Der Turm des Necrarch: Eine Kampagne nach Mordheim-Regeln in Sylvania

Spiel 1

Die Nacht war hereingebrochen. Dichter Nebel umlagerte den Hügel, aus dem sich die Turmruine wie eine Insel aus einem düsteren Meer erhob. Im Innern der verfallenen Ringmauer brannte das Lagerfeuer und gab ihr das seltsame Aussehen eines einsamen Leuchtturms in der Nacht.

Die Hexenjäger hatten sich rundherum an den mannshohen Fensteröffnungen verteilt und spähten in die Düsternis hinaus. Der Anblick der träge wabernden Massen war ermüdend, und einige der Zeloten nickten ein. Auch Dariya und Martin, die gemeinsam an einem der Fenster standen, konnten sich nur schwer wachhalten. Anfangs hatten sie noch geplaudert, wobei Helmuth, der an einem der benachbarten Fenster stand, eifersüchtige Blicke zu ihnen herübergeworfen hatte. Mittlerweile aber sprach keiner mehr; alle lehnten an den Säulen und Simsen des verfallenen Gemäuers, die Waffen in den Händen, und kämpften mit ihrer Müdigkeit.

Dies änderte sich erst, als Odo, der neue Zelot, den Kopf hob und die buschigen Brauen zusammenzog. Er war ein älterer Mann, doch mittlerweile wussten alle, dass er scharfe Augen besaß. Nun packte er sein Schwert fester und nickte dem Inquisitor zu, der auf einem erhöhten Mauersims stand.

„Dort drüben, Herr!“

Er hatte unwillkürlich seine Stimme gedämpft, doch in der Stille hörten ihn die meisten. Auch Dariya schreckte auf und starrte angestrengt in den Nebel hinaus.

„Ich sehe nichts“, sagte Ansgar. „Vielleicht nur ein Schatten im Mondlicht?“

„Nein, Herr! Dort!“ Odo deutete mit ausgestrecktem Arm.

Nun sahen auch die anderen, wovon die Rede war. Dariya rüttelte Martin wach, der neben ihr eingenickt war. Beide starrten auf etwas hinab, das aussah wie ein seltsames Muster von Wirbeln in den Nebelschwaden. Wie schwache Wellen bewegten sie sich aus verschiedenen Richtungen auf die Ruine zu. Schatten verdichteten sich, und irgendwo blinkte eine Klingenspitze im Mondlicht.

20250420_041909.webp


„Skelettkrieger!“, schrie Helmuth – und im nächsten Moment brach eine Horde wankender Gestalten aus dem Nebel. Rostige Rüstungen quietschten, und ein Zischen und Fauchen wie aus unmenschlichen Kehlen drang zu den Verteidigern herauf.

Ansgars Pistole blitzte auf. Er hatte blindlings geschossen, ohne das Ziel genau erkennen zu können, und eine Rauchspur durchschnitt den Nebel ohne sichtbare Wirkung.

Auch Dariya hatte ihre Armbrust gespannt und zog eben den Abzug durch, als ein grinsender Schädel keine zehn Schritt vor der Fensteröffnung aus dem Nebel tauchte. Der Bolzen flog und blieb in einem halb zerfallenen Schild stecken. Noch während sie nach dem zweiten Geschoss griff, war der Skelettkrieger herangestürmt und hob eine schartige Axt.

„Nein!“, schrie Martin und warf sich blindlings vor Dariya. So verwirrt und verängstigt er auch war; die unmittelbare Bedrohung schien ungeahnte Kräfte in dem Jungen zu erwecken. Mit dem eigenen Schild wehrte er die erhobene Axt ab und schleuderte das Skelett mit einer Wucht zurück, die Dariya erstaunte.

„Danke“, raunte sie ihm zu, während sie den nächsten Bolzen auflegte.

Doch es war nur die Vorhut, die sich bisher gezeigt hatte. Nun stürmte eine ganze Welle untoter Krieger aus dem Nebel: Schemenhafte Knochenwesen in uralten Rüstungen, mit zerbeulten Schilden und rostigen Waffen. In stummer Zielstrebigkeit gingen sie vor; kein Kampfschrei begleitete ihren Angriff, und das einzige Zeichen bedrohlicher Lebendigkeit waren die rötlichen Funken, die in ihren leeren Augenhöhlen glommen.

20250420_042105.webp


„Schlagt sie zurück!“, rief Ansgar und flankte von dem Sims herab, von dem er Ausschau gehalten und seine Pistole abgefeuert hatte. Doch es war bereits zu spät: Die stummen Skelettkrieger hatten mehrere Fenster erreicht, darunter zwei unbewachte, und drängten sich in den Innenraum der Ruine.

20250420_042239.webp


Dariya wich zurück, als direkt vor ihr eine schreckliche Erscheinung auftauchte: Ein Schemen aus bläulichem Halblicht verdichtete sich zu einer monströsen Gestalt in wallender Kutte, unter deren Kapuze sich ein fleischloser Schädel mit brennenden Augen erhob. Der Unhold glitt durch die Fensteröffnung herein, und nun war zu erkennen, dass er eine Handbreit über dem Boden schwebte. Mit beiden Knochenhänden reckte er eine riesige Sense.

20250420_042651.webp


„Zurück in dein Grab, Unding!“ Das war Odo, der betagte Zelot. In diesem Moment hätte man kaum glauben mögen, dass er noch Tage zuvor ein armer Bauer in einem sylvanischen Dorf gewesen war. Mit erhobenem Schwert stürzte er dem Grabunhold entgegen.

Auch die übrigen Hexenjäger schlugen sich tapfer. Einem der Zeloten gelang es, ein Skelett zu Fall zu bringen. Ansgar feuerte auf ein weiteres, das mit zersplittertem Brustbein zu Boden ging. Keiner aber errang sich solchen Ruhm wie der unerschrockene Helmuth: Wütend ließ er seine Zweihandaxt kreisen und eins der Skelette mit zertrümmerten Rippen, das zweite mit gespaltenem Schädel zu Boden gehen. Sein dritter Gegner, ein Skeletthauptmann mit Schuppenpanzer und ledernem Helm, brach als klappernder Knochenhaufen zusammen.

Dariya hatte sich hinter einen Mauervorsprung geduckt, um ihre Armbrust nachzuladen. Doch nun ließ ein Schrei sie herumfahren. Wie alle anderen in der Ruine hatte sie nicht bemerkt, dass ein Teil der Angreifer den Mauerring umgangen hatte und auf das Fuhrwerk zuhielt, in dem sich die Dorfbewohner versteckt hatten. Zwei Flagellanten und ein Zelot waren dort zu ihrem Schutz postiert worden - doch gegen das Grauen, das sich nun näherte, hatten die drei Eiferer keine Chance. Ein weiterer Skeletthauptmann war aus dem Nebel aufgetaucht, und hinter ihm ein wahrer Hüne in schwerer Rüstung und mit einem kronenförmigen Helm. Darunter schimmerte ein bleiches Gesicht, dessen grobe Knochen noch von Resten pergamentdünner Haut überspannt waren. Die Augen glühten, und in den klauenfingrigen Händen hielt das Scheusal einen riesigen Speer, den man für eine Reiterlanze hätte halten können.

20250420_042403.webp


In seinem Schatten glitt eine dritte Gestalt heran, und diese war kleiner und zarter, scheinbar von weiblicher Gestalt, doch nicht weniger furchterregend. Ihr maskenhaftes Gesicht war zu einem Schrei verzerrt, der durch Mark und Bein schnitt wie das Hassgeheul einer Banshee.

20250420_041739.webp


Rasch zielte Dariya und schoss. Der Bolzen blieb in der Brust des gekrönten Skeletthünen stecken – doch ohne Wirkung. Die Flagellanten stürzten der Erscheinung mit wirbelnden Flegeln entgegen, konnten aber ebenso wenig ausrichten. Der Skelettkönig fegte den einen beiseite, der gegen das Fuhrwerk prallte und leblos liegenblieb, und schickte den zweiten mit einem beinahe lässigen Stoß seines Speers zu Boden. Die schattenhafte Frauengestalt schoss wie eine zustoßende Schlange auf den verbliebenen Zeloten zu und versenkte einen Dolch zwischen seinen Rippen.

