Heute etwas früher der nächste Teil:
Leutnant Baron Thoma von Ruthenberg stand hoch aufgerichtet im Turmluk seines Leman Russ Kampfpanzers und klammerte sich an dessen Umrandung fest, während er instinktiv das Rucken und Bocken der Kampfmaschine ausglich. Den dort montierten schweren Bolter hatte er auf seinem Gestell zur Seite geschwenkt, um seinen Sichtbereich zu erweitern. Voraus füllte die graue Kulisse der ruinierten Stadt das gesamte Panorama. Die stetig vorrückende Infanterie war kaum noch auszumachen. Neben und hinter sich konnte der Leutnant die restlichen Fahrzeuge seiner Formation sehen, die stinkende Abgase ausstoßend über den von Granaten umgepflügten Boden holperten.
Er hatte sich für eine Standardaufstellung entschieden. Sein Leman Russ an der Spitze, flankiert von Hanzens gleichartigem Vehikel und dem alten Exterminator. Dahinter dicht nebeneinander aufgereiht die drei Truppentransporter mit der mobilen Infanterie. Den Abschluss bildeten die beiden Panzerkampfwagen, deren Wert im Gefecht der Baron ernsthaft bezweifelte. Je weiter hinten sie fuhren, desto weniger musste er sich um sie Sorgen machen.
Eigentlich hatte er keinen genauen Plan, wie er seine Kräfte nutzbringend einsetzen sollte. Die Formulierung des Hauptmannes, er solle „an Brennpunkten eingreifen“ setzte voraus, dass solche Brennpunkte zuerst einmal entstanden. Und bis jetzt war eigentümlicherweise nicht das geringste Anzeichen feindlichen Widerstands auszumachen.
Inzwischen war die Gotfrieder Panzerformation bis auf wenige hundert Meter an den Stadtrand herangekommen. Weiter zu fahren, würde ihren Operations- und Bewegungsradius wahrscheinlich zu sehr einschränken.
Von Ruthenberg schlug zweimal mit der flachen Hand auf die Stelle der gepanzerten Außenhaut seines Fahrzeuges, unter der sich sein Fahrer befand, und rief nach unten: „Anhalten!“
Der Kampfpanzer kam zu einem ruckenden Halt und schaukelte noch kurz auf seiner Federung. Der Motor heulte auf, die Auspuffrohre spieen eine letzte schwarze Abgaswolke aus, dann schaltete der Antrieb in den Leerlauf und tuckerte gemächlich vor sich hin.
Die anderen Panzer stoppten ebenfalls. Hanzen tauchte aus der Luke seines Gefährts auf und rief seinen Vorgesetzten an: „Bis hierher und nicht weiter, Baron Leutnant?“
„Ja, wir dürfen nicht zu nahe heran, wenn wir flexibel bleiben wollen. Und warum benutzen Sie nicht Ihr verdammtes Funkgerät?“
„Warum sollte ich, Baron?“, gab der Erste Offizier achselzuckend zurück.
Der Panzerkommandant wollte etwas erwidern, doch die Worte blieben ihm im Halse stecken. Jetzt fiel es ihm auch auf. Die Artillerie hatte das Feuer eingestellt und nun war es ruhig. Beängstigend ruhig. Kein Geräusch war zu hören, mit Ausnahme des Tuckerns und Gurgelns der schlecht gewarteten Motoren. Im Moment kam nicht einmal etwas über das Funkgerät herein, weil es nichts zu Sagen gab.
Leutnant Baron von Ruthenberg ließ eine bloße Ahnung seinen nächsten Kommentar bestimmen.
„Scheiße.“
Leutnant Freiherr Fritz von Schurenstein tobte durch seine Batterie und versuchte, seine unbändige Wut abzureagieren. Er trat und schlug ohne Unterschiede zu machen auf Männer, Geschütze, leere Munitionskisten sowie sämtliche anderen Gegenstände ein, die ihm in den Weg kamen. Schließlich erreichte er Sergeant Olhoff, packte ihn an der hohen metallenen Halsberge seines blaugrauen Mantels und schrie ihn mit sich überschlagender Stimme an: „Was soll das beim Imperator heißen, keine Munition mehr? Das ist verflucht noch mal unmöglich! Bei allen Höllen, wie kann uns mitten in einem beschissenen Angriff die Munition ausgehen?“ Irgendwann wurde dem Artillerieführer bewusst, dass sein Stellvertreter unmöglich antworten konnte, wenn er ihn immerzu schüttelte. Er stieß ihn verächtlich von sich.
Der Sergeant trat sicherheitshalber zwei Schritte zurück, bevor er Meldung erstattete. Die Geschützmannschaften standen in der Nähe oder noch an ihren Kanonen und glotzten entgeistert.
„Wir haben keine korrekte Lieferung bekommen. Statt zwei Lastwagen mit Granaten und zwei mit Treibladungen haben wir vier mit Treibladungen erhalten.“
„Und wo verdammt noch mal sind dann meine Granaten!“, platzte es aus von Schurenstein heraus.
„Ich weiß es nicht, Leutnant.“
„Scheiße! Wo ist mein Funkgerät?“
Es wurde ihm eiligst gebracht. Er riss es dem Soldaten aus der Hand, knallte die klapprige Vorrichtung auf den Boden, kniete sich hin und wählte die Verteilerstelle des Regiments an.
