So, eine gute und eine schlechte Nachricht.
Die schlechte: Ich komm nicht voran. Will mich auhc gar nicht groß dafür rechtfertigen, aber ich hab halt grad Anderes und vor allem Schöneres im Kopf, als Geschichten über Krieg und Tod zu schreiben. Ich bezweifel allmählich auch, dass sich das demnächst ändert. Deshalb könnte es durchaus passieren, dass wir in den nächsten 2-3 Monaten ans Ende der Reserve stoßen. Rechnet also damit, dass es irgendwann vielleicht mal längere Zeit gar nicht weitergeht.
Die gute Nachricht: Heute geht es erstmal weiter. Und damit sind dann noch 6 Kapitel in Reserve.
Die Winde der Magie
„Die geheimnisvolle Welt der Magie ist mysteriöser und gefährlicher, aber auch schöner als alles, was wir Sterblichen je zu Gesicht bekommen, ein Ort der Unsterblichen und der Geister.“
- Aus Die Ewigen Tore, Skihron Kiltza
Naggarond; Naggaroth
2567 IC; 8.Vollmond (5.Tag)
3 Stunden nach Sonnenaufgang
Yucalta schloss die Augen und ließ ihren Geist schweifen. Kaum sanken die mentalen Barrieren, verwandelte die Welt sich in ein Feuerwerk der Farben. Die Winde der Magie durchströmten und umschmeichelten Yucalta mit nie gekannter Intensität. Sie sah Strömungen, Wellen und Wirbel in mehr Tönen, als sie benennen konnte. Die Winde der Magie flossen durch die Welt, durchdrangen einander, verschmolzen, trennten sich wieder, lenkten einander ab oder umspielten einander.
Früher hatte Yucalta gelernt, die Winde der Magie würden festen Bahnen folgen und überall gäbe es stets von jeder Art der Magie eine gewisse Menge. An manchen Orten konzentrierten sich arkanen Ströme stärker, an anderen weniger. An manchen war die eine oder andere Farbe in den Winden der Magie stärker vertreten, dafür eine andere weniger.
Jetzt sah Yucalta, wie falsch die Lehren waren. Die Winde der Magie veränderten sich fortwährend und jeder war ein Fluss einer ganz eigenen, einzigartigen Färbung. Durch die Wechselwirkung der Strömungen verschoben sich ihre Bahnen ständig und eigentlich besaß keiner der Ströme für mehr als einen Augenblick den gleichen Verlauf.
Die Winde der Magie umtanzten die junge Magierin, flossen über ihre Haut, nährten ihren Körper mit magischer Kraft, doch sie durchdrangen Yucalta nicht, entgegen allen Lehren. Und es war nicht nur in ihrem Fall so. In ihrer Nähe konnte sie die Silhouetten von Reckdis und Szar’zriss als gewaltige Leerräume in diesem vielfarbigen Feuerwerk ausmachen.
Blutklinges und Bluthands Gestalten, die mit ihr auf dem Turm standen, waren dagegen nicht leer. Doch auch sie wurden nicht von den magischen Strömungen durchdrungen. Sie waren leuchtende Gestalten, so hell, dass Yucalta nicht hinsehen konnte. Und von diesen Erscheinungen gingen gewaltige Wellen eigener, arkaner Kraft aus, die die Winde der Magie ablenkten. Die Wellen und die magischen Ströme standen miteinander in Wechselwirkung. Beide lenkten einander ab und beide tauschten Kraft aus.
Mit einem Mal wurde Yucalta klar, dass das gleißende Licht, das sie wahrnahm, die Marilim sein musste, die beide, Blutklinge und Bluthand, trugen. Ehrfurcht erfasste sie. Und dann fiel ihr auf, dass die Winde der Magie, nachdem sie vom Licht dieser Kraftwellen erfasst worden waren, stärker und satter wirkten. Strömungen, die Yucalta oder eine andere Gestalt berührt hatten, waren dagegen für eine gewisse Zeit geschwächt.
Natürlich, dachte sie. Alle Lebewesen brauchen magische Kraft zum Leben und Überleben. Diese bekommen wir von den magischen Strömungen, die uns zwar nicht durchdringen, aber dennoch berühren. Durch die Wechselwirkung der Strömungen untereinander und durch den Zufluss der Magie durch die Warptore und die Sonne regeneriert sich die Kraft der arkanen Winde jedoch schnell wieder.