Im selben Moment war es Odo gelungen, die Sense des Grabunholds zu parieren und sein Schwert mitten in die Kutte des Unholds zu stoßen – an eben der Stelle, wo bei einem Lebenden das Herz gewesen wäre. Es gab einen bläulichen Lichtblitz und ein Geräusch, als würde ein Haufen knisternder Glut ausgetreten. Das Gespenst warf den Schädel in den Nacken und sandte einen unhörbaren Schrei in den Nachthimmel. Dann sackte seine leere Kutte am Boden zusammen. Auch die Sense fiel herab und landete scheppernd auf den Steinfliesen.

Dariya erstarrte, die gespannte Armbrust in den Händen. Ihre Augen suchten nach den übrigen Gegnern, doch es schien, als wären sie plötzlich wieder im Nebel untergetaucht.

„Wo sind sie?“, rief Ansgar, der eben herbeieilte.

„Ich weiß nicht. Eben waren sie noch dort drüben.“ Dariya wies auf die drei Männer, deren reglose Körper beim Fuhrwerk lagen. Von ihren Mördern war keine Spur mehr zu erspähen.

„Wir müssen nach den Gefallenen sehen“, entschied Ansgar. „Vielleicht leben sie noch. Sigmar sei’s geklagt, dass wir keinen Heiler mehr haben.“


______________________________________________________________________________________________________________________________


Ende des Spiels: Als der Grabunhold ausgeschaltet wurde, stiegen die Verluste der Untoten auf 5 (von 14). Carendra bzw. ihr Spieler entschied sich für den freiwilligen Rückzug. Immerhin hat die tote Königin einen Teil ihrer Rache bekommen und mehrere Gegner ausgeschaltet. Im nächsten Zug hätten sämtliche Helden der Hexenjäger sich in den Nahkampf mit ihr gestürzt, und das wollte sie nicht riskieren. Daher verschwinden die Untoten so schnell, wie sie erschienen sind… zumindest für dieses Mal.
 
Ergebnisse nach Spiel 1

Hexenjäger:

Alle drei in diesem Spiel ausgeschalteten Modelle erholen sich vollständig – ein Glück, denn beide Flagellanten gehörten zu ihnen.

Hexenjäger Helmuth hat sich in diesem Spiel als wahrhaftiger Held bewährt. Er schaltete zwei Skelettkrieger und einen Skeletthauptmann aus, kassiert 4 Erfahrungspunkte, steigert zweimal und erhält neue Fertigkeiten:
Zäh wie Leder: Nahkampftreffer gegen ihn haben -1 Stärke
Wegducken: 5+ Rettungswurf gegen Nahkampftreffer
Das macht ihn nun zu einem echten Nahkampf-Monster, weshalb ich ihm eine Schwere Rüstung für 50 gc spendiere.

Dariya steigert, nachdem sie dem Skelettkönig einen seiner Lebenspunkte weggeschossen hat. Sie erhält eines der bestmöglichen Ergebnisse – plus eine Attacke – doch kann ich daraus leider wenig machen, da sie als Fernkämpferin angelegt ist. Ihr KG ist immer noch bei 3, und sie trägt nur leichte Rüstung. Wahrscheinlich muss sie noch an sich arbeiten, um wirklich nahkampftauglich zu werden.

Die Zeloten haben sich gut geschlagen und steigern ihr KG auf 3. Zudem motivieren sie einen der verbliebenen Dorfbewohner, sich ihren Reihen anzuschließen. Ihre Anzahl steigt auf fünf.


Carendras Verfluchte:

Auf Seiten der Untoten bleibt der ausgeschaltete Grabunhold auf der Strecke: Sein körperloser Geist verflüchtigt sich ins Nichts. Allerdings wird seine Stelle für 40gc durch einen neuen eingenommen, was den größten Teil des Verdienstes in diesem Spiel aufzehrt.

Doch es gibt auch gute Neuigkeiten für die Untoten: Die Skelettkrieger steigern, und einer von ihnen wird zum Helden.

Die heftigste Änderung: König Comran steigert, und zwar ausgerechnet seine Stärke. Damit besitzt er nun Grundstärke 5 und schlägt dank seiner Zweihandwaffe mit einer monströsen Stärke von 7 zu. Er verwundet nun alles und jeden auf 2, und gegen seine Attacken schützt keinerlei Rüstung mehr, da sein Modifikator von -4 selbst die stärkste Rüstung außer Kraft setzt. Wehe dem, der ihm vor die Klinge gerät…
 
Morgengrauen, nach dem Kampf. Die Hexenjäger finden sich zu einer Beratung zusammen.

trfoikäüäö#+.webp


„Wir sollten so schnell und so weit wie möglich von hier verschwinden“, meinte einer der Zeloten.

Doch Inquisitor Ansgar schüttelte den Kopf. „Nein. Was immer hier vor sich geht – wir haben es ausgelöst. Und wir müssen dafür sorgen, dass es beendet wird.“

„Ausgelöst?“, echote der Zelot. „Wie meint Ihr das?“

„Erinnert ihr euch an den Stein, der auf dem Hügel stand, und der versank, als er berührt wurde? Es standen Worte darauf, Worte in einer sehr alten Sprache. Ihr wart nicht alle dabei, deshalb werde ich wiederholen, was ich dort gelesen habe: Wenn jemals der alte Feind diesen Ort betritt…“

„Und weiter?“, fragte der Zelot.

„Mehr konnte ich nicht entziffern“, gab Ansgar zu. „Aber es scheint mir klar, dass auf diesem Stein ein Fluch geschrieben stand. Als dann einer der Unsrigen so töricht war, seine Waffe gegen den Stein zu erheben…“ Dabei sandte der Inquisitor dem Flagellanten einen mahnenden Blick zu. „…versank er im Boden, und wir alle spürten die Erde unter uns beben. Warpstein ist bekannt dafür, dass er nekromantische Kräfte entfesseln kann. Ich vermute, dass er ins Innere des Grabhügels hinabgesunken ist und dort die Toten erweckt hat.“

„Herr Inquisitor.“ Das war der Flagellant, der vortrat. „Wenn es sich so verhält, dann ist dies alles meine Schuld. Richtet mich nach Eurem Gutdünken. Ich unterwerfe mich jedem Urteil, das Ihr im Namen unseres Herrn Sigmar über mein unwürdiges Leben fällt.“ Und damit senkte er den Kopf und verharrte, als erwartete er den sofortigen Schlag des Richtschwerts.

„Unsinn!“, beschied Ansgar ruhig. „Du hast getan, was dein Glaubenseifer dir eingab. Es war unüberlegt, aber keine Sünde. Und ich werde ganz sicher nicht unsere Schlagkraft vermindern, indem ich einen unserer furchtlosesten Kämpfer töte. Wenn du büßen willst, dann stürze dich umso eifriger in den Kampf und strafe lieber die Ausgeburten der Finsternis als dich selbst.“

Diese versöhnlichen Worte hatten eine große Wirkung, nicht nur auf den Flagellanten. Dariya schien es, dass die gesamte Gruppe ihren Vater mit gesteigertem Respekt betrachtete.

„Lasst uns lieber überlegen, was wir tun sollen“, fuhr Ansgar fort. „Wir haben, wenn auch unabsichtlich, eine gefährliche Bedrohung erweckt, und es liegt an uns, ihr wieder ein Ende zu machen. Was wissen wir über unsere Feinde? Wieviele habt ihr gesehen?“

„Etwa ein Dutzend, glaube ich“, schätzte Helmuth. „In diesem Hügel muss eine ganze Truppe bestattet worden sein. Vielleicht ist es so wie bei manchen Chaosbarbaren: Wenn einer ihrer Häuptlinge stirbt, müssen ihm all seine Angehörigen, seine Ehefrau und seine Leibgarde ins Grab folgen. Ich habe nämlich auch eine weibliche Gestalt gesehen.“

„Ich auch“, meldete sich Martin zu Wort. „Sie trug kostbare Gewänder wie eine Königin, auch wenn sie ganz staubig und zerschlissen waren.“

„Das ist ja wie in der Sage von der schlafenden Königin“, bemerkte Odo. Er war einer der Dorfbewohner und schon in gesetzterem Alter, hatte sich aber im Kampf gegen den Grabunhold ausgezeichnet und wurde von den Hexenjägern mittlerweile als ihresgleichen betrachtet.

