So, weitergehts. Ich poste den Teil deshalb jetzt schon, weil ich in wenigen Stunden wegfahre. Ich habe beschlossen, den Laptop nicht mitzunehmen, kann also nicht weiterschreiben. Den nächsten Teil wird es entweder Mittwoch Abend oder Donnerstag geben, danach ist dann für längere Zeit Pause, weil ich in Urlaub bin. Nur damit ihr schonmal Bescheid wisst.
Auf den Trümmern der Mauer
Naggarond; Naggaroth
2567 IC; 8.Vollmond
Ein Keuchen entrang sich Reckdis Kehle, als er spürte, wie arkane Wellen über ihn hinwegfegten. Am anderen Ende des Mauerabschnitts explodierte der Turm, als der Hüter der Geheimnisse brennend im Warp verschwand. Bluthand wurde auf das Schlachtfeld geschleudert und landete bewusstlos im verbrannten Gras.
„Ihr seid Reckdis, Fürst der Khainler, oder?“, fragte eine Stimme in seiner Nähe und der Piratenfürst wandte den Kopf um. Eine junge Zauberin, kaum mehr als eine Novizin, stand neben ihm. Er musterte sie. Sie war attraktiv, aber nicht überdurchschnittlich. Dennoch machte sie die Intelligenz, die aus ihren Augen sprach, sehr anziehend. Er schob derartige Gedanken beiseite und nickte.
„Der bin ich. Mit wem habe ich die Ehre?“
Die Novizin fühlte sich anscheinend geschmeichelt, doch sie antwortete ruhig und neutral.
„Ich bin Yucalta, Novizin der Bluthand. Meisterin Bluthand hat mich ausgesandt, Euch zu finden, sobald die Schlacht vorbei ist. Sie wollte wissen, ob Ihr überlebt habt. Seid Ihr noch am Leben?“
„Falls ich nicht unbemerkt von unserem rätselhaften Verbündeten wiederbelebt wurde, bin ich noch lebendig, ja.“, antwortete Reckdis. Die junge Frau nickte und trat an die Zinnen. Dann seufzte sie. „Sieht nicht so aus, als könnte ich es Bluthand in nächster Zeit erzählen.“
Reckdis trat neben sie. „Erlaubt mir die Frage, Yucalta. Aber gehört Eure Meisterin Bluthand zu den Kindern des Mordes? Und wo kommen sie überhaupt her?“ Die Novizin überlegte kurz, vermutlich wie viel sie preisgeben konnte, dann antwortete sie.
„Bluthand ist das dreizehnte Kind des Mordes, nicht von Khaine erwählt sondern von Blutklinge dazu erhoben. Sie war es, die die Kinder des Mordes zurückgerufen hat. Ich weiß nicht wie oder weshalb alle anderen Erwählten dieses Zeichen aus Gold auf ihrer Stirn haben. Aber wir haben ihr diesen Sieg zu verdanken. Nun entschuldigt mich bitte, ich sollte feststellen, wie es dem Rest der Magier geht.“ Damit verschwand sie. Reckdis konzentrierte sich auf die Krieger in seiner Nähe.
Überall machte sich Erleichterung breit. Es war vorbei. Der dritte Tag der Schlacht, der bislang härteste und verlustreichste Tag ging zu Ende. Und Naggarond war nicht gefallen. Doch der Preis war tödlich. Reckdis presste die Hand auf seine Wunde, als er sich leicht schwankend aufrichtete, um über die Zinnen zu spähen. Das gesamte Schlachtfeld bis hin zu den Hügeln war nichts als Asche und verbrannte Erde, so sehr hatten die drei Duelle dem Land zugesetzt.
Blutklinge und Drrochaal hatten beinahe einen ganzen Hügel dem Erdboden gleichgemacht, auch wenn Reckdis bezweifelte, dass sie das im Eifer des Gefechts überhaupt gemerkt hatten. Doch jedes Mal, wenn ihre Waffen aufeinander getroffen waren, hatte die magische Entladung Gras und Erde hinweggefegt.
Bluthand und der Hüter der Geheimnisse hatten am schlimmsten gewütet. Der Turm und beinahe zwei Mauerabschnitte waren kaum mehr als rauchende Trümmer, übersät mit Asche und Leichen. Häuser waren zerrissen oder in Brand gesteckt worden und alles in einem Umkreis von einer halben Meile war von der unglaublichen Hitze versenkt worden. Vor der Mauer gab es nichts Lebendiges mehr.
