So, hier endlich der Teil, in dem endlich das passiert, was die meisten wohl schon längst eingeplant haben
😀Ich hoffe, es macht trotzdem Spaß zu lesen.
Verräter?
Altar der Absoluten Dunkelheit; westliches Naggaroth
2567 IC; 8. Zunehmender Mond
Endlich lichtete sich der Wald und Darmal trat, gefolgt von den Druchii, die ihre Kinder dem Stamm überlassen hatte, auf die Lichtung, auf der die Flüchtlinge ihr Lager aufgeschlagen hatten. Natürlich war es kein richtiges Lager, sondern eher eine große, freie Fläche zum Schlafen, aber Lager
klang wenigstens nach etwas Sicherem. Viverla’atar schritt neben dem falschen Drachau einher und diente vor allem als Führerin durch den Wald, der den ganzen Talkessel auszufüllen schien.
Während sich die Druchii, die ihm zum Lager des Stammes gefolgt waren, wieder unter den anderen Flüchtlingen verteilten, wanderte Darmal langsam um die Lichtung herum und versuchte, abzuschätzen, wie die Situation war. Da er sich unbeobachtet fühlte, nahm er den schweren Helm ab. Offenbar ging es den Elfen inzwischen besser, seit der Stamm ihnen Fleisch und Früchte brachte und sie im Fluss angelten. Natürlich waren die meisten Gesichter noch immer eingefallen und — selbst für Druchii-Maßstäbe — blass, aber die allgemeine Stimmung war ein wenig hoffnungsvoller, zumal jetzt nicht nur Hoffnung bestand, dass sie überleben würden, sondern auch, dass das Chaos wieder aus Naggaroth vertrieben werden würde. Nicht, dass geglaubt wurde, die Autarii allein würden die Schlacht entscheiden, aber wenn selbst sie freiwillig in den Krieg zogen, statt sich zu verstecken und die Belange der Stadt-Druchii zu ignorieren, stand es möglicherweise nicht so schlecht, wie viele nach der Niederlage von Ghrond angenommen hatten.
Alles in allem war Darmal Viverla’atar und ihrem Stamm zu großen Dank verpflichtet, sobald er etwa hatte, womit er sich bedanken konnte. Sie hatten den Flüchtlingen und dem ganzen Volk der Druchii geholfen und die Hoffnung zurück gegeben.
Ja, aber ist dir das wirklich so viel wert, dass du ihnen wehrlose Kinder überlässt? Darmal versteifte sich unwillkürlich, als die inzwischen vertraute Stimme wieder in seinem Geist erklang.
Und warum solltest du ihnen danken, nachdem das alles vorbei ist? Ah, ich verstehe, du magst diese Schlampe. Warum machst du es dir dann so schwer? Du hast den Kampf mit Drrochaal überlebt, du bist stark genug. Überlass diese Leute doch ihrem Schicksal, was kümmert es dich? Schnapp dir die Bergschlampe und bring sie irgendwohin, wo du sie für dich allein hast, komm, das würde dir doch Spaß machen, ich weiß es.
„
Sei ruhig!“, zischte Darmal und schüttelte den Kopf, um sich von den Einflüsterungen zu befreien.
Du weiß gar nichts über mich. Ich werde Blutklinges Opfer nicht entweihen, indem ich diese Druchii allein zurücklasse. Ich werde sie nach Ghrond zurückbringen, sobald das Chaosheer wieder abgezogen ist. Blutklinge…
Ist schuld, dass diese Frau, die dir so zu gefallen scheint, nur noch ein Wrack ist. Du hast ihre Geschichte doch gehört. Er hat ihr alles genommen, Familie, Glück und Liebe, und hat ihr stattdessen die Last der Verantwortung für ihre Leute überlassen. Und diesen Mann verehrst du noch? Er ist ein gewissenloser Mörder, ein Diener seines Gottes, nichts anderes interessiert ihn. Und nun ist er zu Khaine gegangen. Er ist tot, Darmal, begreif das. Es wird ihn nicht interessieren, ob du sein Opfer entehrst, wie du es nennst, oder nicht. Aber wenn du unbedingt nach Ghrond zurückwillst, warum verbindest du das denn nicht mit dem Angenehmen?