Ansgar stutzte. „Was für eine Sage?“

„Ach, es ist eigentlich mehr ein Märchen“, sagte Odo. „Die alten Frauen erzählen es gerne. Es heißt, dass in diesen Landen vor langer Zeit einmal ein Königspaar herrschte, und dass König und Königin einander in großer Liebe zugetan waren. Der König aber zog in einen Krieg und fiel in der Schlacht, zusammen mit dem größten Teil seiner Männer. Die Königin war von untröstlichem Gram erfüllt. In ihrer Trauer ließ sie einen großen Grabhügel bauen und alle Gefallenen der Schlacht samt ihrem geliebten König darin bestatten. Die Feinde aber verfluchte sie und schwor, dass keiner von ihnen jemals ungestraft den Fuß auf dieses Land setzen würde. Dann stieg sie selbst in die Grabkammer hinab, bettete sich zu ihrem Gatten und nahm ein tödliches Gift. Sie wollte lieber sterben, als ohne ihren Geliebten weiterzuleben. Die Sage behauptet aber, dass sie nur schläft, und dass sie und ihr König eines Tages wiedererwachen werden. – So wird es zumeist erzählt. Die jungen Mädchen hören dieses Märchen gern. Wenn sie verliebt sind, pflegen sie zu sagen: ‚Ach, ich liebe meinen Schatz so sehr wie einst die schlafende Königin ihren König‘.“

„Ergreifend“, fand Dariya. „Ich hätte nicht gedacht, dass sylvanische Märchen von irgendetwas Anderem handeln könnten als von bösen Mächten und Geisterspuk.“

„Das Eine schließt das Andere vielleicht nicht aus“, meinte Ansgar, der nachdenklich seinen Bart zwirbelte. „Fast würde ich an einen Zusammenhang glauben – wenn ich nicht wüsste, dass alte Sagen nur selten die Wahrheit berichten. Zum Beispiel hat es in Sylvania niemals ein Königreich gegeben. Dieses Land war immer arm und dünn besiedelt, und seine Herrscher waren höchstens Grafen oder Barone.“

„Zumindest, soweit die imperiale Geschichtsschreibung zurückreicht“, gab Helmuth zu bedenken. „Mir ist nämlich noch etwas anderes an unseren nächtlichen Besuchern aufgefallen: Es war im Mondlicht schwer zu erkennen, aber ich könnte schwören, dass sie Waffen und Rüstungen aus Bronze trugen. Dieses Material wird aber nur noch zu Schmuckzwecken verwendet, seit die Menschen in alter Zeit das Eisenschmieden von den Zwergen lernten.“

„Du willst sagen, dass diese Krieger aus einer Zeit vor dem Imperium stammen könnten?“, staunte Dariya. „Aber es ist zweieinhalb Jahrtausende her, dass unser Herr Sigmar auf Erden wandelte.“

„Stimmt“, sagte Ansgar, der diese Möglichkeit nun doch in Betracht zu ziehen schien. „Ausgeschlossen wäre es nicht. In alter Zeit soll es Barbarenreiche gegeben haben, von denen keine Kunde auf uns gekommen ist. Man weiß es nur durch ihre Hinterlassenschaften: Uralte Artefakte, die manchmal in der Erde gefunden werden…“

„Und Gräber“, ergänzte Helmuth.

„Dann haben wir es womöglich mit Toten zu tun, die vor Jahrtausenden hier bestattet wurden?“, fragte Martin. „Wie kann es dann sein, dass sie nach so langer Zeit plötzlich wieder erwachen?“

„Normalerweise könnte nur ein Nekromant so etwas bewerkstelligen“, meinte Ansgar. „Aber je länger ich darüber nachdenke, desto mehr erscheint mir das Ganze… wie eine Art Falle. Eine Falle, die vor langer Zeit aufgestellt wurde und zugeschnappt ist, als wir uns zu nahe heranwagten. – Odo“, wandte er sich nochmals an den betagten Krieger. „Was sagtest du vorhin über die Königin in diesem Märchen? Sie verfluchte ihre Feinde – und?“

„Sie schwor, dass keiner von ihnen jemals ungestraft den Fuß auf dieses Land setzen würde“, wiederholte Odo.

Wenn jemals der alte Feind diesen Ort betritt…“, murmelte Dariya, die sich an die Inschrift auf dem Stein erinnerte. Sie blickte zu ihrem Vater auf. „Passt das nicht auffällig gut zu der Geschichte?“

Ansgar schwieg eine Weile.

„Im Grunde ist das gleichgültig“, sagte er schließlich. „Wir müssen diesen Grabhügel reinigen und die Erweckten wieder ins Reich der Toten zurückschicken, wo sie hingehören.“

„Ihr meint… wir sollen da hineingehen?“, fragte einer der Zeloten schaudernd und wies zu dem Hügel hinüber, dessen Eingang klaffte wie ein schwarzer Rachen.

„Genau das“, bestätigte Ansgar. „Jedenfalls sollten wir nicht hier sitzen und auf den nächsten Überfall warten.“

„Und wenn es tatsächlich die Königin aus jener Sage ist? Vielleicht hat eine höhere Macht gewollt, dass sie wiedererwacht.“

Doch Ansgar schüttelte finster den Kopf. „Eine höhere Macht mag im Spiel sein – doch keine gute. Der Monolith, der diese Toten erweckt hat, bestand aus Warpstein, der puren Essenz des Chaos. Und was diese Königin betrifft: Wir sahen mit eigenen Augen, wie sie einen der Euren mit einem Dolch niederstreckte. Ihre unheilige Existenz muss ausgelöscht werden, und ebenso das Unleben jedes einzelnen ihrer Gefolgsleute.“ Reihum musterte der Inquisitor jedes Gesicht, um sich zu versichern, dass alle ihm zu folgen bereit waren. „Verseht euch mit Fackeln! Wir werden in diesen Grabhügel eindringen, und zwar noch heute.“
 
Der Grabhügel

Das Hügelgrab des Königspaars besteht nicht aus einer simplen Grabkammer, sondern einem ganzen Höhlennetzwerk, in dem mehrere hundert Krieger bestattet wurden. Um es im Spiel darzustellen, benutzen wir einen „generischen“ Höhlen-Dungeon, den ich schon vor Jahren gebaut hatte und hier kurz erklären will.

20250420_230507.webp


Der Dungeon besteht aus 6 beliebig kombinierbaren Modulen im 24x24-Zoll-Format. Er ist relativ schmucklos und stellt einfach nur Räume und Verbindungsgänge dar. Für verschiedene Spielzwecke enthält er aber einige kleine Details. Dazu gehören z.B. die Pilze, die in Spielen mit Orks&Goblins geerntet werden können, und die (abnehmbaren) Kristalle, die man in bestimmten Szenarien sammeln und später zu Geld machen kann.

20250420_230600.webp


Auch gibt es pro Modul zwei auswechselbare Plättchen, die je nach Bedarf unterschiedliche Funde in der Höhle darstellen können, z.B. Schätze, Knochenhaufen oder Drachennester.

20250420_230649.webp


In der gegenwärtigen Kampagne legen wir nur Schätze aus. Sie sollen Grabstätten repräsentieren, in denen sich verwertbare Gegenstände befinden. Die Spieler können sie sammeln und nach dem Spiel verwenden. Der jeweilige Fund wird mit 2W6 bestimmt. Er enthält das gewürfelte Ergebnis in Gold sowie bei

2-4 keinen weiteren Fund
5 Schild
6 Axt
7 leichte Rüstung
8 Schwert
9 mittlere Rüstung
10 Zweihandwaffe
11 Schwere Rüstung
12 Amulett, das einen 6+ Rettungswurf verleiht

Ausgleichshalber werden nach dem Spiel keine Suchwürfe mehr durchgeführt. Der „Verdienst“ wird also allein durch die gefundenen Gegenstände bestimmt.
 
Heyho. Oh, schön dass immer noch Leser da sind. Ich hatte nicht unbedingt damit gerechnet. 🤩 Welcome @Zanko.🤗 Wir haben gestern auch wieder gespielt, aber ich komme erst heute zum Schreiben.

