Kapitel XXVII: Zwischen Ehre und Frieden
Dunkelheit... Finsternis... Er ruderte wild mit den Armen und versuchte herauszufinden, wo er war und ob er fiel, schwamm, oder vielleicht sogar fliegen konnte? Seine Knochen waren leicht wie Federn und so schwebte er durch das finstere Nichts, ohne zu wissen in welche Richtung er musste.
Er geriet in Panik - zwar spürte er seinen Körper, konnte ihn aber nicht sehen, so undurchdringlich war die Schwärze um ihn herum. Vorsichtig machte er eine schwimmzugartige Bewegung... und noch eine. Es folgten viele weitere und so schwamm er eine Weile durch das Nichts und gab schließlich erschöpft auf. Kam er überhaupt vorwärts? Er hatte nichts, woran er sich hätte orientieren können und so ließ er sich verzweifelt treiben. Was war nur geschehen?
Er erinnerte sich an schreckliche Schmerzen, sowohl seelisch, als auch fleischlich und an das viele Blut, dass in Sturzbächen geflossen war. Aber aus welchem Leib... aus seinem? Er schüttelte ärgerlich den Kopf, oder zumindest glaubte er ihn zu schütteln... nein, verdammt, was war nur geschehen? Er konzentrierte sich und versuchte die Bilder des kürzlich Geschehenen vor seinen Augen ablaufen zu lassen, doch dann fiel ihm etwas auf: Wer bin ich?
Die Verzweiflung wuchs, an nichts konnte er sich mehr erinnern, nicht an seinen Namen, nicht an seine Herkunft, nein, an gar nichts, aber eines wusste er:
Ich bin kein Mensch, ich kann kein Mensch sein. Kein Mensch kann dieses Gefühl von unendlicher Freiheit fühlen.
Dieses Gefühl verschwand jedoch schlagartig, als plötzlich Flammen seinen Kopf durchzuckten: sie ließen ihn aufschreien und erfüllten seinen Körper mit unvorstellbaren Schmerzen. Er presste seine Lider zusammen und kreischte vor Pein, bis das Leid einen Augenblick später von alleine verschwand. Verwundert öffnete er seine Augen: Feuer loderte um ihn herum, doch es war nicht heiß, sondern eiskalt. Dennoch, er war erleichtert, denn nun hatte er wieder festen Holzboden unter seinen Füßen und er wollte soeben ein paar Schritte gehen, als er feststellte, dass er sich nicht bewegen konnte. Er wollte laufen, aber es ging einfach nicht! Er kämpfte mit aller Macht gegen die unsichtbaren Fesseln an, doch er schaffte es nicht. Hilflos spürte er, wie sein Körper gepackt und gedreht wurde, bis er in das schmerzverzerrte Gesicht einer sterbenden Frau sah, die grausam von den Flammen verzerrt wurde. Erschrocken wollte er zurückweichen, doch etwas hielt ihn unbarmherzig fest. Nein! Er wollte ihren
Tod nicht mit ansehen! Die krampfhaften Versuche, die Augen zu schließen, schienen zum Scheitern verurteilt, doch dann... es... es gelang ihm! Langsam aber stetig verdunkelte sich seine Sicht immer weiter, bis er schließlich von Finsternis umfangen war.
Sämtliche Kräfte wichen aus, aber auch von ihm und er sackte haltlos zusammen. Mit zitternden Gliedern setzte er sich auf, wagte noch nicht, die Lider zu öffnen und es vergingen einige, endlose Sekunden ehe er es doch tat: Er saß in einem rußgeschwärzten Raum, mit einem massiven Holzpfahl in der Mitte, an dem die verbrannten Leichen zweier Menschen gekettet waren. Hätte ihn dieser Umstand erschüttern müssen, so tat er es nicht, er blieb so emotionslos, dass er es sich selbst nicht erklären konnte. Vorsichtig näherte er sich den beiden leblosen Körpern und streckte zögerlich die Hand nach der Kette aus, mit der sie festgebunden waren... das Metall war kalt und glatt, offenbar hatte das Feuer ihm nichts anhaben können. Wie konnte das sein? Einen kurzen Moment lang noch ließ er die Hand auf den kühlen Eisenringen liegen, ehe er sie wegzog, doch gerade als er das tat, begann die Kette in Sekunden zu rosten und brach, als hätte sie die beiden Körper schon Jahrtausende zusammengehalten, doch dem Verfall bis jetzt getrotzt. Bevor auch nur das letzte Glied auf dem Boden aufschlagen konnte, zerbröselte es vollständig zu feinem, rotem Staub. Er konnte sich nicht lange darüber wundern, denn einer der beiden Leichname war soeben aus seinem Schlaf erwacht, und im Gegensatz zu seinem Nachbarn nicht gestürzt, sondern begann nun leise stöhnend zu auf ihn zu zulaufen.
