dängelängelääng!
Kapitel XXVI: Das Ende des Leids
Kasimir erwachte und richtete sich schlagartig auf. Fast mühelos stieß er den Deckel beiseite und schwang sich mit einer katzenhaften Bewegung aus dem Sarg.
Endlich,... endlich war er wieder vollständig erholt. Er wusste was er tun würde: Markus suchen, finden und töten. Schließlich stand zwischen ihnen noch eine unbeglichene Rechnung offen. Der Hexenjäger würde büßen für das, was seine Vorfahren ihm einst angetan hatte.
Der Vampir knackte mit ein paar Knochen und trat dann hinaus den Kellergewölben, lief durch die langen, kahlen Gänge und trat schließlich hinaus ins Freie.
Er widerstand dem Drang, genüßlich die kühle Nachtluft einzuatmen, die durch den Gestank der Großstadt völlig verpestet war. Kurz ordnete er seine Gedanken und machte sich dann auf den Weg. Er würde neue Truppen ausheben, aber zuvor stand ihm der Sinn nach etwas Nahrung.
Erwartungsvoll machte er sich auf den Weg durch die dreckigen Gassen. Seine Sinne tasteten, wie Fühler auf der Suche nach einem köstlichen Opfer durch die verschmutzten Straßen und seine scharfen Augen, vermochten selbst die tiefste Dunkelheit zu durchdringen.
Er bemerkte zwei halbverhungerte Hunde, die um den verwesenden Kadaver einer toten Katze kämpften. Amüsiert lauschte er dem Schauspiel, bis schließlich das scharfe Reissen von Fell und Haut ertönte. Etwas spritzte auf den Boden. Ein Jaulen. Ein Winseln. Einer der Hunde hatte die Flucht ergriffen und der andere labte sich jetzt geräuschvoll an seiner Beute.
Kasimir hatte genug und ließ seine Sinne weiter wandern, doch er fand nichts. Es gab nicht einen Menschen, deren Blut ihm gerecht werden würde. Nur von Schmutz überzogene Obdachslose und betrunkene, verlauste Stadtwachen. Zornig schüttelte er den Kopf und betrachtete die Straße vor sich. Müll und Exkremente waren nur an die Ränder gekehrt worden und zu einem Fraß für Ratten und Mäuse geworden. Es war kein Wunder, dass er hier nichts fand. Die feinen Leute, liefen nicht auf solchen Wegen rum, und schon gar nicht nachts. Seufzend beschloss er, etwas zu tun, was er eigentlich nicht hatte tun wollen, doch dann zuckte er mit den Schultern und näherte sich einem verhältnismäßig prunkvollen Haus. Er richtete sich kurz den Kragen und zog seine feinen Handschuhe aus.
Dann klopfte er...
Schneider schob sein langes, filziges Haar hinter die Ohren und schlug seine Zähne in den weichen, von drahtigem Fell bedeckten Hals. Es war schon das dritte Rind, dass er diese Woche erlegte. Noch mochte der einfältige Bauer, bei dem er lebte glauben, die Wölfe würden sein Vieh reissen, aber wielange noch konnte Schneider sein Geheimnis wahren? Er musste hier allmählich weg. Doch wohin? Der Rat, den er von dem Wirt aus Meilenstein bekommen hatte, hatte sich als Fehlschlag erwiesen:
Inzwischen musste er weit mehr als fünfzig Meilen südlich von der Ortschaft sein, entdeckte aber immer noch keine Spuren der Orks.
Schneider unternahm täglich Ausflüge und untersuchte die Gegend, er brach auf, sobald die Sonne unterging und erst kehrte kurz vor dem ersten Hahnenschrei zu dem Bauer und seiner Familie zurück. Die kürzer werdenden Tage kamen ihm dabei sehr gelegen. Tagsüber schlief er dann, oder ging der freundlichen Bäuerin in der Küche oder beim Putzen zur Hand. Sicherlich hielten die Leute hier ihn für sehr seltsam, aber es war ihm egal: Solange er sich nützlich machte, nahmen sie ihn freundlich bei sich auf.