Carendras Rache: Spiel 2
Im Innern des Hügels


Erst einmal nur das Spiel; der erzählerische Teil folgt später.

ögfdrsrrfui.webp


Die Hexenjäger drangen in den Grabhügel ein, wobei sie die Dungeon-Platte in einem geschlossenen Pulk betreten mussten. Die Untoten, die ihnen von der anderen Seite entgegen kamen, durften sich frei aufstellen, aber nur innerhalb ihres Spielfeld-Drittel. 12 Grabstellen waren ausgelegt, die von beiden Seiten geplündert werden durften, um verwertbare Gegenstände zu finden.

Als Spieler der Hexenjäger hatte ich angenommen, es würde eine eher friedliche Runde, bei der es hauptsächlich um das Aufsammeln der Schätze ging. Doch weit gefehlt – die untote Königin pfiff auf die Beute und ließ sich ganz von ihrer Rachsucht leiten. Nur wenige Skelettkrieger blieben zurück, um strategisch wichtige Abzweigungen zu besetzen, während Carendra mit König Comran und einer Leibwache aus Verfluchten den schnellsten Weg in die Konfrontation suchte. Zugleich nutzten ihre körperlosen Gefolgsleute – Grabunhold und Geisterschwarm – ihre Sonderregel, um sich quer durch Wände zu bewegen, sodass sie in dem Labyrinth weit schneller vorankamen als alle anderen.

20250421_222750.webp


Dies zwang mich, meine Truppe gleichfalls beisammen zu halten und mich dem Angriff am Ufer eines unterirdischen Sees zu stellen. Das untote Königspaar kam direkt auf mich zu: Comran mit der stummen Zielstrebigkeit des Wiedergängers, Carendra schreiend vor Zorn und ihre Sense schwingend. Dariya gelang es, einen der Leibwächter mit ihrer Armbrust auszuschalten; dann aber waren sie schon zu nahe für Beschuss.

In dieser Situation rettete mich einer der Kampfhunde, den ich seitlich hinter einer Steinsäule platziert hatte. Als nämlich Carendra und Comran angriffen, konnte der Hund die Regel „Abfangen“ benutzen, da er sich in 2 Zoll von der Angriffslinie befand. Er stürzte sich auf den untoten König und schlug seine Zähne in dessen Bein, sodass Comrans Bewegung gestoppt wurde.

Die Folge war, dass Carendra ohne ihren Gefährten, nur in Begleitung zweier Skelettkrieger in den Nahkampf geriet – und das war zuviel selbst für die hasserfüllte Königin. Sie verfehlte den Inquisitor, fing sich eine Verwundung ein und ging zu Boden. Im nächsten Zug stürzte Dariya ihrem Vater zur Seite, schlug ihrerseits zu und schaltete Carendra aus (die natürlich nicht wirklich sterben kann…). Auch die Skelette fielen, nachdem es ihnen nicht gelungen war, ihre Herrin zu beschützen.

Nahebei schlug sich Helmuth mit einem Geisterschwarm. Der Schwarm mit seinen 3 Lebenspunkten und Immunität gegen Betäubung war ein harter Gegner; trotzdem gelang es dem Hexenjäger, die heulenden Geister mehrfach zu verwunden, während ihre körperlosen Klauenfinger wirkungslos an seiner schweren Rüstung abglitten.

Da Carendra geflohen war, stürzte sich nun alles, was seinen Angsttest bestanden hatte, auf König Comran. Auch der junge Martin fand seinen Mut und stellte sich dem gerüsteten Hünen entgegen – was ihm aber schlecht bekam. Comran richtete sämtliche Attacken gegen ihn, wirbelte ihn durch die Luft, schlug ihn zu Boden und stieß noch einmal mit seiner Lanze nach. Kritische Verwundung – ausgeschaltet.

20250421_220534.webp


Doch zum Verhängnis wurde Comran, dass er die übrigen Gegner ignoriert hatte, zumal es sich nur um zwei Zeloten und einen Hund handelte. Nun aber zeigten die Fanatiker, was in ihnen steckte: Mit ein paar besonders glücklichen Würfelergebnissen überwanden sie die schwere Rüstung des Untoten und schickten ihn seinerseits zu Boden.

In dieser Situation war es keine Überraschung, dass die Untoten ihren Rückzugstest verpatzten und Hals über Kopf die Flucht ergriffen. Ihrem König rettete dies wahrscheinlich sogar das (untote Un-)leben.



Ergebnis: Sieg für die Hexenjäger.
Doch mit einem sehr großen ABER:


Alle in diesem Spiel ausgeschalteten Modelle erholen sich und bleiben einsatzfähig, mit einer Ausnahme: Martin, der junge Hexenjäger, ist so schwer verwundet worden, dass er zwei Spiele lang aussetzen muss.

Darüberhinaus haben die Untoten sehr viel mehr Schätze erbeutet als ihre Gegner, und sie haben unglaublich gute Steigerungen erwürfelt: Sowohl die Verfluchten als auch die gewöhnlichen Skelettkrieger erhalten +1 Attacke, was so ziemlich das Bestmögliche ist und volle sieben Gefolgsleute auf einen Schlag zu echten Nahkampfmonstern macht.

Kurz: Den Hexenjägern fehlt nun ein Mann, und die Untoten sind bedeutend stärker geworden. Ich zittere vor dem nächsten Spiel…
 
Nach dem Kampf

oiuhkjn,m.webp


„Wie schlimm ist es?“, fragte Ansgar, als seine Truppe sich zum Eingang des Grabhügels zurückzog.

Seine Sorge galt Martin, dem jungen Hexenjäger, der von mehreren Zeloten auf einer improvisierten Tragematte mitgeschleift wurde. Sie hatten kurzerhand einen halb vermoderten Teppich aus einer der Grabkammern mitgenommen und den Verwundeten darauf gebettet. Er war bei Bewusstsein, gab aber außer einem schwachen Stöhnen kaum Lebenszeichen von sich.

„Es ist ernst“, sagte Odo, der seinerseits kaum ein paar Kratzer davongetragen hatte. „Aber nicht lebensbedrohlich, glaube ich. Wir müssen ihn nur so schnell wie möglich hinausschaffen.“

Sie erreichten den Eingang und das Tageslicht, das nicht mehr als ein schwacher Schimmer in dem allgegenwärtigen Nebel war. Mit vereinten Kräften schleppten sie den Verwundeten zu dem verfallenen Mauerring, der ihnen als Lager diente. Das Feuer brannte noch, bewacht von den Dorfbewohnern, die unruhig auf die Rückkehr ihrer Gefährten gewartet hatten. Nun erhob sich lautes Wehgeschrei, denn auch Martins Eltern waren unter ihnen. Von Anfang an hatten sie den Eintritt ihres einzigen Sohns in die Reihen der Hexenjäger mit Sorge betrachtet, und nun waren ihre Befürchtungen Wirklichkeit geworden. Es dauerte eine Weile, die Angehörigen zurückzudrängen und dem Verwundeten die nötige Ruhe zu verschaffen, damit diejenigen sich um ihn kümmern konnten, die ein wenig in der Heilkunde bewandert waren. Zu diesen gehörte Odo, der im Dorf als Heiler gegolten hatte und stets ein Säckchen mit verschiedenen Kräutern mit sich führte. Behutsam entkleidete er den Verwundeten, untersuchte ihn und legte an den blutenden Stellen eine Kräuterpaste auf.

„Mehrere Rippen sind gebrochen“, sagte er zu den anderen, „aber alles übrige sind nur Fleischwunden. Er wird es überstehen.“

Die weitere Sorge für den jungen Mann blieb Dariya überlassen. Während die anderen sich zurückzogen, tupfte sie dem jungen Mann die Stirn mit einem feuchten Tuch und sprach beruhigend auf ihn ein. Er erholte sich bereits und konnte auch wieder sprechen, doch Dariyas Zuwendung schien ihm ein wenig unangenehm zu sein.

