Da SHOKer so fleißig war und gleich das nächste Kapitel in Rekordzeit korrigiert hat, gibt es nun bis zum großen Finale jeden Tag ein Update.
@ SHOKer
Vielen Dank für die tolle und schnelle Korrektur. :cheekkiss:
An den Dialogen saß ich recht lange und es ist eben wirklich mal wieder eine Achterbahnfahrt. Innerhalb kürzester Zeit wird alles zertrümmert, an was Gavri fest geglaubt hat. Aber sie hat eben auch die Stärke, dass erlebte zu verarbeiten.
Zum Assassinen. Der Anschlag und die Vernichtung des kompletten Senats ist offiziell, wie er gemacht wurde ist vollständig offen gelassen. Aber da der Senat teilweise wahrscheinlich schon damals von sehr mächtigen Psionikern durchsetzt war, muss man da schon tief in die Trickkiste greifen. Da dieses Ereigniss noch eine Rolle spielen wird, werde ich an dieser Stelle aber nicht vorgreifen.
@ flask03
Der Bruch ist teilweise gar nicht so heftig, wie er momentan den Anschein erweckt. Vieles wird noch später erklärt werden. Auch das mit dem Gott wird sich noch erklären. Einiges ist sicherlich frei erfunden, fügt sich aber mehr oder weniger in den großen Rahmen des Hintergrundes ein.
@ Hirnbrand
PDF gibt es am Ende von Band 1, also wohl Mitte nächster Woche.
@ Blackorc
Danke für das Lob! Fluffschänder, was für ein geiles Wort. :wub:
-
"Das sehe ich in deinem Herzen aber nicht."
"Als sie mir das Leben schenkte, nahm ich ihres."
"Ah, deine Mutter ist bei deiner Geburt gestorben. Du hast sie nicht getötet, wer redet dir den so etwas Gemeines ein?"
"Mein Vater! Der hat gesagt, wenn ich nicht wäre, würde sie noch leben!"
"Ach Kind! Du würdest deiner Mutter damit aber einen schlechten Dienst erweisen und ihr Geschenk des Lebens pervertieren. Nein, dass ist kein erstrebenswertes Ziel. Das ist krank!"
Gavri schlug sich die Hände vors Gesicht und fing an zu schluchzen.
"Psst, nicht weinen. Glaub mir, deine Mutter hat dich mit jeder Faser ihres Herzens geliebt, denn sie hat für dich das ultimative Opfer gebracht. Ich habe mich vielleicht etwas harsch ausgedrückt. Verzeih mir bitte, ich bin es nicht mehr gewohnt, mit Kindern zu reden."
Gavri weinte hemmungslos weiter, irgendwie brach heute ihr ganzes Leben weg. Der imperiale Glaube hatte sie bis jetzt immer vor jedem Zweifel über ihre Zukunft bewahrt. Aber sie verlor mehr und mehr jeden Halt. Jede vermeintliche Wahrheit, jedes scheinbar für die Ewigkeit in Stein gemeißeltes Gebot, an das sie je geglaubt hatte, stellte sich als Falschheit oder Lüge heraus. Aber was war sie ohne ihren Glauben? Ein Mädchen mit einem vernarbten Rücken und einem umfangreiches Wissen über eine Religion, die nichts weiter als Lug und Trug war. Mit einer Gabe verflucht, die sie umbringen würde. Es dauerte etliche Minuten, bis Gavri wieder in der Lage war, einen vernünftigen Gedanken zu fassen.
"Ich glaube, du hast recht. Meine Mutter hätte dann ihr Leben umsonst gegeben. So habe ich das noch nie betrachtet. Nun, nehmen wir an, mit dem Wissen, dass ich eine verfluchte Hexe bin, verlasse ich das Schiff und mache etwas Anderes, wie sieht dann meine Zukunft aus?"
"Ich sehe schon, du bist recht raffinierst und lotest deine Möglichkeiten aus, sonst wärst du ja auch nicht hier. Ich kann dir etwa einhundert Schicksale zeigen, die sich gerade mit deiner Frage aufgetan haben, wenn du das wirklich willst. Aber ich muss dich warnen, keines davon ist wirklich lebenswert oder nimmt ein gutes Ende."
"Mach ruhig, ich will es wirklich wissen.", verlangte sie in ihrer Naivität und schon nach wenigen Sekunden wurde ihr bewusst, dass Unwissenheit manchmal einfach ein Segen war.
