So, nun endlich mal wieder einen neuen Teil. Hier wird mal wieder mehr geredet als irgendwas anderes, aber ich denke, das Kapitel ist eigentlich ganz gut geworden. Hier wird nun auch Trizil ein wenig näher beschrieben. Soll aber die letzte sein, die in dieser Geschichte Titel und Hintergrund erhält.
Außerdem werden ein paar Schleier um Xiucaltas Pläne gelüftet.
Ich hoffe, es gefällt, und wünsche viel Spaß.
Hoffnungen
Niemals soll euer Mut wanken, solange mein Lied erklingt.
- Aus ‚Die Legenden von Meisterin Todeslied und der langen Überfahrt‘
Naggarond; Naggaroth
2567 IC; 8.Vollmond (5.Tag)
11 Stunden nach Sonnenaufgang
Mit langsamen Schritten aufgrund ihrer Erschöpfung ging Xiucalta auf Trizil zu, die jetzt neben Kerkil kniete und ihn vorsichtig untersuchte. Beinahe zärtlich tasteten ihre Finger über seine Haut und genauso sanft tat sie all seine besorgten Fragen über ihre Verletzungen ab. Sie sah gut aus für jemanden, der gerade mit Mühe den Angriff des Splitterdrachens überlebt hatte.
Wie Kerkil hatte sie mit ihrem Titel nicht nur ihre einstigen Fähigkeiten und Erinnerungen, sondern auch ihre besondere Rüstung zurückerhalten. Ein kunstvoller, feiner Harnisch hüllte ihren ganzen schlanken Körper in blaugraues Silber, das dort, wo sich das Licht brach, mal weiß, mal bläulich schimmerte und täuschend durchscheinend aussah. Die Farbe erinnerte an die Oberfläche eines aufgewühlten, grauen Meeres, das sich ab und zu bequemt, im Sonnenschein im Blau unergründlicher Tiefen zu glitzern. Wellenförmige Muster und Verzierungen in denselben Farben auf Arm- und Beinschienen, die zum Teil schützende Runenzeichen bildeten, unterstützten diesen Eindruck noch. Auf Brust und Rücken waren die Abbildungen von Schiffen, Küsten und Stränden zu erahnen.
Um den Kopf trug die Erwählte nun einen dünnen, silbernen Stirnreif, in dessen Mitte, direkt über dem goldenen Symbol der wieder ins Leben gerufenen Kinder des Mordes, ein geschliffener Saphir funkelte. Die langen, silberweißen Haare fielen ihr wie die Gischt eines schäumenden Wasserfalls in lockigen Wellen über Reif, Schultern und Rücken. Weitere Saphire zierten die Gelenke ihrer Rüstung, den Knauf ihres Schwerts und auch die lange Scheide, auf der sich die Wellenmuster des Harnischs fortsetzten.
Ein langer, meerblauer Umhang mit silbernen Säumen und Verzierungen rundete die Erscheinung der Erwählten ab. Es war das Bild einer wahren Heldin, die die Herzen der einfachen Krieger höher schlagen ließ und deren Anblick allein die Zuversicht eines ganzen Heeres wiederherstellen konnte. Auch Xiucalta konnte nicht verhindern, dass Trizils Erscheinung ihre Hoffnungen auf ein gutes Ende dieses Tages hob.
Als sie neben der Erwählten zum Stehen kam, stand die auf und lächelte.
„Danke, Xiucalta. Ich … nein, wir schulden dir eine Menge. Ohne dich wären wir tot.“
„Ihr schuldet mir nichts. Es ist der Preis, der mit meiner Gabe einhergeht, zu wissen, welche Folgen mein Versagen hätte. Meine Rolle in dieser Schlacht ist nicht größer als Eure, Meisterin Todeslied, und die aller Kinder des Mordes. Nur meine Waffe ist eine andere. Mein Wissen soll euch ebenso beschützen wie eure Klingen mich.“
Trizil blickte sie einen Moment aufmerksam an und erwiderte dann: „Doch zumindest zu einem Dank sind wir dir verpflichtet.“
„Den ich mit Freuden annehme.“
Die Erwählte lächelte und klopfte Xiucalta auf die Schulter. Die junge Seherin zuckte zusammen, dann erwiderte sie das Lächeln. Allmählich fühlte sie eine gewaltige Erleichterung. Sie war nicht nur am Leben, sie hatte es entgegen aller Wahrscheinlichkeit auch noch geschafft, Kerkil und Trizil zu retten. Für den Verlauf der Schlacht mochte es ein nur kleiner Erfolg sein, aber für ihre Zuversicht war er umso wichtiger.