„Es… ist schon gut“, brachte er schwach hervor. „Ihr müsst Euch nicht bemühen.“

„Ich habe dir schon öfter gesagt, dass du mich nicht wie eine Edle anzureden brauchst“, sagte Dariya schmunzelnd. „Du musst wohl einen harten Schlag gegen den Kopf bekommen haben, wenn du das schon wieder vergessen hast.“

„Verzeihung“, murmelte Martin und erwiderte schwach ihr Lächeln. „Ich bin noch dabei, mich daran zu gewöhnen.“

Immerhin schien es, dass er seinen Humor nicht verloren hatte, und das wertete Dariya als gutes Zeichen.

„Du warst sehr tapfer“, sagte sie. „Ich weiß nicht, ob ich den Mut gehabt hätte, mich auf diesen hünenhaften König zu stürzen. Er überragte uns alle um zwei Köpfe, und mit dieser riesigen Lanze hätte er einen wilden Eber aufspießen können.“

Martin nickte beklommen. „Ich habe nicht nachgedacht. Ich sah nur, wie er auf euch losging... auf dich und deinen Vater. Da konnte ich nicht anders, als…“

Er unterbrach sich, als Dariya behutsam seine Rippen abtastete, und zog scharf die Luft ein.

„Tut das weh?“, fragte sie.

„Nur… ein wenig.“

Es schien, dass sein Erschrecken weniger dem Schmerz als einer plötzlichen Regung der Scham entsprang. Irritiert hielt Dariya inne. Womöglich, so begriff sie, hatte sie ihn gar nicht allzu unsanft, sondern im Gegenteil zu sanft berührt.

„Ich, ähm… hole dir etwas zu essen“, versprach sie und erhob sich, um zu den anderen hinüberzugehen, die am Lagerfeuer saßen und die Vorräte verteilten.

„Du magst ihn, nicht wahr?“ Das war Helmuth, der Dariya mit einem misstrauischen Blick von der Seite ansah.

„Ich wüsste nicht, was dich das angeht“, gab sie zurück. Es hatte resolut klingen sollen, doch sie konnte nicht verhindern, dass eine gewisse Unsicherheit in ihrer Stimme flackerte.

„Er ist ein Sylvanier“, sagte Helmuth und nickte zu dem Verwundeten hinüber. „Vor zwei Wochen war er noch ein Bauernbursche, der die Ziegen seines Vaters hütete und keine Ahnung von der Welt hatte.“

„Er hat viel gelernt, und das in erstaunlich kurzer Zeit.“

„Er ist noch ein halbes Kind, Dariya!“

„Er ist achtzehn, genau wie ich.“ Diesmal antwortete sie mit einer Heftigkeit, die sie selbst überraschte. „Und du solltest langsam akzeptieren, dass er einer der Unsrigen ist. Gewiss hat er weniger Erfahrung als wir, aber es fehlt ihm weder an Mut noch an der rechten Gesinnung.“

Helmuth verzog den Mund und wandte sich ab.

Dariya seufzte. Sie hatte gelernt, mit Helmuths ewiger Eifersucht zu leben, aber manchmal war es wirklich anstrengend. Hatte er denn immer noch nicht begriffen, dass sie ihn als Mitstreiter schätzte, aber darüberhinaus nichts von ihm wissen wollte?

Zum Glück wurden beide abgelenkt, denn Ansgar ergriff das Wort.

„Ich gebe zu: Ich habe die Schwere unserer Aufgabe unterschätzt. Das Höhlensystem scheint weit größer zu sein als der Grabhügel selbst. Es ist leicht für die Untoten, sich dort drinnen zu verbergen und uns an unübersichtlichen Stellen aufzulauern. Beim nächsten Versuch müssen wir vorsichtiger sein.“

„Aber haben wir denn nicht ihre Anführer ausgeschaltet?“, fragte einer der Flagellanten.

Ansgar schüttelte den Kopf. „Sie sind geflohen, doch ich glaube nicht, dass wir ihnen ernsten Schaden zugefügt haben. Ich vermute, dass wir den Warpstein-Monolithen finden müssen, der in den Hügel hinabgesunken ist und die Untoten erweckt hat. Wenn wir ihn zerstören, könnte der Spuk ein Ende haben.“

„Aber wie wollt Ihr ihn zerstören, Herr?“, fragte der Flagellant. „Als er noch auf der Hügelkuppe stand, konnte mein Flegel ihm nicht einmal einen Kratzer zufügen.“

„Was Stahl nicht vermag, kann vielleicht der Glaube leisten.“ Der Inquisitor zog eine verkorkte Phiole aus einer Innentasche seines Mantels und hielt sie in die Höhe. „Dieses Gefäß enthält Wasser, das vom Großtheogonisten persönlich geweiht wurde. Wenn wir den Stein damit übergießen, könnte er seine nekromantische Kraft einbüßen oder zumindest verwundbar für unsere Waffen werden.“

„Und ich dachte, es sei diese Frau, die die Untoten beschwört“, warf Odo ein. „Mittlerweile glaube ich tatsächlich, dass sie die ‚schlafende Königin‘ aus der Sage sein könnte.“

„Möglich“, räumte Ansgar ein, „doch sie ist keine Nekromantin – nicht im üblichen Sinne. Ich sah sie keinerlei Zauber wirken. Die Macht, die diese Toten auferweckt hat, muss eine andere Quelle haben… und welche Rolle diese Frau dabei spielt, ist mir immer noch dunkel.“

„Jedenfalls wird sie von Hass getrieben“, sagte Dariya, die sich schaudernd an den Angriff der schreienden Furie mit ihrer Sense erinnerte. „Sie will nicht einfach unseren Tod. Mir schien, dass sie für irgendetwas Rache sucht.“

„Aber wofür?“, fragte Helmuth. „Sie kann doch gar nicht wissen, wer wir sind. Dieses Grab war Jahrtausende lang verschlossen. Sie muss dort schon Ewigkeiten geruht haben, bevor unsere Urgroßväter geboren wurden. Was kann ihr denn angetan worden sein, dass sie ausgerechnet jetzt erwacht ist?“

„Vielleicht werden wir es noch herausfinden“, meinte Ansgar.
 
Zuletzt bearbeitet:
Tolle Geschichte wieder mal. Die Protagonisten sind einem schon ein bisschen ans Herz gewachsen.
So eine Nebenstory wie die sich anbahnende Romanze zwischen Dariya und Martin verleiht dem Ganzen eine schöne Tiefe.
Bitte fortsetzen. 😎
Vielen Dank.🤗 Ja, ich rechne auch langsam mit einer Romanze... 😊 Allerdings kann so ein Spiel die dramaturgischen Pläne auch leicht durchkreuzen. Wer weiß, wer am Ende überlebt.

Auf jeden Fall aber scheint es, dass die beiden Frauen zu den jeweiligen Protagonisten ihrer Banden werden - also Carendra für die Untoten, Dariya für die Hexenjäger. Mein Gegner ist da zum Glück sehr tolerant, und wir haben schon vereinbart, dass wir uns für diese Figuren gegenseitig Wiederholungswürfe auf der Tabelle für Schwere Verletzungen geben - also der Tabelle, die nach dem Spiel entscheidet, ob ein ausgeschaltetes Modell tatsächlich tot ist. Diese Konzession machen wir jetzt einfach an die Geschichte.

Apropos Konzessionen: Da die Untoten gestern deutlich verloren haben, werden sie beim nächsten Mal einen Vorteil bekommen, den wir auch für sachlich angemessen halten. Sie dürfen sich "verstecken" und ihren Gegnern auflauern. Konkret wird das so funktionieren, dass mein Gegner mehrere Gruppen von Modellen bildet und jede Gruppe auf dem Spielfeld nur durch einen Marker repräsentiert wird; d.h. ich weiß nicht, welche Modelle (und wieviele) wo stehen. Enthüllt werden sie erst, wenn der Marker in Sichtweite ist. Bin sehr gespannt...
 
  • Like
Reaktionen: Zanko
Kurzarbeit! Freu 😄 Mein Arbeitgeber lässt diese Woche nur noch auf halber Kraft laufen. So haben wir es tatsächlich geschafft, heute Abend noch ein Spiel durchzuziehen.


Carendras Rache: Spiel 3
Die kalte Berührung


Zum zweiten Mal schickte ich meine Hexenjäger in die Finsternis unter dem Hügel, und diesmal teilten sie sich vorsichtshalber in zwei Gruppen auf. Die eine wurde von Ansgar und Helmuth geführt, die andere von Odo und Dariya. Beide Gruppen hatten noch je einen Kampfhund, einen Flagellanten und drei Zeloten bei sich.

