WHFB Erwählte des Khaine - PDF komplett online

Wie gesagt: Langsam pendelt sich die Sache wieder ein, aber ganz so ruhig willst du es ja anscheinend nicht gestalten, wie? 😉

Technisch wieder einmal einwandfrei.

wäre doch öde, wenn einfach alle wieder aufwachen würden. Es sind schließlich noch 6 Kapitel oder so. Ein bisschen Spannung muss schon noch bleiben.

Freut mich, dass es nix zu meckern gibt.

Daraus schließe ich mal, dass du mit meiner Lösung der Was-Passiert-mit-Xiucalta-Frage einverstanden bist?
 
Ist schon lustig, dass gerade die Sachen, über die man sich am meisten Gedanken gemacht hat, dann kaum beachtet werden 😉 Aber nun gut, in diesem Fall hat sich auch kaum etwas für sie geändert.

Und weiter gehts. Der letzte Satz des letzten Kapitels wirft ja die Frage auf, was nun eigentlich mit Viverla'atar passiert ist. Nun, sie lebt ja leider noch 😉

Viel Spaß.


Unerkannt


Auch die Flucht sollte gut geplant werden. Wilde, kopflose Panik führt oft zu wesentlich mehr Schaden als ein auswegloser Kampf.
[FONT=&quot]— [/FONT]Aus ‚Kriegsweisheiten‘, Valen Sidon

