Gute und schlechte Neuigkeiten
Südlich von Naggarond; Naggaroth
2567 IC; 8.Vollmond (1.Tag)
Es war einfach frustrierend, stellte Yetail fest. Am Horizont waren bereits die Spitzen der schwarzen Türme von Naggarond zu sehen. Sie wusste, dass dort vielleicht in diesem Moment das Schicksal ihres Volkes entschieden wurde. Und sie konnte nichts tun. Das Heer der Khainler marschierte bereits den ganzen Tag, aber es ging nur langsam voran.
Inzwischen war es kurz nach Mittag und so wie es aussah, würden sie die Hauptstadt von Naggaroth kaum vor Anbruch der Abenddämmerung erreichen. Yetail wusste zwar, dass die Fußsoldaten einfach nicht schneller konnten, ebenso wenig wie sie selbst, aber sie ärgerte sich dennoch, dass sie den schwarzen Türmen nur unmerklich näher kamen.
Sie befand sich an der Spitze der gewaltigen Armee, ganz in der Nähe von Reckdis, so wie sie es abgemacht hatten. Sisrall ging einen Meter rechts von ihr und schwieg. Wahrscheinlich wünschte auch er sich, schneller voran zu kommen.
Er beherrschte einen Drachen, mit dem er das Schlachtfeld innerhalb von wenigen Minuten erreichen konnte, und musste sich dennoch gedulden, bis Reckdis einen Beweis hatte, dass sie ihn und seine Leute nicht in eine Falle führten.
Was Yetail betraf, so war sie sich sicher, dass er ihnen in der Hinsicht ohnehin glaubte. Aber er musste sich seinen Stolz und seine Glaubhaftigkeit bewahren. Und außerdem ist es bestimmt ein tolles Gefühl, ein wenig Verfügungsgewalt über das legendäre Kind des Mordes und dessen Gefährtin zu haben, dachte die junge Zauberin säuerlich.
„Ein Späher kehrt zurück.“, murmelte Sisrall so leise, dass Yetail sicher war, die einzige zu sein, die es bemerkt hatte. Sie blickte ihren Begleiter kurz an, dessen Augen unter dem Helm starr und konzentriert in die Ferne gerichtet waren. Als sie seinem Blick folgte, erwartete sie nicht, irgendetwas zu sehen.
Und so war es auch. Sisralls Sinne waren schon vor seiner Erwählung etwas besser gewesen als ihre, was zweifellos mit seiner Ausbildung zusammenhing. Und jetzt konnte er mehr erkennen als jeder andere hier. Aber Yetail wusste, dass sie seinen Beobachtungen trauen konnte.
Die Späher waren, laut Sisralls Aussage, direkt nach dem Erreichen der Oberfläche ausgesandt worden und hatten den Auftrag, herauszufinden, ob tatsächlich ein Krieg drohte oder sogar schon im Gange war. Nebenbei sollten sie natürlich auch nach Fallen ausschauhalten.
Jetzt würden sie also endlich erfahren, wie es tatsächlich um ihr Volk bestellt war. Yetail spürte, wie sich ihr Bauch vor Aufregung und Erwartung verkrampfte. Welche Nachrichten würde der Späher bringen? Dass die Schlacht gut lief? Oder standen die Druchii kurz vor der Auslöschung? Oder hatten die Feinde Naggarond vielleicht noch gar nicht erreicht? Was würden die Khainler dann tun?
Es dauerte nur wenige Minuten, dass konnte auch Yetail die Staubwolke sehen, die der Reiter aufwirbelte, während er über die Hügel ritt. Angesichts der Nähe zu Naggarond schätzte Yetail, dass seine Nachrichten kaum älter als ein oder zwei Stunden sein konnten.
Bald darauf bemerkten auch die Khainler die Staubwolke und die Sturmrufer um Reckdis beratschlagten schnell, ob angehalten oder weitermarschiert werden sollte. Zu Yetails Erleichterung entschieden sie sich, dem Boten entgegen zu marschieren. Sie wollten so wenig Zeit wie möglich verlieren.
Yetail kam die Zeit, bis der Späher endlich als Druchii-Reiter erkennbar wurde, ewig vor, obgleich nur einige Minuten vergingen. Der Mann bremste sein Reittier direkt vor den Sturmrufern und sprang ab, bevor er sich artig verneigte und sich nach Reckdis umsah. Yetail fühlte eine leichte Berührung an der Schulter. Es war Sisrall, der sich näher an die Versammlung heran bewegte. Die junge Zauberin bemühte sich, neben ihm zu bleiben.
