so ... ich mache mal weiter ...
Die Winde der Magie
Naggarond; Naggaroth
2567 IC; 8.Vollmond (4.Tag)
Ein schwaches Beben durchlief den Boden, als der gewaltige dunkelrote Drache aufsetzte. Asche, Erde und verbranntes Gras wurden durch den Wind der Flügelschläge hinweggefegt, dann wurden die Schwingen mit majestätischer Anmut gefaltet und an den Körper gelegt. Szar’zriss hockte sich flach auf den niedrigen Hügel und legte den Kopf auf die Vorderbeine. Bluthand saß scheinbar gelangweilt auf seinem Rücken.
Yucalta schüttelte den Kopf. Die Sorglosigkeit ihrer Meisterin erstaunte die junge Frau. War sie sich derart sicher, dass die Elfen gewinnen würden? Dass niemand ihr etwas anhaben konnte? Wenn er schnell und geschickt vorginge, wäre selbst ein schwacher Magier in der Lage, sie zu töten. Manchmal konnte ein einziger Moment der Unachtsamkeit fatal enden.
Die junge Novizin konzentrierte sich auf die Winde der Magie und hätte beinahe laut aufgelacht. Natürlich, so selbstsicher und unantastbar Bluthand auch auftreten mochte, sie war weder dumm noch lebensmüde. Um den gesamten Hügel, auf dem Szar’zriss lag, spannte sich eine arkane Barriere, mit den Augen kaum wahrnehmbar. Und Yucalta war sich beinahe sicher, dass ihre Meisterin in diesen Schild noch eine Falle eingewoben hatte. Ganz sicher würde jeder Zauberer, der versuchen sollte, ihre scheinbare Sorglosigkeit auszunutzen, eine böse Überraschung erleben.
Ebenso wie Ephingis, ging es ihr durch den Kopf. Auch der Chaoshexer hatte seinen Gegner unterschätzt und war sich seiner eigenen Fähigkeiten allzu sicher gewesen. Nun war von ihm nicht mehr übrig als ein Haufen Asche. Wieder schüttelte Yucalta den Kopf. Es war ein unvergleichliches Duell gewesen, ein Kampf zwischen zwei der mächtigsten Zauberern, die sie je gesehen hatte, beide tausende Jahre alt, gesegnet mit der Macht ihrer Götter, fähig gewaltige Bestien zu rufen und die Magie um sie herum an sich zu reißen.
Doch das Ende war beinahe enttäuschend gewesen. Yucalta hatte irgendetwas Spektakuläres erwartet, vergleichbar mit dem Ausgang des Duells, das Bluthand gegen den Hüter der Geheimnisse ausgefochten hatte. Ihre Fantasie hatte ihr so einiges gezeigt. Sie hatte sich nicht entscheiden können, was wahrscheinlicher war: dass Ephingis, sollte er verlieren, in einem gewaltigen Lichtblitz explodieren oder durch einen Riss zwischen den Welten in den Warp gesogen werden würde, während grässliche Dämonen selbigen verlassen würden.
Sie hatte kaum glauben können, dass das Duell vorbei war, als Nerglots Lichtblitz den Schamanen traf und einfach verbrannte. Erst, als die Kugel aus überweltlicher Macht zerstoben war, hatte sie eingesehen, dass Ephingis nicht plötzlich wieder auftauchen würde.
Zum dritten Mal schüttelte sie den Kopf, dieses Mal, um ihre Gedanken in die Gegenwart zurückzuholen. Sie blickte kurz zu Bluthand und beschwor dann eine Leuchterscheinung in deren Nähe. Das war ein Zauber, den sie bereits mühelos beherrschte, zu ihrem eigenen Stolz sogar besser als viele andere Novizen. So war sie in der Lage, die arkane Gestalt ausweichen zu lassen, als Szar’zriss nach ihr schnappte.
„Habt Ihr Anweisungen für mich, Meisterin?“, fragte sie durch die Leuchterscheinung. Bluthand blickte sich um, fand sie und schuf dann selbst eine magische Figur kurz vor ihr. „Nein, Yucalta. Hilf Reckdis und den übrigen Magiern so gut du kannst.“, erklang ihre Stimme leicht verzerrt aus der Erscheinung.
„Was werdet Ihr tun?“
„Ich warte. Sobald einer der feindlichen Hexer den Fehler macht, seine Position zu verraten, werde ich zuschlagen. Bis dahin … Manchmal ist Geduld der Schlüssel zum Sieg.“
Yucalta frage sich, wann ihre Mentorin das gelernt hatte, verkniff es sich jedoch, darauf hinzuweisen, dass es Yetail gewesen war, die sie beinahe im Zorn von ihrem Balkon geschleudert hatte. Stattdessen nickte sie nur und ließ ihre Leuchterscheinung verblassen. Bluthands verschwand einen Herzschlag später.
