So meine Freunde. Heute ist ein schöner Tag (auch wenn das Wetter mal wieder nichts taugt). Es gibt einen Sonderbeitrag.
Anlass? Nun, ich habe gestern abend endlich mit dem lang ersehnten Kapitel "Niederlage" anfangen können und bin vor etwa einer Stunde fertig geworden. Knapp 16 Seiten ist der Teil lang geworden, in dem sich wie gesagt ein Teil des Schicksals unserer Helden entscheidet. Der Titel gibt natürlich Anlass zu Spekulationen, aber letztendlich müsst ihr wohl abwarten, wessen Niederlage denn da eintritt.
Und weil es mir so viel Spaß gemacht hat, ich froh bin, es geschafft zu haben und weil 16 Seiten ja doch ein ziemlicher Brocken sind, der da zur Reserve hinzukommt, habe ich mir gedacht, erfreue ich euch eben mit einem unplanmäßigen Kapitel.
Ich persönlich mag diesen Teil, auch wenn das Wort "Liebe" vielleicht ungewöhnlich häufig für diese Geschichte vorkommt. Auf jeden Fall ist es ein wichtiges Kapitel.
(Und für mixerria: ACHTUNG Es kommt mal wieder das Wort "Hure" vor. 😉
Und bitte keine Hinweis auf die schlechte Rechtschreibung im Zitat. Da kann ich nichts für, damals hat man wohl so geschrieben. 😉
Verhasste Verwandtschaft
"Welch ein Leben führen wir im Haß? Wir haben keine Sonne, die uns leuchtet, kein Feuer, der uns erwärmt; wir verlieren in einer todten Einsamkeit unsern eigenen Werth."
[FONT="]— [/FONT]- Ludwig Tieck, Karl von Berneck / Reinhard
Naggarond; Naggaroth
2567 IC; 8. Vollmond
10 Stunden nach Sonnenaufgang
Das laute Klicken der Armbrust und das leise Zischen, mit dem der Bolzen durch die Luft pfiff, waren wie Musik in Viverla’atars Ohren und ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Endlich war es soweit. Sie sah den Schrecken in Sisralls Augen, während sein Körper erstarrte, hin- und hergerissen zwischen den zwei Bedrohungen, die unaufhaltsam näher kamen.
Oh ja, das war noch besser, als sie es sich erhofft hatte. Schon seit ein paar Minuten verfolgte sie ihren ehemaligen Geliebten, während der durch die Stadt eilte. Dass er derart angeschlagen war, hatte sie überrascht und sie war nicht bereit gewesen, diese scheinbare Schwäche sofort zu nutzen. Die Chancen waren immer noch zu hoch, dass er dennoch schnell genug reagieren würde, um dem Angriff auszuweichen. Und vielleicht wäre er selbst in der jetzigen Verfassung in der Lage, sie zu töten.
Deshalb hatte sie auf eine passende Gelegenheit gewartet. Als der Splitterdrache herumgewirbelt war und sein Schwanz in Sisrall Richtung peitschte, hatte sie gewusst, dass das der Moment war. Selbst wenn er ihrem Bolzen doch noch entkommen sollte, würde der Drache ihn vermutlich töten oder wenigstens soweit verletzen, dass sie den Rest erledigen konnte.
Doch anscheinend war er weit schlimmer dran, als sie vermutet hatte, denn er machte überhaupt keine Anstalten, zu reagieren. Seine Augen folgten dem Flug des Bolzens, der direkt auf seine Brust zielte. Hinter ihm schoss die gewaltige, mit grünen Schuppen gepanzerte Fleischmasse heran. Dutzende spitze Dornen ragten daraus hervor. Den Treffer würde er nicht heil überstehen und das schien er zu wissen.
Endlich bezahlst du für deine Taten, Blutklinge, frohlockte sie in Gedanken.