„Ich habe Naggarond vor zwei Tagen erreicht.“, begann der Späher seinen Bericht, nachdem Reckdis ihn dazu aufgefordert hatte. „Die Streitmacht des Chaos stand bereits nördlich der Stadt und demoralisierte die wartenden Druchii-Truppen mit Scheinangriffen und magischer Dunkelheit. Wie ich hörte, hatte ein Trupp Nauglir-Kavallerie aber bereits einen erfolgreichen Schlag gegen die Chaosanbeter geführt und ihre Vorhut arg zerschlagen.
Heute Morgen war es dann soweit: Die Orks tauchten im Südwesten der Stadt auf. Daraufhin hat Malekith die anderen Anführer zu einer Zusammenkunft geladen. Aber mehr als leere Worte und Drohungen wurden nicht gewechselt. Interessant ist jedoch die Tatsache, dass sich ein untoter Beschwörer, offenbar der Erzfeind eines bedeutenden Chaoshexers, den Druchii angeschlossen hat. Bisher weiß kaum jemand, wie groß seine Armee ist, die sich im Wald zwischen den feindlichen Armeen versteckt hält.
Aber er hat die Schlacht bereits maßgeblich beeinflusst. Nach der Zusammenkunft begann der Kampf zwischen allen drei Armeen. Erst zum Mittag haben die Untoten den Wald verlassen und das Lager der Orks angegriffen, bis sie plötzlich allesamt zu Staub zerfielen. Doch der Angriff hat die Orks verwirrt und verunsichert, sodass sie sich zurückzogen.
Daraufhin hat der Totenbeschwörer die Leichen der Orks erweckt, die auf dem Schlachtfeld lagen, und sie gegen das Chaosheer gesandt. Daraufhin dauerte es nicht mehr lange, bis auch die sich zurückzogen.
Die Ruhepause dauerte etwa drei Stunden, bis die Kämpfe schließlich wieder losbrachen. Und dieses Mal hat das Chaos seine Elite in den Kampf geschickt. Dämonen und Chaosritter haben gerade in den Kampf eingegriffen, als ich losgeritten bin, um Meldung zu erstatten.
Und es gibt ein Problem: Offenbar ist der Meister des Khainetempels verletzt worden. Niemand weiß, wie und wann, aber angeblich kämpft er mit dem Tode. Wahrscheinlich wurde er von einem Zauber erwischt. Und jetzt weigern sich die Tempelkrieger, auszuziehen, solange sie keinen Anführer haben.“
Damit verneigte sich der Späher und Reckdis gab ihm ein Zeichen, abzutreten. Der Mann nahm die Zügel seines Pferdes und führte es davon. Yetail überdachte die Neuigkeiten: Reckdis wusste nun also sicher, dass die Druchii bedroht waren. Und wie es aussah, stand es zwar bisher ganz gut, aber Yetail bezweifelte angesichts des Berichts, dass es lange so bleiben würde.
Bevor aber irgendwer etwas sagen konnte, kam ein weiterer Bote angeritten, der die Rüstung und die Peitsche eines Bestienbändigers trug. Er sprang hastig von seinem Pferd, verneigte sich eilig und fing sogleich an:
„Verzeiht, Sturmrufer, dass ich Euch belästige, aber es gibt ernste Probleme: Ein ganzes Rudel Nauglir ist durchgegangen und hat mehrere Bändiger verletzt, bevor sie davongelaufen sind. Wir sind bereits dabei, sie zu verfolgen und es wird sich um die Verletzten gekümmert, aber wir brauchen eine Weile, bis die Ordnung wiederhergestellt ist. Und wenn wir uns immer weiter von den Nauglir entfernen, während unsere Leute sie verfolgen…“
„Ich habe verstanden.“, unterbrach Reckdis den Mann unsanft. „Aber wir können kaum warten, die Druchii von Naggaroth sind in arger Bedrängnis. Sie wegen ein paar Nauglir zu gefährden ist unverantwortlich. Dann hätten wir gleich in unseren Höhlen bleiben können.“
Das kurze Schweigen, das sich an diese Worte anschloss, wurde schließlich von Sisrall unterbrochen.
„Reckdis, Ihr wisst nun sicher, dass Ihr in keine Falle lauft. Der Krieg ist Wirklichkeit. Aber Ihr solltet Euch um die Nauglir kümmern, Ihr werdet alle Kräfte brauchen und die Bestien sind das Rückgrat Eurer Streitkräfte.