Die Kinder des Mordes aber tragen die Marilim, sie haben genug innere Kraft, um nicht auf die Winde der Magie angewiesen zu sein. Ganz im Gegenteil: Sie laden diese sogar noch mit auf. Das bedeutet, die Erwählten könnten allein durch ihre Nähe einen Bereich größerer Magie erschaffen.
Als sie ihren Geist weiter treiben ließ, glaubte sie beinahe, die Winde de Magie flüstern zu hören, doch was sie murmelten und raunten, erschloss sich ihr nicht. Ganz am Rande ihres Bewusstseins glaubte sie, Bilder und Eindrücke wahrzunehmen oder gar einzelne Worte zu verstehen, doch etwas hinderte sie daran, vollkommen eins mit den magischen Winden zu werden und an ihren Geheimnissen teilzuhaben.
Plötzlich strich etwas dicht an ihr vorbei und Yucalta zuckte zurück. Doch dann gewann ihre Neugierde Oberhand und sie beobachte das Etwas, das sie gestreift hatte. Es war ein Geist, der sich, ähnlich wie ihrer, ohne seinen Körper bewegte. Doch dieser ritt auf den Winden der Magie. Das war ein unangemessener Ausdruck, aber Yucalta fand keinen besseren. Dieser Geist bewegte sich jedoch nicht immer effizient. Er stieß gegen einige Winde der Magie, brachte sie aus der Bahn, wurde selbst herum geschoben und vor allem schlug er starke Wellen im Gefüge der Magie. Nur deshalb hatte sie ihn auch bemerkt.
Yucalta wurde klar, dass dieser Geist die Winde der Magie nicht so sehen konnte wie sie. Er sah nur das einfache Muster, das sie bis heute Morgen auch als richtig angenommen hatte. Für ihn gab es nur gerade Linien konstanter Stärke. Er sah nicht die unendliche Komplexität der arkanen Strömungen und daher konnte er sie nicht benutzen.
Aber Yucalta konnte es und innerhalb eines Herzschlages begriff sie, wie der andere Geist sich mithilfe der magischen Winde bewegen konnte. Sie schoss ihm hinterher. Geschmeidig folgte sie dem Verlauf der Strömungen, hangelte sich an ihnen entlang und sprang zwischen ihnen hin und her. Sie duckte sich, wenn einer der Winde in ihre Richtung abgelenkt wurde und mied die zahlreichen Wirbel. Einmal sprang sie jedoch mitten in einen der Wirbel hinein und ließ sich von dessen Bewegung beschleunigen.
Obwohl sie einen Weg wählte, der weit weniger geradlinig zu ihrem Ziel führte, war sie beinahe doppelt so schnell wie der andere Geist, den sie verfolgte. Und sie hinterließ keine Spur im Gefüge der Magie, keine Wellen, keine abgelenkten Ströme. Sie verglich es damit, einen Fluss zu überqueren. Während der andere Geist schwerfällig wie ein Bär durch das Wasser watete, Wellen schlug und von der Strömung herumgewirbelt wurde, schoss sie mit der Eleganz einer Wasserschlange durch die Dunkelheit, wich den Stromschnellen aus und näherte sich unsichtbar ihrem Ziel.
Und ganz plötzlich tauchte vor ihnen eine blendend helle Gestalt auf. Ein anderes Kind des Mordes, ging es Yucalta auf. Der fremde Geist näherte sich dieser Gestalt und wirbelte dicht um sie herum. Yucalta hörte ihn flüstern und schoss neugierig näher heran.
„…es voran?“ Die Stimme kam ihr bekannt vor, doch Yucalta hörte zu wenig, um sicher zu sein.
Die Lichtgestalt antwortete mit weiblicher Gedankenstimme. „Wir haben beinahe zwei Dutzend Tempelkrieger an die Untoten verloren. Es waren die Gesichtslosen, die das Schlimmste verhindert haben. Inzwischen sind die größten Konzentrationen von Wiederbelebten zerschlagen. Die meisten streichen einzeln oder in kleinen Gruppen durch die Stadt. Ihre Wildheit hat ebenfalls abgenommen.“
Parallel zu den Worten folgen Bilder. Yucalta fing Eindrücke von zerstückelten und verletzten Scharfrichtern auf, von Leichenbergen, die von Flammen verzehrt wurden, von schattenhaften Gestalten, die sie an Eisfaust erinnerten und die mit wirbelnden Klingen durch die Reihen der Untoten fuhren.