Die Stimme schwieg so lange, bis Darmal sich unwillkürlich fragte, was sie wohl gemeint haben könnte. Offenbar hatte sie genau darauf gewartet, denn schon erklang sie wieder zwischen seinen Schläfen.
Was ich damit meinte? Manchmal kannst du erstaunlich kurzsichtig sein, Darmal. Überrede doch die Schlampe, dass sie dich begleitet, dir fällt da sicher was ein. Sobald sie in Ghrond ist, dürfte es nicht weiter schwer sein, sie zu unterwerfen. Dann brauchst du dich nicht mehr um diese Leute zu kümmern, die sind wieder daheim und mit dem Wiederaufbau beschäftigt, und du kannst solange mit ihr machen, was du willst, wie du es aushältst. Es würde mich ohnehin mal interessieren, ob du nur beim Laufen so ausdauernd bist, dass du den ganzen Tag durchhältst, oder ob es da noch gewisse andere Bereiche gibt, in denen du deine Kraft, deine Leidenschaft und deine Maskulinität unter Beweis stellen möchtest.
Oder glaubst du, du seist zu unerfahren, all die Jahre auf deinem einsamen Turm, nur umgeben von Männern, hätten dich für Frauen abgestumpft? Das ist kein Problem. Jeder fängt unerfahren an, selbst dein Held, Blutklinge, ich bezweifle also, dass du neben ihm bei dieser Schlampe schlecht abschneiden würdest. Und ich kann dir helfen, ich werde dir zeigen, wie du sie oder jedes andere Weib dazu bekommst, dich anzuhimmeln und sich nach dir zu verzehren, egal, was du ihnen antust. Du kannst sie aushungern und langsam sterben lassen, sie werden dir bei an ihr Ende jeden Wunsch erfüllen, so ergeben werden sie sein.
Wäre das nichts?, fragte die flüsternde Stimme nach einer kurzen Pause.
Du verpasst so viel, während du hier mit deinen Flüchtlingen rumgammelst, statt sie einfach aufzugeben und den Freuden des Lebens nachzugeben. Komm schon Darmal. Ich will dir helfen, dein Potential nutzen. Es ist so einfach. Sag mir nur, dass du es willst, dann werden wir zusammen Spaß haben, den du dir bisher gar nicht vorstellen konntest.
Bilder, Gefühle blitzten durch Darmals Geist, Ahnungen von immerwährenden Freuden, die nicht nur auf die Bereiche beschränkt blieben, die normale Sterbliche nutzte, sondern auch den Geist in Ekstase tauchten, aus der er niemals aufzuwachen bräuchte. Jede beliebige Sterbliche könnte ihm gehören und nicht nur Sterbliche. Kurz ahnte er, welche Freuden ihm andere, mächtigere, erhabenere Wesen schenken konnten. Als die Eindrücke verblassten, fühlte er sich berauscht, bis auch das Gefühl verschwand und eine Leere zurückließ, die ihn von innen zu verzehren schien.
Ja, dachte er langsam.
Das ist schön. Ich wi…
Er unterbrach sich, als sich eine kalte Klinge an seinen Hals legte. So abrupt in die Gegenwart zurückgeholt, brauchte er mehrere Sekunden, um festzustellen, in welcher Situation er sich befand. Er stand ein wenig abseits des Flüchtlingslagers, umgeben nur von Bäumen. Vor ihm stand Kalrim, das Schwert an Darmals Kehle, während Viverla’atar nicht weit entfernt erstarrt war, offenbar unschlüssig, was sie davon halten sollte. Sie schien Darmal helfen zu wollen, traute sich aber nicht, zu riskieren, dass Kalrim einfach zustach.
Siehst du? Das Flüstern war schon wieder da.
Komm, er kann dir nicht gefährlich werden. Töte ihn, dann kannst du nebenbei gleich dem Weibsbild imponieren, das ist die Gelegenheit für dich. Außerdem kannst du einfach behaupten, er hätte es auf deinen Platz als Drachau abgesehen.
Darmals Hand wanderste langsam zu dem Schwert an seiner Hüfte, als Kalrim ihm plötzlich mit der Klinge über den Hals fuhr. Es entstand nur ein Schnitt an der Seite, nicht gefährlich, aber doch schmerzhaft genug, um die fremde Stimme aus Darmals Kopf zu vertreiben.