Dieses Spiel war besonders spannend, da die Untoten sich diesmal verdeckt aufstellen durften. Ich konnte nur sehen, wo die Marker lagen, hatte aber keine Ahnung, welche und wieviele Modelle sich dahinter verbargen. Die Lage der Marker machte es unvermeidlich, dass beide Gruppen sich relativ weit voneinander entfernen mussten, um einer Einkreisung zu entgehen. Die Folge war, dass es am Ende zwei getrennte Kampfschauplätze gab, was von den Untoten zweifellos beabsichtigt war.

4679uigfdjk.webp


Ansgars Gruppe wurde in einer größeren Grabkammer aus dem Hinterhalt überfallen: Der Skelettkönig stürzte sich mit einer Leibgarde aus Verfluchten auf die Hexenjäger, gefolgt von einem Geisterschwarm, der sich direkt durch eine Wand hindurch materialisierte. Ansgar erschoss einen Skelettkrieger, doch die übrigen kreisten seine Gruppe ein, und ein furchtbares Gemetzel begann. Einer der Kampfhunde wurde von den Skeletten zerrissen; dann ging noch ein Flagellant zu Boden, und einen der Zeloten spießte König Comran mit seiner Lanze auf. Ansgar und Helmuth jedoch machten ihrem Ruf als unerschrockene Glaubenskämpfer alle Ehre: Es gelang ihnen, den König zu verwunden und zu Boden zu schicken, was schließlich dazu führte, dass er seine letzten Skelette als Schild vor sich schieben und aus dem Nahkampf fliehen musste.

Der anderen Gruppe um Dariya und Odo allerdings erging es weit weniger gut. Sie wurden beim Durchqueren eines engen Tunnels gestellt und sahen sich von einer Übermacht bedrängt, geführt von Carendra persönlich. Die Engstelle erlaubte es nur, maximal zwei Modelle in der kämpfenden Front zu haben, und das führte zu einem erbitterten Duell zwischen Carendra und Dariya.

98uojöll.webp


Noch vor dem Spiel hatten wir beschlossen, dass Carendra ab sofort die Sonderregel Ewiger Hass erhalten sollte, was bedeutete, dass sie jeden Trefferwurf in der Nahkampfphase wiederholen durfte. Das tat sie nun und schlug wie eine rasende Furie zu. Dariya, nur mit schwacher Rüstung und Handwaffe ausgestattet, ging zu Boden und wurde nur durch ihren Nebenmann, einen Flagellanten, vor dem Tod bewahrt. (Solange noch ein aktiver Gegner in Basekontakt steht, dürfen Attacken nicht gegen Modelle am Boden gerichtet werden.) Mühsam kam sie wieder auf die Beine und kämpfte verbissen weiter, wurde aber nochmals schwer getroffen und diesmal sogar betäubt. Der nächste Treffer hätte tödlich sein können. Dariyas Leben hing am seidenen Faden. Der enge Gang erlaubte es nicht, weitere Modelle in den Kampf zu ziehen; stattdessen stauten sie sich hinter ihr - und Ansgars Gruppe war viel zu weit weg, um den Kampfplatz rechtzeitig zu erreichen.

In dieser bedrohlichen Situation entschied ich mich für die freiwillige Flucht. (Dies ist immer möglich, wenn eine Bande mehr als 25% Verluste hat, und ich hatte mittlerweile 5 Verluste bei 15 Modellen.)

9uhgfd.webp


Ergebnis: Sieg der Untoten. Sie verloren zwar einen der beiden Nahkämpfe, doch wenn eine Seite flieht, gewinnt die andere automatisch.

Die Hexenjäger haben einen toten Zeloten und einen Flagellanten zu beklagen; die übrigen Gefallenen erholten sich wieder. Zum Glück gibt es noch eine Handvoll Dorfbewohner, aus denen zumindest für einen der beiden Toten Ersatz rekrutiert werden kann.

Auf Seiten der Untoten geht nur ein Skelettkrieger verloren, der ebenfalls gleich ersetzt wird. Zudem steigern die Verfluchten ihr KG auf 5, und Carendra erhöht ihren Widerstand auf 4 – eine verdiente Belohnung für das gewonnene Duell.
 
Diesmal war es Dariya, die in einem desolaten Zustand aus den Tiefen des Grabhügels zurückkehrte – weniger verwundet am Körper als an der Seele. Keine ihrer Verletzungen schien gefährlich; dennoch wankte sie beim Gehen und musste von zwei Zeloten gestützt werden. Vor dem Eingang des Hügels trafen sie auf Ansgar und seine Truppe, die sich in einem anderen Teil des Labyrinths aufgehalten und nichts von dem Kampf mitbekommen hatten. Der Inquisitor erbleichte vor Schreck, als er seine Tochter taumelnd ans Tageslicht kommen sah.

„Dari!“ Er fing sie auf, als sie eben aus den Armen ihrer Begleiter sank. „Was ist passiert?“

Da sie nicht antwortete, ergriff einer der Zeloten das Wort. „Es war ein Hinterhalt, Herr. Sie lauerten uns an einer Engstelle auf. Wir konnten nicht helfen, denn der Gang war zu schmal. Die untote Furie stürzte sich auf Eure Tochter, ergriff sie an der Kehle und schleuderte sie zu Boden.“

Dariyas Lider flatterten. „Vater?“

„Ich bin hier, Dari.“ Ansgar hielt sie im Arm. „Was hat dieses Biest dir angetan?“

„Ich… weiß nicht mehr. Es ging alles so schnell. Ihre Finger waren… so kalt.“ Sie schauderte und schien für einen Moment das Bewusstsein zu verlieren.

Ansgar bog ihren Kopf zur Seite und blickte besorgt auf die rötlichen Würgemale an ihrem Hals. Die Spuren ließen eine klauenfingrige Hand mit scharfen Fingernägeln ahnen.

„Sie hat keine blutende Verletzung, Herr“, sagte der Zelot. „Es scheint eher, als…“

„…als hätte ein Geist sie berührt.“ Ansgar nickte. „Helft mir, sie zum Lager zu bringen.“

Dariya nahm nichts mehr von alldem wahr. Sie war in einen Dämmerzustand hinübergeglitten, als hielten die fremden Finger zwar nicht mehr ihre Kehle, doch ihren Geist umschlossen. Es war ihr nicht bewusst, dass man sie zum Lager in dem alten Mauerring brachte, auf eine weiche Decke bettete und untersuchte. Ansgar sprach ein Gebet zu Sigmar und benetzte ihre Stirn mit heiligem Wasser. Nur ganz von fern drangen seine Worte zu ihr herüber.

„Es wird vorübergehen, hoffe ich. Sie braucht Ruhe. Sigmars Segen wird das Schlimmste verhüten.“
 
kjhjuzgfztf.webp


Der Dämmerzustand ging in einen unruhigen Schlaf über. Zeitweise glaubte Dariya wach zu sein, doch in den dunklen Phasen dazwischen sah sie verwirrende Bilder, die halb Träume und halb Visionen sein mochten.

Als erstes sah sie eine Frau in einem blutroten Gewand. Sie war groß, schlank und wunderschön, mit einer Mähne tiefschwarzer Locken und feurigen dunklen Augen. Ein schmaler Goldreif wand sich um ihre Stirn, geschmückt mit eingelegten Edelsteinen. Die Frau ging unruhig in einem großen Saal auf und ab, an dessen Stirnseite zwei Thronsitze aus geschnitztem Holz standen.

Sie schreckte auf, als eine Flügeltür knarrte. Ein Mann kam herein, gewandet wie für eine Schlacht, in bronzener Rüstung und mit einem Helm unter dem Arm.

