkommen sinnlos gewesen ist«; protestierte Solmaar brummig.
»Deswegen«, stimmte Balgor zu, »wird sich der Colonel hüten, noch mehr Ressourcen zu opfern, wenn es nicht unbedingt nötig ist.«
Im Grunde hatte Solmaar ja recht. Ekkos Verhalten mochte im Angesicht der Situation nicht gerade Sinn ergeben, und wenn Balgor seinen Vorgesetzten nicht besser und nicht länger gekannt hätte, dann wäre er vermutlich auch davon ausgegangen, dass Ekko eigentlich gar keine Ahnung von dem Beruf hatte, den er da ausübte.
Allerdings – und seine zynische innere Stimme fragte ihn hämisch, ob er wirklich darauf stolz sein wollte – kannte er Ekko bereits eine ganze Weile und wusste, dass die Wege des Colonels oft so unergründlich schienen wie die Weisheiten des Imperators, aber meistens auch genauso effektiv.
Und selbst, wenn der Basteter seine erfahrungsgemäß recht überhasteten Aktionen erst im Verlauf der eigentlichen Aktion zu planen begann, stand hinter seinem Wahnsinn mehr als nur Methode.
»Eine Atomwaffe wird erst dann taktisch, wenn sie mindestens hundert Meilen weit entfernt explodiert und der Wind den radioaktiven Niederschlag in die andere Richtung trägt«, fuhr er fort, das Problem zu erklären. »Das bedeutet also, wir müssen einen mehr oder weniger großen Abstand zwischen uns und den Waffenträger bringen. Die einzigen Einheiten, die schnell genug wären, die Sprengkörper von der Kathedrale wegzubringen und sie im Weg der anrückenden Xenos zu platzieren, wären unsere Walküren. Allerdings haben die wiederrum kein Material an Bord, um eine entsprechend große Erdbewegung auszuführen, damit wir die Bomben auch tief genug vergraben können und sie nicht gleich entdeckt werden.
Wenn man es von der Seite aus betrachtet, haben wir dafür gar kein Fahrzeug. Die einzigen Kräfte, die eine solche Grabungsoperation durchführen könnten, wären Infanteristen mit Spitzhacke und Feldspaten. Und die wiederrum würden viel zu lange benötigen, um eine entsprechend tiefe Grube auszuheben.«
»Kommt immer auf die Größe der Einheit an«, wandte der große Offizier an seiner Seite ein.
»Wie viele Infanteristen wollen Sie denn einsetzen? Zu viele Köche verderben den Brei, Solmaar. Mehr als zehn Mann können sie pro Erdloch nicht arbeiten lassen. Und bei zwölf Bomben … einhundertzwanzig Mann. Wie wollen Sie die alle zeitnah an einen Ort bringen und später auch wieder abholen? Zudem brauchen sie Sicherungstruppen.« Er senkte verschwörerisch die Stimme. »Und, einmal ganz unter uns: Ich glaube nicht, dass die Orks es einfach so hinnehmen, wenn wir einen halben Ordonanzwagen in ihrem Weg vergraben – geschweige denn ein Dutzend.«
»Und wenn wir sie von einer Walküre überfliegen lassen und ihnen das Ding auf die grässlichen Fratzen schmeißen?«
Balgor ließ die Worte einen Moment in der Luft schweben, bevor er sie schließlich mit nachdenklich wiegendem Kopf aufnahm. »Nicht unmöglich, aber in unserer Situation schwierig zu realisieren: «
Auf den befremdeten Blick des anderen Captains fuhr er erklärend fort: »Die Walküre ist ein Sturmtransporter. Sie ist zum Mannschaftstransport, als fliegender Versorger und Kommandoeinheit geeignet, aber nicht für den primären Einsatz als Waffenplattform. Sie besitzt nicht einmal die richtigen Lastschienen, um einen Sprengkörper dieser Größe an der Außenseite anzubringen. Sie würde die Last im Truppenraum transportieren müssen. «
»Das geht mit Drop Sentinels auch«, bemerkte Solmaar.