Und sie sah sich hundertmal sterben. In der ersten Version wurde sie morgen in einer dunklen Hintergasse im Schatten der Kathedrale zu Tode vergewaltigt, in der zweiten tötete sie ihre Vergewaltiger mit ihren erwachenden Hexenkräfte, stiftete unbeabsichtigt einiges an Unheil, bevor sie von einem Trupp Sororitas Schwestern im Feuer von geweihten Flammenwerfern geläutert wurde. Dann kamen in schneller Reihenfolge andere Schicksale. Sie sah sich kurz glücklich verheiratet, mit Familie und eigenem Geschäft, bis sie darin von Zeloten im Schlaf verbrannt wurde. Ein anderes Schicksal zeigte sie als mächtige Hexenkönigin auf ihrem eigenen Piratenschiff, sie verging im Feuer eines Meltertorpedos. Sie wurde zum Wirt eines mächtigen Dämons und tötete so einen ganzen Planeten. Sie wurde auf einem Scheiterhaufen verbrannt, nachdem ein Hexenjäger auf sie aufmerksam wurde. Ein anderes Schicksal sah sie als mächtige Psionikerin, Tyrannin einer ganzen Welt, bis sie wahnsinnig wurde und sich selbst aufzehrte. In schneller Folge wurde sie erschossen, zu Tode geprügelt, zu Tode geschleift, geköpft, ausgeweidet, zermalmt, zerhackt, langsam zu Tode gefoltert, von Dämonen als Tor oder Werkzeug missbraucht und ziemlich oft verbrannt. Sie starb nie an Krankheit, nie an Altersschwäche. Entweder brachte die psionische Fähigkeit sie um, sie wurde von einem Dämonen besetzt, verzehrte sich selbst, als sie ihre Macht nicht mehr kontrollieren konnte, oder sie wurde wegen ihrer Hexerei auf mannigfaltige und meist bestialische Art umgebracht.
"Es reicht! Ich will nichts mehr sehen. Ich kann nichts mehr sehen." Gavri weinte still vor sich hin und die Stimme schwieg. Gab ihr die notwendige Zeit, das alles zu verarbeiten. Sie wurde auf ein Tüchlein auf dem Tisch aufmerksam, wischte ihre Tränen ab und schnäuzte sich die Nase. Müde rieb sie sich die Augen und überlegte. Das Mädchen hatte Dinge erfahren, die einen schwächeren Geist wahrscheinlich schon längst in den Wahnsinn getrieben hätten. Die Pilgerin seufzte und blickte nach oben.
"Zeig mir, was aus uns wird, wenn ich dir meinen Körper schenke." Und das junge Mädchen sah es. Auch hier gab es viele Möglichkeiten, dass sie früh starb, wegen Ketzerei verbrannt wurde. Im Kampf gegen Entertruppen des Chaos fiel. Von einem Dämonenprinzen geköpft wurde. Bei einer Plasmaexplosion verging. Und Gavri sah, was passieren konnte, wenn sie diese Klippen umschiffte. Sah mögliche großartige Erfolge und ruhmreiche Siege, aber auch blutige Rückschläge und bittere Enttäuschungen. Totales Scheitern war ebenso möglich wie ultimativer Erfolg. Die Ströme der Zeit waren in ständiger Bewegung. Aber es würde Hoffnung geben. Die Menschheit würde so vielleicht überleben können. Je nach Zeitstrom manchmal nur ein verschwindend kleiner Teil der Menschheit, welche die Galaxie auf wenigen Schiffen in Richtung der Halosterne verliesen, manchmal überlebte fast das ganze Imperium, wenn auch in anderer Form. Aber alles war besser als die vollständige Vernichtung.
"Wenn du die Ströme der Zeit nach zukünftigen Möglichkeiten absuchen kannst, ist es dir dann auch möglich, die Vergangenheit zu sehen?"
"Ich kann in die Herzen der Menschen sehen, das schließt auch ihre Vergangenheit mit ein."
"Dann zeige mir meine Geburt, ich möchte meine Mutter wenigstens ein einziges Mal sehen. Ich habe noch nicht mal ein Bild von ihr, nur ihre Fingerknochen."
Und Gavri sah, wie sie geboren wurde, in einer kleinen schäbigen Kammer des Hospitals des Schiffes. Eine Hebamme wusch gerade den blutigen Säugling, sah ihre erschöpft daliegende, bleiche, verschwitzte Mutter und wie Blut aus ihrem Schritt in ein Handtuch sickerte. Viel zu viel Blut. Ihre Mutter sah ihr sehr ähnlich, eine etwas ältere Ausgabe von ihr selbst. Sie sah ihren jungen Vater mit einer anderen Frau in Hospitalertracht reden.