Doch es hatte noch ein weiteres Duell gegeben. Szar’zriss hatte in der Luft über dem Orklager einen schweren Kampf gegen den Lindwurm des Ork-Bosses geführt. Auch wenn der gewaltige Drache überlegen gewesen war, so hatte sein kleinerer Gegner ihn durch schiere Beweglichkeit doch arg in Bedrängnis gebracht. Die zahllosen Flammenzungen, denen der Lindwurm ausgewichen war, hatten weite Landstriche zu Asche verbrannt. Letztendlich hatte Szar’zriss es aber geschafft, seinen Kontrahenten zu packen und zu Boden zu schleudern, wo er ihn dann mit seinen scharfen Klauen zerhackt hatte.
Reckdis Blick fiel auf die schwarze Masse der Tempelkrieger. Ohne die heiligen Krieger wäre der Tag verloren gewesen, das war ihm klar. Ohne Khaines Streiter wären er und alle Verteidiger der Stadt inzwischen tot.
Jetzt wanderten die Kämpfer des Tempels langsam über das Schlachtfeld und suchten nach Überlebenden. Die Feinde waren inzwischen geflohen, kampfesmüde angesichts solch überlegener Gegner. Ihre Moral musste ebenso am Boden sein wie die der Druchii vor weniger als einer halben Stunde. Die Kinder des Mordes standen reglos auf den Hügeln, ihre Haare und Umhänge flatterten im leichten Wind, von ihren Klingen tropfte das Blut ihrer Feinde.
Als Blutklinge, vorsichtig, anscheinend verletzt, blutverschmiert, aber mit dem Helm seines Feindes unter dem Arm, ihre Reihen erreichte, wandten sie sich um und bewegten sich langsam aufeinander und auf Naggarond zu. Reckdis hatte zum ersten Mal Gelegenheit, sie zu mustern.
Prunkvoll und doch schlicht war ihre Erscheinung. Sie hatten sich nicht mit kostbaren Rüstungen oder Schmuck geschmückt, aber ihr Anblick war beeindruckend. Sie alle waren verschieden. Es gab Männer und Frauen, sechs Männer, sieben Frauen. Nein, korrigierte sich der Piratenfürst. Zwölf Erwählte, also sechs Männer und sechs Frauen. Bluthand ist die Dreizehnte, die nicht von Khaine erwählt wurde.
Einige von ihnen trugen metallene Rüstungen, andere nur lederne Gewänder. Vereinzelt sah Reckdis Schilde, doch viele führten lieber zwei Schwerter. Einige trugen auch Zweihandwaffen. Zwei der Erwählten waren mit Äxten bewaffnet, doch Schwerter schienen beliebter zu sein. Ihre Gewänder waren in den unterschiedlichsten Farben gehalten. Dunkelrot, Grün, Violett, Braun, Blau. Alle Farben waren dunkel, wie es dem Khainetempel gebührte, doch schwarz war nur Sisrall.
Der Blick des Piratenfürsts wanderte zu Bluthand, die immer noch bewusstlos auf der aschebedeckten Erde zwischen den unzähligen Leichen lag. Ihre Haut schimmerte im schwachen Licht. Im Vergleich zu den Tempelkriegern war sie geradezu unnatürlich hell. Selbst die Bräute des Khaine waren dunkel. Ihre Haut war mit Blut beschmiert. Welche Rolle nimmt die junge Zauberin wohl im Kreis der Kinder des Mordes ein? Sie ist eine von ihnen, daran besteht kein Zweifel, und sie die Gefährtin von Blutklinge. Aber sie ist keine gute Kämpferin, doch noch nie war ein Magier ein Kind des Mordes. Außerdem ist sie von Natur aus eine helle Erscheinung. Welches wird wohl ihre Farbe sein?
Für die Khainler war die Farbe, mit der sich eine Person kleidete, mit der sie identifiziert werden konnte, sehr wichtig. Reckdis selbst trug verschiedene Farbtöne. Rot für seine fürstliche Stellung, wie jeder Khainler Silber in Form seiner Handschuhe für seine Verbindung zum Meer, ein wenig Gold für seine Rolle als Sturmrufer.
Wieder musterte er die Kinder des Mordes. Schwarz war ein Zeichen des Todes. Die Tempelkrieger trugen die dunklen Farben zu Recht. Dass die Erwählten andere Farben trugen, zeigte, dass sie über dem Tempel und seinen Kriegern standen, noch mehr in ihrem Leben sahen als allein den Tod. Dennoch waren ihre Gewänder so dunkel, dass es beinahe schwarz wirkte, deutlicher Hinweis auf ihre Verbindung zum Tempel. Nur Blutklinge trug schwarz. Nicht nur, auch Rot war dabei, aber das Schwarz dominierte. Seine Rüstung, seine Schwerter, sein Umhang, das alles war schwarz. Es zeigte, wie stark seine Verbindung zum Tempel war.