Als sie sich wieder der Schlacht zuwandte, bemerkte sie, dass der Fürst der Khainler sie musterte. Er ruckte mit dem Kopf in Richtung Szar’zriss und fragte sie dann: „War das deine Leuchterscheinung eben?“
„Ja, Herr.“, erwiderte die junge Novizin überrascht.
„Ich erinnere mich an dich. Du warst diejenige, die gestern in Bluthands Auftrag nach mir gesucht hat. Yucalta, richtig?“
Sie lächelte und nickte.
„Gut Yucalta, komm her!“, wies Reckdis sie an. Sie erstarrte kurz, überrascht von seiner Anweisung, fing sich dann jedoch schnell wieder und trat ein paar Schritte vor, bis sie neben ihm stand. Er deutete in Richtung des Orkheeres.
„Dort ist Golbot Monsta’Töta, der Waaagh-Boss der Grünhäute. Er wird von den Schamanen des Chaos gegen magische Angriffe verteidigt. Anscheinend wissen sie, dass die Orks ohne ihren Anführer … unkoordiniert werden könnten. Die Autarii haben den Auftrag, ihn zu töten, doch sie kommen nicht an ihn heran. Wie würdest du versuchen, ihn zu töten?“
Ein wenig überrascht von der Frage, starrte sie ihn an. Fragte er wirklich sie nach einem Weg, den Orkboss unschädlich zu machen? Warum sie? Dann schob sie die Fragen beiseite, als ihr die Worte ihrer Meisterin wieder einfielen. Hilf Reckdis und den übrigen Magiern so gut du kannst. Also senkte sie den Blick auf das Schlachtfeld und überlegte, welche Möglichkeiten sie hatten.
„Ich denke, es wäre das Klügste, die Grünhäute zwischen Golbot und den Autarii zu beseitigen.“
Reckdis nickte. „Ja, aber die Lücke würde sich schnell wieder schließen.“
Yucalta runzelte die Stirn. „Also müsste jemand dafür sorgen, dass die Autarii genau im richtigen Moment losreiten. Wenn sie zu früh dort sind, würden sie von den Zaubern erfasst. Wenn sie zu lange brauchen, kommen sie nicht durch die Masse der Orks.“
Sie überlegte, dann erhellte sich ihr Gesicht. „Man müsste also den Autarii, oder vielmehr einer Gruppe von ihnen sagen, dass sie angreifen sollen. Dann müssten sie versuchen, genau hinter dem Zauber zu bleiben, während dieser die Grünhäute tötet oder beseitigt. Das sollte ja nicht schwer sein.“
Reckdis legte die Stirn in Falten, während er darüber nachdachte. Dann nickte er. „Das könnte funktionieren. Aber es gibt ein Problem: Ich könnte einen Zauber sprechen, der einen mächtigen Sturm ruft. Damit könnte ich eine Schneise in die Masse der Orks treiben. Aber die Autarii würden diesen Zauber nicht sehen und sie können ebenfalls erfasst werden.“
Yucalta nickte. „Jemand müsste sie also führen.“ Dann lächelte sie und blickte Reckdis an. „Ich könnte eine Leuchterscheinung erschaffen und sie kurz hinter den Zauber her schweben lassen. Dann wissen die Reiter, wie weit sie dürfen, ohne in Gefahr zu sein.“
„In Gefahr werden sie so oder so sein, wenn sie von hunderten Orks umgeben sind, aber ich denke, das würde gehen. Aber kannst du den Sturm denn sehen?“
Sie nickte. „Ja, ich kann die Winde der Magie sehen. Ich sehe auch den Schild um Bluthands Drachen.“
Reckdis runzelte die Stirn, blickte zum Hügel, auf dem Szar’zriss hockte, dann schloss er die Augen. Sein Gesicht furchte sich vor Konzentration, dann blickte er sie überrascht an. „Tatsächlich, du hast recht.“ Er bedachte sie noch mit einem seltsamen Blick, dann schüttelte er den Kopf, murmelte irgendwas mit „Khaine“ und widmete sich wieder ihrer Aufgabe.
„Kommst du bist dort hinten? Es ist ziemlich weit weg.“
Yucalta konzentrierte sich und streckte ihre magischen Sinne aus. Am Waldrand, nahe einer Gruppe Autarii formte sich eine leuchtende, formlose Gestalt. Lächelnd blickte sie zu Reckdis auf. Er nickte zufrieden.