„Was soll das? Willst du mich umbringen? Du mieser Verräter, ich hätte es wissen müssen, du steckst mit dem Chaos unter einer Decke.“, schnauzte er den ehemaligen Offizier an, der seinen wütenden Blick ruhig erwiderte, während Darmal seinen Helm ins Gras fallen ließ.
„Nein, Darmal. Ich bin es nicht, der vom Chaos verführt wurde. Ich habe dich beobachtet, denn dein Verhalten erschien mir von Anfang an seltsam. Du bist allein von deinem Turm bis nach Ghrond gezogen, hast seitdem nichts gegessen und hast als erster gewusst, dass mit dem echten Drachau etwas nicht stimmte. Außerdem waren da noch die Worte der Adligen, du erinnerst dich?
Könnte einer von uns werden, wir müssen es nur vorsichtig angehen. Das haben sie gesagt, aber wir haben es damals ignoriert, da wir nicht wussten, wen sie meinten.
Ich bin mir ziemlich sicher, wen sie meinten. Zuerst habe ich es nicht wahrhaben wollen, aber es wurde immer deutlicher, dass du nicht ganz normal bist. Auch dein Gemurmel und deine seltsamen Gesten, als würdest du mit einem Unsichtbaren sprechen, waren ein ziemlicher deutlicher Beweis. Als du zuletzt zugestimmt hast, die Kinder wegzugeben, musste ich die Wahrheit einsehen.
Sag mir, Darmal: Was war dein Ziel? Wolltest du, dass die Flüchtlinge unterwegs verhungern? Oder hattest du irgendwelche Ideen, die sich mir in ihrer Verdrehtheit entziehen?“
Darmal war für einen Moment sprachlos. Zuerst kochte Zorn in ihm hoch, dass Kalrim, dem er eigentlich vertrau hatte, für einen Ketzer hielt, aber schnell breitete sich tiefe Niedergeschlagenheit in ihm aus, als er langsam die Wahrheit in den Worten der ehemaligen Stadtwache erkannte.
Ich bin von meinem Turm aus tatsächlich bis nach Ghrond gerannt, ohne vor Erschöpfung zusammenzubrechen. Ich habe die Falschheit der Adligen erkannt, ich habe seither gar nichts gegessen. Das ist mir kaum aufgefallen, aber jetzt wird mir klar, wie unnormal das gewirkt haben muss. Außerdem höre ich diese Stimme und rede mit ihr. Bin ich vielleicht wirklich ein Diener des Chaos geworden?
Während er noch überlegte, wie er Kalrim seine Situation erklären sollte, spürte Darmal, wie Zorn in ihm aufstieg, plötzlich verachtete er die ehemalige Stadtwache, die es wagte, ihm ein Schwert an den Hals zu setzen und ihn mit dem Feind in Verbindung zu bringen. Bevor sich Darmal klar war, was er da dachte, was er tat, hatte er schon einen Schritt an Kalrims Schwert vorbei gemacht, seine eigene Waffe gezogen und ein wütendes Zischen ausgestoßen. Kalrim wollte zurückweichen, aber das stachelte Darmal nur noch weiter an, er wollte diesen Feigling zerfetzen, ihn in Stücke reißen und in seinem Blut baden.
Kalrim schlug zu, aber Darmal hatte keine Mühe, den Hieb zu blocken, der auf seinen Schenkel zielte. Seine Reflexe waren schneller als die eines Sterblichen und Darmals Kraft schleuderte dem verdutzten Druchii die Klinge aus der Hand. Mit einer furchbaren Grimasse holte Darmal aus und stach Darmal zu und riss Kalrim den Arm auf. Blut spritzte auf das Unterholz und ein leiser Schrei löste sich aus seiner Kehle, bevor Darmal grinsend auf ihn zuging, das schartige Schwert auf Kalrims Herz zielend.