„Das sind gute Neuigkeiten.“, sprach die erste Stimme wieder. „Aber etwas beunruhigt dich.“
Dieses Mal kamen erst bildhafte Eindrücke. Yucalta sah die Überreste eines gewaltigen Massakers. Zerfetzte Druchii, von denen nicht mehr genug übrig war, damit der Feind sie wiederbeleben konnte. Die verbogenen und gesplitterten Skelette von mehreren Nauglir und zertrampelte und zerrissene Rüstungen von Tempelkriegern. Ein anderes Bild. Eine wutentbrannte Hydra, die mit Feuer um sich warf, während Blut über einen ihrer Hälse lief.
„Es kam zu seltsamen Vorfällen. Meine Hydra wurde verletzt und im Süden gerieten die Nauglir eines der Regimenter, die die Wehrlosen in den inneren Ring bringen sollten, völlig außer Kontrolle. Das ganze Rudel fiel übereinander und über die Druchii her. Mehrere Tempelkrieger eilten ihnen zu Hilfe, konnten der Wut der Kampfechsen aber nicht widerstehen. Als die Nauglir dann auch noch wiederbelebt wurden, hatten wir größte Mühe die Ordnung wiederherzustellen. Unter den zu eskortierenden Druchii hat vielleicht einer von zehn überlebt. Wir haben beinahe das gesamte Nauglir-Regiment ohne wirklichen Kampf verloren.“
„Was vermutest du?“
„Dass wir einen Attentäter in der Stadt haben. Meine Hydra wurde von einem Bolzen verletzt. Ich hatte erst geglaubt, es sei ein Untoter gewesen, der einen Glückstreffer gelandet hat, aber die beiden Vorfälle sind mit wenigen Mitteln derart verheerend gewesen, dass ich dahinter nur einen sehr geschickten — und vor allem planenden — Schützen vermuten kann. Und dazu einen, der sich schnell aus dem Staube macht. Kein normaler Untoter sollte dazu in der Lage sein.“
Dem konnte Yucalta nur zustimmen. Während der Stunden, die die Schlacht nun schon andauerte, hatte sie ein Bild von den Untoten gewonnen, das nicht zu einem solchen Anschlag passte. Vielleicht konnte der Beschwörer seine Diener so lenken, dass sie derart verheerende Schüsse abgaben, doch warum sollten die Schützen dann spurlos verschwinden? Einen Untoten könnte man doch ruhig opfern, sobald der Schaden angerichtet war. Nein, etwas stimmte hier nicht.
„Wir geht es auf der Mauer, Herr?“, fragte nun die Lichtgestalt.
„Wir halten sie.“, erwiderte der Geist, den Yucalta verfolgt hatte. „Anfangs hat uns Nerglot mit magischen Angriffen eingedeckt, aber im Moment ist es ruhiger geworden. Seine Skelette stürmen dagegen unvermindert die Befestigungen. Allmählich ermüden unsere Krieger. Vielleicht könnt ihr, wenn die Stadt einigermaßen gesichert ist, zu uns auf die Mauer kommen und ein paar Tempelkrieger schicken.“
„Ich werde die Lage begutachten und mich mit den anderen Erwählten in der Stadt beraten. Wir werden sehen, wie viele Krieger wir Euch schicken können, Blutklinge.“
Der Geist löste sich von der Lichtgestalt und Yucalta zuckte zusammen. Der fremde Geist sollte Blutklinge sein? Ja, jetzt wusste sie, woher sie die Stimme kannte. Aber es überraschte sie, dass er sich so unbeholfen durch die Strömungen der Magie bewegte. Andererseits: Er war magisch nur wenig begabt. Wieso sollte sie erwarten, dass er ein besseres Verständnis für das Gefüge der Magie hatte als selbst die Meister-Magierinnen?
Blutklinges Geist schoss zurück in die Richtung, aus der er gekommen war und Yucalta begleitete ihn. Er bemerkte sie nicht. Bald waren sie wieder in der Nähe des Turms, auf dem ihre Körper standen. Die Novizin verstand. Auf diese Weise koordinierten die Kinder des Mordes ihre Vorgehensweise. Blutklinge bildete den Mittelpunkt und kommunizierte mit ihnen. Nur wenn sie einander berührten, konnten die Erwählten ihre Gedanken alle gleichzeitig austauschen. Ansonsten musste einer von ihnen mit seinem Geist die anderen aufsuchen.
Seit Yucalta Blutklinges Geist zum ersten Mal entdeckt hatte, waren nur wenige Sekunden verstrichen. Als sie zum Turm zurückkamen, kehrte Blutklinges Geist in seinen Körper zurück. Yucalta bemerkte, dass es eine Verbindung zwischen Blutklinge und Bluthand gab. Die Winde der Magie schwangen zwischen ihnen hin und her und bildeten ein Bündel dünner Ströme, die sich um beide Gestalten legten und sie kaum sichtbar miteinander verbanden.