„Also gut. Lass es uns versuchen. Ich bereite mich jetzt auf den Zauber vor und du erklärst der Gruppe, was sie zu tun haben. In Ordnung? Aber lass sie noch nicht losreiten. Ich werde den Zauber über der Wiese erschaffen und dann erst in Richtung der Orks bewegen. Das macht es einfacher, die Reiter hinterher zu lotsen.“
Yucalta nickte und versuchte, angesichts dieser wichtigen Aufgabe nicht zu aufgeregt oder zu stolz zu wirken. Reckdis befahl den übrigen Magiern, ihre Angriffe zu verstärken und die Aufmerksamkeit des Feindes zu binden. Dann schloss er die Augen und Yucalta machte sich daran, den Autarii durch ihre Leuchterscheinung zu erklären, was sie zu tun hatten.
Die Reiter konnten nicht auf gleichem Wege antworten. Stattdessen zeigten sie, dass sie verstanden hatten, indem sie sich hinter der Leuchterscheinung zu einem Keil formierten, ihre Waffen bereitmachten und dann in die Luft reckten.
Plötzlich wurde das Gras vor den Reitern aufgepeitscht und Yucalta widmete ihre Aufmerksamkeit den Winden der Magie. Es war nicht schwer, die Leuchterscheinung nebenbei zu steuern. Sie erkannte Reckdis Zauber. Er wirbelte die Winde der Magie wie ein richtiger Sturm durcheinander, während er sich erstaunlich schnell in Richtung des Orkheeres bewegte. Yucalta lenkte ihre Erscheinung hinterher. Die Autarii folgten sofort.
Dann traf der Sturm, den Reckdis gerufen hatte, auf die Reihen der Grünhäute. Sie wurden wie Spielzeug in die Luft gehoben, herumgewirbelt und in die eigenen Reihen geschleudert. In weitem Umkreis verloren Orks das Gleichgewicht, wurden zu Boden oder in die Höhe gezogen und schlugen anderorts wieder auf. Ein gewaltiges Chaos entstand, auch wenn der Sturm selbst nur wenige Opfer forderte. Orks waren zäh, wie Yucalta inzwischen gelernt hatte. Die meisten würden mit ein paar Knochenbrüchen oder Prellungen davonkommen.
Die Autarii stürmten furchtlos in die entstandene Lücke. Armbrüste wurden gehoben und auf beiden Seiten fielen die Orks, die der Sturm verschont hatte und die nun versuchten, die Bresche zu schließen. Es klappt, dachte Yucalta halb überrascht halb erfreut.
Der Wirbelsturm hatte Golbot beinahe erreicht. Nur noch wenige Grünhäute standen zwischen ihm und den herannahenden Elfen. Sie blickten beinahe panisch um sich. Dann fielen Yucalta, die noch immer die Winde der Magie beobachtete, zwei Dinge auf.
Zum einen verhielten sich die arkanen Strömungen innerhalb der Gruppe der Autarii sehr seltsam. Es schien fast, als mieden einige der Winde einen der Reiter, während andere gerade dessen Nähe suchten. Er war von einem Halo aus violetten und schwarzen Wellen umgeben. Und nun schien es, als würde aus diesen Wellen etwas emporsteigen. Vielleicht war es nur Yucaltas übertriebene Fantasie, aber sie glaubte, lange spinnenartige Beine aus dem Herzen des Halos brechen zu sehen.
Doch sie konnte das seltsame Phänomen nicht länger beobachten, denn es gab noch etwas Anderes in den Bewegungen der magischen Winde, das ihre Aufmerksamkeit erforderte. Mit unglaublicher Geschwindigkeit raste eine gewaltige arkane Entladung auf sie und Reckdis zu. Irgendeiner der Magier hinter ihr errichtete einen Schild, um auf den Angriff zu reagieren, doch Yucalta sah die Stärke des gegnerischen Zaubers und wusste, dass es nicht reichen würde.
Panisch reagierte sie ohne zu überlegen. Sie öffnete die Augen, packte Reckdis Arm und warf sich zur Seite, sodass sie ihn mit sich zog. Versunken in seinen Zauber war er zu überrascht, um sich zu wehren, und bevor sie beide auch nur auf den Boden aufschlugen, gab es einen gewaltigen violetten Lichtblitz und einen ohrenbetäubenden Knall. Heiße Luft und staubtrockene Erde wurden Yucalta ins Gesicht geweht.
Irgendein kluger Teil von ihr realisierte, dass sie viel länger fiel, als eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Doch kaum hatte sie das festgestellt, schlug sie auch schon auf den Boden auf. Der Aufschlag trieb ihr die Tränen in die Augen und die Luft aus der Lunge. Reckdis landete schwer auf ihrem Rücken und ihren ohnehin schon schmerzenden Beinen.
Sie atmete nur zweimal tief ein, wobei sie feststellte, dass die Luft verbrannt roch, dann versuchte sie aufzustehen. Obwohl scheinbar jeder ihrer Knochen schmerzte, schaffte sie es, sich von der Last des Piratenfürsten zu befreien und sich aufzurichten, bis sie auf ihren Knien hockte.