„Dann war meine Zeit also gekommen?“, fragte Trizil, während sie wieder neben Kerkil in die Knie ging. Sie legte dem verletzten Krieger einen zusammengerollten Umhang unter den Rücken, auf der er anscheinend auch schon vor dem Auftauchen der Splitterdrachen gelegen hatte. So saß er ein wenig aufrechter. Er lächelte Trizil dankbar an.
„Ich weiß nicht, ob Eure Zeit gekommen war oder nicht, Meisterin Todeslied. Ich bin nicht das Schicksal. Aber Euch Euren Titel zurückzugeben, war die einzige Möglichkeit, die ich noch sah, um Euch beide zu retten.“
Die Erwählte blickte überrascht auf. „Aber wenn es allein deine Entscheidung war, hast du für das Schicksal entschieden. Was macht es noch für einen Unterschied?“ Sie lachte. „Nein, antworte nicht. Dies ist weder der richtige Ort noch die richtige Zeit, um über solche Spitzfindigkeiten zu debattieren. Und du brauchst mich nicht Todeslied zu nennen. Trizil genügt.“
Xiucalta nickte und kniete sich neben die Erwählte. Sie konnte fühlten, wie ihre Magie zurückkehrte. Noch hatte sie es nicht versucht, aber schon bald müsste sie wieder mühelos sehen können. Dann musterte sie Trizil und stellte fest, dass sie noch immer leicht lächelte, obgleich Sorge in ihren goldenen Augen lag.
„Ihr seid anders als die übrigen Kinder des Mordes.“, stellte die Seherin fest. Die Erwählte sah auf und zog fragend eine Augenbraue hoch. Ein erwartungsvolles Funkeln trat in ihren Blick. Jedes Kind des Mordes hatte einzigartige Fähigkeiten und jedes von ihnen hatte auch eigene Farbe. Während Blutklinge schwarz war, die Verkörperung des Tempels und des Todes, für den er stand, war Bluthand golden und Drachenfluch dunkelgrün. Alle Erwählten hatten dunkle Farben gewählt als Zeichen ihrer Verbindung zu Khaine, dem sie dienten, und dem Tod, den sie brachten. Trizil war die mit Abstand hellste von ihnen, so gehüllt in Blau und Silber. Xiucalta war neugierig, weshalb das so war.
„Oh, wir alle sind sehr verschieden. Jeder von uns ist einzigartig und etwas Besonderes in seinem Können.“
„Ja, aber Ihr seid so … fröhlich. Ihr lächelt viel häufiger, Ihr begegnet mir ohne jede Skepsis und den furchtsamen Respekt einiger der anderen. Selbst jetzt noch sehe ich Hoffnung in Euren Augen. Und ich glaube nicht, dass einer der anderen Erwählten seinem Gegner singend entgegen treten würde.“
Die Erwählte lachte erneut. „Fröhlich. Ich mag dich, Xiucalta. Meine verehrten Mitstreiter würden es eher mit naiv ausdrücken.“ Fast beiläufig legte sie Kerkil die Finger auf die Lippen, als der protestierend den Mund öffnete. „Ich kenne eure Gedanken.“, meinte sie in seine Richtung. Dann sah sie wieder Xiucalta an. „Aber ich weiß auch, dass sie es nicht herablassend meinen. Eher im Sinne von jugendlich unschuldig oder übertrieben hoffnungsvoll.“ Sie zuckte die Schultern. „Aber vermutlich hast du recht. Ich bin anders als die anderen. Oder sagen wir mehr anders.“ Sie grinste.