„Seid Ihr des Wahnsinns? Haltet ein!“, schrie plötzlich eine helle Frauenstimme von der Seite, die nur dumpf in Darmals verwirrten Geist drang. Mit einem hasserfüllten Zischen schnellte er vor und schlug Kalrim mit einem Hieb unters Kinn nieder. Ein verächtliches Schnauben ausstoßend, ließ er von Kalrim ab und wandte sich der Quelle der Stimme zu. Eine Frau in seltsamen Kleidern stand dort und zielte mit einer Armbrust auf ihn. Er bemerkte das Zittern ihrer Hände, schätzte, dass sie auf seine Brust zielte und griff noch im selben Moment an. Der Bolzen löste sich und flog Darmal wie in Zeitlupe entgegen, sodass dieser genug Zeit hatte, ihn mit dem Schwert beiseite zu stoßen, bevor er absprang, die verbliebene Entfernung innerhalb eines Herzschlages zurücklegte und gegen die Fremde prallte.
Mit einem Schrei ging sie zu Boden, während er ihre Arme auf den Boden presste und sich an ihren hilflosen Bemühungen ergötzte, sich zu befreien. Sie zuckte unter ihm, ein warmer, unterlegener Körper, der nur darauf wartete, sich anzubieten.
Siehst du, flüsterte die körperlose Stimme.
Es war ganz einfach. Ich sagte doch, ich kann dir helfen. Sie gehört dir. Und das war erst der Anfang. Zusammen sind wir mächtig genug, um alles zu erreichen. Komm, entledige dich ihrer, sie ist deiner Aufmerksamkeit nicht würdig, so dürr und mager. Lass dich nicht aufhalten, uns erwartet größere Beute. Das ist es doch, was du willst, nicht wahr?
Darmals Antwort bestand aus einem grinsenden Zähnefletschen, bevor er sich langsam dichter über sein Opfer beugte und die Zähne nach ihrer Kehle ausstreckte. Als die Frau seine Absicht erkannte, wehrte sie sich nur umso heftiger, doch vergebens. Gegen Darmals Kraft und Masse kam sie nicht an, da konnte sie noch so gelenkig sein. Fast fand er es schade, nicht noch länger diese Zuckungen und die Angst in ihren Augen zu beobachten, aber er sah die Wahrheit. Sie würde ihm nur kurze Freuden bringen, so schwach, wie ihr Körper war.
Fast schon konnte er den süßen Geschmack ihres zarten Blutes auf der Zunge spüren, gleich würde sie unter ihm ihr Leben aushauchen und er würde sich an ihrem Todeskampf laben und ihr Blut trinken. Er leckte über ihre blassen Wangen, schmeckte Salz und erfreute sich an den verzweifelten Tränen, die ihr übers Gesicht rannen, nun da sie den Tod so deutlich vor sich sah. Die Vorstellung trieb Darmal in einen regelrechten Rausch, durch den nur von ganz weiter Ferne sein Name drang. Darmal? War er gemeint? Er hielt inne und lauschte der fremden Stimme, die ihm irgendwie bekannt war, nicht so vertraut wie die körperlose Stimme in seinem Geist, aber dennoch kannte er sie.
„Darmal, wisst Ihr noch, was Ihr tut? Ich bin es Viverla’atar, ich bin nicht Euer Feind. Erinnert euch bitte. Kommt zurück.“ Die Stimme klang, als wäre die Sprecherin den Tränen nahe. Noch einmal blickte es ins Gesicht der Frau unter ihm und irgendwo in einem fast verdrängten Teil seines Bewusstseins erkannte er, dass sie nicht weinte, weil sie den Tod fürchtete. Nein, sie trauerte um ihn! Was hatte sie gesagt? Ein Name war erwähnt worden, den er kannte. Viverla’atar?
Langsam krochen die Erinnerungen zurück, langsam verflog der Rausch. Er stemmte sich mit aller Macht gegen die Fremde Stimme in seinem Kopf, die ihm noch immer von den Wonnen berichtete, die sie ihm bescheren konnte, wenn er nur bereit wäre. Sie war stark und Darmal merkte, dass er scheiterte. Seine Hände verkrampften sich zu Krallen, bohrten sich in die Arme der Frau, er presste sie Zähne aufeinander, dass es wehtat, aber er verlor die Kontrolle.