Ich mache Euch deshalb einen Vorschlag: Lagert hier oder ein Stück weiter und fang die Echsen wieder ein. Derweil werden Yetail und ich nach Naggarond fliegen und den Druchii helfen, solange standzuhalten, bis Ihr morgen eintrefft. Ist das in Eurem Interesse?“
Der Piratenfürst überlegte kurz, bevor er nickte. „Ich kann Euch so oder so nicht länger zurückhalten. Es hieß, bis sicher ist, dass Krieg droht, bleibt Ihr in meiner Nähe. Aber ich werde Euren Vorschlag annehmen. Vielleicht ist eine Pause vor der Schlacht angebracht. Wir werden die Nauglir einfangen und am Abend noch ein Stück marschieren.“
Er verneigte sich vor Sisrall und dann auch vor Yetail. „Bringt Khaine in unserem Namen ein paar Schädel, Kind des Mordes. Das Schicksal unseres Volkes hängt vielleicht von Euch beiden ab. Kämpft gut und verdient Euch unser Vertrauen. Wir sehen uns in der Schlacht.“
„Wir erwarten Euch.“, erwiderte Sisrall.
„Es wird noch genügend Schädel zu spalten geben.“, fügte Yetail grimmig hinzu.
Wenige Minuten später flogen sie bereits auf Szar’zriss‘ Rücken über das Heer der Khainler hinweg. Der Drache reagierte widerspruchslos auf Sisralls gedankliche Anweisungen, die auch Yetail spüren konnte, die direkt vor ihm saß. Sie krallte sich an einen der Stacheln, die aus dem Nacken des Untiers ragte und versuchte, die scharfkantigen Schuppen zu ignorieren, die an ihren Schenkeln kratzten.
Das Geräusch von kratzendem Metall hinter ihr verriet ihr, dass auch Sisralls Rüstung nicht ohne Schädel bleiben würde. Aber der jungen Zauberin war das egal. Sie war froh, endlich in die Schlacht zu ziehen. Die Furcht des vergangenen Abends war vergessen, inzwischen spürte sie Vorfreude und Tatendrang.
Der Wind peitschte ihr die weißblonden Haare ums Gesicht und ließ ihren Umhang flattern. Sie jauchzte leise angesichts dieser neuen, beeindruckenden Erfahrung. Das Gefühl wurde noch gesteigert, als Szar’zriss in einen Sturzflug überging und anschließend kurz über die Hügel hinweg flog.
Yetail verstand: Sisrall wollte ungesehen nach Naggarond. Er steuerte den Drachen so, dass sie die östliche Seite erreichen würden, außerhalb des Blickfelds der Schlacht. So gerne sie sich auch vergewissert hätte, dass die Schlacht nicht zu schlecht lief, so viel mehr prickelte Erwartung in ihr, wenn sie daran dachte, welch Überraschung ihr Auftritt haben würde.
Doch wenn sie gedacht hatte, Sisrall würde über die Stadt hinweg fliegen und sich dann in die Schlacht stürzen, so hatte sie sich geirrt. Plötzlich ging der Drache zur Landung über und ließ sich auf einer ausladenden Galerie nieder, unter der ein riesiger Innenhof lag. Getrocknetes Blut bedeckte das Pflaster, auf dem momentan tausende schwarzgerüstete Gestalten knieten und die Köpfe in Richtung aufgebahrten Leichnams neigten.
Die Krieger murmelten leise Gebete, während sechs Bluthexen den Sarg den Toten umtanzten, die nackten Körper in Konzentration angespannt und sich in zu einer Musik bewegend, die nur sie selbst hören konnten. Ein seltsamer Hauch der Magie umgab die gesamte Szenerie.
Yetail konnte spüren, dass Sisrall einen Zauber der Lautlosigkeit um den gewaltigen Drachen gelegt hatte, sodass die betenden Tempelkrieger nichts von ihrer Ankunft bemerkt haben dürften. Sisrall kletterte von Szar’zriss Rücken und stellte sich an die Brüstung des Balkons. Yetail positionierte sich neben und ein Stück hinter ihm.
„Krieger des Khaine.“, hob Sisrall schließlich zu sprechen an. Wie ein einziger Gedanke wandte sich tausend Köpfe um und blickten den Unbekannten an. Niemand sagte etwas, die Bluthexen erstarrten mitten in der Bewegung. Alle waren viel zu überrascht, dass es jemand gewagt — und geschafft — hatte, in ihren Tempel einzudringen.
„Ich habe davon erfahren, dass Ihr Euch weigert, in die Schlacht zu ziehen, obwohl Euer Volk am Rande des Abgrunds steht. Ihr kniet hier und gebt Euch Euren Ritualen hin, statt in die Schlacht zu ziehen und im Namen des Khaine zu kämpfen.“
Er holte tief Luft und machte eine weit ausholende Geste, bevor er laut fortfuhr.
