So weiter gehts. Und ich wünsche mir mal ein paar mehr Kommentare!!!
Zweifel
Altar der Absoluten Dunkelheit; westliches Naggaroth
2567 IC; 8. Zunehmender Mond
Der Wind strich schwach durch die Kronen der mächtigen Bäume und ließ sie leise rascheln. Vor Stunden schon war die Nacht hereingebrochen und der Wald lag in düsteren Schatten da, nur von den wenigen Feuern erhellt, welche die Flüchtlinge entfacht hatten. Am Rand der Lichtung hielten Freiwillige Wache, obgleich wissend, dass es ihnen niemals gelingen würde, die Annäherung der Jäger rechtzeitig zu bemerken, die zum Stamm gehörten. Aber es beruhigte die Druchii ein wenig, dass sie zumindest scheinbar Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatten.
Darmal jedoch fand keine Ruhe. Er hatte die Rüstung des Drachau abgelegt und versuchte, zu schlafen. Er lag abseits der Feuer, um keine Aufmerksamkeit auf seine wahre Identität zu locken und damit die Flüchtlinge, die es dringender brauchten, die Nähe von Licht und Wärme suchen konnten. Es gab zahlreiche Kranke, aber bisher hielt sich ihre Zahl in Grenzen. Es war Viverla’atar und ihren Leuten zu verdanken, dass einige besonders schlimme Fälle behandelt werden konnten.
Noch etwas, für das ich ihr Dank schulde. Ich weiß nicht, wie ich das je begleichen kann.
Aber weder die Schuld, in der Darmal und die Überlebenden Ghronds standen, noch die Problematik mit den Erkrankungen waren der Grund für Darmals Unruhe. Egal, wie sehr er sich auch hin und her wälzte, was er auch versuchte, der Schlaf wollte nicht kommen. Immer wenn er glaubte, es wäre soweit, schossen ihm die Erinnerungen des Tages durch den Sinn und ließen ihn auf der Stelle hellwach von der dünnen Matte auffahren, die ihm als Schlafplatz diente.
Er konnte sich selbst nicht verzeihen, was geschehen war. Er hätte sich den Einflüsterungen nicht hingeben dürfen, schalt er sich immer und immer wieder. Dadurch hätte er Kalrim fast getötet und Viverla’atar … Darmal wollte nicht daran denken, was er ihr in seiner Raserei angetan hätte. Mit bloßen Händen und Zähnen hätte er beinahe die beiden Personen vernichtet, die ihn am meisten Halt gaben, die beiden einzigen hier, die wussten, wer er wirklich war.
Darmal rollte sich auf die andere Seite. Dort lag Viverla’atar, die bis zur Stirn unter der Decke verborgen war. Sie hatte beschlossen, in Darmals Nähe zu bleiben, da sie fürchtete, er könnte einen Rückfall erleiden. Er konnte es ihr nicht verübeln, würde sie aber lieber außerhalb seiner Reichweite wissen, gerade für den Fall, dass er erneut die Kontrolle verlor.
Aber sie hatte dickköpfig an ihrem Entschluss festgehalten und so lag Darmal nun zwischen der jungen Stammesführerin und Kalrim, der, wie Darmal wusste, sein Schwert unter dem Kissen verborgen hielt. Sie vertrauen mir nicht, dachte der ehemalige Hauptmann. Und dazu gibt es auch keinen Grund. Ich habe sie verraten und bin den Einflüsterungen des Chaos erlegen. Nur wenige Herzschläge später hätte ich Viverla’atar wie ein wildes Tier den Hals aufgerissen. So etwas darf nicht noch einmal vorkommen.
Aber kann ich sicher sein, dass ich mich in Zukunft unter Kontrolle haben werde? Das Chaos ist arglistig und verschlagen. Noch schweigt die Stimme, aber ich weiß, dass der Makel des Chaos nicht aus mir verschwunden ist. Ich verspüre weder Hunger noch Durst und jetzt bin ich nicht einmal müde. Ist es möglich, dass sich das Böse tiefer in mich hineingefressen hat und ich deshalb auch keinen Schlaf mehr brauche? Oder sind es lediglich diese Ereignisse, die mir keine Ruhe gönnen?