"Meine Frau verblutet! Tun sie doch bitte etwas dagegen."
"Eine gesegnete Bluttransfusion würde zwanzig Credits kosten", erklärte die Frau mit der blutigen Schürze bestimmt.
"Und wenn sie mein Blut nehmen?" Ihr Vater sah so jung aus, damals war er noch keine zwanzig gewesen, ihre Mutter vielleicht sechzehn. Pilger auf den Schiffen heirateten jung.
"Eure Blutgruppen stimmen nicht über ein, wie oft soll ich euch das noch erklären?"
"Ich habe aber keine zwanzig Credits", ihr Vater holte aus seinem Pilgergewand einen Beutel hervor und zählte der Frau mit der blutigen Schürze siebzehn Credits in die Hand.
"Das sind aber nur siebzehn, es sind zwanzig nötig. Zwanzig!" Das letzte Wort sprach sie in einem Tonfall aus, als ob sie einem kleinen uneinsichtigen Kind etwas erklären würde.
"Bei der Liebe des Imperators. Fangen sie schon an, ich werde das fehlende Geld schon auftreiben."
"So läuft das aber nicht bei Pilgern des D Decks. Nur gegen Vorauskasse, so lauten die heiligen, unumstößlichen Vorschriften der Ekklesiarchie auf diesem gesegneten Schiff."
"Ich flehe sie an, bitte geben sie meiner Frau eine Bluttransfusion! Seien sie doch im Namen des Imperators barmherzig!"
"Ehrlich gesagt, ist nicht mal sicher, ob das hilft. Und bevor ich nicht das ganze Geld habe, werde ich nichts tun. Blutkonserven sind teuer, besonders wenn sie gesegnet sind." Ihr Vater sank auf die Knie und küsste die Füße der Frau.
"Ich bitte Sie beim gnädigen Imperator, ich besorge das Geld."
"Dann gehen sie, wenn sie sich beeilen, schaffen sie es ja noch rechtzeitig." Ihr Vater stand auf und rannte aus dem Raum.
"Hier, sie ist ein wirklich hübsches Mädchen.", sagte die jüngere Schwester und legte Gavri, den munteren Säugling, an die Brust der sterbenden Frau. Ihre Mutter griff schwach nach ihr und blickte sie trotz der Schmerzen lächelnd an.
"Du bist wirklich was ganz Besonderes! Wie schön du bist!", flüsterte ihre Mutter und streichelte ihr mit zitternder Hand zärtlich über das Haupt. "Ich möchte, dass sie Gavri heißt", wandte sich die sterbende Frau an die nettere Hebamme.
"Gavri? Das ist ein ungewöhnlicher Name." Aber ihre Mutter hörte die Antwort schon nicht mehr, denn sie war gestorben.
"Möge der Imperator ihrer Seele gnädig sein." Die junge Hebamme nahm den Säugling wieder an sich. "Ach du armes Würmchen!"
"Kostet eine Bluttransfusion nicht nur zehn Credits?", wandte sie sich an ihre Vorgesetzte.
"Ich wusste, dass der dreckige Bastard keine zwanzig mehr hatte und ich finde es nur gerecht, dass das D Deck nicht noch weiter überbelegt wird. Die vermehren sich dort unten in ihrem eigenen Dreck wie die Ratten. Eine stirbt, ein anderes stinkendes Ding tritt an ihre Stelle, so werden es nicht mehr. Falls sie nicht krepiert wäre, läge sie in einem Jahr wieder hier und der nächste Balg käme herausgekrochen. Ich könnte jedes mal kotzen, wenn Pilger vom D Deck hier angehumpelt kommen und ihre Wehwehchen klagen, anstatt froh zu sein, auf einem heiligen Pilgerschiff sterben zu dürfen. Und das Duftwasser, um den Geruch ihrer ungewaschenen Leiber ertragen zu können", sie tippte auf eine kleine Phiole mit Duftspender, den sie an einem Ring unter der Nase trug, "wird auch nicht billiger".
"Aber, wir sind doch hier, um diesen Leuten zu helfen."
"Das ist das, was diese mittellosen Schwachköpfe glauben sollen. Hören Sie auf zu jammern. Ich habe eine Quote zu erfüllen, die mir der Dekan aufgebrummt hat."