Doch nun war Schneider schon seit fast zwei Wochen hier und hatte immer noch keine Hinweise auf die Orks gefunden. Selbstverständlich wusste auch der Bauer nichts, allein das hätte ihm schon ausreichen müssen, denn natürlich würden die Grünhäute den Hof nicht so einfach stehen lassen oder umgehen, doch Schneider wollte lieber ganz sicher sein und hatte deshalb nach Spuren gesucht. Er bemerkte den ersten rötlich Schimmer am Horizont und biss sich auf die Unterlippe. Wenn er verschwinden wollte, dann sollte er es jetzt tun und nicht noch lange herumstehen und darauf warten, dass der Bauer ihn mit blutgetränkten Kleidern neben einer toten Kuh auffand. Er fasste einen Entschluss: Schnell lief er zu der nahen Waldgrenze und wühlte eine Weile im Dreck, bis er seine Ausrüstung fand, die er bevor er bei der Familie geklopft hatte vergraben hatte. Er kratzte sich den filzigen Bart und bemerkte dabei beiläufig, dass er sich seit Wochen nicht mehr rasiert hatte.
Er wühlte in seinen Sachen und förderte schließlich einen kleinen, schmuddeligen Beutel zu Tage, der verführerisch klimperte. Er zog sich die Rüstung an, befestigte das grobgefertigte Schwert auf dem Rücken, die kleine Handaxt an dem, mit kleinen Eisenplättchen besetzten Gürtel und machte sich dann zurück auf den Weg zum Haus. Leise trat er ein, nahm sich den Köcher, der ihm schon am ersten Tag aufgefallen war, zählte während eines kurzen Blicks, dass noch vier, wie er beim Jagen mit dem Bauern festgestellt hatte gute Pfeile in ihm waren und warf ihn sich über die Schulter. Der dazugehörige Kurzbogen, der darunter an der Wand lehnte ging auch schnell in seinen Besitz über, genauso wie das Bündel Sehnen, dass in einer Schublade der kleinen Komode lagerte, in der er sich an jedem Tag mindestens drei Splitter eingerissen hatte. Er nahm wieder den kleinen Beutel, öffnete ihn und wollte soeben anfangen, ein paar Münzen abzuzählen, schüttelte dann ärgerlich den Kopf und ließ den gesamten Inhalt hinaus, auf den großen Esstisch fallen. Dann verstaute er die Sehnen in dem nun frei gewordenen Beutel und steckte ihn sich anschließend in den linken Stiefel, der ihm um einiges zu groß war. Seufzend lief er noch kurz zum Wasserfass.
Er wollte sich das Blut aus dem Gesicht waschen, ehe er ging.
"Hast du es nun erkannt, Wotan?" Der Regen hatte von einem Moment auf den anderen geendet und nun hallte eine Stimme in seinem Kopf, als wäre sie weit entfernt und würde nur wie ein Geist auf unnatürliche Weise in seinem Kopf spuken, obwohl ihre Quelle genau neben ihm stand. "Hast du erkannt, dass nicht ich, sondern du der Böse bist?"
Wotan antwortete nicht. Er starrte nur ungläubig auf die Leiche, die vor seinen Füßen lag und die bald aus ihrem gerechten Schlaf erwachen würde. "Nein...", stammelte er. "Warum hast du das dem Mädchen angetan, Wotan?"
Der Blutdrache war nicht fähig, klare Worte zu bilden. Seine Lippen bebten, formten aber nicht die richtigen Laute und nur ein kurzes hilfloses Wimmern verließ seinen Mund. "Was ist mit deiner Ansprache, deinen Ansichten? Hast du sie vergessen, Wotan?"
Archbalduin legte dem Vampir, beinahe väterlich die Hand auf die Schulter. "Zu ewigem Leid verdammt?"
Er schüttelte traurig den Kopf. "Nicht ich habe die Schuld, an deinem Schmerz, dass weisst du doch? Du selbst vergrößerst deinen Kummer und lässt dich im Selbstmitleid treiben." Der Mund des Vampirs war wie zugefroren, er hatte sich zu einem dünnen, blutleeren Strich verengt.
"Dir war doch klar, dass dieses Mädchen nicht Aurora sein konnte."