Darmal konnte sich auf diese Frage keine Antwort geben und die flüsternde Stimme schwieg glücklicherweise. Aber er wusste, dass sie nicht so tun konnten, als sei nichts geschehen. Er hatte es in den Augen von Viverla’atar und Kalrim gesehen. Sie misstrauten, nein sie fürchteten ihn. Und es gab keinen Weg, wie er ihnen beweisen konnte, dass er nicht abermals die Beherrschung verlieren würde, beim nächsten Mal vielleicht mitten unter den Flüchtlingen.
Wer würde ihn dann aufhalten? Wer würde ihn daran hindern, diesen Druchii einen hässlichen, würdelosen Tod zu bringen, während er selbst mehr und mehr zum Tier wurde? Kalrim und Viverla’atar konnten schließlich nicht immer bei ihm bleiben und ein Auge auf ihn werfen. Nein, das konnte er nicht riskieren. Doch wie sollte er, ein magisch und psychisch völlig unbegabter Krieger, die Stimme unter Kontrolle halten, die ihn und alle in seinem Umfeld in derartige Gefahr brachte? Einmal schon hatte sie die Herrschaft über ihn, seinen Körper und seinen Geist erlang. Nichts hatte er gegen diese Macht, mit der sie ihn überrumpelt hatte. Und ganz sicher gab es hier auch niemanden, der genug arkanes Wissen besaß, um ihm in der Hinsicht zu helfen.
Nein, dachte Darmal entschlossen.
Es gibt nur einen Weg, wie ich diese Krise überwinden kann. Ich habe mir geschworen, diese Flüchtlinge zu retten und sicher nach Ghrond zurück zu bringen, damit Blutklinges Opfer ein Sinn gegeben wird. Er ist zwar anscheinend nicht dort vor Ghrond gestorben, aber mein Ziel bleibt das Gleiche. Ich kann nur hoffen, dass Kalrim meine Aufgabe beenden wird, wenn ich nicht mehr bin.
Leise schob Darmal die Decke zurück und erhob sich. Er trug nur eine dünne Weste und Fellhosen, aber das musste reichen. Kurz zögerte er, dann nahm er das Schwert, das er einem der Chaoskrieger neben der Ruine seines Turms abgenommen hatte, und schnallte es sich um. Mit einem letzten Nicken in Richtung Kalrim und Viverla’atar, die nichts bemerkten, sondern weiterschliefen, drehte Darmal sich um und rannte los.
Er wusste nicht, weshalb er ein solches Tempo vorlegte, aber er konnte nicht anders. Etwas in ihm drängte danach, zu laufen, durch den Wald zu jagen und unaufhaltsam und uneinholbar davon zu sprinten. Irgendwo in seinem Kopf machte ihm eine Stimme klar, dass diese Geschwindigkeit und die Kraft, mit der er sich bei jedem Schritt von Boden abdrückte, nicht seine eigenen waren, sondern nur einen weiteren Beweis für den Makel des Chaos in ihm darstellten.
Aber jetzt war ihm das egal. Er hatte eine Entscheidung getroffen und nichts und niemand sollte ihn aufhalten können. Er sah sein Ziel vor Augen, wusste was es zu erreichen galt und was es bedeuten würde, sollte er scheitern, abermals der Stimme verfallen. Nur dieses eine Zielt erfüllte seine Gedanken, nichts anderes hatte Platz. Er wusste nicht, wie er seine Pläne in die Tat umsetzen würde, noch wo er sich befand oder was in der Richtung lag, in die er rannte. Das war unwichtig, es zählte nur das Ziel und das Gefühl der Kraft, das ihn bei jedem Schritt durchströmte.
Dieses Gefühl war wie ein Hauch der Freiheit. Er konnte laufen, wohin er wollte, sein Körper würde ihn dorthin bringen. Weder Entfernung noch die Kräfte der Natur konnten ihn aufhalten. Die Luft pfiff nur so durch sein Haar und Darmal lachte wie irr, angesichts dieser Freiheit. Wenn er doch auch die Einflüsterungen des Chaos so leicht hinter sich lassen könnte wie die Entfernung, die unter seinen Füßen bei jedem Herzschlag und jedem Schritt mehr und mehr dahin schmolz.