"Eine Quote? Was soll das heißen?"
"Lehrschwester Thebe, sie haben noch viel zu lernen. Ich muss dafür Sorge tragen, dass eine gewisse Anzahl an Pilgern des D Deckes im Hospital stirbt, dass ist von oben vorgegeben. Und ich bin froh, wenn ich nicht aktiv nachhelfen muss, um die Quote zu erfüllen. Und jetzt geben Sie endlich Ruhe!"
Die Hebamme erwiderte eingeschüchtert darauf nichts und legte sie in eine kleine Wiege.
Die Tür wurde aufgerissen und ihr Vater stürmte herein.
"Ich habe das Geld. Sie können jetzt beginnen."
"Mein tiefes aufrichtiges Beileid, die unsterbliche Seele ihrer Frau ist gerade zum Imperator gefahren. Aber es kostet genau zwanzig Credits, um ihre Überreste zu entbeinen und sie in der Kathedrale zur ewigen Ruhe betten zu lassen. Danke! Der Imperator wird sich nun um sie kümmern. So, nehmen sie Ihr Kind und gehen Sie bitte. Die nächsten hilfsbedürftigen Patienten warten schon." Das Bild verblasste und Gavri schluckte schwer, während ihre weitere Tränen über die Wangen liefen.
"Meine Mutter starb gar nicht direkt wegen mir, sondern weil man sie hat sterben lassen. Ich verstehe das einfach nicht, das war doch das Schiffshospital! Das ist doch für die Pilger da!"
"Die Einrichtungen der Ekklesiarchie sind oft nur für die da, welche die Dienstleistungen bezahlen können. Diese Organisation hat sich schon sehr früh dem Anhäufen von materiellen Dingen verschrieben. Menschen sind für diese Kirche nur dann von Nutzen, wenn diese fleißig spenden oder sich in einem Glaubenskrieg bereitwillig verheizen lassen. Es mag in den Reihen der Ekklesiarchie sicherlich viele lobenswerte Menschen geben, welche den Ruf der gesamten Kirche immer wieder durch gute Taten schönen, welche funktionierende soziale Einrichtungen betreiben und wirklich den Bedürftigen vollkommen selbstlos helfen. Aber ab einer gewissen Ebene ist die Ekklesiarchie innerlich verroht, trotz verschiedener Reformationen wie unter Sebastian Thor, der sicherlich die schlimmsten Exzesse an Prunksucht und Gier abgeschafft hat."
Heute kam sie aus dem Weinen nicht mehr heraus, dabei war sie doch sonst nicht so eine Heulsuse. Das Mädchen schniefte ein weiteres mal in das Tüchlein und schloss die Augen. Es verging einige Zeit, bis sie die neuen Informationen verarbeitet und akzeptiert hatte.
"Hm, jetzt ist nur noch die Frage, kann ich dir wirklich trauen? Schenke ich dir meinen Körper und du hast mich angelogen, bin ich ne verdammt blöde Nuss. Verwehre ich dir meinen Körper und du lügst nicht, steh ich als ne richtig dämliche, selbstsüchtige Kuh da."
"Du kannst darüber nachdenken, lass dir ruhig Zeit." Gavri stieß einen tiefen Seufzer aus. Eine Wahl hatte sie eigentlich nie wirklich gehabt. Nahm sie das Angebot nicht an, starb sie mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen der in ihr schlummernden psionischen Kräfte und ihre Seele war verdammt. Nahm sie es an, gab sie nicht nur ihren Körper auf, sondern auch ihre bis jetzt reine und unsterbliche Seele. Eigentlich blieb ihr gar nichts anderes übrig, als sich selbst aufzugeben.
"Puh! Letztendlich kann ich nur meinem Herzen folgen und das hat sich schon entschieden. Und ich weiß, dass du das schon längst weißt. Du hast es schon gewusst, als ich durch die Türe gekommen bin. Nicht wahr?"
"Das ist wahr. Es ist unser gemeinsames Schicksal. Du wurdest nur dafür geboren. Alles was du bisher getan hast, diente nur dazu, dich auf diesen einen Tag vorzubereiten. Unsere Schicksale waren schon vereint, als dein Großvater zu der Pilgerfahrt aufbrach. Dein Name verkündete schon lange vorher deine wahre Bestimmung als mein Gefäß."
"Dann verrate mir aber vorher noch deinen Namen."