Angestrengt versuchte er dem zu lauschen, was der Untote murmelte, aber dieser sprach in einer fremden Sprache, so dass er nichts verstehen konnte. Doch ein Wort tauchte immer und immer wieder auf:
"...Wotan..:"
Verdutzt hielt er inne.
"Wotan? Ich kenne jemanden, mit diesem Namen..." In der Tat sagte der Name ihm etwas, doch er konnte ihn nicht in seiner löchrigen Erinnerung einordnen.
"Viele kennst du, die diesen Namen tragen, denn viele Gesichter hast du gezeigt, in deinem Leben."
"Wotan... ist das mein Name?", fragte er, auf eine Erklärung hoffend, während er, sich darüber wundernd, dass er den Untoten plötzlich verstehen konnte, vor der heran schlurfenden Gestalt zurückwich.
"Deiner, meiner... der von allen Spiegelungen deiner Seele...", kam die, eher mehr Fragen aufwerfende, als beseitigende Antwort.
"Deiner?"
Gleich nachdem Wotan gefragt hatte, begann das Wesen vor ihm sich zu verändern: Das verbrannte Fleisch heilte und rosige Haut bildete sich über den genesenen Stellen; Haare wuchsen und in die verdorrten Augen trat Leben. Der ehemals verbrannte Leichnam verwandelte sich in einem stattlichen, gesunden, jungen Mann, mit blonden Haaren und sanften, grünen Augen. Lange Augenblicke vergingen und dann
streckte Wotan die Hand verwirrt aus, er wollte überprüfen, ob er wirklich nicht nur träumte und sein Gegenüber tat es ihm gleich. Mit einem leisen Geräusch stießen seine Finger, wo er eigentlich das Fleisch des anderen hätte spüren müssen gegen kaltes Glas.
Ein Spiegel?
Er drehte sich um und erwartete, denselben Raum, den er vor sich sah, hinter sich nocheinmal zu sehen, aber es lag nur Schwärze in seinem Rücken. Als er sich wieder zu seinem Spiegelbild wandte, war das Zimmer hinter diesem auch der undurchdringlichen Finsternis gewichen. Verwirrt trat er einen Schritt zurück, doch diesmal tat die Person hinter dem Glas es ihm nicht gleich. Ihre Züge wurden kantig, die Haut aschfahl, die Haare schwarz. Aus den Augen wich der freundliche Glanz und ein böses, gelbes Stechen trat hinein. Die Gestalt öffnete den Mund und schrie ihn aus vollem Halse an, was ihn erschrocken zurückweichen ließ, wobei er bemerkte, dass die weißen Zähne länger wurden und sich zu tödlichen Mordinstrumenten formten. Der Lärm schwoll immer weiter an und als es so schlimm wurde, dass er glaubte er könne es nicht mehr aushalten, schlug er mit aller Kraft gegen den Spiegel. Klirrend zerbrach das Glas und offenbarte zwei weitere Personen...
Wotan sackte auf die Knie... all' das hier wurde ihm zu viel. Er hatte einiges erduldet, aber nun begann seine eigentlich nicht vorhandene Welt zusammenzubrechen. Verzweifelt stützte er einen Arm schwer auf den Boden und zuckte gleich darauf zurück.
"Was zum...?" Er betrachtete seine Hand und erst als er den Schnitt sah, der sie nun kennzeichnete, fiel ihm auf, dass er sich, als er den Spiegel zerschlagen hatte überhaupt nicht verletzt hatte. Dunkles Blut sickerte aus der Wunde und tropfte auf die Scherbe, an der er sich geschnitten hatte. Er hob sie auf, betrachtete sie und bemerkte, dass sie gar nicht zu den anderen Splittern passte. Sein Blick fiel auf einen silbernen, kleinen Handspiegel, aus dem das viel feinere Glas stammen musste. Vorsichtig setzte er es wieder ein und augenblicklich fügte das Stück sich lückenlos ein, es verschmolz förmlich mit der restlichen Scheibe. Der rußige Raum von eben erschien in dem Spiegel, noch immer lag die zweite Leiche auf dem Boden geschwärzten Boden... doch irgendetwas war anders. Ja... ja, doch - diesmal hielt sie ein kurzes Steinmesser in der Hand, auf dessen Schneide irgendetwas eingraviert war.