Bei Khaine, er ist perfekt für die Rolle als ihr Anführer. Das war zwar unbestreitbar, doch die Farbwahl bestätigte es. Schwarz war das einzige, das alle Kinder des Mordes miteinander und außerdem mit dem Tempel verband. Und Blutklinge war genau dieses Bindeglied.
Gold, dachte Reckdis plötzlich, als er an Yucaltas goldenen Halsreif dachte. Ja, Bluthands Farbe wird Gold sein, die Farbe der Magier und außerdem ein Kontrast zu ihrem Gefährten. Schon jetzt war ihr Stab aus Gold, ebenso wie die Zeichen in der Stirn der Erwählten; deutliche Erinnerungen daran, wer sie zurück ins Leben gerufen hatte. Auch ihre Rüstung trug Schimmer von Gold. Und täuschte er sich, ober leuchtete ihre Haut tatsächlich wie flüssiges Gold?
Als die Kinder des Mordes Bluthand erreichten, konnte Blutklinge beinahe wieder normal laufen. Er gab den Helm von Drrochaal einem der anderen Erwählten, bückte sich, untersuchte seine Gefährtin kurz und hob sie dann vorsichtig hoch. Dann kehrten die Tempelkrieger nach Naggarond zurück.
„Wie steht die Schlacht?“, fragte eine leise, vertraute Stimme. Viverla’atar war anscheinend wieder wach. Darmal spürte Erleichterung. Er hatte sich bereits gefragt, ob die junge Frau jemals wieder aus ihrem Schlaf erwachen würde. Er wandte sich vom Panorama des verbrannten Schlachtfeldes ab, ließ den Blick kurz über die Leichen auf dem Wehrgang schweifen und betrat dann den Turm, wo er Viverla’atar zurückgelassen hatte, bevor er sich ins Schlachtgetümmel gestürzt hatte.
Wie viele Feinde habe ich erschlagen? Zwanzig? Vierzig? Mehr? Mehr als hundert? Orks, Gobblins, Chaosbarbaren, Chaoskrieger, Dämonen, er hatte irgendwann aufgehört zu zählen. Doch noch immer war er unverletzt, abgesehen von ein paar Kratzern. Tausende, Druchii, Orks und Chaosanhänger gleichermaßen, hatten weniger Glück gehabt. Viel weniger.
„Die Schlacht ist vorbei.“, erwiderte er beruhigend, während er neben Viverla’atar niederkniete. Sie sah schon wesentlich besser aus als noch vor zwei Stunden. Während er berichtete, erhob sie sich und ließ sich von ihm an die Zinnen führen. „Es war wirklich knapp. Die mittleren Mauerabschnitte waren schon beinahe überrannt. Überall wurden die Verteidiger überwältigt. Am schlimmsten wurde es, als die Dämonen direkt auf der Mauer und in den Türmen erschienen sind. Gewonnen, oder sagen wir lieber überlebt, haben wir nur, weil die Tempelkrieger endlich eingegriffen und die Schlacht gewendet haben.“
Darmal hatte beschlossen, Viverla’atar nichts von Blutklinge oder den seltsamen Kämpfern zu erzählen, die das Heer des Tempels angeführt hatten. Die junge Frau hatte es schon schwer genug, es war besser, wenn sie davon ausging, dass ihr ehemaliger Geliebter tot war. Ihr zu erzählen, wie er die Magierin, die selbst auf die Entfernung und in halbtotem Zustand noch wunderschön gewesen war, vom Schlachtfeld getragen hatte, würde ihr das Herz brechen. Ob das die Gefährtin war, von der Silberstich gesprochen hatte?
„Dieses Feld…“, begann Viverla’atar, brach dann jedoch ab. Darmal wartete geduldig. Er spürte, dass sie etwas sagen wollte, das sie bewegte. Und sie hatten ja Zeit. Die Sonne würde erst in ein oder zwei Stunden untergehen und so kalt war es hier oben nicht.
„Ich sehe es jede Nacht in meinen Träumen. Seit jener Nacht, in der mir Sisrall genommen wurde.“ Sie stockte kurz, fasste sich jedoch schnell wieder. „Immer wieder wandere ich über dieses Feld, barfuß auf der verbrannten Erde. Ich schmecke die Asche in der Lunge, rieche die verwesenden und verbrennenden Leichen und sehe die verzerrten Überreste ehemals stolzer Rüstungen und Schwerter.