Darmals Lauf endete erst, als er aus dem Wald herausbrach und sich am Rande einer Wiese wiederfand, auf deren anderer Seite die verbrannten Überreste einer Palisade auf einer hüfthohen Steinmauer standen. Als er neugierig nähertrat, fielen ihm die Überreste eines Lagers ins Auge. An vielen Stellen war der Boden von Feuern geschwärzt und oftmals lag dort auch noch Asche.
Über der ganzen Stätte hing der Schatten einer Schlacht. Ein schwacher Blutgeruch hatte sich im Felsgestein festgesetzt und dunkle Stellen erinnerten an Pfützen aus dem Lebenssaft verletzter und sterbender Elfen. Ob ihm die Dunkelheit einen Streich spielte oder ob es wirklich getrocknete Blutlachen waren, konnte Darmal nicht unterscheiden, aber er war sich sicher, dass die Schlacht an diesem Ort noch nicht lange zurücklag.
Im Felsgestein gähnten die Öffnungen von drei Höhlen und Darmal ging vorsichtig auf die Mittlere zu, die Hand auf dem Knauf des Schwertes an seiner Hüfte. Doch offenbar gab es hier nichts, was für ihn noch eine Gefahr darstellen konnte, dieses Lager war überrannt und verlassen worden.
Während Darmal dem geraden Verlauf des Tunnels folgte, bemerkte er am Ende einen schwachen, bläulichen Schein, der den Fels in ein unwirkliches Licht tauchte. Beim Näherkommen erkannte er, dass am Ende des Ganges eine Treppe nach oben führte, über der zahllose Steine in der Decke das bläuliche Glühen verbreiteten.
Vor ihm auf dem Boden lagen Gesteinsbrocken, die Darmal nach kurzer Untersuchung als die Trümmer zweier Statuen identifizierte. Seltsam war jedoch, dass an den Stellen, wo vielleicht die Köpfe gelegen hätten, nur feiner Staub den Boden bedeckte. Er fragte sich, was hier geschehen sein mochte und weshalb die Statuen an so seltsamen Stellen mitten im Gang lagen.
Doch da er zu keiner befriedigenden Lösung kam, wandte Darmal sich ab und stieg die Treppe empor. Oben fand er sich in einer großen Höhle wieder, deren Decke von zahlreichen grazilen, scheinbar wahllos im Raum verteilten Säulen gestützt wurde. Im Zentrum der Kaverne standen mehrere Feuerschalen, in denen vereinzelt noch grüne Hexenfeuer brannten, deren Kraft aber zur Neige ging, wie das Flackern und die geringe Leuchtkraft verrieten.
Aber das Licht genügte, um ein kreisrundes Loch im Boden zu enthüllen, das von roten Linien umgeben war, die beim genaueren Hinsehen gezackte Kreise und Siegillen bildeten. Darmal trat nahe an das Loch heran, doch er konnte nur Dunkelheit erkennen, weder den Boden noch irgendwelche Besonderheiten an den Wänden, die ihm verraten könnten, welche Funktion dieser Schacht erfüllen sollte.
Dann bemerkte er die Leichen. Acht Männer, allesamt tot, lagen im Raum verteilt, einer sogar in der Nähe der Treppe. Darmals hatte sie nur deshalb nicht bemerkt, weil die grünen Flammen seinen Blick gefangen und den Rest der Höhle in Dunkelheit getaucht hatten. Langsam ging er von einem zum anderen und bemerkte verwundert, dass beinahe alle an kleinen, aber tödlichen Wunden verendet waren. Nur einer der Toten in der Nähe des Loches war von einer größeren Waffe, vielleicht einem Schwert, abgestochen worden.
Plötzlich wirbelte Darmal herum und zog sein Schwert, während er zur Treppe starrte, die trotz des bläulichen Scheins in tiefen Schatten lag. Er war sich sicher, leise Schritte gehört zu haben. Ja, da war es wieder, ein leises Tappen auf den steinernen Stufen, das rasch, aber vorsichtig näher kam.
