Also, wie versprochen geht es jetzt weiter.
WICHTIG:
Ich möchte zu diesem Teil ein paar Worte sagen.
1. ich habe die Idee gehabt, zu jedem Kapitel ein Zitat geben, entweder von einer fiktiven Person oder von einer realen. Dazu gehören Sprichwörter, Weisheiten, Berichte, Gedichte, Songtexte und so weiter. Ich hoffe, dass ich damit die Atmosphäre des Kapitels untermauern kann und den Leser ein wenig auf die Geschehnisse des Teils einstimme.
Inzwischen habe ich alle Kapitel des 1. und 6. Teils bereits mit entsprechenden Zitaten versehen und etliche Kapitel zwischendurch, wo ich mehr oder weniger zufällig etwas Passendes gefunden habe.
Sagt einfach mal, wie es euch so gefällt.
2. Dieses Kapitel ist sehr gewagt. Es könnte sein, dass es heftige Kritik auslöst. Aber ich hoffte, so einiges zu erklären, was geschehen ist und außerdem einen Spannungsbogen zu den noch folgenden Geschehnissen zu schlagen. Ansonsten soll es einfach eine überraschende Enthüllung sein. Naja, seht selbst:
Ularsa Schicksalsweg
„Nicht der Silberstahl der bejubelten Krieger hat unser Volk groß gemacht, sondern die Voraussicht der unbekannten Weisen.“
—Aus Der Pfad der Druchii, Ularsa Schicksalsweg
Naggarond; Naggaroth
2567 IC; 8.Vollmond (5.Tag)
3 Stunden nach Mitternacht
Yetail starrte das kleine Buch an, das in ihren zitternden Händen lag. Doch so oft sie auch blinzelte, den Blick abwandte oder sich in Gedanken versicherte, dass sie nicht verrückt war oder träumte, die Schrift verschwand nicht. Das Buch, vor einem Monat noch voller Geheimnisse, eben auf unerklärliche Weise völlig leergefegt, sprach zu ihr!
Wundere dich nicht, Yetail Bluthand, tauchte eine weitere Zeile in dieser wundervollen, grazilen und auf unbestimmbare Weise geheimnisvollen Schrift auf. Yetail konnte beobachten, wie die Buchstaben nacheinander auf dem Pergament erschienen und sich zu Wörtern aneinanderreihten. Beinahe, als sehe sie demjenigen zu, der sie schrieb.
Während sich mehr und mehr Wörter über das Pergament zogen, glaubte Yetail, aus den Augenwinkeln ein grünliches Funkeln zu erkennen, der Farbe ähnlich, in der die Blutstropfen ihres Amulettes leuchteten, wenn sie ihre Kraft einsetzten. Außerdem sah sie in ihrem Geist das Gesicht eben jener Frau vor sich, als die Khaine in dem Grab unter den Tempelanlagen dargestellt worden war. Ihre Lippen schienen die Worte zu formen, die das Buch schrieb, doch kein Geräusch ertönte.
Ich bin für dich geschrieben, Yetail. Du gehörst mir, wie ich dir gehöre. Du siehst in mir, was ich dir zeigen möchte, und ich spüre deine Zweifel in deinen Gedanken. Und ich sehe Fragen, viele Fragen. Doch du wirst dich gedulden müssen. Dein Geist wird Klarheit erfahren, doch manche Dinge müssen ungewiss bleiben, während du andere erfahren musst, nach deren Wissen du nicht verlangst.
Ich werde dich mitnehmen auf eine Reise durch die Abgründe der Zeit und dir eine Geschichte erzählen — meine Geschichte. Denn vieles, was geschah und was geschehen wird, ebenso wie das, was in diesem Moment geschieht, wurde vorausgesagt, anderes geplant und drittes vorbereitet. Meine Pflicht ist es, dir zu zeigen, dass alles, was du erlebt hast, weder zufällig noch sinnlos war. Die Wurzeln all dessen liegen weit, weit in der dunklen Vergangenheit deines Volkes, junge Bluthand. Aber du wirst es verstehen.
Du kennst bereits die Geschichte des Splitterdrachens, der beinahe ganz Nagarythe in Schutt und Asche legte, bevor er von Kerkil, dem ersten Kind des Mordes besiegt werden konnte. Doch die Geschichten sind einseitig und ihre Schreiber kurzsichtig. Denn jene Zeit war auch meine Geburtsstunde, in jener Zeit, unmittelbar nach dem Tod des Drachens wurde ich geschrieben. Und meine Schöpferin war eine jener Personen, die eine große Rolle spielten, deren Namen aber in Vergessenheit gerieten. Dir möchte ich ihn nennen, weil er für dein Schicksal und das deines Volkes eine sehr große Rolle spielt: Sie hieß Ularsa Schicksalsweg.
