So jetzt ein Teil, der mir persönlich gut gefällt. Vor allem Yetails Gedanken.
Magie und Dunkelheit
Unterwelt
2567 IC; 8. Zunehmender Mond
Noch zweimal, dann gebe ich auf, soll er doch alleine zusehen … noch eine Runde. Yetail hielt kurz inne, bevor sie den Kopf schüttelte und erneut anfing, im Kreis zu laufen. Das war jetzt schon der Sechzigste. Oder der siebzigste? Sie hatte längst aufgehört, mitzuzählen. Seit Stunden lief sie hier im Kreis, immer entlang der Wand dieser kleinen Höhle, in der sie die Banditen überrascht hatten. Immer wieder nahm sie sich vor, Sisrall noch zwei Runde zu geben und dann allein weiterzureisen. Und immer wieder gab sie ihm dennoch eine weitere Frist.
Warum hänge ich bloß so an dem Kerl? Eigentlich hab ich hier unten auch alleine keine schlechten Chancen. Und der Ausgang muss nahe sein, sonst hätten die Banditen hier wohl kaum gelagert. Yetail hatte die Leichen und das Lager der Druchii inzwischen etwas genauer untersucht und festgestellt, dass die Kerle ihren Lebensunterhalt damit verdient hatten, hilflose Reisende in Fallen zu führen und dort auszurauben. Darauf deutete zumindest die Karte hin, auf der zahlreiche verborgene Fallen gekennzeichnet waren.
Doch Alles in Allem hatte die Durchsuchung des Lagers kaum zehn Minuten gedauert und Yetail nicht wirklich die Zeit vertreiben. Immer stärker glaubte sie inzwischen, dass Sisrall nicht mehr zurückkehren würde. Hatten die Banditen im Gang vielleicht eine clevere Falle positioniert, die den Assassinen vernichtet hatte? Aber hätte sie das nicht merken müssen. Und wie sollten die Räuber an derart mächtige Magie kommen?
Nein, sie konnte sich nicht erkläre, was geschehen war. Fast eine Stunde hatte sie dort im Tunnel gehockt und mit ihren magischen Sinnen nach den kleinsten Merkwürdigkeiten Ausschau gehalten. Es gab nichts, was irgendwie bemerkbar war, außer vielleicht das merkwürdige Fehlen von Bemerkenswertem. In Wahrheit, so ungern Yetail es sich auch eingestand, hatte sie weder Unebenheiten noch Risse feststellen können. Der Tunnel war glatt und makellos.
Aber dennoch war Sisrall irgendwie verschwunden und Yetail hasste Dinge, die sich selbst ihr, die sich mit Magie einigermaßen auskannte, entzogen. Nichtmagier mochten viele Dinge mit Magie erklären, aber hier … hier gab es keine Anzeichen von Magieeinsatz.
Ok, rief sie sich zur Ordnung. Ich werde wohl nie erfahren, was genau geschehen ist. Wie es aussieht, muss Sisrall alleine klarkommen, wenn er noch lebt. Mich sollte weniger interessieren, was geschehen ist, sondern was mit mir geschehen soll.
Analysieren wir doch mal die Situation: Ich bin hier allein, irgendwo unter der Erde ohne eine Ahnung, wo im Bezug zur Oberfläche oder auch nur zum nächsten Ausgang. Schlecht. Alles, was ich habe, sind meine magischen Kräfte, meine Kleidung, mein Stab, mein Schwert, das Buch über Blutmagie, vier Teile für den Drachenstein und einige Lebensmittel. Naja, schon mal nicht allzu wenig. Mit Magie kann ich mich nicht ewig vor Feinden schützen oder meinem Körper Nahrung und Wasser ersetzen. Hm, bedenklich. Ich weiß aber nicht, wo ich Wasser finde, ganz zu schweigen von anderen Druchii. Schlecht. Ganz zu schweigen davon, dass die Khainler mich vielleicht noch verfolgen.
Erzürnt über ihre schlechte Lage, trat Yetail gegen die Felswand, die sich natürlich nicht davon beeindrucken ließ. Dafür tat ihr Fuß ordentlich weh. Sie verzichtete darauf, sich mit Magie von der Verletzung zu heilen.
Ich werde meine Kraft noch brauchen, wer weiß, was hier unten alles so lebt. Aber vielleicht sollte ich die ganze Situation etwas positiver sehen. Ich lebe noch, bin ziemlich unverletzt, momentan nicht in Gefahr und habe sogar noch einen kleinen Vorrat an Nahrung und Wasser. Und ich habe bereits die vier Teile für den Drachenstein. Alles, was ich brauche, sind ein feuerspeiender Drache und ein Ausgang.
Sie beschloss, sich aufzumachen und nach einem Ausgang zu suchen. Aufgrund der Anwesenheit der Banditen vermutete sie, dass es hier ganz in der Nähe einen geben musste. Vielleicht kann ich ja später zurückkommen und nachsehen, ob Sisrall wieder aufgetaucht ist. Aber erst einmal darf ich nicht noch länger warten.