Und dann sah Yucalta in Richtung des Schlachtfeldes, weit über die Mauer hinweg. Sie bemerkte die Untoten. Diese waren nicht leer, wie die Sterblichen, sondern von den Winden der Magie stark durchströmt. Die arkanen Flüsse ballten sich in ihnen und gaben ihnen somit die Kraft, dem Tod einen Streich zu spielen. Und von jedem der Untoten gab es einen Strom, der ihn mit einer fernen, dunklen Gestalt auf den Hügeln verband. Auch dieser Strom bewegte sich, bildete Schleifen und Wirbel, aber es war eine Verbindung, die niemals abriss.
Diese dunkle Gestalt beobachtete Yucalta. Das war der Feind, Nerglot. In seiner Nähe verhielten sich die Winde der Magie mehr als seltsam. Einige wurden von ihm beinahe aufgesogen. Kamen sie seiner Erscheinung zu nahe, zog er sie an und vereinnahmte sie, gleich einem gewaltigen Strudel, der alles in seiner Nähe einsog. Doch ähnlich wie die Kinder des Mordes sandte auch er mächtige Kraftwellen aus, die andere magische Ströme ablenkten oder zum Teil sogar beiseite drückten. So etwas hatte Yucalta noch nie gesehen und der Anblick weckte Übelkeit in ihr.
Doch vor der Gestalt gab es etwas, das sie faszinierte. Von Nerglot gingen dunkle Tentakeln aus, die sich um die Winde der Magie legten und diese zusammenballten. Erst dachte Yucalta, er würde einen Zauber sprechen, aber als er keine Anstalten machte, den Druchii die geballte magische Kraft entgegen zu schleudern, wurde sie unruhig. Dann begriff sie. Nerglot formte ein Tor. Ein langer, dünner Faden erhob sich aus dem sich nun bildenden Ring grau strahlender Kraft und wand sich über die Mauer hinweg.
Yucalte reagierte, so schnell sie konnte. Sie schoss direkt auf die helle Verbindung zwischen Blutklinge und ihrer Meisterin zu und rief in Gedanken „Greift an!“ Zusätzlich sandte sie den beiden ein Gefühl für den Ort, an dem das Tor entstand.
Schrecken und Entsetzen wallten über sie hinweg, gefolgt von Zorn und Wut. Die beiden Geister wandten sich gegen sie, doch sie konnten Yucalta nicht entdecken. Dann gehorchten sie. Bluthand und Blutklinge griffen nach arkaner Macht und schleuderten sie in Richtung des Tores. Wie zwei Blitze kroch die Magie durch das magische Gefüge, schleuderte Strömungen aus dem Weg und verlor dabei langsam an Kraft. Das also war der Grund, weshalb Zauber über große Entfernungen viel Kraft benötigten.
Die Blitze trafen in das Tor, doch die finstere Gestalt war bereits verschwunden und der dünnere Faden verblasste. Dennoch kollabierte der graue Ring unter der magischen Entladung und stürzte in sich zusammen. Ein Teil der Kraft kroch über die feine Strömung, die irgendwo in der Stadt verschwand. Als Yucalta ihr folgte, entdeckte sie ein zweites Tor, das sich im dritten Ring geöffnet hatte. Dort war auch die dunkle Gestalt. Ein kleiner Teil des Angriffs der Erwählten kroch in Form von winzigen Blitzen über diese Erscheinung, doch sie waren nicht stark genug, um ihr gefährlich zu werden.
Yucalta wollte gerade die Augen öffnen, um den Erwählten zu berichten, was sie gesehen hatte, als ihr etwas Merkwürdiges auffiel. Ausgelöst durch den Kollaps des magischen Tores schossen einige der magischen Ströme wie Peitschen umher. Ganz plötzlich bemerkte sie eine ungewöhnlich dicke Strömung, die wie eine zuckende Schlange herumwirbelte und die Novizin mit gewaltiger Kraft traf. Während arkane Kraft durch ihren Körper strömte, wickelte sich der Strom um sie und auf einmal hörte sie das geheimnisvolle Flüstern ganz deutlich.
Im Gegensatz zu ihrer ersten Vision gab es dieses Mal kein Bild. Es war eher so, als würde das Geflüster eine Ahnung in ihr wecken. Als der magische Strom in ihr aufgegangen war, wusste sie, was sie zu tun hatte.