„Nein Darmal. Ich flehe dich an, verliere dich nicht. Sieh mich an und komm zurück!“ Irgendwas an dieser Stimme, vielleicht der eindringliche Ton, vielleicht die persönliche Anrede, berührte Teile in seinem Inneren, in welche das körperlose Flüstern noch nicht vorgedrungen war. Er klammerte sich an diese Worte, wiederholte sie immer wieder und immer wieder. Jedes Mal wurde er ein klein wenig kräftiger, ein klein wenig lauter, bis das Flüstern schließlich kaum noch zu verstehen war und allein Viverla’atars Worte seinen Geist füllten. Als sich der Rausch und der Wahnsinn lichteten, erkannte er, dass es ebendiese Frau war, auf die er sich gestürzt hatte, die er fast wie ein Tier zerfleischt hätte.
Als ihm das klar wurde, gaben seine Muskeln nach und er fiel auf Viverla’atar, die erst erschrocken aufschrie, sich dann aber vorsichtig von ihm befreite und aufstand. Was sie tat, nahm Darmal nicht wahr, er konnte nicht fassen, was er grade getan hatte. Er hatte Kalrim verletzt und niedergeschlagen. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte den jungen Offizier abgestochen. Eigentlich hatte nur Viverla’atar ebendies verhindert, obwohl sie damit nur die Aufmerksamkeit der Bestie auf sich gelenkt hatte.
Nein, es war keine Bestie, korrigierte sich Darmal.
Ich war es. Ich habe der Stimme, dem Chaos nachgegeben und hätte die beiden beinahe getötet. Es gibt kein Verzeihen, niemand wird mich noch willkommen heißen, außer meinen Feinden.
Plötzlich kniete Viverla’atar neben ihm. „Seid Ihr zurück, Darmal?“, fragte sie leicht zittrig, offenbar hatte sie den Schock noch nicht völlig überwunden.
Darmal, der noch immer mit dem Gesicht auf dem Waldboden lag, drückte sie, ohne aufzusehen, von sich.
„Ihr solltet mir nicht zu nahe kommen, ich bin eine Gefahr für alle. Tötet mich, ich habe es verdient. Los, tilgt dieses Monster aus der Welt. Ich halte es nicht länger aus.“
„Nein, das werde ich nicht, ihr rückgratloser Sack. Steht auf und kämpft dagegen an!“ Mit erstaunlicher Kraft packte sie Darmal unter den Armen und richtete ihn zumindest in eine kniende Position auf. Er wehrte sich nicht, ließ es einfach mit sich geschehen. Vorsichtig, jederzeit einen erneuten Ausbruch fürchtend, ging Viverla’atar um ihn herum und kniete sich vor ihn, die Waffe neben sich. Dann packte sie langsam Darmals Kinn und zwang ihn, ihr in die grünen Augen zu sehen.
„Ich werde Euch nicht töten, Darmal. Ihr habt eben etwas Schreckliches getan, für das ich Euch hasse. Ich weiß, dass Ihr Euch selbst noch mehr hasst und wahrscheinlich kann ich nicht einmal ahnen, wie schlecht Ihr Euch fühlt, aber ich werde Euch nicht helfen, vor Euren Taten wegzulaufen. Denn dann werden sie Euch verfolgen. Es würde niemandem etwas bringen, wenn Ihr tot wärt. Khaine hätte Euch schon lange vernichtet, wenn er nicht gewollt hätte, dass Ihr mit dem Makel des Chaos gestraft seid. Ich habe es gespürt, Eure Kraft, Eure Schnelligkeit, Euren Zorn. Das ist ein Geschenk, Darmal. Es ist aber auch ein Fluch.
Ich glaube, Ihr seid ein starker Mann, Darmal, Blutklinge gar nicht so unähnlich. Auch Ihr könnt ein Held sein, müsst es, wenn Ihr Eurem Volk den Dienst erweisen wollt, den Ihr geschworen habt. Also kämpft. Eure Schlachten werden nicht mit Stahl und Blut geschlagen werden, wie die von Sisrall Blutklinge. Ihr müsst den Kampf in Eurem Inneren führen, aber das ist nicht minder wichtig. Besiegt das Chaos in Eurem Herzen, Darmal. Triumphiert über dieses Geflüster, dann werdet Ihr sehen, weshalb Khaine Euch auserwählt hat, diese Kraft, diese Reflexe zu besitzen. Ihr werdet schon sehen, welche Rolle der Blutige Gott für Euch ausersehen hat.