„Comran!“ Die Frau flog in seine Arme und blickte flehend in sein angespanntes Gesicht hinauf. „Musst du gehen? Ist es unvermeidlich?“

„Ja, meine Königin“, erwiderte er. „Niemals werde ich mich diesem Emporkömmling aus dem Westen beugen, der alle Stämme unter seine Herrschaft zwingen will.“

„Wer ist dieser Sigmar überhaupt?“

„Er ist der Anführer der Unberogen, eines Stammes im Reikland, viele hundert Meilen entfernt von hier. Offenbar ist es ihm gelungen, sämtliche Nachbarn entweder auf seine Seite zu ziehen oder im Kampf zu schlagen. Sogar die Unterstützung der Zwerge soll er genießen. Er will ein ‚Imperium‘ gründen, natürlich mit sich selbst als oberstem Herrscher. Sein Ruhm scheint ihm derart zu Kopf gestiegen zu sein, dass er meint, von allen Menschen Gehorsam verlangen zu können. Aber nicht von mir! Dieser Hochstapler kann froh sein, dass ich seine Gesandten lebend davongejagt habe. Die Unverschämtheit seiner Forderung hätte es gerechtfertigt, ihm bloß ihre abgeschlagenen Köpfe zurückzuschicken.“

„Aber musst du denn in die Schlacht gegen ihn ziehen?“

„Wenn ich es nicht tue, wird er mir zuvorkommen. Die Gesandten haben gesagt, dass jeder, der ihrem Herrn die Gefolgschaft verweigert, zum Feind erklärt wird. Ich muss sie aufhalten, bevor sie unsere Grenzen erreichen. Das Volk der Gothmanen wird frei bleiben, solange ich König und am Leben bin.“

Sie umschlang ihn verzweifelt. „Wenn es denn sein muss, so geh… doch komm heil zurück! Du weißt, dass ich ohne dich nicht leben kann.“

„Mögen die Götter es geben. Leb wohl, Liebste.“ Damit wandte der Mann sich um, setzte seinen Helm auf und schritt zum Ausgang, wo mehrere gerüstete Hauptleute ihn erwarteten. Die Frau blieb zurück, beide Hände angstvoll ineinander verschränkt.

***

Die Szene vor Dariyas Augen veränderte sich. Nun war es ein finsteres Gemach, dessen wenige Fenster mit schwarzen Tüchern verhängt waren. Ein Kohlebecken glühte und warf gespenstische Reflexe auf die gemauerten Wände. Auf einem steinernen Sims ruhte der Körper des Königs, zurückgekehrt aus der Schlacht: leblos ausgestreckt mit auf der Brust gefalteten Händen, die den Griff seines Schwertes umschlossen. Die tödliche Wunde war gesäubert und bedeckt, der Leib nach alter Sitte mit balsamischen Ölen bestrichen worden. Das Gesicht des Toten war ernst und ruhig, der Bart sauber gekämmt. Fast hätte man ihn für einen Schlafenden halten können.

Wieder war die Frau im Raum, und wieder ging sie auf und ab. Doch sie hatte sich weit erschreckender verändert als der Tote: Ihr Gewand war zerknittert und schmutzig, ihr Haar wirr und ungepflegt, und das einst so schöne Gesicht wirkte eingefallen. Ihre Augen brannten in dunkel umrandeten Höhlen.

Eine Tür wurde geöffnet, und ein Diener trat ein. Er schien große Angst zu haben und wagte nicht, auf sich aufmerksam zu machen; stattdessen blieb er einfach in der offenen Tür stehen. Es dauerte eine Weile, bis die Frau ihn bemerkte.

„Was willst du?“ Auch ihre Stimme hatte alle Kraft und Geschmeidigkeit verloren. Es klang, als kämpfte sie beständig mit Tränen.

„Der Schamane ist da, Herrin“, sagte der Diener schüchtern.

„Dann her mit ihm! Worauf wartest du denn?“

Eilig zog der Diener sich zurück, und an seiner Stelle trat ein sehr alter Mann in einem knöchellangen Gewand aus zusammengenähten Wolfspelzen ein. Er stützte sich auf einen Stab und verbeugte sich vor der Frau.

„Königin Carendra, Ihr habt mich rufen lassen?“

Sie hielt in ihrem nervösen Rundgang inne, sprach aber, ohne ihn anzusehen. Stattdessen blieb sie beim Leichnam ihres Gatten stehen, die dunklen Augen auf sein erstarrtes Gesicht gerichtet.

„Du giltst als der Weiseste unter meinem Volk. Sag mir, Schamane: Gibt es einen Zauber, der die Toten wieder ins Leben zurückbringen kann?“

Der alte Mann seufzte und stützte sich schwer auf seinen Stab. „Vieles vermögen die Winde der Magie – Wohltätiges wie Unheilvolles. Vom Tode aber kehrt niemand zurück, wie mächtig er im Leben auch gewesen sein mag.“

„Verschone mich mit solchen Weisheiten!“, fuhr ihn Carendra an. „Ich weiß, dass es möglich ist! Es gibt Geschichten über Wiedergänger, über Zurückgekehrte aus dem Totenreich…“

„Herrin, wenn Ihr diese Geschichten kennt, dann wisst Ihr, dass sie niemals gut ausgegangen sind“, sagte der Schamane streng. „Nur verderbliche Magie kann etwas Derartiges hervorbringen, und auch nur zum Verderben jener, die sie nutzen.“

„Ich will keine Predigt von dir hören!“, gab die Königin erbittert zurück. „Du sollst mir nicht sagen, ob du es für richtig hältst, sondern nur, wie man es anstellt! Kennst du Mächte, die den Tod widerrufen können?“

Der Schamane zögerte, eingeschüchtert durch ihre heftigen Worte. „Herrin… Wohl gibt es namenlose Mächte, denen solche Kräfte nachgesagt werden, doch würde ich nie…“

„Kennst du sie – ja oder nein?

Wieder besann der alte Mann sich einen Moment, schien aber schließlich zu entscheiden, dass er seine Herrscherin nicht belügen wollte.

„Ich kenne sie“, sagte er. „Doch nie würde ich sie anrufen und ihre Kräfte gebrauchen. Wer das tut, bringt nicht nur Unheil über sich selbst, sondern über die ganze Welt.“

„Das ist mir gleichgültig. Ruf diese Mächte und beschwöre sie, mir meinen König zurückzugeben! Ganz gleich, was es kosten mag.“

„Ich bedaure, Herrin, doch das kann ich nicht tun.“

Carendra fuhr herum, riss einen Dolch zwischen den Falten ihres Gewandes hervor und trat drohend auf den alten Mann zu. „Du wirst es tun, Schamane!“, fauchte sie. „Ich bin immer noch deine Königin. Wenn du dich weigerst, kostet es dein Leben.“

Der Alte straffte sich. „So sei es. Ich bin bereit zu sterben, um Euch vor einem Fehltritt zu bewahren, dessen Folgen Ihr nicht ermessen könnt.“

„Tu, was ich dir befehle, alter Mann!“, schrie Carendra, die die Fassung verlor.

„Nein“, antwortete er fest.

„Dann stirb!

Sie stieß zu wie eine Giftschlange, ebenso plötzlich und ebenso tödlich. Der Schamane verzog keine Miene, als er auf die Klinge hinabblickte, die bis zum Heft in seiner Brust steckte. Ein letztes Mal hob er den Kopf und sah Carendra an, die bebend vor Zorn vor ihm stand. Dann knickte er ein und sank auf den kalten Steinfliesen zusammen. Der Stab fiel aus seinen Händen und polterte zu Boden.

Einen Moment stand die Königin wie erstarrt. Erst jetzt schien sie zu begreifen, dass ihr unmäßiger Zorn sie des einzigen Mittels beraubt hatte, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Dennoch schien sie nicht aufgeben zu wollen. Sie beugte sich über den Leichnam, fasste nach dem Dolch und zog ihn aus der Wunde. Dann griff sie nach einem Kelch, der auf einem nahen Tisch stand, hielt die Klinge darüber und ließ das Blut Tropfen für Tropfen hineinrinnen.

„Möge deine Kraft auf mich überfließen, alter Mann!“, flüsterte sie. „Vielleicht sind die Namenlosen mir dann gewogen.“

Sie setzte den Kelch an die Lippen und trank.

***

Wieder veränderte sich die Szene. Nun war es draußen unter freiem Himmel, auf der Kuppe eines Hügels. Noch im Traum war Dariya sicher, dass es sich um jenen Grabhügel handelte, in dem der tote König samt allen Kriegern, die in der Schlacht gefallen waren, zur letzten Ruhe gebettet worden war. Carendra stand auf dem Hügel, das Gesicht zum Himmel gewandt, wo düstere Wolken sich ballten. Sie hatte beide Arme erhoben, und ihr zerschlissenes Gewand flatterte im Wind.