Naggarond; Naggaroth
2567 IC; 8.Vollmond (5.Tag)
Sonnenuntergang

Viverla’atar bremste überrascht ab und schaute sich um. Sie hatte kaum darauf geachtet, wo ihre Füße sie in ihrer panischen Flucht hingeführt hatten, und jetzt stand sie plötzlich wieder hier, am Rande des Trümmerfeldes, das vom Khainetempel übrig geblieben war.
Wie oft war sie heute hierhergekommen? Zuerst auf der Flucht vor Darmal, als der Turm noch stand, dann hatte sie Nerglot von hier aus in Sicherheit gebracht und schließlich hatte auch die Jagd durch Yerill hier geendet. Dieser Ort stand für einige ihrer schlimmsten Erinnerungen und doch verband sie damit auch ein trügerisches Gefühl der Hoffnung. Denn hier hatte sich der Eingang zu den unterirdischen Tunnel befunden und zum Grab, das Nerglot praktisch unbegrenzte Kräfte hatte liefern sollen.
Aber all das gab es jetzt nicht mehr. Der Wachturm war, wie sie bereits vermutet hatte, von Yerill zerstört worden, und Nerglot war entweder tot oder weit außerhalb der Stadt. Sie hatte lange überlegt, wie er wohl hatte entkommen wollen, nachdem er sie aus der Halle katapultiert hatte, und ob das versprochene Wiedersehen vielleicht nur ein Bluff gewesen war. Aber dann war ihr der Torzauber wieder eingefallen, den er ihr am Morgen bereits erklärt hatte. Damit konnte er nur selbst springen, deshalb hatte er für sie eine andere Lösung finden müssen. Nun gut, vielleicht war er also noch am Leben.
Aber wenn sie ehrlich war, interessierte sie das im Moment überhaupt nicht. Ihre Rache war gescheitert und Nerglot hatte versagt. Allmählich begriff sie, dass Yerill vielleicht doch recht gehabt hatte. Sie liebte ihn nicht. Sie hatte ihn begehrt, aber Lust allein war kein starkes Band. Zumal sie unbefriedigt geblieben war. Jetzt brodelten in ihr vor allem Wut und Rachsucht – und Angst. Noch immer hatte sie das Bild der jungen, schwarzgewandten Frau vor Augen und glaubte, zu hören, wie sie „Lauf!“, flüsterte. Dieses eine Wort hallte die ganze Zeit in ihrem Kopf wieder und wurde immer lauter und eindringlicher, obwohl die Unbekannte damals keinen Ton von sich gegeben, sondern nur die Lippen bewegt hatte. War das Zauberei oder spielte ihre Panik ihr einen Streich?
Auf jeden Fall musste sie hier weg. Dieses Mädchen hatte gewusst wo sie war und sie hatte nicht nur einen Drachen, sondern auch noch Yerill auf ihrer Seite gehabt. Vielleicht verfolgte die selbsternannte Aydar sie in diesem Moment bereits wieder, um zu Ende zu bringen, was sie beim ersten Versuch nicht erreicht hatte? Viverla’atar musste aus der Stadt heraus. In den Wäldern und Bergen war sie in ihrem Element, dort würde sie sich sicher fühlen und hätte eine Chance, der Unsterblichen zu entkommen.
Aber sie konnte schlecht in diesem Aufzug in die Berge fliehen. Alles, was sie hatte, waren eine fast leergeschossene und ziemlich mitgenommene Armbrust und die braune Lederkleidung, die sie am Leib trug. Außerdem noch einen im Stiefel versteckten Dolch. Das Leder mochte robust und widerstandsfähig sein, aber gegen Regen oder gar Schnee würde es sie kaum schützen können. Davon abgesehen war das Material viel zu gut für eine gewöhnliche Autarii. Sie würde etwas Unauffälligeres brauchen. Nahrung benötigte sie als Unsterbliche glücklicherweise nicht und sie dankte Asaph dafür, dass der Zauber noch immer anhielt. Nerglot hatte ihr zwar erklärt, dass sie ihn aufrecht erhielt, aber nachdem sie fast den ganzen Tag – und damit den Großteil ihres bisherigen neuen Lebens – in dem Glauben verbracht hatte, mit seinem Tod würde sie wieder sterblich werden, war es schwer, das wirklich zu verinnerlichen.
Suchend sah sie sich um. Rechts von ihr erhoben sich die rußgeschwärzten Mauern eines festungsartigen Baus. Neugierig zog sie sich ein Stück zurück, bis sie das Tor erreichte. Dahinter erhob sich ein prächtiger, kreisrunder Palast mit einer goldenen Kuppel. Nun, vielleicht würde sie hier etwas finden. Einen Versuch war es wert.
Die Armbrust in der Hand und nach verborgenen Wachposten spähend betrat sie den befestigten Bereich und öffnete dann die zweiflüglige Eingangstür zum inneren Gebäude. Überrascht stellte sie fest, dass das kein Palast, sondern ein Schrein war. Beeindruckende Banner hingen von der Decke herab und in Nischen an den Wänden standen meterhohe Khainestatuen. Sie zielte auf eine davon, überlegte es sich dann aber wieder. Wenn sie Rache wollte, würde sie die nicht bekommen, indem sie ein paar steinerne Köpfe zerschoss. Wichtiger war im Moment, keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Sie duckte sich an die Wand und musterte die beeindruckende Halle. Gegenüber gab es eine in ihre Richtung gewölbte Mauer mit vergoldeten Schriftzeilen. Darüber eine Plattform, sicher für die Prediger. Da sie wusste, dass der Bau kreisrund war, musste es hinter dieser Wand noch etwas geben.
Immer im Schatten haltend schlich sie darauf zu und gelangte schließlich in den Bereich, der wohl den Priestern vorbehalten war. Mehrere Türen führten zu Räumen innerhalb der Außenmauer und eine Treppe in die Höhe. Sie bemerkte, dass eines der Zimmer anscheinend gewaltsam geöffnet worden war. Die zersplitterte Tür lag ein Stück weiter drinnen.
Neugierig ging sie dorthin und entdeckte zu ihrem Erstaunen ein gut ausgestattetes Waffenlager. Da sie hier niemanden sah, trat sie näher und musterte die Sammlung. Was es hier nicht alles gab. Sogar Artefakt-Zauberstäbe. Die ließ sie allerdings lieber links liegen. Sie hatte ohnehin kaum magische Kräfte. Stattdessen fand sie zu ihrer Freude eine beachtliche Auswahl an guten Schwertern. Keine besonders kunstvollen Schmiedearbeiten, aber sehr gut ausbalanciert und schön schlank. Sie griff sich je ein Kurz- und ein Langschwert und band sich beide um. Sie würde allerdings einen Weg finden müssen, die Stahlscheiden zu ersetzen. Leder gab es hier leider nicht.