Dann schälte sich eine Armbrust aus dem Dunkeln, gefolgt von Viverla’atars Gesicht. Als sich ihre Blicke trafen, erstarrten beide, die Waffen halb erhoben. Es war Darmal, der sich zuerst rührte und das Schwert zurück in die Scheide steckte. Anschließend schüttelte auch Viverla’atar ihre Starre ab und richtete die Armbrust zu Boden.
„Endlich habe ich Euch gefunden, Darmal.“, zischte sie, eindeutig wütend über sein Verschwinden. „Könnt Ihr Euch überhaupt vorstellen, welche Gefahr Ihr heraufbeschwört, wenn Ihr einfach so verschwindet? Ich hätte beinahe meine Jäger nach Euch ausgesandt, weil ich fürchtete, dass Ihr entweder die Flüchtlinge oder meinen Stamm angreifen würdet. Sie hätten Euch einfach erschossen. Dank Kalrim auf Knien, wenn wir zurückkommen, dass er mich überredet hat, Euch selbst zu suchen.“
Darmal spürte einen Anflug von Zorn über ihre schroffen Worte, doch er unterdrückte ihn sofort wieder, aus Furcht, das Chaos in ihm damit zu nähren. Er musste einen klaren Kopf bewahren.
„Ich werde nicht zurückkommen, Viverla’atar! Ihr habt erlebt, was aus mir geworden ist, als ich die Kontrolle verloren habe. Dieses Mal konnte ich die Beherrschung zurückerlangen, aber beim nächsten Mal wird das nicht so einfach sein, besonders wenn Ihr Euch gegen mich auflehnt. Dann werde ich keinen Grund mehr sehen, Euch zu verschonen, und Euch erbarmungslos zerfleischen. Das könnt Ihr mir ruhig glauben, ich habe zwar die Kontrolle verloren, aber ein Teil von mir war auch Teil der Bestie, die dort aus mir herausgebrochen war. Ich weiß, wie sie denkt.“
„Und weshalb versteckt Ihr Euch dann? Hier gibt es niemanden, der Euch zwingen kann, gegen den Einfluss des Chaos anzukämpfen. Wenn Ihr hier, alleine in den Bergen, den Einflüsterungen erliegt, — und das ist nur eine Frage der Zeit — werdet Ihr ewig in diesem verwirrten Geist gefangen sein, bis auch der letzte Rest Eures elfischen Verstandes zerronnen oder im Einfluss des Chaos aufgegangen ist. Ihr müsst mit mir zurückkommen!“
Doch Darmal schüttelte traurig den Kopf. „Nein. Die Gefahr ist zu groß. Wenn ich hier dem Chaos erliege, dann sei es drum. Dann werde ich Bäume zerfetzen und Tiere zerfleischen. Aber kein Druchii würde zu Schaden kommen. Je tiefer ich ins Gebirge vordringe, desto sicherer sind die Flüchtlinge, Euer Stamm und Ihr selbst, Viverla’atar. Stellt Euch vor, ich würde die Kontrolle inmitten der Flüchtlinge verlieren, während Ihr und Kalrim irgendwo anders wärt.“
Er machte eine kurze Pause, um seine Worte wirken zu lassen, fuhr jedoch fort, bevor Viverla’atar antworten konnte. „Ich würde dutzende, nein hunderte wehrloser Elfen abschlachten, ohne dass einer in der Lage wäre, mich aufzuhalten. Bis Ihr oder ein anderer Jäger dazu kommen würde, hätte ich schon zahllose Flüchtlinge zerrissen. Und glaubt Ihr wirklich, ich könnte nach einem solchen Blutbad noch normal werden? Nein, da könnt selbst Ihr nichts mehr ausrichten. Ich würde für immer in meinem eigenen Kopf gefangen sein und ruhelos umherziehen, erst die Flüchtlinge und dann Euren Stamm vernichten, bis jemand in der Lage ist, mich zu töten.“
Wieder eine Pause, dann: „Ihr und Kalrim könnt nicht ewig in meiner Nähe bleiben, wir alle haben Pflichten. Aber das Risiko ist zu groß. Niemand würde mich aufhalten können, wenn das Chaos in mir wirklich stark geworden wäre. Und es wird schnell stärker, das habt Ihr ja selbst erlebt. Deshalb ist es meine einzige Option, in die Berge zu fliehen. Dort kann ich kaum Druchii gefährlich werden und behalte eher die Kontrolle, als wenn das Chaos durch ein Blutbad unter den Flüchtlingen zu mächtig werden würde. Dann ist es halt mein Schicksal, auf ewig mit dieser Bestie zu ringen, bis wir beide daran zerbrochen sind oder mich der Tod holt.“
Viverla’atar nickte nur stumm, eine einzelne Träne lief über ihre makellose Wange. Der Anblick überraschte Darmal so sehr, dass er ein paar Schritte auf sie zu machte, ohne sich zu weit zu nähern. Sie sah überrascht auf und für einen Augenblick leuchteten Angst aber auch Kampfbereitschaft in ihre Augen auf.