Die Spitze aus geschliffenem Silberstahl war nur noch wenige Handbreit von Sisralls Brust entfernt, als Viverla’atar eine Bewegung auf den Dächern über ihnen ausmachte. Wie ein weißer Blitz sprang eine Gestalt in die Straße hinab, begrub den Bolzen bei der Landung unter einem ihrer nackten Füße, warf den noch immer völlig überraschten Erwählten mit einer Hand zur Seite, während sie in einer einzigen Drehung eines seiner Wurfmesser zog, es in Viverla’atars Richtung schleuderte und sich dann mit einem Salto rückwärts dem heransausenden Schwanz des Splitterdrachens entgegen katapultierte.
Während Viverla’atar dem glitzernden Wurfmesser auswich, dabei stolperte und gegen eine Hauswand schlug, konnte sie den Blick nicht von dem Anblick lösen und ihr Magen verkrampfte sich, als sie die Gestalt erkannte.
Sisrall zuckte innerlich zusammen, als die zarte, leuchtende Hand ihn beiseite stieß. Die Kraft reichte, um ihn von den Füßen zu holen und in das nächstgelegene Gebäude zu werfen. Er knallte gegen die Eingangstür und rutschte daran herunter, bevor er sich fangen konnte. Während er sich aufrappelte, folgte sein Blick den Bewegungen des Mädchens, das ihn soeben gerettet hatte, während er vor Entsetzen über die Erschöpfung der Marilim, Scham über seine eigene Schwäche und Schrecken angesichts der Tatsache, dass es Viverla’atar war, die auf ihn schoss, erstarrt war.
Die Unbekannte sprang dem Schwanz des Splitterdrachens mit vollendeter Anmut rückwärts entgegen, überschlug sich in der Luft und landete mit allen Vieren auf dem gewaltigen Muskelstrang. Der Tempelkrieger hatte die Berichte seiner Mitstreiter nicht vergessen und erwartete, dass die scharfen Schuppen ihre vollkommen ungeschützte Haut aufschlitzen würden. Bei dem Schwung, mit dem sie auf den tödlichen Panzer traf, müsste sie bis auf die Knochen zerfetzt werden.
Aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen schlug das Mädchen die Zähne in die grün leuchtende Haut. Vor Sisralls erstaunt geweiteten Augen erlosch das Glühen des Splitterdrachens dort, wo ihre Zähne in ihn eindrangen. Von der Wunde aus fraßen sich dunkle Risse durch die Schuppenschicht. Mehr und mehr breiteten sie sich wie Fäulnis aus, drangen tiefer in das magiegeschaffene Fleisch und verursachten einen wahren Regen aus abgestorbenen Schuppen.
Die Fremde formte die Hände zu Klauen und trieb sie beiderseits in die mächtige Fleischmasse. Der Splitterdrache heulte auf, als sich weitere dunkle Stellen bildeten und rasend schnell ausbreiteten. Der Schwanz zuckte herum und zielte so auf ein nahes Gebäude, dass das Mädchen dazwischen eingeklemmt werden würde.
Als ihr die Bedrohung klar wurde, löste sie ihren Griff und sprang zurück auf die Straße. Im selben Augenblick, in dem ihre Füße auf dem Pflaster aufkamen, krachte der verwundete Schwanz in die Hauswand und zerschmetterte sie. Doch der Schaden war angerichtet. Wo das Zusammenstoßen mit Gebäuden für den Splitterdrachen vorher nur eine kurzzeitige Störung gewesen war, fügte es ihm jetzt eine schwere Verletzung zu. Das gesamte letzte Drittel seines Schwanzes brach dort, wo das Mädchen zugeschlagen hatte, ab.
Und wieder geschah das, was Sisrall schon mehrfach hatte beobachten können. Wellen aus Magie liefen über den Leib des gewaltigen Monsters und unter seiner Haut hinweg. Er bäumte sich auf und schrie vor Schmerz und Wut, während die Dornen, die seinen Schwanz geziert hatten, einer nach dem anderen zu Staub zerfielen.
