So, dann will ich jetzt mal wieder weitermachen. Hier der 1. Teil (von 3) des nächsten Kapitels.
Neue Orientierung
„In dieser Schlacht waren es nicht die großen Gefechte, die über unser aller Schicksal entschieden, sondern jene Entscheidungen, die einzelne Personen am Rande trafen.“
- Aus ‚Bericht der Viermächteschlacht‘
Naggarond; Naggaroth
2567 IC; 8.Vollmond (5.Tag)
5 Stunden nach Sonnenaufgang
Von außen mochte eine Schlacht wie ein gewaltiges Chaos aussehen. Wie eine unordentliche Masse aus Leibern, die gegeneinanderprallten, aus Klingen, die sich hoben, im schwachen Sonnenlicht matt glänzten, niederfuhren, aus Metall, Blut und Fleisch. Wie ein wütendes Toben, wie eine planlose Aneinanderreihung von Geräuschen klang ein Gefecht; ein wildes Orchester aus dem Ächzen, Stöhnen und Schreien von Kämpfern, dem Klirren von Metall, dem Reißen von Fleisch und dem Tropfen von Blut.
Sisrall lächelte. Nur Sterbliche konnten so naiv sein, eine Schlacht als unordentlich zu bezeichnen. Der Erwählte sah die Muster. Jeder Schritt, jeder Schlag, jeder Tote war ein Teil eines großen Tanzes; der geordneten Bewegung dutzender, hunderter oder tausender Leiber zu einer Musik, die durch den Kampf selbst entstand. Eines göttlichen Klanges, der sich um sie herum erhob und sie alle erfüllte.
Der Erwählte brauchte seine Augen nicht, brauchte nicht zu sehen. Er hörte, was um ihn herum geschah und spürte, wie sich der Kampf entfaltete. Seine Schwerter fuhren nieder, stießen zu, parierten, zuckten mal in die eine, mal in die andere Richtung. Knochen splitterten, wo der gesegnete Stahl sie zerriss. Verdorbenes und verwesendes Fleisch wurde zertrennt und von den untoten Körpern geschnitten.
Sisrall war nur ein Teil des Kampfes. In einer Linie standen die Kinder des Mordes und drei der Gesichtslosen in der Bresche, die Nerglot vor knapp einer Viertelstunde in die Mauer gesprengt hatte. Seite an Seite kämpften sie gegen die unendliche Flut aus Untoten, die sich ihnen furchtlos entgegen warf. Meterhoch stapelten sich die Berge der Körper, die unter den Klingen der Druchii gefallen waren.
Die anstürmenden Untoten schreckte das nicht. Sie sprangen in blindem Eifer über ihre Gefallenen hinweg und stürzten sich auf die Kinder des Mordes. Diejenigen, die über die Mauer kletterten, fielen ihnen in den Rücken oder sprangen gleich von der Brüstung in die Bresche hinunter. Immer mehr gingen dazu über, die Mauer ein Stück hinaufzuklettern und die Erwählten von dort aus anzuspringen. Oder mit Bolzen zu beschießen, was besonders ärgerlich war.
Jetzt bräuchten wir Yetail wirklich, dachte Sisrall, als die beiden Untoten, denen er soeben die Schädel von den Schultern geschlagen hatte, sofort von vier weiteren ersetzt wurden. Die Erwählten saßen hier fest. Früher oder später mussten sie sich zurückziehen, auch weil es bald niemanden mehr gab, dessen Flucht sie decken mussten. Die Soldaten mussten den dritten Ring inzwischen erreicht haben. Dessen Mauer lag kaum fünfhundert Meter entfernt.
Sisrall enthauptete zwei der Untoten vor ihm, drehte sich in die Angriffe der beiden anderen hinein und schlug seine Klingen brachial durch deren Schädel. Während die Skelette hinter ihm zusammensackten, trat der Erwählte einen Zombie in eine Rotte aus drei anderen Untoten. Rasch besann er sich auf seine magischen Fähigkeiten und die Kreaturen zerstoben unter einem Kraftstoß zu Knochensplittern. Sisrall duckte sich und einen Augenblick später pfiff eine Axt über seinen Kopf hinweg. Er zertrennte mit einer Kling die Waffenhand, sodass diese mitsamt der Axt weiter durch die Luft segelte und ein anderes Skelett in der Mitte zerschlug. Mit dem zweiten Schwert hieb Sisrall nach dem Schädel des Untoten und verwandelte diesen in einen Haufen Knochen
Zwei Skelettkrieger sprangen ihn von oben an. Sisrall schleuderte ihnen seine Schwerter entgegen, parierte einen Streitkolben mit dem gepanzerten Unterarm und zerschlug dann dem Zombie mit bloßer Hand das Genick. Dann drückte er sich vom leichenübersäten Pflaster ab, umfasste die Griffe seiner Schwerter, die mit den Überresten der beiden Skelette dem Boden entgegen fielen, und riss sie heraus. Als er wieder aufkam, landete er genau auf dem Rücken eines untoten Trolls. Beide Schwerter gekreuzt, schlug er der Bestie das massige Haupt ab.
