So, wie versprochen:
Götterkrieger
Naggarond; Naggaroth
2567 IC; 8.Vollmond (2.Tag)
Yetail fluchte, als die Zauber der Chaosschamanen erneut mit brachialer Stärke auf den Schild der Klosterhexen krachten. Inzwischen waren es zwar ein halbes Dutzend Hexer weniger, doch offenbar war der Rest nun bestrebt, den Verlust zu rächen. Aus irgendeinem Grund ignorierten sie Sisrall, der still und stumm zwischen ihnen stand.
„Bei Khaine, ist Blutklinge zum Verräter geworden?“, hauchte Septma neben der jungen Meisterin. Yetail musste sich zusammenreißen, um nicht zornig herumzuwirbeln. Welch ein verrückter Gedanke! Der Erwählte des Khaine ein Verräter an seinem Volk!?
„Er weiß, was er tut. Er ist der Letzte, der uns verraten würde.“
„Ja, natürlich. Nur nach der letzten Nacht rechne ich überall mit Verrat. Aber weshalb tut er nichts? Glaubt Ihr, die Schamanen haben ihn erwischt? Ihn vielleicht gelähmt?“
Yetail schüttelte den Kopf. Daran wollte sie gar nicht erst denken. „Wenn das der Fall wäre, hätten sie ihn vernichtet. Nein, irgendetwas geht dort vor. Und ich habe das Gefühl, dass wir gleich wissen, was.“
Doch als sie es schließlich wusste, war sie keinesfalls erleichtert.
Auf einem Hügel, von überall sichtbar, nur wir beide. Blutklinge nickte zufrieden. Die Hexer sorgten dafür, dass niemand das Duell zwischen ihrem General und dem Druchii stören würde. Es blieb allein Sisrall überlassen, den Sieg davonzutragen.
Und es war klar: Wer diesen Kampf gewinnen würde, der hatte beste Chancen, die Schlacht zu gewinnen. Jeder hier wusste, wer diese beiden Männer waren, jeder kannte ihre Macht und jeder wusste, dass ein Fall eines von ihnen einen unersetzlichen Verlust bedeuten würde. Einen Verlust, der über das Schicksal ganzer Völker entscheiden mochte.
Das könnte Spaß machen, wisperte es irgendwo in Sisralls Verstand, aber er verdrängte alles, konzentrierte sich allein auf den Chaosgeneral, der ihm gegenüber zum Stehen gekommen war. Sie standen parallel zur Schlachtreihe. Jeder würde sie sehen.
„Ihr lebt also noch?“, fragte Blutklinge unschuldig. Drrochaal neigte nur den Kopf und dröhnte mit seiner gewaltigen Stimme eine Antwort.
„Wie Ihr seht, Druchii. Meine Götter waren zufrieden mit dem Sieg und haben mir diesen kleinen Fehler verziehen. Ich bin stärker als jemals zuvor und dieses Mal könnt Ihr nicht siegen, Blutklinge.“
„Allein die Tatsache, dass auch ich noch lebe, sollte Euch zu denken geben, Drrochaal. Wir werden gleich sehen, wer von uns beiden wirklich in der Gunst der Götter steht. Ich habe Euren großen Dämonen vernichtet und ich werde auch an Euch nicht scheitern.“
Inzwischen umkreisten sie einander, die Waffen fest in den Händen. Jeder blickte ins behelmte Gesicht des andere und versuchte, dort Hinweise auf dessen Gedanken zu finden. Es war alles gesagt, beide wussten, welche Bedeutung der Kampf haben würde, beide kannten die Stärke des anderen.
Doch nur einer konnte gewinnen.
Yetail keuchte auf, als beide Kontrahenten urplötzlich zu schemenhafter Bewegung explodierten. Eben noch hatten sie sich langsam und drohend umkreist, jetzt prallten die Waffen aufeinander, die titanischen Gegner griffen an, lösten sich, parierten oder wichen aus. Ihr Kampf war schneller als Yetail ihnen hätte folgen können. Sie wagte kaum zu blinzeln aus Furcht, anschließend könnte das Duell entschieden sein.
Die junge Meisterin sah Szar’zriss, der seinen eigenen Kampf gegen die Kreischer des Tzeentch ausfocht. Zwei der Dämonen waren mittlerweile in Kaskaden aus violetten Blitzen zerplatzt, doch die restlichen sechs setzten dem Drachen gefährlich zu. Schon zeigten sich Risse in der dicken Schuppenhaut.
Inzwischen hatte der arkane Geschosshagel von Seiten der Chaosschamanen nachgelassen. Sie schienen einfach nur bestrebt zu sein, jegliche Einmischung in das Duell der beiden Götterkrieger zu verhindern. Sie schleuderten nur noch so viele Entladungen in Richtung der Klosterhexen, dass diese gebunden blieben, während sie nun selbst feindliche Zauber abwehrten.