"Wotan..."
Er hatte die Klinge so konzentriert betrachtet, dass er gar nicht bemerkt hatte, dass die Frau - nach der Stimme zu urteilen war sie eine - aufgestanden war und ihn nun
direkt ansah.
"Wotan...", hauchte sie erneut drohend. Dann warf sie das Messer, es traf den Spiegel von innen und das Glas splitterte nach Außen.
Er konnte nicht fassen, was geschah. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Die scharfen Kanten schnitten in sein Gesicht und zerstachen seine Augen. Er schrie verzweifelt, konnte das alles hier nicht endlich enden? Er wünschte sich nichts sehnlicheres, als aus diesem Traum neben seiner geliebten Aurora zu erwachen. Aurora? Aurora?
Aurora!
Alles war wieder da. Alles! Sein Leben spulte sich in Sekunden vor seinen leeren, blutenden Höhlen ab und obwohl er sein Augenlicht verloren hatte, konnte er alles sehen... ja, er konnte auch diese beiden Personen sehen, die er schon vorhin bemerkt hatte.
Nun mit mehr Selbstvertrauen und dem Wissen wer und was er war erhob er sich und musterte beide mit festem Blick.
Die Gestalt links, war mehr Monster als Mensch. Ihre Züge waren finster, das Gesicht länglich und die Haut kränklich grau. Schlohweißes, spärliches Haar wuchs auf dem Kopf und die herab fallenden, filzigen Strähnen bedeckten die tiefroten, vom Bösen verdorbenen Augen. Schwarze Stacheln wuchsen der Kreatur aus allen Gliedmaßen und obwohl sie das geifernde Maul geschlossen hatte, sah man einige ellenlange, spitze Reisszähne hervorstehen.
Die Person zur Rechten des Ungeheuers war ein hochgewachsener, vor Kraft strotzender Mann, mit langen blonden Haaren, einem harten Gesicht und doch gutmütigen Augen, der nichts trug, außer einer braunen, geflickten Lederhose, einer Schmiedsschürze aus dem gleichen Material und einem gewaltigen, prunkvollen Hammer, der überhaupt nicht zum restlichen Erscheinungsbild passen wollte.
Mit sicheren Schritten, aber dennoch angespannt näherte Wotan sich und blieb genau zwischen den Beiden stehen.
"Also?", fragte er kühn und sehr von sich selbst überzeugt. Er wusste selbst nicht, was diese Frage sollte, aber er wollte Stärke demonstrieren.
Das Ungeheuer neben ihm schnaubte verächtlich und doch steckte in diesem Laut so viel Macht, dass er sich wieder klein und mickrig fühlte. Sofort zog er den Kopf ein und bereute sein überhebliches Auftreten.
"Du musste heute eine wichtige Entscheidung fällen.", sprach der Hühne.
Wotan erschrak. Die Ausstrahlung des Mannes übertraf die der Kreatur bei weitem... die Frage nach dem Namen konnte er sich wohl sparen.
"Die wäre?", fragte er, doch die Arroganz war aus seiner Stimme gewichen, er fühlte sich einfach nur noch erbärmlich.
"Eine zweite Chance.", antwortete der große Mann.
"Es wird weitergehen wie es war.", sagte das Ungetüm mit grollender Stimme.
"Das wird er wissen müssen."; korrigierte der andere, dann bedachte er Wotan mit einem festen Blick. "Du weißt was geschehen ist."
Der Vampir schluckte schwer und obwohl der blonde Riese es nicht als Frage formuliert hatte, nickte er anschließend. Allmählich glaubte er zu verstehen, was hier vorging.
"Stets war ich bei dir, ich war dir immer ein Freund wenn du alleine warst." Erschrocken wirbelte Wotan herum und betrachtete die Kreatur. War sie etwa...?
"Dein zweite Hälfte war ich, ja, ich war dein Freund und Helfer wenn du in Not warst. Ich habe mich um dich gekümmert: wenn du verletzt warst, habe ich dich geheilt und wenn du meine Kraft brauchtest, habe ich sie dir gegeben."