Während der Trollkörper zusammenbrach, überblickte Sisrall für einen Augenblick die Schlacht. Und was er sah, gefiel ihm gar nicht. Die Druchii waren weit auseinandergetrieben worden. Jeder kämpfte sehr für sich allein. Sie bildeten keine Linie mehr, sondern waren über die ganze Bresche verteilt. Manche standen weiter vorne, manche weiter hinten. Von den Gesichtslosen konnte der Erwählte nur noch zwei sehen. Einer versenkte soeben sein Schwert tief im Schädel einer untoten Kampfechse, bevor eine zweite ihn von hinten ansprang. Kurz konnte Sisrall die weit aufgerissenen Augen des Mannes unter der Maske erkennen, dann verschwand er in der Masse der wiederbelebten Leiber.
Die gesamte Bresche hatte sich mit untoten Bestien gefüllt. Sisrall konnte noch vier weitere Trolle entdecken. Einen machte soeben Kerkil nieder, doch zwei andere fielen über Trizil her. Ihre schweren Keulen fuhren immer wieder auf die rotgewandte Erwählte nieder, die kaum mehr tun konnte, als auszuweichen.
Ohne zu zögern, zog Sisrall ein Wurfmesser und schleuderte es in ihre Richtung. Dann begann er zu laufen. Doch er kam zu spät. Trizil kämpfte sehr in der Nähe des großen Leichenberges, der im Laufe des Kampfes entstanden war. Von dort sprangen nun drei gewaltige Schatten über die Trolle hinweg und fielen dem Kind des Mordes in den Rücken. Es waren weitere Nauglir, untote Monster, deren harte Schuppenpanzer über dem verwesenden Fleisch hingen.
Sisrall Messer hatte einen der Trolle in der Schläfe getroffen und Trizil hatte eine der Kampfechsen töten können. Doch noch während sich Sisrall zu ihr durchkämpfte, hörte er ihren mentalen Schmerzensschrei. Sie war verletzt worden. Eine der Kampfechsen hatte sich in ihre Schulter verbissen und schüttelte sie wie wild, während der Troll auf sie eindrosch und ihre Beine zertrümmerte.
Sisrall zog Magie in sich hinein und sandte einen Kraftstoß aus, der die Untoten in breiter Spur vor ihm zertrümmerte. Endlich erreichte er Trizil. Er wich dem zustoßenden Kiefer der dritten Kampfechse aus, hieb nach dem Bein des Trolls und rammte dann sein Schwert in den Schädel der Bestie, die das Kind des Mordes gepackt hielt. Zwei weitere Stiche waren nötig, dann sackte die untote Kampfechse mit zersplittertem Schädel zusammen und Trizil fiel zu Boden, wo sie stöhnend liegen blieb.
Die verbliebene Echse griff Sisrall von hinten an, doch der Erwählte spürte sie rechtzeitig. Er drückte sich ab und stach zu. Seine Klingen bohrten sich in die Augenhöhlen des Monsters und er vollführte einen Überkopfsprung auf dessen Schädel. Der Troll hatte ebenfalls versucht, ihn zu töten, und seine gewaltige Keule fuhr genau dort nieder, wo Sisrall eben noch gestanden hatte. Der Hieb zertrümmerte den Schädel des Nauglir.
Sisrall fällte den Troll, indem er sein Schwert nach ihm warf und ihn mitten ins Gesicht traf. Das untote Geschöpf brach zusammen und begrub zwei Skelettkrieger unter sich. Sisrall sprang vom Schädel der Kampfechse, enthauptete noch einen Zombie, riss sein Schwert frei und griff dann drei Skelette an, die über die bewusstlose Trizil herfallen wollten.
Dem ersten schlug er einfach mit überkreuzten Klingen den Schädel ab. Die beiden anderen schlugen nach ihm, doch er parierte ihre Angriffe, trennte ihre Arme ab und stieß ihnen dann die Schwerter durch den Kopf.
Auf einmal ertönte ein gewaltiges Brüllen und eine Flammenzunge leckte über die Bresche. Die Erwählten hüllten sich in Schutzfelder und Sisrall warf sich schützend über Trizil. Skelettkrieger, Zombies und der letzte lebende Gesichtslose vergingen in den gleißenden Flammen. Glühende Hitze schlug gegen Sisralls magische Barriere und auch von den anderen Erwählten empfing er eine Ahnung der Kraft, die in diesem Angriff lag. Keiner würde sein Feld noch lange aufrechterhalten können. Doch bisher schien keiner der übrigen zehn ernsthaft verletzt zu sein.
Dann endlich ließ das Inferno nach. Die Bresche war wie leergefegt und auch auf der Mauer waren keine Untoten mehr zu entdecken. Nur noch ein paar geschwärzte Knochen erinnerten an die Bedrohung, der sie bis eben ausgesetzt gewesen waren. Es stank nach verbranntem Fleisch und Rauch. Die Erwählten erhoben sich und elf Schilde zerstoben. Am anderen Ende der Bresche stand eine Hydra und tobte vor Wut. Ihre acht Köpfe — der neunte hing scheinbar tot herab — drehten sich wild in alle Richtungen und Rauch stieg aus vier der Mäuler. Sisrall wusste, dass die Bestie fürs erste erschöpft war. Eine Hydra konnte eigentlich immer nur durch einen Kopf Feuer speien. Verwendete sie mehr, verbrauchte sie ihre Kraft zu schnell.
Rasch hob er Trizil auf und rannte in Richtung des Stadtzentrums. Hinter ihm erklommen bereits weitere Untote den brennenden Leichenberg und auch auf der Mauer zeigte sich erste Bewegung. Die anderen Erwählten liefen ebenfalls los. Sie wussten, dass dies die einzige Chance zur Flucht war. Innerhalb weniger Augenblicke würden die Untoten wieder über sie herfallen.
Sie liefen an der Hydra vorbei. Sisrall erkannte sie als das Tier, das Trizil sich Untertan gemacht hatte. Mit ihrer Hilfe hatte sie die Leichen im ersten Ring verbrannt. Die Verletzung der Erwählten musste auch die Bestie zu spüren bekommen haben. Sie hatte versucht, ihrer Herrin zu helfen.
Er überlegte, ob sie die Hydra mitnehmen sollten. Doch bevor er irgendeinen Entschluss fassen konnte, brüllte das Monster wieder auf und stürzte der Masse aus Untoten entgegen. Sisrall konnte gerade noch rechtzeitig reagieren, um über den umher peitschenden Schwanz hinweg zu springen. Mit Trizil auf den Armen lief er weiter, die anderen Kinder des Mordes formierten sich um ihn. Sie alle sahen mitgenommen aus. Jeder hatte Schnitte, Kratzer oder sogar kleine Brüche vorzuweisen. Ihre Gewänder waren verschmiert mit Blut von teilweise noch frischen Leichen, bedeckt von Knochensplittern und an zahllosen Stellen zerfetzt.
Keiner von ihnen blickte zurück, doch sie alle hörten, wie das Gebrüll der Hydra in ein verzweifeltes Fauchen und schließlich in ein Gurgeln überging, bevor es schließlich abbrach. Die schiere Masse der Untoten musste das gewaltige Monster einfach erdrückt haben, wie sie auch die Kinder des Mordes beinahe unter sich begraben hatte.
Das Tor des dritten Rings stand noch einen Spalt breit offen. Die Mauer war bereits voll besetzt und geladene Kriegsmaschinen starrten ihnen entgegen. Die Steine der Brüstung waren noch heil und sauber, aber sie wirkten im Dämmerlich grau und alt. Die Flaggen hingen schlaff herab und Sisrall konnte die Furcht in den Gesichtern der Soldaten sehen.
Die Kinder des Mordes hasteten durch das Tor. Sisrall drehte sich um. Durch den kleiner werdenden Spalt konnte er die Masse der Untoten sehen, die in den zweiten Ring schwappte und sich ihnen näherte. Mit wild schnappenden Mäulern stürmten die untoten Nauglir voran. Ihnen folgten die hünenhaften Körper der Trolle. Und aus der grausigen Flut erhoben sich soeben die langen Köpfe der Hydra zu neuem, verdorbenem Leben.