„Woher habt Ihr dieses Wesen?“, fragte Xiucalta neugierig. „Wenn Ihr die Frage erlaubt.“
„Natürlich. Du weißt vermutlich sowieso fast alles über uns. Ich bin sicher, früher oder später würdest du alleine eine Antwort finden.“ Sie zuckte abermals mit den Schultern. „Ich war noch sehr jung, als ich die Marilim erhielt, nur wenige Jahre älter als du jetzt. Und ich glaube, mein fröhliches Wesen war es, weshalb Khaine mich auserwählte. Denn ich war das Kind des Mordes, das die Druchii über den Ozean führte, als Nagarythe im Meer versank. Es waren schreckliche und hoffnungslose Jahre, die darauf folgten. Ich bin keine so gute Kämpferin wie die anderen, Xiucalta, aber meine Zeit erforderte weniger scharfe Schwerter als vielmehr einen starken Glauben, Mut und unerschütterliche Hoffnung.“
Sie blickte der Seherin einen Moment in die Augen, dann fuhr sie fort. „Und wie du bereits bemerkt hast, halte ich selbst in dieser Stunde an der Hoffnung fest. Das war es, was die Druchii zu meiner Zeit brauchten, während sie aus ihrer Heimat flohen und den beschwerlichen Weg über den Ozean in eine ungewisse Zukunft antraten. Ich schenkte ihnen neue Zuversicht, brachte sie zum Hoffen und erinnerte sie daran, zu glauben. An Khaine und an eine Zukunft. Bis wir schließlich Naggaroth erreichten und begannen, uns niederzulassen.“
„Habt Ihr auch mitgeholfen, Naggaroth zu erobern?“
„Nein, das sollte die Aufgabe eines anderen Kindes des Mordes sein. Ich schützte nur die ersten Siedlungen und Städte. Als die Druchii eine neue Heimat gefunden hatten, war mein Teil getan. Ich starb noch im ersten Jahr nach der Landung beim Kampf gegen die Zwerge in den Eisenbergen.“
Sie blickte zu den Gipfeln, die über der Stadt aufragten. „Es war nicht allzu weit von hier. Sie hatten unsere Steinbrüche und Minen angegriffen, die wir brauchten, um Naggarond aufzubauen. Wir schlugen aller Kraft und Verzweiflung zurück, weil sie uns dieses neue Land nicht wieder nehmen lassen wollten, und kamen letztendlich bis in ihre Hauptstadt. In letztem Trotz befreiten sie einen gefangenen Drachen, um uns aufzuhalten. Ich opferte mein Leben, um die Bestie zu vernichten.“
Xiucalta blickte die Erwählte ehrfürchtig an. „Dann muss Euch dies eben wie ein Déjà-vu erschienen sein.“ Die andere Frau nickte nur und erschauderte, als sie sich daran erinnerte, wie knapp sie dem Tod entkommen war. Dann runzelte sie die Stirn und blickte Xiucalta schockiert an.
„Oh nein, ich habe ganz vergessen, an deine Warnung zu denken. Jetzt hat der Splitterdrache noch ein Körperteil verloren. Verdammt.“
Xiucalta legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Und so sollte es sein.“
Jetzt stand völlige Verwirrung in den goldenen Augen der Erwählten. „Wie meinst du das? Du hast uns doch gesagt, wir sollen das vermeiden, damit er nicht noch mächtiger wird.“
Xiucalta lächelte und zog die Augenbrauen hoch. „Habe ich das?“
„Du hast … Soll das heißen …?“
„Ich habe Euch davor gewarnt, was geschehen würde, wenn Ihr ihm körperliche Waffen nehmt, damit Ihr ihn nicht unterschätzt oder Euch zu sicher wähnt. Ich habe Euch nie verboten, die Splitter zu vernichten, aus denen er geschaffen wurde. Tatsächlich ist das sogar nötig, damit er am Ende gebannt werden kann.“
„Und warum hast du uns das nicht gesagt?“, fragte Kerkil ungläubig.