„Das sollte nicht Euer Schicksal sein, Darmal.“, erwiderte sie fest. „Ihr habt Besseres verdient. Seht Ihr diese Leichen?“, fragte Viverla’atar und schritt langsam durch die Höhle, die Armbrust noch immer in der Hand. Vor dem Mann, der als einziger eine grobe Stichwunde aufwies, blieb sie stehen und deutete auf ihn.
„Diesen hier habe ich getötet. Er war einer der drei Wächter des Flammenbrunnens. Ich habe Euch davon erzählt, erinnert Ihr Euch? Gut. Dies hier ist der Flammenbrunnen, obwohl er jetzt erloschen ist, zweifellos, weil der Schlüssel am Altar der Absoluten Dunkelheit vernichtet wurde. Aber als Sisrall und ich hierher kamen, qualmte er noch und als Sisrall hineinfiel, zusammen mit dem Magier, da erwachte er zu einer Fontäne aus orangem Feuer.“
Sie schwieg, während Darmal näher an sie herantrat. Also war Blutklinge hier gewesen, erstaunlich. Dies war das Heiligtum des anderen Stammes, bei dessen Vernichtung des Tempelkrieger geholfen hatte. Viverla’atar erhob sich und deutete auf die anderen Leichen.
„Seht sie Euch an, Darmal, dann erkennt Ihr Blutklinges Werk. Alle hat er getötet, präzise und tödlich wie Khaine selbst. Es war unglaublich. Er war unterlegen, ich war gefesselt und er hatte den ganzen Tag schon gekämpft. Trotzdem zögerte er nicht, sie anzugreifen, die besten Krieger unseres Stammes. Er tat es für mich, um mich zu retten. Und er siegte. Beinahe alle besiegte er in einem ehrlichen und wilden Kampf. Nur gegen Grumir musste er Magie einsetzen, weil dieser ihn erschießen wollte. Und selbst da legte er all seine Verachtung in den Angriff.“
Sie zögerte, bevor sie Darmal direkt ansah.
„Ihr habt selbst gesehen, wie Blutklinge gekämpft hat, wie er sich geopfert hat, indem er das Chaosheer so lange wie nur irgendwie möglich aufgehalten habt. Er wollte, dass die Flüchtlinge überleben und nach Ghrond zurückkehren können. Ihr habt die Adligen getötet und die Rolle des Drachaus eingenommen, Darmal. Damit war eine große Verantwortung verbunden, aber Ihr habt die auf Euch genommen. Das macht Euch zu einem ehrenwerten Mann. Aber jetzt … jetzt lauft Ihr davon, vor Euch selbst, vor der Gefahr. Ihr habt geschworen, die Flüchtlinge nach Ghrond zurückzubringen! Glaubt Ihr, es hilft Ihnen, wenn Ihr Euch hier verkriecht und wartet, dass Ihr sterbt? Warum bringt Ihr es dann nicht sofort hinter Euch? Habt Ihr Angst vor dem Tod?“
Darmal schüttelte den Kopf, aber Viverla’atar fuhr fort, bevor er etwas erwidern konnte.