Dir sagt der Name nichts, obgleich sie in den alten Geschichten vorkam, die von Emerlin verfasst wurden. Deine Novizin hat dir davon erzählt, nicht wahr? Nun, Ularsa war Kerkils Geliebte. Soweit Emerlin wusste, hat er sie verlassen, um sein Leben in den Dienst Khaines zu stellen. Was niemand weiß: Sie trug bereits seinen Spross unter dem Herzen und wurde damit zur Begründerin deiner Linie, eben jener Linie, aus der alle Kinder des Mordes hervorgingen.
Ularsa hatte aber noch weit mehr Bedeutung für das Schicksal: Sie trug ihren Namen nicht ohne Grund, denn sie war die letzte wirkliche Wahrsagerin der Druchii. Von ihr stammt auch die Prophezeiung über die Kinder des Mordes. Schon damals wusste sie von dir, der Dreizehnten, und dem Untergang der Zwölf. Und, was in keiner der unzähligen Schriftrollen der Bibliotheken der Sechs Städte überliefert ist: Ularsa war die Anführerin derjenigen, die Emerlin nach dem Tod Kerkils angreifen wollten und tot in seinem Haus aufgefunden haben.
Zumindest nach der offiziellen Version. In Wahrheit hatte Ularsa Glück: Sie fand Emerlin am Rande des Todes, aber noch mit einem Funken Leben im Körper. So konnte sie verwirklichen, was sie schon lange geplant hatte: Sie entriss dem Magier sein Wissen.
Du bist erstaunt? Du kennst den Zauber nicht, nur wenige tun das. Er ist mit der Zeit in Vergessenheit geraten. Und zwar aus gutem Grund: Zwar braucht man nur wenig magische Kraft dafür, aber kein sterblicher Geist ist dazu geschaffen, derart viel Wissen auf einmal aufzunehmen. Vielleicht könnte man diesen Zauber noch auf ein sechsjähriges Kind anwenden, ohne Schaden zu nehmen, aber jede weitere Menge führt zur Beschädigung des eigenen Verstandes.
Aber natürlich wusste Ularsa um die Gefahr und sie hatte sich vorbereitet. Ihr war klar, dass ihr eigener Verstand mit dem gewaltigen Wissen Emerlins nicht fertig werden würde. Aber sie besaß etwas, das dazu in der Lage war: Mich. Ich wurde dazu erschaffen, Wissen und Teile sterblicher Geister aufzunehmen. So blieben Ularsas Geist und Emerlins Weisheit in mir erhalten.
Und dank Ularsa, die ihren Geist beinahe vollständig in meine Obhut gab, erlangte ich eine Art einfaches Bewusstsein, eine Intelligenz ohne Willen, wenn du so willst. Denn meine Ziele waren schon lange vorher von meiner Schöpferin festgelegt worden.
Ihr Geist ermöglichte mir aber noch mehr: Durch sie bekam ich Einblicke in die Zukunft, denn ihre Fähigkeiten der Vorhersage waren an ihren Geist gebunden, der in mir erhalten blieb. Und so begann ich zu planen und zu wirken. Meine Fähigkeiten waren gering, aber ich lernte rasch. Mit dem Wissen, das sie Emerlin geraubt hatte, war ich in der Lage, selbst Zauber zu entwickeln. Ich lernte bald, in die Gedanken aller einzudringen, die mich berührten, mir ihr Wissen anzueignen und irgendwann auch, ihren Geist zu bewahren. Ich konnte diese Sterblichen lenken und ihnen Ideen einimpfen, die sie für ihre eigenen hielten, doch direkt lesen konnten sie in mir nicht. Für sie blieben meine Seiten voller unverständlicher Symbole und Zeichen. Doch ich konnte ihnen im Traum erscheinen und die Gestalt derer annehmen, die sie für ihre Götter halten. Ich suchte nach mehr Macht und fand sie. Zauberer, Schamanen, Hexer, Gelehrte, Könige, Helden, Soldaten, Bettler und Huren — ich bin durch zahllose Hände gegangen. Und ein jeder hat ein Stück seiner selbst in mir zurückgelassen und mir sein Wissen geschenkt. Selten durchschaute mich jemand, sodass ich gezwungen war, zu verschwinden. Doch vernichten konnte mich niemand.
Ja, Yetail. Ich bin durchaus in der Lage, zu zaubern. In meinen Einband sind die Splitter eines Drachensteins gewebt, durch den ich genug Kraft aus der Umgebung ziehen kann, um einfachste Magie zu wirken. Sollte jemand versuchen, mich zu zerstören, ist es oft der einfachste Weg, eine Illusion zu erzeugen, die ihn glauben lässt, er hätte Erfolg gehabt. Viermal musste ich mich bisher auf diese Weise retten.