Und die Stimme nannte ihn und Gavri lächelte verstehend.
@ SHOKer
Vielen Dank für die tolle und schnelle Korrektur. :cheekkiss:
An den Dialogen saß ich recht lange und es ist eben wirklich mal wieder eine Achterbahnfahrt. Innerhalb kürzester Zeit wird alles zertrümmert, an was Gavri fest geglaubt hat. Aber sie hat eben auch die Stärke, dass erlebte zu verarbeiten.
Zum Assassinen. Der Anschlag und die Vernichtung des kompletten Senats ist offiziell, wie er gemacht wurde ist vollständig offen gelassen. Aber da der Senat teilweise wahrscheinlich schon damals von sehr mächtigen Psionikern durchsetzt war, muss man da schon tief in die Trickkiste greifen. Da dieses Ereigniss noch eine Rolle spielen wird, werde ich an dieser Stelle aber nicht vorgreifen.
@ flask03
Der Bruch ist teilweise gar nicht so heftig, wie er momentan den Anschein erweckt. Vieles wird noch später erklärt werden. Auch das mit dem Gott wird sich noch erklären. Einiges ist sicherlich frei erfunden, fügt sich aber mehr oder weniger in den großen Rahmen des Hintergrundes ein.
@ Hirnbrand
PDF gibt es am Ende von Band 1, also wohl Mitte nächster Woche.
@ Blackorc
Danke für das Lob! Fluffschänder, was für ein geiles Wort. :wub:
-
"Das sehe ich in deinem Herzen aber nicht."
"Als sie mir das Leben schenkte, nahm ich ihres."
"Ah, deine Mutter ist bei deiner Geburt gestorben. Du hast sie nicht getötet, wer redet dir den so etwas Gemeines ein?"
"Mein Vater! Der hat gesagt, wenn ich nicht wäre, würde sie noch leben!"
"Ach Kind! Du würdest deiner Mutter damit aber einen schlechten Dienst erweisen und ihr Geschenk des Lebens pervertieren. Nein, dass ist kein erstrebenswertes Ziel. Das ist krank!"
Gavri schlug sich die Hände vors Gesicht und fing an zu schluchzen.
"Psst, nicht weinen. Glaub mir, deine Mutter hat dich mit jeder Faser ihres Herzens geliebt, denn sie hat für dich das ultimative Opfer gebracht. Ich habe mich vielleicht etwas harsch ausgedrückt. Verzeih mir bitte, ich bin es nicht mehr gewohnt, mit Kindern zu reden."
Gavri weinte hemmungslos weiter, irgendwie brach heute ihr ganzes Leben weg. Der imperiale Glaube hatte sie bis jetzt immer vor jedem Zweifel über ihre Zukunft bewahrt. Aber sie verlor mehr und mehr jeden Halt. Jede vermeintliche Wahrheit, jedes scheinbar für die Ewigkeit in Stein gemeißeltes Gebot, an das sie je geglaubt hatte, stellte sich als Falschheit oder Lüge heraus. Aber was war sie ohne ihren Glauben? Ein Mädchen mit einem vernarbten Rücken und einem umfangreiches Wissen über eine Religion, die nichts weiter als Lug und Trug war. Mit einer Gabe verflucht, die sie umbringen würde. Es dauerte etliche Minuten, bis Gavri wieder in der Lage war, einen vernünftigen Gedanken zu fassen.
"Ich glaube, du hast recht. Meine Mutter hätte dann ihr Leben umsonst gegeben. So habe ich das noch nie betrachtet. Nun, nehmen wir an, mit dem Wissen, dass ich eine verfluchte Hexe bin, verlasse ich das Schiff und mache etwas Anderes, wie sieht dann meine Zukunft aus?"
"Ich sehe schon, du bist recht raffinierst und lotest deine Möglichkeiten aus, sonst wärst du ja auch nicht hier. Ich kann dir etwa einhundert Schicksale zeigen, die sich gerade mit deiner Frage aufgetan haben, wenn du das wirklich willst. Aber ich muss dich warnen, keines davon ist wirklich lebenswert oder nimmt ein gutes Ende."
"Mach ruhig, ich will es wirklich wissen.", verlangte sie in ihrer Naivität und schon nach wenigen Sekunden wurde ihr bewusst, dass Unwissenheit manchmal einfach ein Segen war.