„Dann seid wie Blutklinge. Er wäre nicht geflohen, er hätte gekämpft. Euer Kampf ist mit nichts zu vergleichen, dass einer von uns je erlebt hat, das ist mir bewusst, aber Ihr müsst ihn dennoch auf Euch nehmen. Ihr habt Blutklinges Vermächtnis auf Euch genommen, die Überlebenden Ghronds zu retten. Dann tut das jetzt auch, Darmal! Nehmt Euch ein Beispiel an Sisrall, wie damals, als Ihr den falschen Drachau getötet habt. Kommt mit mir zurück.“
Darmal musste sich eingestehen, dass sie mit ihren Worten genau den Punkt getroffen hatte, den er am meisten bereute. Im Vergleich mit Blutklinge war er tatsächlich ein Feigling. Niemand erwartete von ihm, so kämpfen zu können wie der Tempelkrieger, aber er, Darmal, versuchte es ja nicht einmal. Hier gab es einen Kampf zu gewinnen, der weder mit kaltem Stahl noch mit Magie gewonnen werden konnte. Aber er musste dennoch triumphieren.
„Wie Ihr wollt, ich werde mit Euch kommen. Aber Ihr müsst mir etwas schwören: Wenn ich abermals die Kontrolle verliere und jemanden anfalle, dann tötet mich sofort, ohne das geringste Zögern. Werdet Ihr das tun?“
Sie nickte, sah ein, dass er in dieser Hinsicht nicht nachgeben würde und schwor ihm, ihn in einem solchen Fall sofort zu töten. Derart zufrieden gestellt, folgte Darmal ihr, als sie die Treppe hinunterlief. Unten deutete er auf die Trümmer der Statuen. „Was hat es damit auf sich?“
Viverla’atar bliebt stehen. „Diese beiden Steinriesen haben die Treppe bewacht und griffen Sisrall und mich an, als wir sie betreten wollten. Das meinte ich, als ich sagte, wir wären vor dem Heiligtum nur knapp dem Tod entronnen.“
Darmal nickte und dachte an ihre Erzählungen zurück. War es wirklich erst einen halben Tag her, seit er mit ihr dort oben in ihrem Lager gesessen und Erfahrungen mit ihr geteilt hatte? Nach diesem Kampf also waren Blutklinge und die junge Jägerin Geliebte geworden. Und er, Darmal, stand genau dort, wo sie einen ihrer größten Kämpfe bestritten hatten.
Dann spürte er, wie sich in dem Teil seines Kopfes, den er inzwischen mit der fremden Stimme in Verbindung brachte, etwas regte. Darmal zischte, als er sich dagegen stemmte, woraufhin Viverla’atar herumfuhr und mit der Armbrust auf ihn zielte. „Was ist los, Darmal? Habt Ihr Euch noch unter Kontrolle?“ Er konnte hören, dass sie Furcht empfand bei dem Gedanken, er könnte sich im nächsten Moment wieder auf sie stürzen.
„Zielt nicht auf mich und sprecht nicht so ängstlich! Damit provoziert Ihr es nur.“, brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während er gegen das Chaos ankämpfte. Viverla’atar gehorchte und Darmal merkte, dass es gar nicht die Stimme war, die sich dort einen Weg in seinen Geist erkämpfte. Es war nur ein Gefühl.
„Das Chaosheer verlässt Ghrond.“, platzte es aus ihm heraus, bevor er sich darüber klar wurde, was ihm die Ahnung eigentlich vermittelte. Viverla’atar sah ihn zweifelnd an. „Seid Ihr sicher?“
Darmal nickte. „Ich bin auf irgendeine Weise mit dem Chaosgeneral verbunden und ich wusste bisher immer, dass die Armee noch in Ghrond lagerte. Aber jetzt ziehen sie los. Sind die Autarii bereit? Ich fürchte, es wird bald zur Schlacht kommen.“
Viverla’atar nickte. „Wir sind bereit. Wollt Ihr sofort aufbrechen, ohne auf die Nachricht der Boten zu warten, die Ghrond beobachten?“
„Ja, wir werden am Morgen losziehen, mit oder ohne Euch. Ich brauche endlich eine fordernde Tätigkeit, die mir hilft, die Stimme zu vergessen. Kommt, kehren wir zurück.“
Indem Darmal alle Gedanken an den Vorfall am vergangenen Nachmittag verdrängte und sich auf seine Aufgabe konzentrierte, verspürte er neue Zuversicht und rannte aus der Höhle heraus, dicht gefolgt von Viverla’atar. Endlich gab es wieder etwas zu tun und bald würden sie vielleicht in die Schlacht ziehen.
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