Yetail beschäftigte sich inzwischen jedoch mehr mit dem Duell in der Luft. Sie zog Kraft in sich hinein und sandte den Kreischern mehrere blaue Blitze entgegen. Drei knisterten wirkungslos durch leere Luft, doch die beiden anderen schlugen direkt in die dämonischen Vögel ein. Diese ließen erneut ihr ohrenbetäubendes Geschrei los und gingen erst einmal auf Abstand zum Drachen.
Szar’zriss nutzte die Chance und brachte eine paar Meter zwischen sich und seine dämonischen Gegner, die sich derweil zu einem Keil formierten. Eine grellweiße Stichflamme zischte den Kreischern entgegen, die elegant darüber hinweg schwebten und im Spiralflug auf den Drachen zustürzten. Der brüllte seinen ohrenbetäubenden Kampfschrei hinaus und raste ihnen mit zwei donnernden Flügelschlägen entgegen.
Yetail sprach leise mehrere Beschwörungen, während die beiden Parteien des Luftkampfes an einander vorbeischossen. Ein Kreischer wurde von Szar’zriss‘ Kralle erwischt und der Länger nach aufgerissen. Er ging unter wildem Gekreisch zu Boden, wo er einen Trupp Chaosritter durcheinanderbrachte. Dafür verbiss sich ein anderes der unirdischen Wesen in den linken Flügel des Drachen und zog diesen zu Boden.
Yetail reckte ihren Stab in Richtung der geflügelten Kontrahenten. Die Luft schimmerte vor kondensiertem Wasserdampf und wenig später wickelten sich die weißen Winde der Frostmagie um die Körper der Dämonen und hüllten sie in Eis.
Aufgrund ihrer arkanen Körper lösten sie sich innerhalb weniger Sekunden wieder aus der magischen Umklammerung, doch der Drache war noch schneller. Der Kreischer am Flügel wurde vom Schwanz der mächtigen Kreatur getroffen und zerplatzte mit einem grellen Schrei und einem blauen Funkenregen.
Zwei andere Kreischer versuchten noch, die Benommenheit des Frosts abzuschütteln, als sie direkt von einer gewaltigen Flammenfontäne getroffen und zu Asche verbrannt wurden. Wutentbrannt schnaubend ging Szar’zriss gegen die letzten drei Kreischer vor.
Yetail wandte ihre Aufmerksamkeit dem anderen noch immer tobenden Kampf zu.
Wäre Sisrall weniger erfahren gewesen, hätte er Furcht verspürt. Wäre Sisrall weniger hart ausgebildet worden, hätte er nun einen Fehler gemacht. Wäre Sisrall nicht Blutklinge, wäre er tot gewesen. Hätte Sisrall Zeit gehabt, darüber nachzudenken, hätte er Dankbarkeit verspürt.
Oder die Klinge dieser Runenaxt, schalt er sich in Gedanken und konzentrierte sich vollends auf seinen Gegner. Die beiden Kontrahenten umkreisten sich vorsichtig, jeder auf eine Schwäche des Gegners lauernd. Noch zeigte keiner der beiden Auswirkungen des harten Duells. Die Rüstungen der beiden waren makellos schwarz und glatt, ihre Klingen ohne Scharten.
Doch keiner der beiden ließ sich davon zur Unvorsichtigkeit verleiten. Sie kannten die Stärke des anderen und jeder würde sich hüten, den ersten und wahrscheinlich letzten Fehler zu machen. Ihre Bewegungen waren erfahren und sicher.
Auf der einen Seite das elegante, schlangenhafte Tänzeln des Tempelkriegers, dessen Muskeln jederzeit bereit waren, die Bewegung abzubrechen und in einen Sprung nach hinten oder zur Seite umzuleiten. Auf der anderen Seite das feste, kraftvolle Auftreten des Chaosgenerals, der nur darauf zu warten schien, die Entfernung mit einem Schritt zu überwinden und seine Axt im Schädel des Druchii zu begraben.
Schwert gegen Axt. Eleganz gegen Standhaftigkeit. Schnelligkeit gegen Stärke.
Sie waren einander ebenbürtig, jeder auf seine Weise. Völlig verschieden in ihrem Wesen und dennoch gleich. Zwei Erwählte ihrer Götter, Helden ihrer Völker, Meister des Kampfes. Es durfte nur einen Sieger geben, aber es konnte keiner triumphieren.
Sisrall warf seine Schwerter von sich, hoch in die Luft.
Die Zeit schien stillzustehen. Yetail sackte in sich zusammen. Sisrall gab auf. Das war unmöglich. Der Erwählte des Khaine, ihr Bruder, ihr Gefährte. Er warf seine Waffen von sich!? Gestand die Überlegenheit seines Gegners ein?!
Ihr Zauberstab entglitt ihren erstarrten Händen, ohne dass sie es merkte. Ihr Blick galt allein den beiden Klingen, die hoch in die Luft stiegen, folgte ihnen wie die Augen tausender anderer überall auf dem Schlachtfeld.
Slonish ließ seinen Runenstab sinken und starrte ungläubig auf das Schauspiel, das sich dort auf der andere Seite der Hügel abzeichnete. Der Held der Druchii, der Vernichter des Blutdämons, der Champion eines Gottes gab auf!?