Sie war ein ganzes Stück von ihrer vorherigen Position entfernt. Anscheinend hatte die magische Entladung sie weit durch die Luft geschleudert. Besser, als wenn sie uns getroffen hätte. Unwillkürlich wandte sie sich dem Schlachtfeld zu, um zu sehen, ob der unbekannte Zauberer erneut angriff, nun da die erste Attacke fehlgeschlagen war. Sie konnte jedoch nur noch einen gewaltigen Flammenkegel inmitten des Chaosheeres erkennen, der gerade in sich zusammenfiel und einen geradezu widerlich perfekten Kreis aus Asche hinterließ.
Sobald einer der feindlichen Hexer den Fehler macht, seine Position zu verraten, werde ich zuschlagen, gingen ihr Bluthands Worte durch den Kopf. Es war nicht schwer zu erraten, wer für dieses Inferno verantwortlich war. Anscheinend hatte ihre Meisterin mal wieder ihre Macht demonstriert.
Dann erklang ein schmerzerfülltes Stöhnen hinter Yucalta und sie wandte sich um. Reckdis hatte sich bald aufgerichtet und sah sich desorientiert um. Als ihr Blick über seinen Körper wanderte, musste sie sich stark konzentrieren, um sich nicht zu übergeben.
Seine Rüstung war teilweise geschmolzen, die Gewänder darunter kaum mehr als versengte Fetzen. Doch das war nicht das Schlimmste. Die Haut auf seiner Brust und seinen Beinen war stark gerötet, aber sein ganzer linker Arm war kaum mehr als Teil eines lebenden Körpers erkennbar. Die Schulter und ein Teil seines Gesichts waren mit Brandblasen bedeckt, alles darunter war schwarz verbrannt.
Als sein Blick auf die Überreste der Gliedmaße fiel, weiteten sich Reckdis Augen. Anscheinend verspürte er noch keinen Schmerz, aber das würde bald kommen, vermutete Yucalta. Sie behielt recht. Als er versuchte, seine Finger in der verbrannten Hand zu bewegen, verzerrte sich Reckdis Gesicht vor Pein. Die beschädigten Muskeln zitterten, gehorchten ihm aber nicht.
Es gelang Reckdis, den Kopf zu ihr umzudrehen, obwohl sie beinahe sehen konnte, wie seine verbrannte Haut auf der Schulter und am Hals protestierte. Er lächelte traurig und sah ihr fest in die Augen. Sie staunte über seine Willenskraft, die es ihm ermöglichte, den Schmerz zu ertragen.
„Danke, Yucalta. Du hast mir das Leben gerettet, vermute ich. Bist du in Ordnung?“
Zuerst wollte sie laut auflachen. Wie konnte er sich in seinem Zustand Sorgen um sie machen? Doch sie riss sich zusammen. Es war ihm wichtig, vermutete sie. Und sei es nur, um sich von seinem eigenen Schmerz abzulenken. Sie nickte.
„Mit tut jeder Knochen weh, aber ansonsten geht es mir gut.“ Sie lächelte schwach. „Ich denke, Fliegen ist nichts für mich. Und Ihr solltet beim nächsten Mal aufpassen, auf dem Ihr landet!“ Auch Reckdis lächelte, dann verzerrte sich sein Gesicht abermals vor Schmerz.
Eine Gruppe Heiler tauchte auf, sie trugen eine Bahre zwischen sich. Auch einer der Sturmrufer war dabei. Während sie Reckdis vorsichtig auf die Trage legten, griff er mit seiner gesunden Hand nach Yucaltas Arm. „Bitte finde heraus, ob unsere Bemühungen erfolgreich waren, dann erkläre Bluthand, was geschehen ist.“ Er unterbrach sich kurz, um tief durchzuatmen, als eine neue Welle aus Schmerz durch seinen Körper zu rollen schien. „Es wäre mir eine Freude, wenn du mir später erzählst, ob die Autarii es geschafft haben.“
Dann schloss er die Augen und Yucalta beobachtete, wie die Heiler den Khainler in Richtung Naggarond trugen. Es war ein harter Verlust für die verbliebenen Magier, aber immerhin konnte Bluthand sie unterstützen, falls es nötig werden würde. Und der Gegner hatte nun ebenfalls einen Magier weniger.
Sie seufzte, versuchte, den Schmerz in ihrem Körper zu ignorieren und schuf dann eine Leuchterscheinung in der Nähe von Szar’zriss, um Bluthand über die Vorkommnisse zu unterrichten. Als ihre Meisterin informiert und überzeugt war, dass Yucalta selbst unversehrt war, wandte sich die junge Zauberin wieder der tobenden Schlacht zu und versuchte herauszufinden, ob Reckdis Opfer vergebens gewesen war oder nicht.