Yucalta zog ihren Geist in ihrer Körper zurück. Das Feuerwerk der Farben verblasste und es folgte ein Moment der Schwärze. Dann schlug sie die Augen auf. Sie saß mit überkreuzten Beinen an den rückwertigen Zinnen des Turms. Dicht neben ihr hockte immer noch Szar’zriss, der zunehmend nervös schnaubte. Reckdis stand einen Meter entfernt, die beiden Erwählten an der vorderen Brüstung.
Geschmeidig erhob sich Yucalta und wankte kurz. Die körperliche Welt kam ihr nach den Erlebnissen im Reich der Magie unwirklich und stumpf vor. Es war mühsam, seinen Körper bewegen zu müssen, wo sie doch Entfernungen mit ihrem Geist hundertmal so schnell zurücklegen könnte.
Beinahe lautlos trat sie neben Reckdis. Der Piratenfürst bemerkte sie und wandte sich um. Sein Blick huschte über ihren Körper. Es lag ein Ausdruck von Neugierde darin. Dann sah er sie fragend an. Yucalta nahm seine Hand, ohne Reckdis Gesicht aus den Augen zu lassen. Überraschung und ein Hauch von Lust zeigten sich darauf.
Yucalta stellte sich auf Zehenspitzen und flüsterte ihm ins Ohr. „Ich hatte eine Vision, Reckdis. Du musst bald etwas sehr Wichtiges für mich tun. Etwas, wofür ich dir lange dankbar sein werde.“ Kurz erfasste ihn Begeisterung und Erregung, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte. „Aber damit alles so kommt, musst du jetzt nach Süden. Sofort. Eile die Mauer entlang. Ich weiß nicht, was du dort finden wirst, aber es muss wichtig sein. Ich vertraue dir.“ Sie strich mit den Lippen über seine Wange und trat dann zurück. „Eile dich.“, flüsterte sie, bevor sie seine Hand losließ.
Sie wandte sich ab, halb um ihm zu zeigen, dass er gehen sollte, halb damit er ihr Gesicht nicht sah. Sie fühlte sich schmutzig und schuldig, weil sie seine Gefühle so ausgenutzt hatte. Sie hatte zwar nicht gelogen. Er würde etwas sehr Wichtiges für sie tun. Aber sie hatte keine Ahnung, wann und was. Vor allem wusste sie nicht, ob sie ihn nicht in sein Verderben schickte. Er war immerhin verletzt und kaum in der Lage zu kämpfen. Sie hoffte, er würde ihr verzeihen.
Sie hörte, wie er zur Treppe eilte, seine schweren Schritte verrieten Kraft und Eile. Er war begierig, ihr zu gefallen. Vielleicht mehr, als gut für ihn war. Doch Yucalta konnte sich solche Gedanken im Moment nicht leisten.
Vorne an der Brüstung schienen Blutklinge und Bluthand unsicher, was zu tun sei. Sie stritten zwar nicht direkt miteinander, konnten sich aber auch nicht einigen. Anscheinend schienen sie nicht zu wissen, ob Nerglot verschwunden war oder ob er sich nur unsichtbar gemacht hatte. Und vor allem hatten sie keine Ahnung, wer sie dazu angestiftet hatte, anzugreifen.
Als sie bemerkten, dass Yucalta zu ihnen trat, verstummten sie. Anscheinend glaubten beide, sie hätte eine Vision gehabt. Als die Novizin ihnen jedoch berichtete, was geschehen war, trat mehr und mehr Unglaube auf ihre Gesichter. Doch da sie sogar wiedergeben konnte, was Blutklinge von der Erwählten in der Stadt erfahren hatte, mussten sie ihr glauben.
„Ihr müsst Euch beeilen.“, schloss Yucalta ihren Bericht. „Nerglot ist in der Stadt. Wenn Ihr ihm die Zeit dazu gebt, wird er dort im dritten Ring eine neue Armee aus Toten ausheben. Und was den Attentäter in der Stadt angeht: Schickt Eisfaust zum zweiten Turm südlich des Tores. Die übrigen Gesichtslosen spielen keine Rolle. Aber er musst dorthin.“
Die beiden Kinder des Mordes sahen sich an, dann nickten sie und rannten zur Treppe. Obwohl die Untoten noch immer die Mauer stürmten, hatte sie sich eigentliche Schlacht nun ins Innere von Naggarond verlagert. Einen Moment zögerte Yucalta, dann hockte sie sich wieder neben Szar’zriss und sandte ihren Geist ins Reich der Magie.
Als das Meer der Farben vor ihr aufloderte, entspannte sie sich wieder.