Sisrall konnte jedoch nicht die gesamte Verwandlung mit ansehen, da die Bestie in ihrer Panik davon stürmte. Sie beachtete die hinter ihr hereilenden Kinder des Mordes überhaupt nicht, während sie eine Schneise der Zerstörung durch die Stadt zog. Glücklicherweise dachte der Splitterdrache aber auch nicht daran, durch den Warp zu springen. Vermutlich fehlte ihm dafür momentan auch die Konzentration.
Noch ein Körperteil weniger, dachte Sisrall. Ich will gar nicht wissen, welche Fähigkeiten er dafür erhält.
Während sich der Lärm des tobenden Drachens entfernte, blickte Sisrall sich um. Die Gebäude neben ihm, wo die Bestie gewütet hatte, waren zerstört. In der anderen Richtung rappelte sich Viverla’atar gerade wieder auf und klopfte sich den Staub ab. Stirnrunzelnd stellte Sisrall fest, dass sie neue Kleidung aus hochwertigem, braunem Leder trug, die ihren schlanken Körper betonte und gut zu ihrem gleichfarbigen Haar passte. Wo hatte sie die her?
Zwischen ihnen beiden stand das seltsame Mädchen, dessen Haut von selbst zu leuchten schien. Strahlend blondes Haar fiel ihr weit über Schultern und Rücken, konnte aber nichts von ihrem vollkommenen Körper verbergen. Auch die Tücher, die sie sich um Brust und Hüfte gebunden hatte, betonten mehr als sie vor Blicken schützten. Gegen sie wirkte Viverla’atar unscheinbar und beinahe kränklich. Nur Yetail konnte sich wohl mit dieser Schönheit messen. An ihrer Hüfte hingen zwei lange Schwerter und Sisrall bemerkte, dass in eines der Tücher ein weiterer länglicher Gegenstand gewickelt war. Noch eine Waffe?
„Yerill?“, fragte Viverla’atar mit krächzender Stimme, die so gar nicht zu ihrem eleganten Äußeren passen wollte. Sie räusperte sich. „Was ist … Wieso …? Ich dachte …“ Sie brach ab und starrte das Mädchen einfach nur ungläubig an. In ihren roten Augen standen Furcht, Verwirrung und Schock. Sisrall konnte nicht behaupten, er würde Befriedigung dabei empfinden, denn ihm ging es nicht viel besser. Wer oder was bei Khaine war dieses Mädchen?
„Für dich von nun an Sturmtanz, Viverla‘atar, denn meinen Feinden erlaube ich nicht, mich bei meinem Namen zu nennen.“, kam die Antwort mit einer Stimme, die die Luft selbst zu schmelzen schien. Jede einzelne Silbe klang so rein, makellos und hart wie Gold. Sisrall stockte der Atem.
Viverla’atar wich einen Schritt zurück und hob die Armbrust. Doch sie wagte es nicht, auf Yerill zu zielen, und richtete die Waffe stattdessen auf Sisrall. Der ließ sich davon nicht beeindrucken, weil er wusste, dass sie keine Zeit gehabt hatte, nachzuladen. Stattdessen musterte er das Mädchen mit neuen Augen.
Xiucalta sagte, Darmal starb durch die Macht seines Fluchs und des Sturms. Ist es möglich, dass sie keinen wirklichen Sturm meinte? Sondern Sturmtanz? Deshalb kam ihm die leuchtende Haut des Mädchens so bekannt vor. Sie ähnelte der von Darmal, wenn auch weicher, weniger dick und natürlich scheinbar aus Licht statt aus Eis. Und wenn sie genauso immun gegen Magie war wie der tote Eisfaust, erklärte das auch, wie sie den Splitterdrachen hatte verwunden können. Wenn ein Wesen, das einzig aus Magie bestand und eines, das Magie neutralisierte, aufeinandertrafen, welches Ende konnte ein solcher Kampf schon nehmen, als das, was er eben beobachtet hatte? In ihr wohnte derselbe Fluch, der Darmal verändert hatte. Derselbe, dem er schließlich erlegen war. Durch die Macht seines Fluchs.