Balgor nickte. »Natürlich. Aber die sind auch für das Absetzen aus der Walküre präpariert. Mit einem Atomsprengkörper geht das nicht so einfach. Der Sprengkörper muss für den Einsatz vorbereitet werden. Sie erinnern sich sicherlich an die Aufsetz- und Durchstart-Übungen, die von der PVS auf Bastet durchgeführt wurden? Diese riesigen Paletten und Container, die mit Hilfe von Gravschirmen und Bremsschirmen aus den Walküren gezogen wurden, während diese niedrig über die Abwurfzone hinwegdonnerten?
So ähnlich dürfen Sie sich den Abwurf der Atomwaffe vorstellen. Dabei gibt es dann zwei Probleme: Erstens, wie mache ich den Zünder manuell scharf? Atomwaffen sind nicht gerade für zuverlässige Maschinengeister bekannt. Als Flugzeugbesatzung würde ich mich nicht darauf verlassen, dass zwanzig Kilotonnen Sprengkraft in der dünnen Luft nicht vielleicht doch schon frühzeitig auslösen und mich in die Atmosphäre verteilen. Vor allem, wenn ich es innerhalb meiner Maschine aktivieren muss.«
»Und das zweite Problem? «, wollte Solmaar wissen.
»Wie treffe ich den Gegner? Das Problem von ungelenkten Gravschirmabwürfen aus großen Höhen ist, dass man nie weiß, wohin der Körper, den man abwirft, auch wirklich hintreibt. «
Sein Gegenüber wirkte nach wie vor nicht überzeugt. »Aber wir müssen den Abwurf ja nicht aus zehn Kilometern Höhe durchführen. Würden nicht auch nur ein- bis zweitausend Meter Höhe reichen? «
»So wie bei Lenhims Trupp oder die paar Dutzend anderen Flieger, die unsere Armeegruppe gegen die Grünhäute eingesetzt hat?«, wollte Balgor wissen. Der Sarkasmus in seiner Stimme hielt sich dabei erfolgreich in Erinnerung. Sogar so erfolgreich, dass weitere Worte lediglich Verschwendung gewesen wären.
»Verdammt«, musste Solmaar zugeben. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatte er diese Möglichkeit zuvor wahrscheinlich überhaupt nicht in Betracht gezogen.
»Genau«, bestätigte der kleinere Captain. »Verdammt. Vermutlich wird die Bombe mit dem abstürzenden Transporter beim Aufprall zerschellen, der Sprengstoff geht hoch und es gibt eine kleine Explosion, die den einen oder anderen Ork anschwärzt. Das war es dann aber auch. Glück gehabt. Lediglich die Maschine und eine Bombe verloren. Bleiben noch zwei zu elf.« Er holte tief Luft. »Geht es aber so weit, dass die Bombe heilbleibt, dann wird es für uns recht ärgerlich. Denn dann haben nämlich die Grünen die Bombe. Und wir stehen plötzlich ziemlich nackt da.«
Solmaar verstand schweigend.
»Natürlich kann ich nicht für den Colonel sprechen«, schloss Balgor. »Aber er wird seine Gründe für sein Verhalten haben. Immerhin sind die Atomwaffen das letzte Mittel, dem Gegner schwerste Verluste beizubringen. Und dieses Mittel wird der Colonel sicherlich nicht verfrüht oder falsch einsetzen.« Er schüttelte den Kopf. »Wenn er so weit geht, dann könnte er sich auch gleich selbst umbringen.«
Bei diesem Gedanken spürte er es in seinem Innern rumoren – aber dieses Mal war der Grund dafür nicht das Reservoir, das sich gerade in seiner Blase ansammelte.