„Ich weiß, dass Ihr einen Anführer braucht. Und Khaine weiß das auch. Solange der Meister des Tempels nicht in der Lage ist, Euch in die Schlacht zu führen, muss es einen anderen Weg geben. Ich sehe in Euren Minen, dass Ihr den Kampf herbeisehnt, dass Ihr töten wollt, wie es Euer Glauben befielt.“
Wieder eine Pause, als wolle er ihnen die Möglichkeit geben, zu widersprechen. Weiterhin war alles still. Yetail bemerkte, dass sie selbst den Atem angehalten hatte. Sie ahnte, was nun kommen würde und wusste, dass es nur zwei Arten geben konnte, wie dies enden würde.
„Ich weiß, dass Ihr zu Khaine gebeten habt und Khaine hat Eure Gebete erhört, meine Brüder. Ich bin hier. Ich, Sisrall Blutklinge, Tempelkrieger von Ghrond und Erwählter des Khaine, werde Euch in die Schlacht führen. Ich bin der Träger der Marilim, ich bin das Kind des Mordes. Folgt mir und kämpft, kämpft für alles, woran Ihr glaubt, kämpft für Khaine und ertränkt die Ketzer und Bestien vor unserer Tür in Strömen ihres eigenen Blutes.
Kämpft an der Seite des zwölften Kind des Mordes!“
Die letzten Worte, laut und deutlich gesprochen, verhallten auf dem riesigen Hof. Noch immer blickten tausend Gesichter zu ihnen auf, noch immer schweigend. Yetail wurde unruhig. Sie glaubten ihm nicht, ging es ihr durch den Kopf. Sie würden seinen und ihren Tod fordern.
Irgendjemand in der Mitte des Platzes zog sein Schwert mit dem Zischeln von Stahl, das in der Stille unnatürlich laut klang. Dann hob der Mann seine Waffe kurz in die Luft, bevor er sie auf den Boden stützte und davor in die Knie ging, sodass seine Stirn auf dem Schwertknauf lag.
„Für Khaine, werde ich Euch in die Schlacht folgen, Blutklinge.“
Die Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, doch sie brachen den Bann. Wie eine gewaltige Welle, schlossen sich die übrigen Tempelkrieger an. Nach und nach zogen sie alle ihrer Waffen, reckten sie dem Balkon entgegen und verneigten sich dann in Richtung Sisrall, bevor sie leise ihre Bereitschaft erklärte, an seiner Seite zu kämpfen. Yetail hätte innerlich gejubelt, aber sie blieb völlig still und verbarg ihre Erregung angesichts der Macht, die diese tausend Krieger verkörperten.
Als alle Tempelkrieger knieten, erhob Sisrall wieder die Stimme.
„Eure Entscheidung ehrt Euch, Diener des Khaine. Heute werden wir ein Blutbad anrichten, an das man sich noch jahrelang erinnern wird. Ich habe dem Chaos in Ghrond getrotzt und ich werde auch hier bis zum letzten Atemzug kämpfen, wenn es sein muss.
Jetzt folgt mir und meiner Gefährtin Bluthand in die Schlacht, meine Brüder. Lasst uns kämpfen.“
„Seelen und Schädel für den Herren des Mordes“, brüllten tausend Tempelkrieger gleichzeitig, bevor sie sich erhoben, ihre Waffen aufnahmen und den Platz verließen, um in die Schlacht zu ziehen. Sisrall drehte sich um und blickte Yetail an.
„Es ist wie in Ghrond. Ein beeindruckender Auftritt, besorgt durch die Rüstung und schon sind sie bereit, einen neuen Anführer zu akzeptieren, wenn dieser ihnen Ruhm und Gemetzel verspricht. Ich hoffe nur, dass wir dieses Mal erfolgreicher sind.“
„Ihr habt in Ghrond nicht versagt, Sisrall, das weißt du. Ihr habt getan, was möglich war und tausende andere vor dem Tode bewahrt. Niemand anderes hätte das Chaos so lange aufhalten können. Du solltest Stolz empfinden, kein Bedauern. Jetzt lass uns in die Schlacht ziehen, schließlich ist es unsere Aufgabe, unser Volk zu retten, Blutklinge.“
Sisrall versteifte sich und nickte. Dann marschierte er an ihr vorbei, um die wartenden Tempelkrieger anzuführen. Yetail atmete ein letztes Mal tief durch und beeilte sich dann, zu ihm aufzuschließen. Ihr Herz raste vor freudiger Erwartung. Sie würde an der Spitze von tausend Tempelkriegern in die Schlacht ziehen und die Wendung bringen, die ihr Volk so dringend brauchte.
Hinweis: bitte beachtet den Post vor diesem.