Ich glaube an Euch, Darmal. Ihr werdet diesen Kampf gewinnen und mit Eurer Hilfe wird auch unser Volk gewinnen. Niemand wird Euch von den Taten befreien, zu denen Ihr Euch heute habt hinreißen lassen, niemals werden Kalrim oder ich vergessen, was Ihr uns beinahe angetan hättet. Aber wir werden Euch verzeihen, wenn Ihr Euch jetzt endlich zusammenreißt, Euch gerade hinstellt und die Rolle der Person wieder einnehmt, deren Rüstung Ihr tragt. Verstanden?“
Mit diesen Worten gab sie ihm überraschend ein Ohrfeige, dass es ihn glatt von den Knien haute und er erneut ins Gras fiel. Aber der Schlag und das Brennen auf seiner Haut verdrängten die letzten Reste der Benommenheit und der Einflüsterungen des Chaos. Darmal richtete sich auf, atmete mehrmals tief durch und schaute dann zu Boden. Er konnte den Anblick der grünen Augen, die ihn mit einer Mischung aus Trauer und Zorn angestarrt hatten, nicht länger ertragen.
Auch Kalrim hatte sich inzwischen erhoben, rieb sich zwar noch das Kinn und blutete aus der Armwunde, wirkte ansonsten aber nicht ernsthaft verletzt. Er hielt sein Schwert in der unverletzten Hand, während er Darmal seinen Helm reichte.
„Ich hätte dich vielleicht nicht so direkt mit dem Vorwurf konfrontieren sollen, du würdest dem Chaos dienen.“, meinte er, aber Darmal winkte ab. Er fühlte sich schlecht, wollte eigentlich nur vergessen, kein Mitgefühl haben. Aber er wusste, dass Viverla’atar Recht hatte. Er musste sich seinen Dämonen stellen, um seinem Volk zu helfen, wie auch Blutklinge es tat.
„Du hattest schon Recht, wie wir gesehen haben. Ich hätte die Zeichen nicht ignorieren dürfen, dass mit mir etwas nicht stimmt. Ich habe alle, nicht nur euch beide, sondern auch die Flüchtlinge in große Gefahr gebracht. Aber ich bin mir nicht sicher, dass es nicht noch einmal passiert.“
Viverla’atar trat näher an ihn heran und legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Dann werden wir eben aufpassen, dass Ihr in der Wirklichkeit bleibt, Darmal. Am besten, ich bleibe erst einmal bei Euch. Und keine Ausreden. Ihr habt mich fast zerbissen, da werdet Ihr meine Gegenwart wohl ertragen müssen“, erklärte sie grinsend. Obwohl das Lächeln gezwungen wirkte, versuchte Darmal, es zu erwidern, was aber gründlich misslang. Also begnügte er sich mit einem Nicken.
„Dann kommt jetzt, zeigen wir den Druchii, dass ihr Drachau sich noch immer unter Kontrolle hat.“, ergänzte Kalrim mit nicht eher überzeugender Fröhlichkeit. Obwohl Viverla’atar und Kalrim so taten, als verstünden sie, was er soeben getan hatte, konnte Darmal deutlich ihre Unsicherheit und ihre Abneigung spüren. Er konnte es ihnen nicht verübeln, immerhin hatten sie seinem Ausbruch beinahe mit dem Leben bezahlt. Er war sich sicher, dass sie das nicht so schnell vergessen würden. Er sollte wirklich dankbar sein, dass sie ihn nicht einfach getötet hatten.
Ich wünschte, es wäre so einfach, dachte Darmal, während sie durch den Wald zurück zu Lichtung gingen.
Sie können nicht wissen, wie es ist, wenn ein Teil einer selbst das hasst, was der andere Teil begehrt. Und es gibt keinen Ausweg, der Tod ist keine Alternative, ich werde Khaine nicht noch weiter enttäuschen. Ach Blutklinge, immer habe ich doch bewundert, dass du diese Bürde so leicht trägst. Jetzt beneide ich dich, denn mein eigener Kampf kommt mir hundertmal schwerer vor als deine Schlachten.