Ich suche nach etwas. Manchmal weiß ich selbst nicht, was es ist, manchmal ist es ganz klar. Ich suche Sisrall, ich suche Erlösung im Kampf, ich suche Rettung für meine geschlagene Seele, indem ich anderen Druchii Hilfe bringe, ich suche Vergessen. Doch stets finde ich nur Tod. Die Verletzten, die zu heilen will, sterben unter meinen blutigen Händen, ich sehe Sisrall, wie er getötet wird, weil ich ihn ablenke, ich sehe mich selbst sterben.“
Sie sah ihn an. Ihre Augen glitzerten feucht und ihre Lippen bebten. „Manchmal sind die Träume so schrecklich, dass mir am Morgen danach schlecht ist. Ihr habt mich einmal erwischt, als wir in der Nähe von Ghrond gelagert haben. Und jede Nacht kommen diese Träume. Es gab nur eine Nacht, in der sie mich nicht gequält haben.
Erinnert Ihr Euch noch? Als wir Merlan getroffen haben? Den Boten, der den Flüchtlingen die Nachricht vom Abzug des Chaosheeres bringen sollte? Wir haben uns betrunken und haben dann miteinander geschlafen.“
Darmal ertappte sich dabei, wie er sich umwandte, ob jemand zuhörte. Natürlich erinnerte er sich noch. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Viverla’atar kam ihm zuvor. „Ich weiß, was Ihr sagen wollt. Aber ich weiß, dass es nicht der Rausch war, der die Träume ferngehalten hat. Es war Eure Nähe, Darmal. Vermutlich schämt Ihr Euch immer noch für jene Nacht, aber es war nichts Schlimmes. Ihr seid ein starker Mann und ein guter Freund. Ihr habt etwas für mich getan, dessen Wert ich es später erkannt habe.“
Darmal schwieg. Er blickte gedankenverloren über das Schlachtfeld. So viele waren gestorben, damit er und einige anderen noch am Leben waren. Hatte er wirklich nichts Besseres zu tun, als sich über eine Liebesnacht zu unterhalten? Doch auch für ihn hatte diese Erfahrung mehr Bedeutung, als er am Anfang gedacht hatte.
„Ich habe lange nicht mehr darüber nachgedacht.“, gab Darmal zu. „Ich habe versucht, es zu vergessen, weil ich dachte, ich hätte Euch damit beschämt. Immerhin hattet Ihr kurz zuvor Euren Geliebten verloren. Doch auch ich habe später festgestellt, dass diese Nacht etwas verändert hat. Seit damals spüre ich die Einflüsterungen des Chaos nicht mehr. Sie sind wieder stärker geworden, vor allem heute, bei so viel Kampf. Doch seit dieser Nacht ist es einfacher, die Kontrolle zu behalten.“
„Ihr habt gefürchtet, Ihr hättet der Wildheit im Bett mit mir nachgeben können, oder?“
„Ja. Und da ich mich nicht erinnern konnte, was genau geschehen war, hatte ich umso größere Sorgen. Das war ein Grund, weshalb ich versucht habe, die Angelegenheit zu vergessen. Mir ist erst später aufgefallen, wie ruhig das Chaos ist.“
Viverla’atar blickte ebenfalls über die verbrannten Hügel. Die untergehende Sonne ließ ihr Haar funkeln. Das Ledergewand betonte ihren schlanken Körper. Darmal musste zugeben, dass sie wirklich gut aussah.
„Habt Ihr Lust?“, fragte Viverla’atar und riss Darmal aus seinen Gedankengängen. Es dauerte eine Weile, bis der Druchii begriff. Mit großen Augen starrte er die Jägerin an. Sie wand sich verlegen. „Ich meine, es würde uns beiden helfen. Ich kann ruhig schlafen, sodass ich morgen vielleicht sogar kämpfen kann. Und Ihr hättet wieder Ruhe vor dem Chaos. Und es ist das beste Mittel, um diesen Alptraum von einer Schlacht für ein paar Stunden zu vergessen.“
Darmal lächelte, als er an die wenigen Erinnerungen jeder Nacht dachte. Es waren sehr angenehme Erinnerungen. „Keine Liebe, nur zur Ablenkung und zum gegenseitigen Nutzen?“, fragte er mit einem Zwinkern. Viverla’atar lachte erleichtert. Vermutlich, weil er ihre Idee angenommen hatte.
„Liebe können wir uns während der Schlacht nicht leisten. Aber ein paar Stunden können wir uns doch zusammen gönnen. Wer weiß, vielleicht sind wir morgen schon tot. Also los, lass uns keine Zeit verlieren. Mal sehen, wo wir ein Quartier für die Nacht finden.“