"Sei leise...", presste der Drachentempler schließlich hervor. "Sie war es." Erneut schüttelte der Zauberer seinen Kopf: "Es wird dir nicht helfen, dich selbst zu belügen."
Er legte eine kurze Pause ein und lauschte, wie der Wind verschwörerisch die fettigen Strähnen über die Gesichter der beiden Männer wirbelte . "Du hast eine Unschuldige zu dem verdammt, was du immer gehasst hast. Du hast sie zu einem Teil von dir gemacht. Du hast sie zu dir gemacht und es gibt nichts was du mehr verachten könntest, als deine eigene Existenz, die nur noch aus Leiden besteht."
Wotans Züge verhärteten sich und für einen kurzen Augenblick trat seine alte Entschlossenheit in seinen Blick, die sich Archbalduins säuselnder Stimme mit aller Macht zu erwehren versuchte, doch der Vampir hatte aufgehört zu kämpfen und verbannte den letzten Rest Vernunft bereitwillig in die hinterste Ecke seines Schädels. Wie recht der alte Nekromant doch hatte. Mit allem! Er schaffte es, einmal schwach zu nicken und spürte wie eine blutige Träne aus seinem Auge rann.
"Sorge dich nicht, du hattest mit so vielem Unrecht, doch jetzt bin ich da, um dir den Weg zu weisen." Der Vampir ging auf die Knie und weinte. Er weinte wie ein kleines Kind. Er vergaß die Welt um sich herum, vergaß den Körper in dem er steckte, vergaß das viele Metall, den Schmutz, das Blut, die Tränen... es gab nur noch das Nichts und diese süße, rettende Stimme, die ihn vor dem bodenlosen Fall bewahren konnte.
"Ich kann dich erlösen.", versprach sie verlockend. "Ich kann dich von deinem Fluch befreien, dich das ewige Leid vergessen lassen."
Wotan sah sich panisch um, der Klang der Stimme schien zu verschwinden, doch er konnte nichts sehen, er war einfach nur in dieser entsetzlichen Leere gefangen und um ihn herum war es dunkel, schwarz.
"Geh nicht!", schrie er verängstigt. "Wo bist du?"
"Keine Angst, ich bin hier und kann dich von allem erlösen - glaube mir, es kann wieder so werden wie es war, du und Aurora... stell es dir nur vor."
Der Vampir kroch über den Boden griff in Luft und versuchte sich an diesen warmen Ton zu klammern, der ihn von all' dem hier befreien konnte. Von allem was ihn peinigte und verletzte. Von allem, was er nie hatte sein wollen.
"Glaube mir, ich kann dir helfen, du musst es nur wollen, willst du es denn?"
"Ja, ja..."
"Willst du es wirklich?"
"Ich will!"
Ein scharfer Schmerz fuhr durch seine Brust, zerriss sein Herz und holte ihn zurück in die Wirklichkeit. Die väterliche Liebe, die er gespürt hatte war verschwunden und er sah nur noch einen triumphierenden, bösen, alten Mann der einen geschwungenen, schwarzen Dolch in seinen Leib gestoßen hatte. "Du einfältiger Frevler! Niemand kann dich von diesem Fluch erlösen, du Narr." Wotan wollte sich der Schmerzen entledigen, den Nekromanten von sich stoßen und darauf warten, dass die Wunde verheilen würde, aber die Klinge hatte sein Herz durchbohrt und sein Kampfgeist blieb erloschen und ohne jenen Kampfgeist, ohne den Willen weiterzumachen, würde er diese Verletzung nicht überleben können. Sein Blick wurde schwach, die Kraft verließ ihn und er spürte nur noch, wie das Metall mit einem Schmatzen aus ihm herausgerissen wurde und seinen dumpfen Aufschlag auf dem Boden. Langsam umspülte sein Lebenssaft ihn und nässte seinen Körper. Mit sterbenden Augen blickte er in das Gesicht, des unschuldigen Mädchens, dass er zu einem Kind der Nacht gemacht hatte. Zitternd streckte er seine Hand aus und fuhr ihr zärtlich über die Wange. Mit immer schneller schwindender Kraft, murmelte er noch leise, unhörbar für die Ohren der bewusstlosen Frau:
"Es tut mir leid!"