"Hast du dein Leben nicht so oft verwünscht? Du hast dich nächtelang im Kummer vergraben, weil du Jahrhunderte in Einsamkeit weilen musstest.", sprach der Mann.
"Was ist mit den Träumen die du hattest? Was ist mit dem Wunsch, deine Kampfkunst zur Vollendung zu treiben?", erwiderte die Kreatur.
"Denk an das Blut, dass du vergossen hast und vergießen wirst, obwohl du es nicht willst. Denk an die Unschuldigen, die unter deiner Klinge fallen müssen, um deine Gier zu befriedigen."
"Musst du nicht erst deine Taten in der alten Welt wieder gut machen und dich an jenen rächen, die es verdient haben, ehe du erhobenen Hauptes in die glorreichen Hallen einziehen kannst?"
In Wotan brodelte Zorn auf:. "Nicht meine Taten waren es, sondern deine!"
"Du hast nicht dagegen angekämpft, dir selber solltest du die Schuld geben. Doch du weisst, dass ich dir beistehen kann, von mir wirst du nie Verachtung und Spott erfahren immer werde ich dir ein treuer Begleiter sein."
Der blonde Hühne sagte nun nichts mehr und Wotan wusste, dass er auch nichts mehr zu sagen hatte, er würde nun still seine Entscheidung abwarten... und die hatte der Vampir bereits gefallen... er wollte endlich Frieden haben. Er machte einen ersten, sicheren Schritt auf den Mann zu, doch der zweite war schon unsicherer....
Was würde ihn erwarten? War dieser Gigant wirklich der, für den er ihn hielt. Er hatte nie daran geglaubt, in die Hallen ein zukehren und nun war es zum Greifen nahe.
"Du weißt er betrügt dich.", flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. Erschrocken wich er einen Schritt vor dem Mann zurück.
"Ein Scherge der Chaosgötter... er will dir Böses... du kannst keinen Frieden finden... gib dich ihm nicht hin... er giert nach deiner Seele... er freut sich auf die Folter... dreh um, solange du noch kannst...."
Die Stimme wisperte weiter, doch Wotan drängte sie zurück und gerade wollte er den gutmütigen Augen vertrauen, da fragte die Bestie von hinten: "Was ist mit deinem Kampfeswillen? Hast du aufgegeben? Du bist nur ein schwacher Mensch ohne mich, du brauchst mich, um deinen Traum zu erfüllen."
Erneut hielt Wotan inne... die Kreatur hatte recht... Was würde sein, wenn er in die Hallen zog? Würde er ein ewiges Gelage feiern und konnte er Aurora dort überhaupt wiedersehen? Hilfe suchend blickte er den blonden Mann an, er suchte in seinen Augen nach einem Hinweis, einer Bestätigung, dass alles gut werden würde, wenn er sich für seinen Weg entschied.
"Nur du kannst wissen, was richtig für dich ist."
Erneut entschied er sich, doch dann warf die Bestie ein: "Das ist es also, dass du unter Loyalität verstehst? Was ist mit unserem Herrn, dem du versprochen hattest, deinen Durst zu besiegen. Willst du nicht lieber an seiner Seite sitzen?"
"Wenn ich mich gegen dich entscheide, ist das genau das, was Abhorash gewollt hätte, ich lasse dich und damit auch den Durst hinter mir.", erwiderte Wotan ohne ein Zeichen von Schwäche. Der blonde Mann streckte ihm die Hand entgegen und er wollte sie gerade annehmen, als die Bestie verlangte: "Ich befehle dir, komm mit mir!"
Er stockte... schon wieder. Was hatte Abhorash ihn erst kürzlich gelehrt? War der Hühne so schwach? Die Bestie, ja, sie war stark, sie wusste was sie wollte... dem Mann allerdings war er egal, denn dieser kämpfte nicht einmal um ihn. War das das Zeichen, nachdem er gesucht hatte?
Langsam drehte er sich zu der Kreatur um, bedachte sie mit einem langen Blick.
Nun hatte er sich endgültig entschieden...
Er wusste was zu tun war.
Einen einzelnen Schritt ging er auf die Bestie zu...
...dann ergriff er die Hand des blonden Mannes.
Abhorash hatte Unrecht.
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Hatte gradma Bock auf so surrealistischen Mist xD