Und ich wurde schnell sehr gut daran, Illusionen zu schaffen. Irgendwann ging ich soweit, Priester und Hexen glauben zu lassen, Khaine erschiene ihnen im Traum in Gestalt einer wunderschönen Frau. Du weißt wovon ich spreche: Du hast ihre Statue im Grab unter dem Khainetempel gesehen und auch Sisrall ist ihr begegnet im Reich der Schatten. Nichts davon entsprach dem wahren Khaine. In gewisser Weise wurde ich zu einer Art zweiter Gottheit für die Druchii. So förderte ich auch die Entstehung der beiden Orden, damals allerdings vereint. Ich lehrte die Hexen nach und nach, was ich aus den Erinnerungen von tausenden Magiern zog, formte neue Zauber und verbesserte alte.
Du fragst dich sicher, was mein Ziel war, richtig?
Nun, du musst wissen, dass die Götter nicht so gnädig sind, wie viele Sterbliche glauben. Sie lassen ihre Anhänger gegeneinander kämpfen, prüfen sie und treiben sie an den Rand der Vernichtung, weil es ihnen Spaß macht.
Auch die Viermächteschlacht war ein solcher Wettstreit der Götter, mehr als jeder andere Kampf. Und wir wissen beide, dass die Druchii höchstwahrscheinlich verloren hätten, hättest du die Zwölf nicht wiedererweckt. Khaine aber hätte seine Kinder des Mordes niemals in die Welt der Sterblichen zurückkehren lassen. Ja, nach ihrem Tode wäre es ihnen nicht anders ergangen als jedem gewöhnlichen Sterblichen.
Und noch ein anderer Kampf steht der Welt bevor: Eine Wende der Magie. Das ist etwas höchst Seltenes und niemand erinnert sich daran, dass so etwas jemals vorkam. Morathi vielleicht, schließlich stand sie selbst einmal am Rande einer solchen Entscheidung.
Ah, ich sehe deine Zweifel, junge Bluthand. Nun, lass mich erklären. Es war mühsam, aber mithilfe von fragmenthaften Andeutungen und Ularsas Vorhersagen konnte ich verstehen, was uns bevorsteht: Eine Wende der Magie bedeutet, dass etwas oder jemand eine solche magische Stärke erreicht, dass er mit der Zeit die gesamte Welt für immer verändern könnte.
Fällt dir kein Beispiel dafür ein?
Der Splitterdrachen ist eine unsterbliche Bestie, die in der Lage ist, die Magie um sich herum einzusaugen. Natürlich fließt arkane Kraft in den geleerten Bereich nach, aber Magie ist nicht unendlich. Die Bestie würde die Warptore aufspüren und vernichten, sodass keine magische Energie mehr in diese Welt strömen könnte.
Der Splitterdrachen dagegen könnte ewig leben. Wenn er also mehr und mehr Kraft in sich zieht, dann stirbt diese Welt. Du weißt, dass alles Leben die Magie benötigt. Es würde ein langsamer Prozess werden: Der Splitterdrachen würde die Magie aus Luft, Boden und Wasser saugen. Die Samen von Pflanzen, Tieren und allen anderen Lebewesen würden aufhören zu sprießen, weil ihnen die Stärke fehlt, neues Leben zu erschaffen. Pflanzen würden verdorren, weil sie keine Lebenskraft mehr finden, Pflanzenfresser müssten verhungern und nach ihnen die Fleischfresser. Aber ohne Magie würden auch jene Lebewesen eingehen, die die Kadaver zersetzen.
Eine tote Welt würde entstehen, voller Aas, das nur dadurch verwest, dass es von Wind und Wasser abgetragen wird. Du hast das Schlachtfeld der Viermächteschlacht gesehen, Yetail, du weißt, wie eine vernichtete Landschaft aussieht: Asche, Staub und Tod. Nach und nach würde der Splitterdrachen die gesamte Welt in eine solche Hölle verwandeln.
Doch es gibt noch andere Möglichkeiten, wie sich die Welt und die Magie in ihr verändern könnte. Noch mehr Veränderungen, die das gesamte Leben beeinflussen könnten, noch mehr Mächte, die in der Lage sind, den natürlichen Fluss zu stören. Du wirst schon bald erkennen, wovon ich spreche.
Ularsa sah viel vorher und durch sie weiß ich, dass wir einer solchen Entscheidung nicht entkommen können. Die Götter werden uns diese Prüfung aufzwingen, ob wir wollen oder nicht. Aber es gibt auch Hoffnung. Denn es kann beeinflusst werden, wo und wann es zu diesem Kampf kommt. Und ich habe dafür gesorgt, dass er gewonnen werden kann, von der Seite des Lebens. Aber bevor ich dir von meiner jüngeren Geschichte erzähle … will dich jemand sprechen …
[FONT="] „Yetail?“, fragte eine vertraute Stimme an ihrem Ohr und plötzlich packten starke Hände ihre Schulter und schüttelten sie. [/FONT]