Mit einem letzten Blick über das kleine Lager wandte Yetail sich ab, vergewisserte sich, dass sie alles bei sich trug, was sie mitnehmen wollte und wählte einen der Tunnel aus, die aus der Höhle herausführten. Im Schein ihrer Lichtkugel machte sie sich darauf gefasst, möglicherweise stundenlang erneut durch endlose, monotone Gänge zu wandern, immer auf der Hut vor Druchii und Bestien gleichermaßen.
Aber es dauerte nicht lange, bis sie merkte, dass der Gang unpassierbar wurde. Er verengte sich immer weiter und wurde flacher, bis sie schließlich nur noch ihren Arm ausstrecken konnte. Sie versuchte es mit Quetschen und Fluchen, doch es half alles nichts und sie spürte, dass viel zu viel massives Gestein vor ihr lag, als dass sie sich mit Magie einen Weg hindurch hätte schaffen können.
„Bei Khaine dem Blutigen Gott, das kann doch nicht wahr sein. Jetzt sitze ich schon wieder in einer Sackgasse. Es ist, als wolle dieser Fels mich verspotten. All meine Magie, geerbt von der Erzzauberin von Clar Karond, geübt unter den Augen der besten Magierinnen dieser blutgetränkten Welt, hilft mir nicht, wenn es darum geht, den richtigen Weg zu finden. Es ist zum Verzweifeln!“
Aber natürlich half auch ihr Gezeter nicht und Yetail schlug noch einmal zornig gegen den hinderlichen Fels, bevor sich langsam zur Höhle zurückkehrte, in der Sisrall und sie vor kaum zwei Stunden die Banditen getötet hatten.
Dort gab sie einer der Leichen einen wütenden Tritt, bevor sie den anderen Gang betrat. Doch sie kam nicht weit. Dieses mal stand sie nicht vor einem Hindernis, sonder presste sich instinktiv an die Tunnelwand, als sie hinter sich fremde, machtvolle Magie spürte. Eine Vibration durchlief den Fels und ließ einige Kiesel von der Decke auf Yetail hinab fallen.
Als die Vibrationen verschwanden, löschte Yetail ihre Lichtkugel und kroch am Boden zurück zu Höhle. Irgendetwas war geschehen und sie zog es vor, erst selbst zu sehen, worum es sich dabei handelte, bevor sie gesehen wurde. Denn die junge Zauberin hatte ein gutes Gespür für Magie und dieses riet ihr, vorsichtig zu sein. Was sie eben gespürt hatte, ähnelte nichts Bekanntem.
Als sie das Ende des Tunnels erreichte, war nichts zu sehen. Alles um sie herum lag in tiefster Dunkelheit. Doch sie spürte eine Präsenz. Irgendetwas oder irgendwer war dort, kaum fünfzehn Meter entfernt. Yetails Hand legte sich auf das Heft ihres Schwertes.
„Das braucht Ihr nicht.“, durchschnitt eine kalte Stimme die Dunkelheit und Yetail erstarrte unwillkürlich. Sie konnte nicht sagen, ob es die pure Macht in der Stimme oder etwas Anderes war, das sie innehalten ließ. Langsam richtete sie sich auf, während sie den Blick des Unbekannten spüren konnte, ohne ihn selbst zu sehen.
Dann griff Yetail nach den Winden der Magie um sich herum und beschwor einen Lichtfunken über ihrer Handfläche. Es dauerte weniger als einen Herzschlag, damit ihre Instinkte reagieren konnten, um dem schwarzen Monstrum, welches das Licht kaum einen Meter von ihr entfernt enthüllt hatte, einen gleißenden Blitz entgegen zu schleudern. Der Zauber war einfach, aber durch ihre Überraschung mit viel Kraft gewirkt.
Die Luft knisterte, als ihr Angriff in der Stille unnatürlich laut auf ihren Gegner zuraste. Yetail wusste, dass sie genug Magie eingesetzt hatte, um einen kleinen Dämonen zu zerfetzen. Doch der Blitz zerstob wirkungslos an der schwarzen Gestalt.
Sie konnte nur die Stelle anstarren, an der ihr Angriff verpufft war. Ein blanker, schwarzer Panzer schützte das Wesen dort und leuchtete dunkelrot, wo ihn der Blitz getroffen hatte. Yetail konnte beobachten, wie die Energie des magischen Schlags in Hunderte von winzigen Blitzen aufgeteilt und von der Einschlagstelle auf in alle möglichen Richtungen abgelenkt wurde. Das Wesen zuckte nur kurz angesichts der Härte ihres Angriffs, doch das war nicht das, was Yetail erwartet hätte, zumal ihr Gegenüber weder einen Bannspruch gesprochen, noch einen Schutzschild gewoben hatte.
Schon zog Yetail ihr Schwert und griff nach noch mehr Magie, um das Wesen abzuwehren, als sie plötzlich einen Schlag gegen die Hand bekam. Die Lichtkugel zerstob und das Schwert segelte davon, doch schon bevor es ihre Hand richtig verlassen hatte, bekam sie einen Schlag gegen die Brust, der sie gegen die Tunnelwand schleuderte. Entsetzt über die übernatürliche Schnelligkeit und Kraft ihres Gegners, bleib Yetail für einige Augenblicke einfach nur liegen und zwang ihre schmerzenden Muskeln, Luft in ihre Lungen zu saugen, während ihr schwarz vor Augen wurde.