„Was denkt Ihr denn, was Ihr dann getan hättet?“
„Wir hätten alles daran gesetzt, diese Teile von ihm zu zerstören.“
„Genau. Als Ihr und Meister Blutklinge in der Luft mit ihm gekämpft habt, hattet Ihr die Möglichkeit, ihm die Reißzähne zu nehmen. Sicher hättet Ihr außerdem versucht, an seine Klauen oder seinen Schwanz heranzukommen. Aber selbst wenn Euch das gelungen wäre, hätte es dem Splitterdrachen schreckliche neue Fähigkeiten gegeben und ihn jedes Mal mächtiger gemacht. Außerdem hätte Szar’zriss keinen so langen Kampf überstanden. Hättet Ihr Euch nicht darauf konzentriert, ihm einzig und allein die Flügel zu nehmen, hättet Ihr das nicht geschafft, Szar’zriss wäre trotzdem abgestürzt und Ihr würdet nun nicht mehr an ihn herankommen.“
Der Erwählte nickte langsam. „Ich verstehe.“, meinte Trizil. „Also hast du uns absichtlich in dem falschen Glauben gelassen, dass wir ihn möglichst nicht verletzen dürfen, damit wir überhaupt eine Chance haben, ihn zu besiegen.“
„Und die Schlacht gibt mir recht. Seht ihn Euch an. Sechs der sieben Teile, aus denen er geschaffen wurde, hat er verloren. Ein einziges fehlt noch, dann könnt Ihr ihm das Horn in den Leib rammen und uns alle endlich von ihm erlösen. Aber behaltet dieses Wissen für Euch. Ihr würdet Euren Gefährten damit nicht helfen.“
„Ich möchte wahrlich nicht mit dir tauschen, Xiucalta.“ Trizil lächelte schwach und schüttelte den Kopf. „Ich bin viel zu ehrlich und direkt, um solch verworrene Pläne zu entwickeln. Im Herzen bin ich doch eine Kämpferin.“ Sie überlegte kurz. „Und du bist sicher, dass das Horn zu uns kommen wird, wenn wir soweit sind?“
„Sicher ist nichts in dieser Schlacht. Alles ist nur eine Möglichkeit. Wenn Eure Zauberin versagt, wären all Eure Bemühungen umsonst. Es spielt keine Rolle, wie viel Ihr dann bereits erreicht habt. Ein einziger Fehler; und alles fällt in sich zusammen. Es gibt nur eines, das ich sicher sagen kann: Bevor Ihr den Splitterdrachen bannen könnt, muss es ein Opfer geben.“
Trizil sprang auf. „Was?“ [FONT="]Sie schrie beinahe, auch wenn ihre Stimme vom fernen Brüllen der gewaltigen Bestie übertönt wurde, als hätte sie die Worte über ihre Bannung gehört. Die Erwählten machten das Monster wohl langsam wütend. [/FONT] „Aber du hast gesagt …“
„Ich weiß, was ich gesagt habe.“, unterbrach Xiucalta sie ruhig. „Das Horn muss mit dem Geist eines lebenden Götterkriegers gefüllt werden, indem dieser ermordet wird. Was ich damals aber nicht klar sah, ist, dass Ihr eine Ablenkung braucht, wenn einer von Euch nah genug an den Splitterdrachen herankommen will, um ihn zu bannen. Eine Ablenkung, die nicht überleben wird.“
Trizil kniete sich wieder hin und legte den Kopf in die Hände. „Also müssen zwei von uns sterben.“
„Damals war es nur eine Möglichkeit, jetzt ist es Gewissheit. Ohne das Opfer werdet Ihr keinen Erfolg haben. Es tut mir leid. Ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg.“
„Ich sollte das tun.“, mischte sich Kerkil ein, der bisher größtenteils müde zugehört hatte. Jetzt war er munter und schien sich vom Einfluss des Banns, mit dem der Splitterdrachen ihn belegt hatte, zu erholen.