Der alte Ork wusste von der Bedeutung der göttlichen Krieger in diesem Krieg. Er selbst war der Auserkorene des Mork, jenes Gottes der Orks, der ihnen die Kontrolle über die mächtige Waaagh-Magie schenkte, die keinem anderen Volk gehorchte.
Und er wusste, dass das Schicksal der Druchii so gut wie entschieden war. Ihr Gotteskrieger hatte versagt und nahm die Niederlage hin. Damit waren sie geschlagen. Ohne die Macht ihres Gottes würden sie niemals gegen die Stärke zweier anderer Erkorener bestehen.
Es schien, als hätte diese eine Bewegung, welche die Schwerter in die Luft befördert hatte, das Schicksal des gesamten Krieges, des ganzen Landes und womöglich der gesamten Welt entschieden. Die Druchii hatten versagt.
Nerglots rote Augen hätten geblinzelt, wäre er dazu noch in der Lage gewesen. Vor nicht einmal drei Stunden hatte er die reine Macht dieses Kriegers gespürt und jetzt musste er mit ansehen, wie er seine Waffen von sich warf, den Kampf aufgab, sein Volk verriet!?
Nerglot verfluchte still die Sterblichen und ihre schwachen Herzen. All seine Pläne, seine Rache, seine Chancen wurden in diesem Moment so leicht weggeworfen wie jene beiden Schwerter. Wenn das Volk der Druchii gebrochen wurde, wie sollte er dann jemals an Ephingis herankommen? Wie sollte er … nein, das war undenkbar.
Doch es schien, als hätten ihn die Rachegötter verlassen, seine Pläne wurden von einem Sterblichen zerschmettert. Früher hätte sich Nerglot nicht entscheiden können, ob er weinen oder schreien sollte, Verzweiflung oder Zorn offen zeigen sollte. Heute konnte er weder das eine noch das andere.
Sein Schicksal wurde nicht mehr von ihm selbst entschieden.
Yetails Sicht verschwamm, als ihre Augen feucht wurden. Das durfte nicht sein. Sisrall durfte nicht so gehen, nicht jetzt, nicht so, so nutzlos. Ihre Hand krallte sich in Septmas Schulter, ohne dass sie es merkte. Sie wollte weglaufen, den Tatsachen entgehen, dass Sisrall verloren, aufgegeben, sich dem Schicksal ergeben hatte. Sie wollte wegsehen, nicht erleben, wie Drrochaal vorstürmen und dem einzigen Druchii, der ihr etwas bedeutete, das Leben nehmen würde.
Doch sie blieb. Sie konnte sich nicht bewegen. Sie konnte die Augen nicht von den beiden Klingen lösen, die sich in eleganten, schwarzen Bögen in den Himmel schraubten. Immer höher und höher, bis sie schließlich innerhielten und zu Boden rasten.
Yetail wusste, dass Sisrall tot sein würde, bevor sie unten ankamen.
Blutklinge war wie betäubt. Wie alle anderen im Lager des Chaos, der Druchii und der Orks, wie tausende Krieger auf dem Schlachtfeld, Hexen, Reiter, Schützen, Soldaten, verfolgte auch er sprachlos den Flug der beiden Schwerter, die soeben seine Handflächen verlassen hatten.
All seine Macht, seine Stärke, seine Schnelligkeit, seine von Khaine verliehenen Gaben waren nutzlos. Seine Waffen waren weg, der Kampf verloren. Sisrall hatte die Instinkte des Erwählten beiseite gedrängt, den Kampf übernommen und diese aberwitzige Tat begangen.
Blutklinge war entsetzt. Der zwölfte der Kinder des Mordes, der Letzte, der Bedeutendste ließ seine Waffen fahren und gab sich der Niederlage hin? Der Tod war gewiss, ein solcher Fehler wurde nicht verziehen, er hatte versagt, Khaine hatte sich geirrt.
Von dieser Erkenntnis erschüttert, zog sich Blutklinge in sich selbst zurück und überließ es dem Selbst des Tempelkriegers, die Folgen seiner Dummheit zu bezahlen.
Yetail brach zusammen, als sich die Klingen zur Erde neigten und wie die Richtschwerter des Schicksals niederfuhren. Sie konnte es nicht mit ansehen. Sie konnte es nicht fassen. Sie spürte kaum, wie ihre Knie den Boden berührten, realisierte einfach nicht, was dort geschah.
Doch selbst im Knien, während sie die Hände vors tränenüberströmte Gesicht hielt, konnte sie den Blick nicht von den beiden pechschwarzen Schwertern lösen, die immer schneller in Richtung Boden schossen, angetrieben von der gnadenlosen Gültigkeit der Zeit, die langsam aber unaufhaltsam verging, so sehr Yetail auch wünschte, der Augenblick, den sie fürchtete, würde niemals eintreten.
Die Klingen sollten den Boden niemals erreichen.