Ich denke, ich sollte jetzt noch einmal nach ihm sehen, entschied er. Nicht, dass er noch irgendwelche Dummheiten macht.
Dass er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte, bemerkte er erst, als Solmaar sich angesprochen fühlte. »Glauben Sie das?«
»Wie Sie bereits ganz richtig festgestellt haben«, beendete Balgor das Gespräch in der Hoffnung, keinen allzu großen Schaden im Ansehen seines Vorgesetzten angerichtet zu haben. »Ich kenne ihn von uns allen am besten. Wenn er zu viel Zeit hat, heckt er die innovativsten Pläne aus.«
***
Der Mond verbarg sein Antlitz hinter neu aufziehenden Wolken, als Galardin Ekko in die nächtliche Stille des Hauptturms hinaustrat.
In der letzten Stunde hatte er sich bemüht, endlich ein wenig Schlaf zu finden, doch recht schnell festgestellt, dass weder sein Körper, noch sein Geist Ruhe zulassen wollten. Adrenalin pumpte in mächtigen Schüben durch seine Adern und der pochende Kopfschmerz, der ihn bereits seit etlichen Stunden traktierte, hatte sich auch wieder eingefunden.
Es war fast, als ob alte Freunde ihn besuchen würden. Freunde allerdings, auf die er in diesem Moment liebend gern hätte verzichten können.
Tatsächlich wollte es ihm so vorkommen, als wenn kleine Grots in seinem Kopf umhersprangen, seine Synapsen quetschten und seine Hirnwindungen fraßen wie Rost einen Leman Russ.
Und die Nachtluft bot wenig Abkühlung, selbst wenn er sich direkt in den eisigen Wind stellte, der hier oben um das Beinhaus schnitt.
Im Grunde war das auch nicht wichtig. Hier, wo er stand, sah er sich den kalten Klauen des Wetters sowieso mit seiner vollen Breitseite ausgesetzt.
Ekko atmete tief ein und entschied, alle weiteren Gedanken an Wind lediglich leises Hintergrundflüstern in seinem Kopf zu sein, bevor er an den Rand der Dachplattform trat und den tiefen Abgrund betrachtete, der sich vor ihm auftat.
In seiner Jugend, also zu jener Zeit, als ihm sein Bruder genommen worden war, hatte er sich stets vorgestellt, eines Tages die letzte, alles entscheidende große Schlacht gegen seine Feinde (die gerüsteten Bestien des Adeptus Sororitas) zu schlagen und dann, unter den dankbaren Blicken der Bevölkerung, in die Wüste gen untergehende Sonne zu marschieren.
Nun gut, die Situation hatte sich zwischenzeitlich geringfügig geändert. Tatsächlich verschluckte die tiefe Schwärze der Nacht die kilometerlange Strecke zum Boden, an deren Ende der Tod auf ihn lauerte.
Immer wieder war es dem Universum mit Hilfe des Gott-Imperators gelungen, ihn zu quälen und um sein verdientes Ende zu bringen. Sie hatten ihn regelrecht mit Leben gefoltert, bis er sich in sein Schicksal ergeben hatte und zu der Ansicht gekommen war, ihr Spiel so lange einfach mitzuspielen, bis sich ihm ein Ausweg bot.
Die Worte der Ekklesiarchin indes hatten ihn nachdenklich werden lassen. Vielleicht hatte sie ihm einen bisher versteckten Weg offenbart, sein Vorhaben doch noch durchzuführen.
Legenden hin oder her.
War es zuvor sein erklärtes Ziel gewesen, alle seine Männer von diesem leblosen Stück Gestein wegzubringen, das die Schlacht zwischen Menschen und Orks aus einem einstmals blühenden Ort gemacht hatte, so überlegte er inzwischen wieder verstärkt, sich jetzt endlich aus der Gleichung des Imperators weg zu kürzen. Im Augenblick zumindest bot sich ihm die Gelegenheit dafür.