„Nein.“, rief Trizil sofort. „Du weißt nicht, was du sagst. Du …“
Dieses Mal legte er ihr die Finger auf die Lippen, um sie zum Verstummen zu bringen, während er verbittert lachte. „Sieh mich doch an, Trizil. Ich bin verletzt und gebrochen. Die Marilim hat mich aufgegeben. Welch anderen Nutzen kann ich noch haben außer als Opfer?“
Trizil schluchzte leise. „Ich will dich nicht verlieren.“
Kerkil legte ihr die Hand an die Wange. „Ich dich auch nicht. Aber würdest du einen unseren Gefährten dazu verurteilen?“ Sie gab ihm keine Antwort. Er fragte sanft, aber eindringlich: „Wenn du mich nicht gehen lassen willst, würdest du es selbst tun?“
Xiucalta konnte sehen, wie Trizil der Atem stockte und sie ihn anstarrte. Dann senkte sie den Blick. „Du hast recht. Ich habe meine Aufgaben aus den Augen verloren und mich von Gefühlen ablenken lassen. Ein Kind des Mordes sollte nicht so handeln wie ich.“
„Wir alle machen Fehler, Trizil. Und ich mag dich dafür, dass du nicht allein an die Pflicht denkst. Dass ich dir wichtiger bin als dein Schwur vor Khaine. Gefühle sind nicht Schlechtes. Sie können uns stärker machen und sie heben uns ab von unseren Feinden. Aber wir sind die Kinder des Mordes und wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Gefühle Leben fordern.“
Trizil nickte. „Ich wünschte, ich wäre so stark wie Blutklinge und Bluthand. Sie ist allein, um für uns alle zu kämpfen, statt bei ihrem Geliebten zu bleiben. Sie haben sich getrennt, ohne zu wissen, ob sie einander wiedersehen würden. Sie haben nicht einen Augenblick gezögert, sich loszulassen, um ihre jeweilige Schlacht zu schlagen.“
Xiucalta dachte an Yerill und Sorge schnürte ihr die Kehle zu. Aber sie empfand ebenso viel Stolz wie Furcht. Auch sie beide hatten sich getrennt, in dem Wissen, dass der jeweils andere sterben könnte, ohne dass sie es mitbekommen würden.
„Du bist nicht schwächer als die beiden, Trizil.“, widersprach Kerkil. „Du zeigst deine Gefühle nur offener. Aber ich weiß, dass du, wenn es so weit ist, das Richtige tun wirst. Und wenn das Ende kommt, dann möchte ich mit dir zusammen sterben. Wenn zwei von uns sterben müssen, dann möchte ich einer von ihnen sein. Meine Schlacht ist geschlagen. Diesen letzten Dienst soll mir niemand vorenthalten.“
Die Erwählte nickte, während Tränen in ihren Augen standen. „Aber du kannst nicht einmal laufen. Wie willst du dann als Ablenkung dienen? Lass mich das tun. Vielleicht ist es mein Schicksal, abermals von einem Drachen getötet zu werden. Möglicherweise war meine Zeit tatsächlich gekommen und ich habe meinen Titel zurückbekommen, damit ich mich an alles erinnere, wenn das Ende kommt.“
„[FONT="]Vielleicht gilt für mich das gleiche. Ich starb schon einmal durch die Hand eines Freundes. [/FONT] Glaub mir, ich will genauso wenig, dass du dich opferst, wie du mich das tun lassen willst. Deshalb bitte ich dich um ein Versprechen: Wenn du die Möglichkeit hast, das Horn zu bekommen, dann tu, was getan werden muss. Töte mich damit. Ich werde in Khaines Hallen auf dich warten.“
Trizil keuchte auf und starrte ihn einige Augenblick an. Er erwiderte ihren Blick ohne Blinzeln, bis sie die Augen schließlich niederschlug. „Ich verspreche es dir. Und ich werde dir so schnell wie möglich nachfolgen. Ich werde mich als Ablenkung opfern, damit all unsere Brüder und Schwestern leben können.“
„Danke.“, flüsterte Kerkil und schloss die Augen. Das Reden schien ihn erschöpft zu haben. Vielleicht war es auch die Endgültigkeit dessen, was sie einander versprochen hatten. Xiucalta fühlte sich fehl am Platz und sie war froh, nicht an Trizils Stelle zu sein. Sie konnte verworrene Pläne machen, aber den Mut für ein solches Opfer besaß sie nicht. Sie war keine Kriegerin.
„Ist das unser Schicksal?“, wandte sich die Erwählte plötzlich an sie. Xiucalta erstarrte einen Moment, bevor sie sich fing und rasch nach Worten suchte.
„Glaubt mir, ich wünschte, ich könnte Euch das sagen. Aber selbst, wenn ich es mit Sicherheit wüsste, würde ich es nicht tun. Die Zukunft, die ausgesprochen wurde, wird nicht eintreten; das ist das Wichtigste, was ein Seher lernen muss.“
Trizil nickte und lächelte. „Das habe ich fast erwartet.“ Xiucalta war sprachlos, angesichts der Geschwindigkeit, mit der die gute Laune der Erwählten zurückgekehrt war. Aber als sie genauer hinsah, entdeckte sie eine Härte in den goldenen Augen, die zuvor nicht dagewesen war. Ganz so leicht, wie es schien, hatte sie Kerkils Bitte doch nicht überwunden.