„Du hast Darmal getötet, nicht wahr?“, fragte er, woraufhin das Mädchen ihn anblickte und lächelte. Ihr Gesicht strahlte schöner und heller als die Sonne. Ihre Augen musterten ihn mit einer Mischung aus Neugierde und Respekt. Und darin lag noch etwas, das er nicht recht zu deuten wusste. Es erinnerte ihn daran, wie Xiucalta zu Yetail aufgeblickt hatte, bevor sie eine Seherin geworden war. Wie eine Schülerin zu einer Meisterin. Was sah sie in ihm, dass sie ihn wie einen Lehrer ansah?
„Ja.“, antwortete sie und ein Schatten verdüsterte für einen Augenblick ihre Miene, als würde sie sich an etwas Unangenehmes erinnern. Wenn er daran dachte, über welche Kräfte Darmal verfügt hatte, überraschte ihn das nicht. Bestimmt war selbst für sie dieser Kampf nicht einfach gewesen. In ihr war die Macht des Chaos weit weniger stark. Sisrall hoffte, dass das reichen würde, damit sie nicht auch die Kontrolle verlor.
„Du hast ihn aufgehalten?“, mischte sich Viverla’atar ein. „Dann muss ich dir wohl danken, dass du ihn mit vom Hals gehalten hast.“
„Ich tat es nicht für dich.“, entgegnete Yerill und funkelte die Autarii an.
„Was ist los mit dir?“ Viverla’atar fand offensichtlich ihren Mut zurück. Zorn stand in ihrer Miene. „Du stellst dich gegen uns? Trotz allem, was wir dir gegeben haben? Was wir für dich getan haben?“
„Nichts habt ihr für mich getan. Du magst mich geboren haben, aber du warst nie meine Mutter. Für euch war ich nur eine Waffe. Ein Mittel zum Zweck auf Nerglots Feldzug der sinnlosen Rache. Und glaubst du wirklich, du bist mehr?“
Sisrall klappte der Mund auf und er blickte abwechselnd zwischen Yerill und Viverla’atar hin und her. Sie war die Mutter dieses Mädchens? Aber wie konnte das sein? Erst gestern hatte er erfahren, dass sie von ihm schwanger war. Da hatte sie noch nicht einmal einen sichtbaren Bauch gehabt. Wie sollte sie eine Tochter mit dem Aussehen einer Siebzehnjährigen haben? Vielleicht, überlegte er, hatte sie das nur erfunden, um Yerill gefügiger zu machen. Das erklärte aber nicht, wo das Mädchen herkam.
„Du weißt gar nichts. Und wag es nicht, so über deinen Meister zu sprechen.“
„Er ist nicht mein Meister. Er ist nur ein verstörter, wandelnder Leichnam mit zu viel Macht und falschen Idealen. Glaubst du, ihn zu lieben? Behauptet er, dich zu lieben? Ist das dein Traum? Eine kleine Familie Unsterblicher, die über eine tote Welt herrschen?“
Interessanterweise, fiel Sisrall auf, bezeichneten sie Nerglot nicht als Yerills Vater. Das hätte doch besser zu der Lüge gepasst. Und besser zu Viverla‘atars Bild einer unsterblichen Familie. Vielleicht hatte sie also doch nicht gelogen und war wirklich ihre Mutter. Aber dann wäre er, Sisrall, der Vater. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitzschlag. Nein, das war unmöglich. Er wusste, dass sein Kind die Gabe des Flammenbrunnens erben und daran zugrunde gehen würde.
„Was weißt du schon über Liebe?“, fragte Viverla’atar ungehalten. Sisrall empfand Respekt für ihren Mut, so mit der Unsterblichen zu sprechen, die vermutlich in der Lage wäre, die ehemalige Autarii mühelos mit bloßen Händen zu töten.
„Im Gegensatz zu euch habe ich ein schlagendes Herz, das Liebe empfinden kann. Eure kranken, geheuchelten Gefühle sind doch nichts als Erinnerungen an das, was ihr früher einmal empfunden habt, als ihr noch gelebt habt. Alles, was ihr noch habt, ist Lust, die niemals befriedigt werden kann, weil eure Körper erstarrt sind für alle Ewigkeit.“
„Du bist nicht einmal einen Tag alt, Yerill!“, schrie Viverla’atar beinahe.