Wenn er vor der Schlacht starb, dann würde das ohne Frage einen immensen Schlag für seine Männer bedeuten. Sicherlich würden Fragen aufkommen, Spekulationen über seinen so unerwarteten Tod.
Vermutlich würden sie eine breite Bandbreite abdecken – vom unehrenhaften Tod durch Selbstmord bis zur hinterhältigen Ermordung durch einen Attentäter.
Allerdings war es besser, wenn er jetzt ausschied, als wenn er während des Abwehrkampfes mit dem Makel des Selbstmords vom Feld ging.
Natürlich war es sein Ziel möglichst unspektakulär zu verscheiden. Aber das Letzte, was er tun wollte, war seinen Leuten ein schlechtes Vorbild zu sein. Genauso wenig wie ein Held, auch wenn das wiederrum eine vollkommen andere Geschichte war.
Langsam zog er das Büchlein, das seine ‚Schwarze Liste‘ barg, aus der Brusttasche seines Drillichs und blätterte ein weiteres Mal die Seiten durch.
Auf dramatisch humoristische Weise besaß dieses kleine, in einen dunklen Einband geschlagene Buch eine lebenswichtige Bedeutung für ihn. Immerhin hatte es seinen Verstand über die letzten Jahre in einem wachen und klaren Zustand bewahrt.
Es hatte ihn Tag um Tag am Leben und auf sein Ziel gerichtet erhalten, sodass er sich zumindest noch ansatzweise in den Prüfungen, mit der ihn der Gott-Imperator und das Universum bedachten, behaupten konnte.
Die Ekklesiarchin hatte schon recht gehabt. Er hätte am liebsten einfach dagesessen und darauf gewartet, dass sich das Imperium aus einer grausamen Laune des Universums heraus selbst fraß. Wie hatte sie es genannt? Ach ja - ‚das Schwinden“.
Doch je weiter ihn sein Weg durch die Galaxie führte, je weiter ihn die Pistole in seinem Rücken vorwärtsdrängte, umso stärker reifte in ihrem die Erkenntnis, dass er die Liste in seinem Büchlein niemals würde abarbeiten können.
Und mit dieser Erkenntnis wurde auch sein Lebensgrund seltsam wertlos.
Er hatte einfach keine Lust mehr. Er wollte nicht mehr. Er hatte diesen Dienst nicht gewollt, diesen Rang nicht und auch die Pflichten und Privilegien, die mit seiner Stellung einhergingen, hatte er nicht gewollt.
Er wäre am liebsten ein einfacher Sergeant geblieben, ein Streiter der PVS auf Bastet III, mit dem sicheren Wissen um das Herz seiner Liebe.
Aber so, Kamerad, haben wir nicht gewettet.
Wieder einmal keimte in ihm die Frage auf, was den Imperator verärgert hatte, dass Er ihn so dermaßen quälte.
Warnendes Grollen dröhnte über die Ebene, welche die Himmelskathedrale einschloss. Es war nicht mehr viel Zeit, bis die Orks die Himmelskathedrale erreichten. Der Colonel verstand das Zeichen. Jetzt – oder nie!
Er traf seine Entscheidung.
Galardin Alberic Ekko, Colonel der Imperialen Armee, Kommandeur des 512. Regiments Sera, gefallen im Jahre des Imperators 996M41. Sturz vom Dach der Himmelskathedrale auf Agos Virgil.
Der Basteter grinste bitter. Schade eigentlich. Unter anderen Umständen hätte es ein gutes, ein glückliches Leben unter dem Schutz des Imperators werden können.
Fast geräuschlos legte er das schwarze Buch ab, straffte seine Uniform und nahm Haltung an. »Bald werden wir uns wiedersehen«, flüsterte er seiner Liebe zu. »So wie es der Imperator will.«
Ein letzter, tiefer Atemzug folgte, dann trat Colonel Galardin Alberic Ekko in die Bodenlosigkeit…
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