„Gibt es denn überhaupt noch Hoffnung? Lebt Bluthand noch?“
Xiucalta betrachtete die Winde der Magie und dachte einen Augenblick lang nach. Dann nickte sie.
„Ja, so viel kann ich Euch sagen. Sie hält sich bisher gut gegen Nerglot, aber das Duell ist in vollem Gange und ich kann sein Ende nicht erkennen. Es gibt zu viele Eventualitäten und Bedingungen. Jeden Augenblick kann einer von beiden einen Fehler machen, der ausreichen würde, um alles zu beenden.“ Dann zögerte sie, bevor sie fragte: „Wisst Ihr nicht, ob einer von Euch gestorben ist?“
„Ja und nein.“, antwortete Trizil. „Ich weiß, dass kein anderes Kind des Mordes bisher gestorben ist, auch wenn zwei weitere schwer verletzt wurden. Aber wir haben uns darauf geeinigt, Bluthand von unseren Gedanken abzuschirmen. Sie kann keine Ablenkung gebrauchen, weil wir selbst wissen, wie schnell und fatal ein magisches Duell enden kann. Deshalb können wir auch nicht in Erfahrung bringen, wie es um sie steht, da schon ein einziger Gedankenfühler, der sie im falschen Augenblick streift, tödlich werden könnte.“
„Seid Ihr deshalb von der Marilim abgeschnitten?“
Trizil sah die Seherin überrascht an und auch Kerkil schlug die Augen wieder auf.
„Nein, ihre Kraft ist verbraucht. Sonst würde sie mich heilen.“, erwiderte der Erwählte.
Xiucalta schüttelte den Kopf. „Meisterin Bluthand scheint noch genug Magie zu haben, um Nerglot die Stirn zu bieten. Und das schon seit einer ganzen Weile.“
Die beiden Kinder des Mordes sahen sich an, dann zuckte Trizil mit den Schultern. „Vielleicht kann sie uns das erklären, wenn das hier vorbei ist. Im Augenblick sollten wir vielleicht dankbar dafür sein, dass es sich so verhält.“
„Ich wäre dankbar für ein bisschen Kraft.“, schnaubte Kerkil. Trizil sah ihn strafend an.
„Wenn unser Leid bedeutet, dass Bluthand siegen kann, dann trage ich diese Last mit Freude.“
„Ja, vermutlich hast du recht. Sie braucht diese Magie mehr als wir.“
„Wenn Ihr mir die Frage erlaubt.“, mischte Xiucalta sich ein. „Was würde Bluthands Tod für die Marilim bedeuten?“
Wieder sahen die beiden Erwählten einander an. Dieses Mal war es Kerkil, der mühsam antwortete. „Das wissen wir selbst nicht. Khaine gab jedem einzelnen von uns diese Kraft und mit unserem Tod verloren wir sie wieder. Vielleicht versiegt die Marilim, wenn Bluthand stirbt. Ich würde nicht ausschließen, dass wir im schlimmsten Fall alle mit ihr sterben würden, denn immerhin leben wir nur dank ihrer Zauberei wieder. Genauso wenig ist auszuschließen, dass die Marilim auf einen von uns übergehen oder sich zwischen uns aufteilen würde. Eventuell hätten wir dann wieder jeder eine eigene Quelle. In der Summe wären wir dann zwar deutlich schwächer, trotzdem wäre das vermutlich noch das Beste, was uns passieren könnte. Aber lasst uns beten, dass wir es nicht herausfinden müssen.“
Xiucalta nickte und sandte ein kurzes stummes Gebet an den Gott mit den Blutigen Händen, dass er der Zauberin in diesem Kampf beistehen möge. Ihre Visionen konnten ihr keine Auskunft darüber geben, was nach Bluthands Tod mit den Kindern des Mordes geschehen würde. Die Möglichkeit, dass sie alle zusammen vergehen würden, erschütterte sie.