Sisrall runzelte die Stirn. Sie versuchte nicht einmal, die Unmöglichkeit dieser Tatsache zu leugnen. Also war Yerill tatsächlich das Kind, das Viverla’atar gestern noch in ihrem Leib getragen hatte. Sein Kind. Oder? Er musterte die schöne Unsterbliche, ihre seltsame Haut, ihre Kraft, ihre Immunität gegenüber Magie. Vielleicht hatten sie sich doch geirrt, was den Zeitpunkt der Empfängnis anging, und Darmal war in Wirklichkeit der Vater. Sisrall wusste nicht, ob er die Möglichkeit besser finden sollte oder nicht. Yetail würde das sicherlich erleichtern.
„Für mich ist das eine Ewigkeit.“, gab das Mädchen zurück. „Genug Zeit, um zu erkennen, dass ihr den falschen Weg gewählt habt. Angetrieben von den wenigen starken Gefühlen, die ihr noch aus eurem Leben an den Rand des Todes mitgenommen habt: Rachsucht, Hass und Begierde, die du mit Liebe verwechselst. Ihr werdet niemals zufrieden sein. Was wollt ihr tun, wenn die Welt versklavt ist und euch zu Füßen kriecht? Glaubst du, dann ist eure Rache befriedigt?
Und denk nicht, ich wüsste nicht, wovon ich spreche. Nerglot hat mir genug über den Zauber erklärt, der euch am Leben erhält. Und ich hatte ausreichend Zeit, darüber nachzudenken, was er wohl mit euren Seelen anstellt. Glaubst du, die erstarren nicht, so wie eure Körper? Wo es keine Veränderung gibt, gibt es auch kein Glück, Viverla’atar.“
Während Sisrall über all das nachdachte, was er gehört hatte, reifte allmählich eine unglaubliche Erkenntnis in ihm. Wenn Darmal der Vater des Kindes wäre, dann wäre die Macht des Chaos doch sicher vollständig auf sie übergegangen. Um ihn zu verändern, hatte es genügt, von Drrochaals Kraft berührt zu werden. Er konnte sich nicht vorstellen, dass der Fluch auf die Möglichkeit verzichten würde, sich neue Opfer zu suchen. Genauso wie das Geschenk des Flammenbrunnens sein eigenes Kind mit voller Macht treffen würde.
„Gewagte Vorwürfe von einem Mädchen, dessen Körper aus Eis besteht.“, entgegnete Viverla’atar, nachdem sie die Worte verdaut hatte.
„Du bist eine Heuchlerin. Meine Haut mag Eis sein, aber darunter fließt Blut. Im Innern bin ich eine Elfe und meine Seele ist so frei wie die jedes Sterblichen. Ich bin nicht wie der Andere, den ich getötet habe. Er war erstarrt. Der Fluch hat ihn körperlich und geistig in Eis verwandelt, zu nicht mehr fähig, als Hass und Gier zu empfinden. Das war sein Untergang. Und es wird auch euer Verderben sein.“
Sisrall musterte noch einmal die unsterbliche Schönheit des Mädchens und erinnerte sich daran, was er bei ihrem ersten Anblick gedacht hatte. Dass allein Yetail sich mit ihr messen konnte. Ihm stockte der Atem. Natürlich! Die Zauberin war seine Schwester und daher die nächste Verwandte, die er überhaupt haben konnte. Dieselbe Verbindung, die sie geschaffen hatte, hatte auch ihn hervorgebracht. Er trug also genug von Yetail in sich, das er an seine Tochter vererben konnte. Im Grund hätte sie genauso gut auch Yetails Kind sein können wie seins.
Jetzt, da er genauer hinsah, entdeckte er vieles von Yetail in Yerill wieder. Es war durchmischt mit Merkmalen von ihm selbst und natürlich Viverla’atar, aber die Ähnlichkeit zu seiner Gefährtin war doch deutlich vorhanden.