Die schwarze Gestalt ging neben der jungen Zauberin in die Hocke, die kaum noch bei Bewusstsein war. Pechschwarze Augen glitten musternd über den Leib der Hexe, während eiserne Finger nach ihrem Hals griffen. Die metallenen Finger schlossen sich um die Kehle des wehrlosen Opfers und drückten erbarmungslos zu. Ein Keuchen entrang sich den gepeinigten Lungen und der Körper bäumte sich auf. Rein instinktiv klammerten sich die zierlichen Hände der Bewusstlosen um die Handgelenke ihres Peinigers, doch all ihre Kraft war vergebens, der Griff wurde nicht lockerer, während die Kräfte der Zauberin immer weiter schrumpften.
Ein Röcheln entrang sich ihrer Kehle, es klang wie ein Hilferuf, gesprochen in höchster Verzweiflung, welche die Zauberin ihren Stolz vergessen ließ. Die eisernen Hände lockerten ihren Griff und die Gestalt zögerte. Hatte sie richtig verstanden? Kannte diese Hexe ihren Namen? Schleierhafte Erinnerungen trieben an die Oberfläche ihres Verstandes und blieben dennoch außer Reichweite. Das Wesen konnte sich soweit danach ausstrecken, wie es wollte, es bekam sie nicht zu fassen, nur einzelne Bruchstücke, alleine und bedeutungslos, enthüllten Teile seiner Vergangenheit.
Und ganz plötzlich tauchte etwas Neues auf: Schiffe inmitten des Dunkeln, erleuchtetet von prasselnden Flammenbögen, die von einer einzelnen Gestalt ausgingen. Die Gestalt blickte durch die Dunkelheit, die sie mühelos durchdringen konnte, auf die Druchii, deren Hals sie noch immer umklammert hielt, wenn auch nicht mehr so fest, dass sie daran sterben würde. Diese Frau war die Hexe auf den Schiffen. Aber welche Rolle spielte sie in der Vergangenheit?
Ein Entschluss wurde gefasst und metallene Hände rissen die zierliche Gestalt der Zauberin in die Höhe, ohne die geringste Anstrengung erkennen zu lassen. Doch die Bewusstlose sackte wieder zusammen. Mit eiskalter, überweltlicher Stimme zischte das schwarze Wesen ein Wort der Macht. Die Winde der Magie wirbelten um seinen Körper, als würden sie ihn liebkosen. Da waren wieder diese Stimmen, Stimmen von jenseits der Welt, die Macht versprachen, schreckliche Macht, er könnte der Herrscher all dieser Sterblichen werden, sie unterwerfen …
Die Gestalt verdrängte die Stimmen, sie waren schon lange Teil von ihm und er würde sie ignorieren. Oder waren sie erst seit kurzem Teil von ihm und waren davor Teil von anderen seiner Art gewesen? Er konnte es nicht unterscheiden.
Die Gedanken hatten kaum einen Augenblick in Beschlag genommen.
Der Zauber begann zu wirken und sandte schwache Blitze in den Leib der Zauberin, woraufhin dieser anfing, zu zucken. Bald darauf schlug sie die Augen auf und der Zauber verebbte. Sie blickte panisch um sich, konnte ihn spüren, aber nichts sehen, ihre Augen waren schwach im Vergleich mit seinen Sinnen. Das schwarze Wesen konnte sehen, wie sie zögerte, unentschlossen, ob sie abermals eine Lichtkugel schaffen sollte oder nicht. Er wartete, Zeit hatte vorerst keine Bedeutung, sein Körper würde noch lange überleben.
„Was wollt Ihr?“, fragte sie schließlich, ohne Licht zu machen. Die Frage spukte im Verstand des Wesens herum, bis sie schließlich einen Sinn ergab und nach einer Antwort verlangte.
„Wissen.“, lautete die einfache Antwort und die Zauberin zuckte beim Klang der puren Macht in dieser Stimme zusammen. Sie schuf einen leichten Schild über ihrem Körper und wich ein paar Schritte zurück, wobei sie ein Stück an der schwarzen Gestalt vorbei starrte. Sie konnte in der Dunkelheit nichts sehen.
„Was wollt Ihr?“, fragte sie abermals. Dieses Mal versuchte das Wesen, weniger einschüchternd zu klingen.
„Wer bin ich? Ihr habt einen Namen gerufen, der etwas in mir berührt. Wer bin ich?“
Die Zauberin erstarrte und blickte in die Dunkelheit. Das Wesen spürte ihren Geist, der nach ihm tastete, doch es war nicht nötig, ihn abzublocken. Der Geist der Hexe wich vor der Macht zurück, die in dem Körper des Wesens steckte.
Ein gezischtes Wort peitschte durch den Tunnel und ließ kleine Steine aus den Wänden brechen. Sofort erstrahlte eine blaue Stichflamme über der Handfläche der Gestalt und blendete die Zauberin. Und dann riss sie die Augen auf.