„Kann ich denn wenigstens diese eine gute Nachricht mit den anderen teilen, dass Bluthand am Leben ist und sich im Kampf behauptet?“, brach Trizil schließlich das Schweigen. „Ein wenig Zuversicht könnte uns allen in dieser Stunde gut tun.“
Xiucalta lächelte und nickte. „Ihr wisst wahrlich Hoffnung zu verbreiten, Meisterin Todeslied.“
„Wenn das alles ist, was ich im Moment tun kann, dann soll es mir recht sein. Das Ende wird früh genug kommen.“ Sie verstummte und ihr Blick verlor sich in unbestimmter Ferne. Dann schüttelte sie den Kopf und konzentrierte sich wieder auf die Seherin.
„Und was ist mit dir, Xiucalta?“
„Ich versuche, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.“, antwortete sie vage. Die Erwählte lachte. Xiucalta zuckte die Schultern. „Es gibt viele Kleinigkeiten, die getan werden müssen, damit sich alle Stränge des Schicksals so verbinden, dass dieser Tag nicht mit unser aller Untergang endet. Dinge, für die später andere Personen geehrt werden.“ Als Trizil sie fragend ansah, erklärte sie: „Ich gab Euch Euren Titel zurück und Ihr wart es, die dem Splitterdrachen die Reißzähne nahm. Welche dieser beiden Taten, denkt Ihr, wird später bejubelt werden?“
„Ich werde dafür sorgen, dass man deine Leistungen würdigt.“, widersprach Trizil, aber Xiucalta winkte ab.
„Leistungen, die kein Sterblicher versteht und die keine direkt sichtbaren Wirkungen haben.“ Sie strich mit den Händen über ihre Gewänder. „Seht mich an. Glaubt Ihr, ich will im Mittelpunkt stehen? Wenn Ihr den Sterblichen erklärt, dass ich Euch gerettet habe, werden sie mich mit Euch auf eine Stufe stellen und mich für eine große Kriegerin oder Zauberin halten. Früher oder später würde ich sie enttäuschen müssen.“
Sie legte der Erwählten eine Hand auf die Schulter und sah sie direkt an. „Ich weiß Eure Dankbarkeit zu schätzen, aber ich bin zufrieden damit, mein Leben in Ruhe und ohne große Beachtung zu führen. Frieden, um mich von den Belastungen meiner Visionen zu erholen, ist mir mehr wert als jeder Ruhm.“
Trizil nickte verständnisvoll. „Es gibt viele Fragen, auf die ich gerne eine Antwort hätte, aber ich beneide dich dennoch nicht um deine Fähigkeiten. Du trägst vielleicht die größte Last von uns allen. Dir die Ruhe zu gönnen, die du wünschst, ist das Mindeste, das wir dir schulden.“
„Nun, Ihr habt das Glück, dass ich Euch vielleicht einige der Fragen beantworten …“ Xiucalta stockte, als plötzlich ein ungebetenes und grauenvolles Bild in ihren Gedanken auftauchte. Sie zuckte innerlich zusammen und riss die Augen auf. Verdammt, so schnell hatte sie das nicht erwartet. Jetzt lief ihr schon wieder die Zeit davon. Hastig sprang sie auf.
„Verzeiht, aber ich habe etwas zu tun. Die Untoten drohen durchzubrechen … ich muss sie aufhalten.“
Kerkil schnappte nach Luft und sah sie eindringlich an. „Die Untoten? Sie sind in der Stadt? Warum hast du uns nicht gerufen?“
„Ich habe es vergessen, bis es zu spät war. Deshalb kam ich beinahe nicht rechtzeitig, um Euch zu retten. Jetzt darf ich nicht schon wieder zu spät kommen.“
Auch Trizil erhob sich, die goldenen Augen voll angespannter Neugierde. „Was ist denn das Problem? Brauchst du Hilfe?“
Doch Xiucalta war schon losgelaufen. Nach kurzem Zögern hielt sie dennoch inne und drehte sich noch einmal um. „Nein, diesen Kampf müssen Sturmtanz und ich führen. Bleibt Ihr hier und bleibt zusammen. Haltet Euch bereit.“
[FONT="] Damit wandte sie sich wieder um und rannte los – zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war. [/FONT]