„Ich vermute eher, dass du irgendwann so enden wirst wie er.“, zischte Viverla’atar. „Was lässt dich glauben, dass der Fluch dich nicht auch eines Tages verschlingt? Nerglot und ich streben vielleicht nach Rache, aber unsere Entscheidungen sind frei. Ich habe Darmal gesehen und in seinen Augen stand einzig der Drang zu töten. Wenn einer von uns in seinen Gefühlen erstarren wird, dann bist du das, Yerill. Warum sollte die Tochter auch anders werden als der Vater? Ihn hast du ja bereits vernichtet.“
Sisrall konnte sehen, wie hart die Worte das Mädchen trafen. Viverla’atar hatte einen wunden Punkt gefunden. Wenn Yerill tatsächlich erst einen Tag alt war, konnte sie nicht wissen, wie sich die Stärke des Fluchs entwickeln würde. Auch Darmal war ihm erst mit der Zeit verfallen. Aber Sisrall glaubte, es wissen.
„Das wird sie nicht.“, antwortete er. Die beiden Frauen starrten ihn überrascht an. Vermutlich hatten sie ihn fast vergessen. Er grinste Viverla’atar schief an. Die Unsicherheit in ihren Augen gefiel ihm. Inzwischen erkannte er die Frau, die er einst geliebt hatte, nicht mehr wieder. Gott, wie kurzsichtig er gewesen war. Ihr Tod wäre wahrlich kein Verlust.
„Erinnerst du dich an den Flammenbrunnen, Viverla?“
Sie runzelte die Stirn und nickte. Doch, bevor einer von ihnen etwas sagen konnte, flüsterte Yerill:
„Er war mein Vater? Du hast dich diesem Ungeheuer hingegeben?“
Viverla’atar funkelte ihre Tochter aus roten Augen an.
„Er war gewissermaßen einer deiner Väter. Und damals war er noch nicht so, auch wenn er den Fluch schon in sich trug. Damals war er einfach nur ein Elf, lediglich etwas stärker und zäher. Er muss ihn an dich weitergegeben haben, während …“
„Du hast mit ihm geschlafen, obwohl du von jemand anderem schwanger warst?“, kreischte Yerill beinahe. Sie sah aus, als wüsste sie nicht, ob sie sich vor Ekel über die Zusammenhänge ihrer Entstehung selbst abstechen oder Viverla’atar mit bloßen Händen zerfetzen sollte. „Du bist wirklich eine erbärmliche Hure, Viverla. Drei Männer in zwei Wochen?“
„Du hast dich Nerglot hingegeben?“, fragte Sisrall mit hochgezogenen Augenbrauen. Zu seiner eigenen Überraschung war er eher verblüfft als entsetzt. So viel Schamlosigkeit war einfach unfassbar. Und ich glaube, Yerill und Yetail würden sich gut verstehen. Solange es um Viverla’atar und ihr Verhältnis zu Männern geht.
„Nein, habe ich nicht.“, fauchte Viverla’atar.
„Aber du hast es vor.“, stellte Yerill fest.
„Was ist nun mit dem Flammenbrunnen?“, wechselte die Untote das Thema, was genauso gut war wie eine Antwort. Yerill lächelte mit grimmiger Befriedigung und Sisrall spürte, wie der letzte Rest Zuneigung zu der Frau, die er einst Geliebte genannt hatte, in Ekel umschlug. Er dachte an die Worte aus der Viermächteschlachtprophezeiung, die Xiucalta den Kindern des Mordes in Erinnerung gerufen hatte. Aber Ihr werdet Hilfe bekommen, die Ihr nicht erwartet. Und wenn es soweit ist, erinnert Euch der Worte Und nicht alle Feinde sind Feinde, Nicht alle Freunde sind Freunde. Bedenkt das.
Jetzt verstand er sie. Yerill war die unerwartete Hilfe und diese Situation bewies einmal mehr, wie wahr der Rat der Prophezeiung war. Viverla’atar, die er einst geliebt hatte, hatte sich in die schlimmste Feindin verwandelt, während Yerill, ein Wesen, das seine Existenz Nerglots dunkler Magie und einem dämonischen Fluch verstankte, sich auf Seite der Druchii stellte.
Nur mit Mühe konzentrierte er sich wieder auf das Gespräch und beantwortete Viverla’atars Frage. „Nun, du weißt es vielleicht nicht, aber die Segnung des Flammenbrunnens hätte mich umgebracht, wenn dein Vater nicht die unterhaltsame Idee gehabt hätte, mich auf dem Altar der absoluten Dunkelheit zu opfern. Auf diese Weise haben sich Feuer und Schatten ausgeglichen. Jedes allein hätte mich früher oder später getötet.“
„Wie schön für dich.“, entgegnete Viverla’atar giftig. „Worauf willst du hinaus?“
„Nun, wenn Darmal den Einfluss des Chaos, der seinen Körper in Eis verwandelt hat, an sein Kind weitergeben konnte, wieso sollte mein Kind denn nicht auch die Macht des Feuers erben? Eine Macht, die groß genug wäre, den Fluch in Schach zu halten.“
Die beiden Frauen starrten ihn an. Sisrall suchte Yerills Blick und bemerkte erst jetzt, dass ihre beiden geweiteten Augen schwarz und golden waren. Bei Khaine, sie war eindeutig seine Tochter. Sie besaß die goldenen Augen der Kinder des Mordes vermischt mit Yetails dunklen. Er konnte nicht anders, als dieses kleine Wunder zu bestaunen. Darin lag vorsichtige Erkenntnis, als sie langsam verstand, was seine Worte bedeuteten.
„Also …“, begann sie. Viverla’atar lachte gehässig.
„Jetzt begreifst du, nicht wahr? Ja, Blutklinge ist dein wirklicher Vater. Von Darmal hast du nur den Fluch. Jetzt stehst du vor einer interessanten Wahl. Deine Mutter oder deinen Vater. Wenn du die richtige Entscheidung triffst, verspreche ich, dass wir dich von ganzem Herzen willkommen heißen. Wir vergessen einfach alles, was hier gesagt wurde. Du musst nur das tun, was du am besten kannst. Wolltest du nicht mit den Kindern des Mordes, dem Besten, das unsere Feine zu bieten haben, kämpfen? Nutze die Chance. Komm, einen deiner Erzeuger hast du doch bereits getötet.“
Yerill ignorierte sie und blickte Sisrall direkt an.
„Ich habe es gespürt. Als der Andere mich verwundet hat, hat sich das Eis ausgebreitet, während mein Blut aus mir heraus floss. Es ist Euer … dein Feuer, das mich beschützt, nicht wahr? Es nährt sich von Lebenskraft und drängt den Fluch zurück. Es ist dasselbe Feuer, das mein Haut leuchten lässt.“
Sisrall nickte, auch wenn sich nicht sicher war, ob er den Teil mit der Lebenskraft verstand. Aber darüber konnte er sich später Gedanken machen. Es wäre sicher interessant, das Geheimnis von Yerills Existenz mit Yetail zu besprechen.
Das Mädchen wandte sich einen Augenblick später wieder Viverla’atar zu.
„Es spielt keine Rolle, wer meine Eltern sind. Selbst wenn Nerglot mich gezeugt hätte, würde das nichts ändern. Du magst mich geboren haben, aber du bist nicht meine Mutter. Du hast mir die Liebe vorenthalten, die eine Mutter ihrem Kind schenken sollte, und ihr beide habt mir meine Kindheit genommen. Weil ihr keine Liebe mehr fühlen könnt. Deshalb nehme ich die Verwandtschaft an, die bereit ist, mir das zu geben. Wie ich auch den Titel angenommen habe, der mit gegeben wurde. Merke ihn dir: Sturmtanz.“
Sie blickte kurz zwischen Sisrall und Viverla’atar hin und her.
„Und wenn du mich wirklich zwingst, zwischen dir und ihm zu entscheiden ….“ Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. „Dann solltest du lieber laufen. Lauf, so schnell du kannst und blicke nicht zurück. Denn Khaines weiße Aydar folgt dir.“
Den Namen des Blutigen Gottes aus dem Mund ihrer Tochter zu hören, gab den Ausschlag. Viverla’atar warf Sisrall noch einen hasserfüllten Blick zu, während sie zurückwich, dann drehte sie sich um und verschwand um die nächste Ecke.
Sisrall trat an Yerill heran und das Mädchen blickte überrascht auf. Er lächelte.
„Khaines weiße Aydar, also?“ Sie blickte betreten zu Boden und zuckte die Schultern.
„Das tut mir leid, es ist mir so rausgerutscht.“ Ihre Stimme war selbst trotz des schuldbewussten Klangs noch vollkommen. Wie sollte man so einem Wesen eigentlich böse sein? „Ich wollte euren Gott nicht beleidigen.“ Kurz fragte sich Sisrall, ob Khaine diesem Mädchen zürnen konnte. Ihm selbst fiel es schwer, auch wenn er wusste, dass es Blendwerk des Chaos war.
„Ich kann nicht sagen, ob es unserem Gott missfällt oder nicht, aber ich finde es passend. Wenn du bereit bist, für uns zu kämpfen, dann darfst du auch diesen Titel tragen. Es spielt keine Rolle, ob du einem Gott dienst oder nicht. Es ist wichtig, dass du an die Sterblichen glaubst, die ihn verehren. Ich mag der Auserwählte Khaines sein, aber ich kämpfe nicht für ein mächtiges Wesen jenseits unserer Welt. Ich kämpfe für die Druchii. Denn die Druchii sind Khaine. Sie alle zusammen und jeder einzelne von ihnen verkörpern den Blutigen Gott auf dieser Welt. Letztendlich haben sie mich auserwählt, als ihren Helden in dieser dunklen Stunde. Wenn sie nicht an mich glauben, ist all meine Macht bedeutungslos.“
Er legte Yerill beide Hände auf die Schultern. „Wenn das Volk dich als Khaines weiße Aydar akzeptiert, dann bist du Khaines weiße Aydar. Es ist nicht meine Entscheidung. Die Druchii sind Khaine und sie musst du fragen, ob sie sich beleidigt fühlen oder dich akzeptieren.“
Er verstummte und eine Weile standen sie still nebeneinander, während sie beide verarbeiteten, was sie in den letzten Minuten erfahren hatten. Für sie beide schien es, als hätte sich ihre gesamte Welt verändert. Um sie herum mochte noch immer eine tödliche Schlacht toben, aber hier hatten sie beide einander gefunden. Sisrall spürte, wie wahr die Worte gewesen waren, die Yerill an Viverla’atar gerichtet hatte. Es spielte keine Rolle, wer letztendlich tatsächlich ihre Eltern waren. Für ihn war sie seine Tochter und nur das zählte. Und in ihren Augen sah er, dass auch sie ihn als Vater annahm, wie sie es gesagt hatte. Nach einer Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, ließ er die Hand sinken und setzte sich den Helm wieder auf.
„Lass deine Mutter nicht warten.“, meinte er und sie lächelte. Ohne ein weiteres Wort eilte sie mit leisen Schritten davon. Sisrall zwang sich, ihr nicht hinterher zu blicken. Er hatte eine Pflicht zu erfüllen. Mittlerweile war seine Erschöpfung verschwunden. Die Begegnung hatte vermutlich nur zehn Minuten gedauert, aber es hatte ihm gut getan, so lange zu verharren. Die Marilim mochte fast erschöpft sein, aber ein wenig Kraft besaß sie noch. Genug, dass er das Gefühl hatte, für den Kampf bereit zu sein. Und mit neuer Stärke sowie einem Mädchen wie Yerill auf ihrer Seite sah er der Schlacht gleich viel optimistischer entgegen.