„Namenlose Götter!“, rief sie. „Unbekannte Mächte, die niemand sonst zu rufen wagt! Gebieter über Leben und Tod, Wandler des Schicksals, ich beschwöre euch! Antwortet mir!“

Wieder und wieder rief sie, mal mit gebrochener, mal mit sich überschlagender Stimme. Sie raufte sich das Haar, zerriss ihre Kleider, schrie und weinte zugleich in einer Agonie der Verzweiflung.

Als sie keine Kraft mehr hatte und verstummte, senkte sie den Kopf und schloss die Augen. So entging ihr zunächst, dass die Wolken sich über ihr zu einem seltsamen Wirbel verdichtet hatten. Der ganze Himmel hatte sich verdunkelt, doch in der Mitte, wo er am finstersten war, öffnete sich etwas wie ein rundes Fenster in den Wolken. Ein fahles, unirdisches Licht ergoss sich herab und hüllte die einsame Gestalt der Königin in einen geisterhaften Schimmer.

„Wer ruft?“, hallte eine Stimme zu ihr herab, tiefer und dunkler als die Grabkammer unter dem Hügel.

Ungläubig hob Carendra das Gesicht zum Himmel. „Ich bin es – Carendra, Königin der Gothmanen. Wer spricht zu mir?“

„Ich habe keinen Namen in deiner Sprache“, erwiderte die körperlose Stimme. „Du kannst mich den Namenlosen nennen, den Ewigen Wanderer, den Meister des Schicksals oder den Großen Raben.“ Und tatsächlich schien es nun, als spreizten sich die Wolken in Gestalt zweier schwarzer Flügel über dem Hügel. „Was ist dein Begehr, Menschenweib?“

„Hast du Macht über Leben und Tod?“, fragte Carendra, schwankend zwischen Furcht und Hoffnung. „Kannst du mir meinen Geliebten wiedergeben, dessen toter Körper unter diesem Hügel ruht? Kannst du ihn wieder zum Leben erwecken und Verderben über die Feinde bringen, die ihn mir genommen haben?“

„Auf Liebe verstehe ich mich nicht“, gab die Stimme zurück. „Doch auf Rache wohl. Wer sind jene Feinde, die deinen Verlust verschuldet haben?“

„Es sind die Diener eines frechen Emporkömmlings mit Namen Sigmar.“

„Oho!“ Die Stimme ließ etwas hören, das wie ein donnerndes Lachen klang. „Das soll mir ein Vergnügen sein. Ich mache dir ein Angebot: Wenn jene Feinde jemals dein Land betreten und es wagen, sich diesem Ort zu nahen, dann sollen alle Toten, die in diesem Hügel bestattet wurden, wieder zum Leben erwachen.“

Carendra verharrte mit gerunzelter Stirn. Das war es nicht, worum sie gebeten hatte. „Aber… wenn sie nicht kommen…“

„Sie werden kommen“, versprach die Stimme.

„Aber wenn das erst in Monaten oder Jahren geschieht… wenn ich es nicht mehr erlebe…“

„Ich habe dir ein Angebot gemacht“, versetzte die Stimme. „Nimm es an oder schlage es aus; ganz wie du willst! Mehr kann ich dir nicht bieten.“

„Also gut!“, rief Carendra kurzentschlossen. „Ich nehme an! Was ist dein Preis?“

Wieder lachte die Stimme ihr donnerndes Lachen. „Du hast ihn bereits bezahlt, Menschenweib! Deine Seele gehörte mir schon, als du den Priester erstachst.“

„Du weißt davon? Also hast du die ganze Zeit mit mir gespielt?“

„Du wolltest spielen, Weib. Und ich spiele nach meinen eigenen Regeln. Tritt zurück!“

Erschrocken wich Carendra zurück, als ein grünlicher Lichtstrahl die Hügelkuppe traf. Dann donnerte etwas aus dem Himmel herab wie ein feuriger Komet, schlug in den Hügel ein und ließ die Erde beben. Carendra stolperte und fiel auf Hände und Knie. Als sie sich zitternd wieder aufrichtete, stand ein mannshoher Block aus grünlich schimmerndem Stein auf dem Hügel. Vor ihren Augen überzog sich seine Oberfläche mit Schriftzeichen, als würden sie von unsichtbarer Hand hineingegraben. Es war die Runenschrift der Gothmanen, und Carendra las:

„Wenn jemals der alte Feind diesen Ort betritt,
an dem die Königin ihren Verlust erlitt,
werden alle, deren Leiber dieser Hügel bedeckt,
zu neuem Leben und furchtbarer Rache erweckt.“

Darunter erschien ein unbekanntes Zeichen von geheimnisvoller Form, fast wie eine Unterschrift.

„Großer Rabe?“ Carendra blickte zum Himmel auf, wo sich das Fenster in der Wolkendecke soeben schloss. „Bist du noch da?“

Doch die Stimme antwortete nicht mehr. Nur von ganz weit her glaubte Carendra noch ein schwaches Echo jenes polternden Lachens zu vernehmen, das allmählich verhallte. Es wurde zu leisem Donner wie von fernem Gewitter.

Lange blieb Carendra auf dem Hügel stehen, sinnend und wie erstarrt.

Dariya, die all dies vor ihrem inneren Auge sah, glaubte die Gedanken der Königin zu erraten. Ihre Rache sollte sie bekommen, und auch die Toten sollten wieder auferstehen… doch die Stimme hatte ihr nicht gesagt, wann das geschehen würde. Jahre mochten vergehen, vielleicht Jahrzehnte, in denen sie trauern, altern, vielleicht sogar sterben würde. Doch alle sollten auferstehen, die im Innern des Hügels lagen… und Carendra konnte zu ihnen gehören. Sie konnte ihren Schlaf und ihr Erwachen teilen.

Die Königin griff in ihr Gewand und zog ein Fläschchen hervor. Lange betrachtete sie es – und Dariya wusste mit der Sicherheit der Träumenden, dass dieses Gefäß ein tödliches Gift enthielt. Dann wandte die Königin sich um, schritt den Hügel hinab und betrat den dunklen Eingang, der zu den Grabkammern führte. Die Finsternis verschluckte ihre schlanke Gestalt, doch es war leicht zu erraten, was sie tun würde. Sie bettete sich neben ihren toten Geliebten, trank das Gift und glitt in die Zwischenwelt hinüber, wo sie zusammen mit den anderen Toten auf ihre Wiederkehr wartete.

***

Die Sonne sank bereits, als Dariya erwachte. Verwirrt blinzelte sie in den düster bezogenen Himmel, stellte aber fest, dass sie sich besser fühlte. Die Vision war vergangen, und ihr Kopf fühlte sich klarer an. Erst jetzt begriff sie auch, wo sie sich befand, und erkannte den verfallenen Mauerring, in dem die Hexenjäger ihr Lager aufgeschlagen hatten. Sie lag auf einer weichen Decke – und jemand lag auf einer zweiten Decke neben ihr und hatte sich auf die Seite gedreht, um ihr ins Gesicht zu sehen.

„Dariya! Sigmar sei Dank. Geht es dir besser?“

Staunend erkannte sie Martin. Man hatte die beiden vom Kampf Versehrten nebeneinander gebettet. Odo saß bei ihnen und war damit beschäftigt, eine Kräutersalbe anzurühren. Er blickte die beiden jedoch nicht an, sondern schien ganz auf seine Arbeit konzentriert. Vielleicht war das eine Geste der Diskretion, denn der alte Mann lächelte versonnen und gab sichtlich vor, nichts von der Vertraulichkeit seiner beiden Patienten zu bemerken.

„Ja… besser“, sagte Dariya und seufzte tief. „Ich hatte einen seltsamen Traum.“

„Erzählst du ihn mir?“, bat Martin leise. Seine Stimme, so nah an ihrem Gesicht, berührte sie tröstlich.

Dariya nickte. Sie würde den Traum nicht nur ihm erzählen. Auch ihr Vater musste erfahren, was sie gesehen hatte.
 
Zuletzt bearbeitet: