So, weiter gehts.
Das goldene Licht (1/3)
„Nicht immer entscheidet sich das Schicksal im Tumult großer Schlachten. Respektiere jeden Kampf. Denn egal, wie nebensächlich er dir erscheinen mag, er könnte dein letzter sein.“
- Lehrschriften des Khainetempels
Naggarond; Naggaroth
2567 IC; 8. Vollmond (5. Tag)
6 Stunden nach Sonnenaufgang
Darmal brüllte verblüfft und frustriert. Gerade hatte er den Piratenfürsten vernichtet und geglaubt, sich nun seiner Beute widmen zu können, schon wurde er erneut angegriffen. Und wer immer es auch war, der ihn herausforderte, dieses Mal besaß er wesentlich mehr Kraft. Darmal wurde über die blutbesudelte Zauberin hinweggeschleudert und prallte hart auf die Stufen unterhalb des Treppenabsatzes.
Er spürte, wie sich der Angreifer über ihn abrollte und wollte sich aufraffen. Doch kaum dass er stand, wurde er von hinten gepackt und durch die Luft gewirbelt. Seine Rüstung riss unter der Beanspruchung. Der Unbekannte schleuderte ihn über den eigenen Kopf hinweg und quer über den Treppenabsatz gegen die dahinterliegende Wand.
Staub und Steinsplitter hagelten auf ihn nieder, als der Stein barst. Doch Darmals Körper steckte den Treffer mühelos weg. Schon sprang er auf und zog seine Waffen. Jetzt konnte er auch seinen Gegner sehen. Erstaunen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.
Es war eine junge Frau, kaum mehr als ein Mädchen, die in sprungbereiter Haltung zwischen ihm und der Novizin kauerte. Ihre Haut war beinahe so blass und glatt wie seine und ihr wutverzerrtes Antlitz war schön genug, um jeden Sterblichen um den Verstand zu bringen. In diesem Moment war Darmal dankbar für die Präsenz des Chaos, die ihn davor bewahrte, sich in diesem Anblick zu verlieren.
Stattdessen regten sich abgrundtiefer Hass und eisiger Zorn in ihm. Dieses Wesen wagte es, seine Beute für sich zu beanspruchen! Wutschnaubend griff er sie an. Feuerrot glühte die Luft, wo die magische Chaosaxt niederfuhr, doch seine Gegnerin wich mühelos aus. Sein Hieb hatte auf ihre Hüfte gezielt, der Stich seines Schwertes auf ihren Hals. Doch sie sprang über die Axt, landete mit einem Fuß auf seinem Handgelenk und trat ihm mit dem anderen ins Gesicht. Sein Schwert fuhr wirkungslos zwischen ihren makellosen Beinen hindurch, während er getroffen zurücktaumelte.
Sie zischte zur Antwort auf seine Herausforderung und landete wieder vor ihm auf der Treppe. Darmal mahnte sich zur Vorsicht. Sie mochte nicht dieselbe Kraft besitzen wie er – sonst hätte ihm der Tritt den Kopf von den Schultern gerissen – aber sie war wesentlich schneller. Und vor allem viel wendiger als er selbst.
Erneut griff er an. Seine Axt zielte auf ihren Schenkel und sie sprang zur Seite – genau dorthin, wo sein Schwert vorstieß. Die Waffe schlug direkt in ihren Unterleib, doch Darmals Befriedigung löste sich auf, als er beobachtete, wie das Metall über ihre Haut schrammte, einen Kratzer hinterließ und sich dabei verformte.
Entsetzt starrte er auf die ehemals gezackte, mächtige Waffe, die nun ein zerknittertes, verbogenes Stück Metall war. Die Waffe hatte ihn bei seiner gesamten Reise von der nördlichen Grenze bis nach Naggarond begleitet. Sie war ein Teil von ihm geworden, verbunden durch all das Blut, das sie vergossen hatten, nicht zuletzt das seines Freundes Kalrim. Blendender Zorn brodelte in ihm und seine Finger krampften sich um die Griffe der Waffen. Das durch den Schlag ohnehin schon belastete Metall des Schwertes knirschte spröde unter seiner Kraft.
Er schleuderte die nutzlose Waffe in Richtung seiner Feindin. Die fegte sie mit der flachen linken Hand beiseite und sah dann an sich hinab. Ein dünner Strom Blut sickerte aus der Wunde und erstarrte dabei. Es sah aus, als würde das Blut gefrieren. Innerhalb von wenigen Augenblicken war der Kratzer verkrustet.
Und schon ging der Kampf weiter. Durch eine rasche Handbewegung des Mädchens wurde ihre Peitsche durch die Luft geschleudert und traf Darmal direkt in den Hals. Darmal sprang reflexartig zurück und erwachte aus seiner Verwunderung. Zu spät ging ihm auf, dass ihn der Treffer nicht verletzen konnte. Stattdessen war das Leder der Peitsche durch den Aufprall zerrissen. Das Mädchen ließ sie fallen. Außerdem steckte sie die Axt weg, die sie in der anderen Hand gehalten hatte. Ihr musste klar sein, dass es ihren Waffen kaum besser ergehen würde als seinem Schwert.
Darmal jedoch umfasste seine Axt fest mit beiden Händen. Die verzauberte Waffe hatte schon Drrochaal vernichtet. Wahrscheinlich würde sie auch gegen dieses Wesen helfen. Und schon griff sie wieder an. Sie war schnell, doch Darmal war bereit. Seine Axt schnellte durch die Luft und zwang sie, auszuweichen. Um Haaresbreite glitt ihr schlanker Leib an der schillernden Spur seiner Runenaxt vorbei.
So hatte auch Darmal die Zeit, auszuweichen, als sie nach seiner Schulter schlug. Er zog sich ein Stück zurück und schwang abermals die Axt. Es war ein Kompromiss. Ihr Fuß traf ihn mit gewaltiger Wucht in die Brust, doch dafür hinterließ seine Klinge einen tiefen Schnitt auf ihrem Schenkel. Vor Schmerz aufheulend sprang sie zurück, während er erneut mit dem Rücken gegen die Wand geschleudert wurde.
Yerill jaulte auf, als heller Schmerz durch ihren Körper fuhr. Noch nie war sie in einem Kampf verletzt worden. Der Schnitt in ihrem Bauch war harmlos, verursacht von schwachem Metall. Doch diese neue Wunde brannte wie Feuer auf ihrer kalten Haut. Sie spürte ihr warmes Blut an ihrem Körper hinunter rinnen.
Ihr Lebenssaft kristallisierte rasch und verschloss die Wunde. Doch jeder Schnitt in ihrer Haut war ein Loch in dem Schild, der ihre innere Wärme festhielt. Jene Wärme, die sie durch den Tod all jener Sterblichen gewonnen hatte. Jene Wärme, die sie von ihrem Meister und Viverla’atar unterschied. Jene Wärme, die ihr Blut flüssig hielt. Wenn sie zu viel davon verlor, würde sie schwach werden und ihr Körper würde verfallen.
Aus dem Staubnebel, der ihren Gegner verschluckt hatte, tauchte urplötzlich die schillernde Klinge der Axt auf und Yerill verfluchte sich für ihre Gedanken. Sie hatte sich ablenken lassen. Sie wich zurück, doch hinter ihr war die äußere Wand des Treppenhauses. Sie warf sich zur Seite. Die Schneide fegte nur wenige Fingerbreit an ihrem Kopf vorbei und schlug kreischend in den Stein der Treppenstufe, auf der sie eben noch gestanden hatte.
Sofort wirbelte sie herum, sprang in die Höhe und stieß sich mit den Beinen von der Wand ab. Hinter ihr zerbröselte Stein unter ihrer Kraft. Sie schoss auf ihren Gegner zu und traf ihn erneut direkt in die Brust. Seine Rüstung war unter ihrem Tritt zerbrochen, doch seine harte Haut darunter wies lediglich eine kleine Delle auf, die sich mit glitzernder Flüssigkeit gefüllt hatte. Yerill rammte ihre Faust in diese Wunde und prallte mit ihrem ganzen Körper gegen ihn.
Doch sie war leichter als er und dieses Mal hatte er sich vorbereitet. Er wurde nur ein paar Schritt zurückgetrieben und gegen die Wand gedrückt. Der Stein knirschte zwar unter der Belastung, doch ihr Gegner nahm keinen weiteren Schaden.
Auch ihre Hand konnte ihm wenig anhaben. Zwar vertiefte sie die Delle deutlich, doch seine Haut war viel dicker als ihre und hielt ihren Angriff auf. Er keuchte auf, doch wirklich verletzen konnte sie ihn nicht. Nur zwei feine Risse fraßen sich in das Eis.
Dafür traf seine Faust seitlich ihren Kopf und schleuderte sie zu Boden. Sie fühlte tiefe Risse in ihrer Eishaut, aus denen Blut troff. Er war stärker als sie und hatte es geschafft, die Barriere um ihren Körper zu brechen.
Er trat nach ihr und sie rollte sich herum, doch schon blitze die Schneide der Axt auf und schlitze ihr den Oberkörper auf. Quer über ihre linke Brust zog sich ein feiner aber tiefer Schnitt. Helle Pein blitze durch Yerills Körper und sie schrie auf. Blut und Lebenswärme entwichen aus der Wunde und sie geriet in Panik.
Verzweifelt krabbelte sie rückwärts die Treppe hinauf. Kurz fürchtete sie, ihr Gegner würde die Lichtträgerin angreifen, die nun zu weit von ihr entfernt war. Doch vermutlich wusste auch er, dass Yerill die größere Gefahr darstellte und die Druchii nicht von alleine fliehen konnte.
Mit einem brutalen Fauchen und einem großen Sprung vorwärts schlug er erneut nach ihr. Die glühende Axt zielte genau auf ihren Schädel und Yerill blieb nichts anderes übrig, als alle Kraft in ihren Beinen dazu zu nutzen, sich mit dem Unterkörper vom Boden hochzudrücken und ihre Füße unter seine Achseln zu rammen.
Durch den Schwung überschlug sie sich und schleuderte ihn über sich hinweg. Er schlug auf dem Treppenabsatz auf, schlitterte über den Boden und krachte gegen die ohnehin schon ramponierte Wand gegenüber der Treppe. Wieder hüllte ihn eine Wolke aus Gesteinssplittern und Staub ein. Yerill rollte die Treppe hinab. Bei jeder Stufe schmerzten ihre Wunden von Neuem und sie stöhnte verzweifelt. Schließlich blieb sie liegen, nur zwei Stufen über dem goldenen Licht.
Die Lichtträgerin sah sie aus verquollenen Augen an. Blut lief ihr noch immer übers Gesicht und Yerill verlor sich beinahe im Anblick der goldenen Lebenskraft, die in dieser Flüssigkeit lag. Für diese reine Kraft, diese vollkomme Schönheit kämpfte sie. Der andere durfte sie nicht bekommen, er wusste sie nicht zu schätzen. Er würde die Lichtträgerin töten und das Licht verlöschen lassen.
Das durfte sie nicht zulassen! Doch sie war geschwächt. Durch ihre Wunden hatte sie zu viel Lebenskraft verloren und ihr Blut floss immer langsamer. Ihr Körper erlahmte vor Erschöpfung. Sie konnte nicht mehr lange weitermachen. Und ihr Gegner schien kaum verletzt zu sein. Sie hatte gesehen, wie sich die feinen Risse auf seiner Brust bereits wieder geschlossen hatten.
„… das Gemach…“, drang eine Stimme an ihr feines Gehör, kaum mehr als ein Hauch bewegter Lippen. Sie blickte die Lichtträgerin erstaunt an. Mit zitternden Lippen versuchte sie, Worte zu formen. „In dem Gemach … hat das Chaos … keine … Kr …“. Mehr brachte sie nicht heraus, bevor die Erschöpfung sie übermannte und ihr Kopf auf die steinernen Stufen sackte.
Doch Yerill hatte genug verstanden. Und es spielte für sie auch keine Rolle, ob sie selbst ohne die Kraft des Chaos überleben konnte oder nicht. Das Schicksal der Lichtträgerin war wichtiger. Lieber wollte sie sterben, als zuzulassen, dass der andere sie in die Hände bekam und ihr noch mehr Leid antat.
Mit einem zornigen Schrei, in den sie all ihre Entschlossenheit legte, sprang Yerill auf. Sie merkte, dass sie noch Kraft besaß. Ihr Blut floss schneller durch ihren Körper. Allein die Nähe zu dem goldenen Licht, allein die Berührung des nicht geronnen Blutes, das auf den Treppenstufen verteilt war, hatte ihr neue Stärke gegeben. Es würde reichen müssen.
Der andere tauchte gerade aus der Trümmerwolke auf, die Runenaxt zum Schlag erhoben. Yerill analysierte die Lage mit einem Blick. Die Tür zu dem Gemach lag, von der Treppe aus gesehen, genau rechts in der Wand, in Richtung Turmmittelpunkt gerichtet. Sie müsste ihren Gegner im rechten Winkel zu ihrer eigenen Bewegung stoßen, damit er durch die Tür brechen würde.
Yerill beschleunigte und griff ihn von links an, um ihr Vorhaben umzusetzen. Ihr Feind jedoch reagierte sofort und lenkte die Runenaxt direkt in ihre Richtung. Yerill blieb nur eine einzige Alternative und sie legte all ihre Kraft in ihre Bewegung, änderte ein wenig die Richtung und griff ihn geradlinig von vorn an.
Ihr Schwung holte sie beide von den Beinen und schleuderte sie gemeinsam gegen die ramponierte Wand am Ende des Treppenabsatzes, gegenüber dem Ende der Treppe. Dieses Mal gab der Stein mit einem reißenden Knirschen nach und sie krachten beide in das dahinterliegende Gemacht.
Das riesige Bett wurde von ihrer Kraft zermalmt. Holzsplitter und Stofffetzen flogen in alle möglichen Richtungen davon, während Yerill ihren Kontrahenten auf den Boden schleuderte. Sie schlitterten über den Boden in Richtung des offenen Balkons. Geistesgegenwärtig packte Yerill den Schaft der Axt und entwand sie seinen erschlaffenden Fingern. Sie selbst spürte, wie ihre Kraft schwand, als der Bann auf dem Gemach sie erfasste. Doch sie erlahmte nicht ganz so stark wie ihr Gegner.
Yerill rollte sich ab, womit sie die Bewegung des anderen stoppte und sich selbst auf den Balkon katapultierte. Kaum dass sie den Bereich des Banns verließ, durchströmte sie neue Kraft, auch wenn es nicht die richtige Lebenskraft war. Die Kraft des Chaos war es, die das Eis in ihrem Körper stärkte und ihr Blut verlangsamte. Sie spürte, wie ihr Lebenssaft träger floss, doch im Moment war sie einfach dankbar, überhaupt wieder zu Kraft zu kommen.
Sie atmete zweimal tief ein und wandte sich dann um. Vor ihm, gerade noch innerhalb des Bannes lag der andere auf dem Rücken. Seine Augen bewegten sich wie wild und er atmete flach, doch er lebte noch. Man sah ihm an, dass sich sein Körper nach der Kraft des Chaos verzehrte. Seine Haut war von Rissen durchzogen und seine Muskeln zitterten.
Die Chaosaxt funkelte in Yerills Händen. Ihre Runen leuchteten nun matter. Sie war keine Ausgeburt des Chaos wie der andere. Die Axt akzeptierte sie, schenkte ihr jedoch nicht all ihre Macht. Doch das war Yerill egal. Es würde reichen. Sie hob die Axt mit beiden Händen, trat so dicht wie möglich an den Bannschild und ließ die Waffe niederfahren. Die runengeschmückte Klinge durchschlug das entstellte Gesicht des anderen und grub sich tief in dessen Schädel.
Durch den Bann verlosch die Macht der Runen und die Axt wurde zu einfachem Metall. Sofort schlug die finstere Zauberei, die den Körper des anderen am Leben erhielt, zurück und vernichtete die Waffe. Risse fraßen sich durch die Schneide und wenige Augenblickte später zerfielen das gewaltige Axtblatt und der dicke Schaft in hunderte Metallsplitter. Doch für den anderen war es trotz dieses letzten Triumpfes zu spät. Sein Schädel war gespalten und sein Körper erschlaffte. Das Eis löste sich auf. Die Risse zogen sich tiefer, Stücke platzten ab und begannen zu schmelzen. Seine Gliedmaßen verflossen, wenig später der Rumpf. Die Flüssigkeit zerfraß die Rüstung und sickerte auf den Boden, wo sie schließlich verdampfte. Nur rostige Metallstücke blieben von dem Krieger übrig, der Yerill beinahe das Leben gekostet hatte.