Und sie sah sich hundertmal sterben. In der ersten Version wurde sie morgen in einer dunklen Hintergasse im Schatten der Kathedrale zu Tode vergewaltigt, in der zweiten tötete sie ihre Vergewaltiger mit ihren erwachenden Hexenkräfte, stiftete unbeabsichtigt einiges an Unheil, bevor sie von einem Trupp Sororitas Schwestern im Feuer von geweihten Flammenwerfern geläutert wurde. Dann kamen in schneller Reihenfolge andere Schicksale. Sie sah sich kurz glücklich verheiratet, mit Familie und eigenem Geschäft, bis sie darin von Zeloten im Schlaf verbrannt wurde. Ein anderes Schicksal zeigte sie als mächtige Hexenkönigin auf ihrem eigenen Piratenschiff, sie verging im Feuer eines Meltertorpedos. Sie wurde zum Wirt eines mächtigen Dämons und tötete so einen ganzen Planeten. Sie wurde auf einem Scheiterhaufen verbrannt, nachdem ein Hexenjäger auf sie aufmerksam wurde. Ein anderes Schicksal sah sie als mächtige Psionikerin, Tyrannin einer ganzen Welt, bis sie wahnsinnig wurde und sich selbst aufzehrte. In schneller Folge wurde sie erschossen, zu Tode geprügelt, zu Tode geschleift, geköpft, ausgeweidet, zermalmt, zerhackt, langsam zu Tode gefoltert, von Dämonen als Tor oder Werkzeug missbraucht und ziemlich oft verbrannt. Sie starb nie an Krankheit, nie an Altersschwäche. Entweder brachte die psionische Fähigkeit sie um, sie wurde von einem Dämonen besetzt, verzehrte sich selbst, als sie ihre Macht nicht mehr kontrollieren konnte, oder sie wurde wegen ihrer Hexerei auf mannigfaltige und meist bestialische Art umgebracht.
"Es reicht! Ich will nichts mehr sehen. Ich kann nichts mehr sehen." Gavri weinte still vor sich hin und die Stimme schwieg. Gab ihr die notwendige Zeit, das alles zu verarbeiten. Sie wurde auf ein Tüchlein auf dem Tisch aufmerksam, wischte ihre Tränen ab und schnäuzte sich die Nase. Müde rieb sie sich die Augen und überlegte. Das Mädchen hatte Dinge erfahren, die einen schwächeren Geist wahrscheinlich schon längst in den Wahnsinn getrieben hätten. Die Pilgerin seufzte und blickte nach oben.
"Zeig mir, was aus uns wird, wenn ich dir meinen Körper schenke." Und das junge Mädchen sah es. Auch hier gab es viele Möglichkeiten, dass sie früh starb, wegen Ketzerei verbrannt wurde. Im Kampf gegen Entertruppen des Chaos fiel. Von einem Dämonenprinzen geköpft wurde. Bei einer Plasmaexplosion verging. Und Gavri sah, was passieren konnte, wenn sie diese Klippen umschiffte. Sah mögliche großartige Erfolge und ruhmreiche Siege, aber auch blutige Rückschläge und bittere Enttäuschungen. Totales Scheitern war ebenso möglich wie ultimativer Erfolg. Die Ströme der Zeit waren in ständiger Bewegung. Aber es würde Hoffnung geben. Die Menschheit würde so vielleicht überleben können. Je nach Zeitstrom manchmal nur ein verschwindend kleiner Teil der Menschheit, welche die Galaxie auf wenigen Schiffen in Richtung der Halosterne verliesen, manchmal überlebte fast das ganze Imperium, wenn auch in anderer Form. Aber alles war besser als die vollständige Vernichtung.
"Wenn du die Ströme der Zeit nach zukünftigen Möglichkeiten absuchen kannst, ist es dir dann auch möglich, die Vergangenheit zu sehen?"
"Ich kann in die Herzen der Menschen sehen, das schließt auch ihre Vergangenheit mit ein."
"Dann zeige mir meine Geburt, ich möchte meine Mutter wenigstens ein einziges Mal sehen. Ich habe noch nicht mal ein Bild von ihr, nur ihre Fingerknochen."
Und Gavri sah, wie sie geboren wurde, in einer kleinen schäbigen Kammer des Hospitals des Schiffes. Eine Hebamme wusch gerade den blutigen Säugling, sah ihre erschöpft daliegende, bleiche, verschwitzte Mutter und wie Blut aus ihrem Schritt in ein Handtuch sickerte. Viel zu viel Blut. Ihre Mutter sah ihr sehr ähnlich, eine etwas ältere Ausgabe von ihr selbst. Sie sah ihren jungen Vater mit einer anderen Frau in Hospitalertracht reden.