„Ja?“, knistete es aus dem Lautsprecher.
„Leutnant von Schurenstein, Kompanie Rot, Artilleriezug. Wo sind meine dreimal verfluchten Granaten?“
„Wie bitte?“
„Ich habe in meiner letzten Lieferung nur Treibladungen bekommen! Wo sind die Granaten dazu?“
„Das kann nicht sein.“, stellte die Stimme am anderen Ende der Leitung kategorisch fest. „Die letzte Lieferung an Artilleriebedarf bestand aus insgesamt acht Lastwagen. Je zwei Ladungen Granaten und Treibladungen für Ihre und die Blaue Kompanie.“
„Soll das etwa heißen, die Blaue Kompanie hat nur Granaten?“, fuhr der Leutnant auf.
„Wie gesagt, das kann nicht sein. Die Anweisungen an die Fahrer waren sehr präzise.“
„Und was soll ich jetzt machen? Soll ich vielleicht die Treibladungen anzünden und versuchen, sie auf diesen Xeno-Abschaum zu werfen?“
„Sarkasmus bringt uns jetzt auch nicht weiter.“, erwiderte der Mann in der Verteilerstelle pikiert.
„Ach lecken Sie mich doch am Arsch!“, schrie Freiherr von Schurenstein in die Sprechmuschel und warf das Mikrofon anschließend weg. Er zeigte auf Sergeant Olhoff, als ziele er mit einer Waffe auf ihn.
„Setzen Sie sich mit der Blauen Kompanie in Verbindung. Besorgen Sie mir meine Granaten. Sofort!“
„Ja, Leutnant.“
Veteranensergeant Rickers belegte mit seinem Trupp Drei die zweite Position in der Reihe. Vor ihm, durch den allgegenwärtigen Rauchschleier nur schlecht zu erkennen, bewegte sich Trupp Zwei seines Zuges, hinter ihnen folgte Vier. Baron Flints erster Trupp hatte sich mit Vier zusammengeschlossen und Fünf bildete die Nachhut. Sie kamen an einer Kreuzung vorüber, auf die zwei zusammengestürzte Eckhäuser einen Großteil ihrer Trümmer verstreut hatten.
Jedenfalls glaubte der Sergeant, dass es Eckhäuser gewesen waren. Die fremdartige Architektur der Xenos ließ solch einen Schluss schwer zu. Das, was noch von einigen Gebäuden übrig war, ließ erkennen, dass sie eine fließende, runde Architektur bevorzugten. Ein paar größere Bruchstücke schienen zu Kuppeln zu gehören. Offenbar waren die Behausungen früher weiß gewesen. Jetzt waren ihre Überreste schwarz verbrannt oder bestenfalls aschgrau.
Rickers versuchte sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Es kam ihm nicht richtig vor, hier zu sein und schon seit ihrem Eindringen hatte er das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden.
Der Oberleutnant ließ die Trupps Vier und Fünf abbiegen und in eine Parallelstraße vorrücken, um die Front des Zuges auszuweiten. Falls man in diesem Chaos aus Ruinen, Trümmerbrocken, Schutt, verbogenen Metallträgern und Qualm überhaupt von einer Front sprechen konnte.
Rickers sah sich aufmerksam und höchst wachsam um, als sich die beiden abbeorderten Einheiten auf den Weg machten. Unrat knirschte unter ihren Stiefeln. Seltsamerweise war dies das einzige vernehmbare Geräusch. Sogar die Kompanieartillerie hatte zu schießen aufgehört, obwohl sie ihren Beschuss in einer Art „Feuerwalze“ vor der einrückenden Infanterie herwandern lassen sollte. Die Ahnung, überwacht zu werden, steigerte sich plötzlich alarmierend. Noch schlimmer machte es die Tatsache, dass der Veteranensergeant sich fast immer auf seine Instinkte verlassen konnte.
Oberleutnant Baron Flint gab mit der Hand das Zeichen zum Weitermarsch. Vorsichtig setzte sich die Gotfrieder Infanterie wieder in Bewegung. Rickers konnte erkennen, dass alle Männer überdurchschnittlich nervös waren. Ihre Gewehrläufe zuckten wie angriffslustige Schlangen zu jedem Schatten herum, der sich durch den Rauch unvermittelt bildete und ihre Augen ruckten unstet und scheinbar willkürlich hin und her. Nur Lantz blieb einigermaßen ruhig. Er ging zielstrebig, ließ aber den Flammenwerfer seinem Blick folgend von einer Seite zur anderen wandern, als könne er durch die Waffe besser sehen.
„Bleibt wachsam.“, wies Rickers seinen Trupp leise an. „Immer schön vorsichtig und die Augen offen halten.“
Eigentlich hatte er nur etwas lauter geflüstert, doch in der unnatürlichen Stille schien seine Stimme förmlich zu dröhnen. Sein bisher unbestimmtes Unwohlsein steigerte sich ohne Vorwarnung zu einem nach Aufmerksamkeit heischenden Prickeln. Es begann tief an der Wirbelsäule, arbeitete sich langsam nach oben vor und erreichte schließlich seine Schulterblätter, wo es sich ausbreitete und ihn frösteln ließ. Der Veteranensergeant handelte, ohne nachzudenken und brüllte: „Alles in Deckung!“