"Meine Frau verblutet! Tun sie doch bitte etwas dagegen."
"Eine gesegnete Bluttransfusion würde zwanzig Credits kosten", erklärte die Frau mit der blutigen Schürze bestimmt.
"Und wenn sie mein Blut nehmen?" Ihr Vater sah so jung aus, damals war er noch keine zwanzig gewesen, ihre Mutter vielleicht sechzehn. Pilger auf den Schiffen heirateten jung.
"Eure Blutgruppen stimmen nicht über ein, wie oft soll ich euch das noch erklären?"
"Ich habe aber keine zwanzig Credits", ihr Vater holte aus seinem Pilgergewand einen Beutel hervor und zählte der Frau mit der blutigen Schürze siebzehn Credits in die Hand.
"Das sind aber nur siebzehn, es sind zwanzig nötig. Zwanzig!" Das letzte Wort sprach sie in einem Tonfall aus, als ob sie einem kleinen uneinsichtigen Kind etwas erklären würde.
"Bei der Liebe des Imperators. Fangen sie schon an, ich werde das fehlende Geld schon auftreiben."
"So läuft das aber nicht bei Pilgern des D Decks. Nur gegen Vorauskasse, so lauten die heiligen, unumstößlichen Vorschriften der Ekklesiarchie auf diesem gesegneten Schiff."
"Ich flehe sie an, bitte geben sie meiner Frau eine Bluttransfusion! Seien sie doch im Namen des Imperators barmherzig!"
"Ehrlich gesagt, ist nicht mal sicher, ob das hilft. Und bevor ich nicht das ganze Geld habe, werde ich nichts tun. Blutkonserven sind teuer, besonders wenn sie gesegnet sind." Ihr Vater sank auf die Knie und küsste die Füße der Frau.
"Ich bitte Sie beim gnädigen Imperator, ich besorge das Geld."
"Dann gehen sie, wenn sie sich beeilen, schaffen sie es ja noch rechtzeitig." Ihr Vater stand auf und rannte aus dem Raum.
"Hier, sie ist ein wirklich hübsches Mädchen.", sagte die jüngere Schwester und legte Gavri, den munteren Säugling, an die Brust der sterbenden Frau. Ihre Mutter griff schwach nach ihr und blickte sie trotz der Schmerzen lächelnd an.
"Du bist wirklich was ganz Besonderes! Wie schön du bist!", flüsterte ihre Mutter und streichelte ihr mit zitternder Hand zärtlich über das Haupt. "Ich möchte, dass sie Gavri heißt", wandte sich die sterbende Frau an die nettere Hebamme.
"Gavri? Das ist ein ungewöhnlicher Name." Aber ihre Mutter hörte die Antwort schon nicht mehr, denn sie war gestorben.
"Möge der Imperator ihrer Seele gnädig sein." Die junge Hebamme nahm den Säugling wieder an sich. "Ach du armes Würmchen!"
"Kostet eine Bluttransfusion nicht nur zehn Credits?", wandte sie sich an ihre Vorgesetzte.
"Ich wusste, dass der dreckige Bastard keine zwanzig mehr hatte und ich finde es nur gerecht, dass das D Deck nicht noch weiter überbelegt wird. Die vermehren sich dort unten in ihrem eigenen Dreck wie die Ratten. Eine stirbt, ein anderes stinkendes Ding tritt an ihre Stelle, so werden es nicht mehr. Falls sie nicht krepiert wäre, läge sie in einem Jahr wieder hier und der nächste Balg käme herausgekrochen. Ich könnte jedes mal kotzen, wenn Pilger vom D Deck hier angehumpelt kommen und ihre Wehwehchen klagen, anstatt froh zu sein, auf einem heiligen Pilgerschiff sterben zu dürfen. Und das Duftwasser, um den Geruch ihrer ungewaschenen Leiber ertragen zu können", sie tippte auf eine kleine Phiole mit Duftspender, den sie an einem Ring unter der Nase trug, "wird auch nicht billiger".
"Aber, wir sind doch hier, um diesen Leuten zu helfen."
"Das ist das, was diese mittellosen Schwachköpfe glauben sollen. Hören Sie auf zu jammern. Ich habe eine Quote zu erfüllen, die mir der Dekan aufgebrummt hat."
"Eine Quote? Was soll das heißen?"
"Lehrschwester Thebe, sie haben noch viel zu lernen. Ich muss dafür Sorge tragen, dass eine gewisse Anzahl an Pilgern des D Deckes im Hospital stirbt, dass ist von oben vorgegeben. Und ich bin froh, wenn ich nicht aktiv nachhelfen muss, um die Quote zu erfüllen. Und jetzt geben Sie endlich Ruhe!"
Die Hebamme erwiderte eingeschüchtert darauf nichts und legte sie in eine kleine Wiege.
Die Tür wurde aufgerissen und ihr Vater stürmte herein.
"Ich habe das Geld. Sie können jetzt beginnen."
"Mein tiefes aufrichtiges Beileid, die unsterbliche Seele ihrer Frau ist gerade zum Imperator gefahren. Aber es kostet genau zwanzig Credits, um ihre Überreste zu entbeinen und sie in der Kathedrale zur ewigen Ruhe betten zu lassen. Danke! Der Imperator wird sich nun um sie kümmern. So, nehmen sie Ihr Kind und gehen Sie bitte. Die nächsten hilfsbedürftigen Patienten warten schon." Das Bild verblasste und Gavri schluckte schwer, während ihre weitere Tränen über die Wangen liefen.
"Meine Mutter starb gar nicht direkt wegen mir, sondern weil man sie hat sterben lassen. Ich verstehe das einfach nicht, das war doch das Schiffshospital! Das ist doch für die Pilger da!"
"Die Einrichtungen der Ekklesiarchie sind oft nur für die da, welche die Dienstleistungen bezahlen können. Diese Organisation hat sich schon sehr früh dem Anhäufen von materiellen Dingen verschrieben. Menschen sind für diese Kirche nur dann von Nutzen, wenn diese fleißig spenden oder sich in einem Glaubenskrieg bereitwillig verheizen lassen. Es mag in den Reihen der Ekklesiarchie sicherlich viele lobenswerte Menschen geben, welche den Ruf der gesamten Kirche immer wieder durch gute Taten schönen, welche funktionierende soziale Einrichtungen betreiben und wirklich den Bedürftigen vollkommen selbstlos helfen. Aber ab einer gewissen Ebene ist die Ekklesiarchie innerlich verroht, trotz verschiedener Reformationen wie unter Sebastian Thor, der sicherlich die schlimmsten Exzesse an Prunksucht und Gier abgeschafft hat."
Heute kam sie aus dem Weinen nicht mehr heraus, dabei war sie doch sonst nicht so eine Heulsuse. Das Mädchen schniefte ein weiteres mal in das Tüchlein und schloss die Augen. Es verging einige Zeit, bis sie die neuen Informationen verarbeitet und akzeptiert hatte.
"Hm, jetzt ist nur noch die Frage, kann ich dir wirklich trauen? Schenke ich dir meinen Körper und du hast mich angelogen, bin ich ne verdammt blöde Nuss. Verwehre ich dir meinen Körper und du lügst nicht, steh ich als ne richtig dämliche, selbstsüchtige Kuh da."
"Du kannst darüber nachdenken, lass dir ruhig Zeit." Gavri stieß einen tiefen Seufzer aus. Eine Wahl hatte sie eigentlich nie wirklich gehabt. Nahm sie das Angebot nicht an, starb sie mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen der in ihr schlummernden psionischen Kräfte und ihre Seele war verdammt. Nahm sie es an, gab sie nicht nur ihren Körper auf, sondern auch ihre bis jetzt reine und unsterbliche Seele. Eigentlich blieb ihr gar nichts anderes übrig, als sich selbst aufzugeben.
"Puh! Letztendlich kann ich nur meinem Herzen folgen und das hat sich schon entschieden. Und ich weiß, dass du das schon längst weißt. Du hast es schon gewusst, als ich durch die Türe gekommen bin. Nicht wahr?"
"Das ist wahr. Es ist unser gemeinsames Schicksal. Du wurdest nur dafür geboren. Alles was du bisher getan hast, diente nur dazu, dich auf diesen einen Tag vorzubereiten. Unsere Schicksale waren schon vereint, als dein Großvater zu der Pilgerfahrt aufbrach. Dein Name verkündete schon lange vorher deine wahre Bestimmung als mein Gefäß."
"Dann verrate mir aber vorher noch deinen Namen."
Und die Stimme nannte ihn und Gavri lächelte verstehend.