Sie wandte sich den Rüstungen zu. Da sie vermutlich für die Priester gedacht waren, waren sie dünn und leicht. Für die Autarii waren die Panzer dennoch ungeeignet. Sie fand jedoch einige Arm- und Beinschützer, die ihr zusagten. Im Moment glänzten sie ein wenig zu auffällig, aber das würde sich ändern lassen. Dann erstarrte sie, als sie plötzlich ihr Spiegelbild in einer der Rüstungen sah.
Verdammt, auf diese Weise würde sie niemals aus der Stadt kommen. Selbst wenn sie noch einen guten Reiseumhang fand, mit dem sie ihre wertvolle Kleidung und offensichtlich unbenutzten Rüstungsteile verbergen konnte, würden ihre leuchtend roten Augen jede Wache alarmieren, der sie vielleicht begegnen würde. Sicher ließen die Kinder des Mordes nach ihr suchen. Vielleicht hatten sie sogar genaue Beschreibungen von ihr herausgegeben.
Umso dankbarer war sie nun, dass Nerglot sich die Zeit genommen hatte, ihr beizubringen, wie sie ihre geringen magischen Begabungen durchaus effizient einsetzen konnte. Sie suchte sich einen besseren Spiegel und fand schließlich einen großen Schild, dessen Innenseite geeignet schien. Mit einer Mischung aus Erleichterung und Bedauern stellte sie fest, wie verdreckt und verstaubt sie inzwischen aussah. Aber lebendig und unversehrt, das war das Wichtigste.
Sie konzentrierte sich auf das, was Nerglot ihr erklärt hatte. Langsam und deutlich murmelte sie ein paar leise Worte. Heißer Schmerz durchfuhr sie für einen quälenden Moment und sie biss sich auf die Lippe, um nicht zu schreien und damit vielleicht doch noch jemanden auf sich aufmerksam zu machen. Dann atmete sie erleichtert auf, als die Pein genauso schnell wieder verschwand. Sie musterte ihr Spiegelbild und brummte missmutig. Sie hatte ihre Augen eigentlich grün färben wollen, aber das Rot war zu intensiv und jetzt hatten sich beide zu einem dreckigen Braun vermischt. Egal, damit würde sie weniger auffallen. Der Zauber würde, wenn sie das richtig verstanden hatte, nicht allzu lange anhalten. Nach spätestens einem halben Tag würde sie wieder rote Augen haben.
Die nächste Beschwörung war da besser. Dieses Mal gab es keinen Schmerz und ihre Haare verfärbten sich problemlos zu einem dunklen Blond. Das war allerdings nur eine Illusion und sie band ihre echten Haare rasch zu einem Zopf, der unter den blonden Wellen verschwand. Würde jemand die Illusion berühren, würde der Schwindel auffallen, aber um unerkannt aus der Stadt zu kommen, müsste es reichen. Sie wünschte, sie würde einen Schattenzauber beherrschen, wie Sisrall ihn während der Talschlacht eingesetzt hatte. Aber das konnte sie nun einmal nicht.
Erst einmal zufrieden mit ihrem Erscheinungsbild verließ sie den Raum und öffnete vorsichtig die benachbarten Türen. Die Zimmer waren leer. In einem fand sie zu ihrer Freude auch Kleidung. Der größte Teil davon waren Priestergewänder, die sie irgendwie an die junge Frau erinnerten, die ihr solche Furcht eingejagt hatte.
Es gab aber auch ein paar weite, robuste Umhänge, die groß genug waren, um sie einmal um den ganzen Körper wickeln und sich so vor Niederschlägen schützen zu können. Der Stoff wirkte einigermaßen regenfest, auf jeden Fall war es das Beste, was sie kriegen konnte. Fast genauso wertvoll war für sie ein breiter Hüftgurt mit kleinen Taschen. Anscheinend gingen auch die Priester oder wenigstens ihre Diener gelegentlich mal auf Reise.
Damit hatte sie erst einmal alles, was sie brauchte. Alles andere würde sie sich bei Bedarf besorgen. Dazu hatte sie ja ihre Schwerter. Sie beugte sich hinab und zerschnitt den Saum des Umhangs. Dann knüllte sie ihn noch einmal ordentlich zusammen, um ein paar Falten hinein zu bekommen. Sie konnte schlecht mit nagelneuer Kleidung durch die Stadt spazieren und behaupten, sie käme geradewegs aus einer Schlacht.
Stirnrunzelnd ging sie noch die anderen Räume durch. In der Küche machte sie noch einmal halt und hielt ihren Umhang über die Glut der heruntergebrannten Kochfeuer, bis er nach Rauch stank und der Saum anfing zu kokeln. Sie zerdrückte noch eine saftige Frucht über dem Stoff, was tatsächlich wie ein Blutfleck aussah. Wenn man nicht allzu genau hinsah.
Zuletzt ging sie noch einmal zurück in das Waffenlager und musterte die zerstörte Tür. Eine der Angeln war aus der Wand gerissen worden und der Boden war voller Gesteinsstaub und Holzsplitter. Während sie noch darüber nachdachte, was hier wohl geschehen war, drückte sie ihren Umhang in den Staub und rieb sich dann etwas davon in Gesicht und Haare. Noch einmal musterte sie sich in dem Schild und nickte zufrieden. Jetzt, da der Umhang die darunterliegenden Kleider verbarg, konnte sie durchaus als Flüchtige der Schlacht durchgehen.
Dann fiel ihr Blick auf ein kleines Regalbrett mit Armbrüsten und sie jauchzte innerlich. Allerdings waren sie viel zu unversehrt. Sie entschied sich, bei ihrer eigenen Waffe zu bleiben. Die hatte sie schon so lange begleitet, dass sie sich eigentlich auch gar nicht von ihr trennen wollte. Die gefüllten Repetiermagazine daneben waren für sie allerdings Gold wert. Rasch steckte sie sich so viele in die Taschen ihres Hüftgurtes, wie hineinpassten.
Gerade als sie den Raum wieder verließ, hörte sie auf der Treppe Schritte herabkommen. Sie blickte sich um, aber es war zu spät. Sie würde hier nicht schnell genug ungesehen verschwinden können. Allerdings dürfte, wer auch immer von oben kaum, kaum eine Bedrohung für sie darstellen. Die Kinder des Mordes würden es wohl nicht sein, die hätten zuerst unten gesucht.
Rasch nahm sie ihre Armbrust in die Hand und richtete sie auf den Torbogen, hinter dem die Treppe im Innern der Außenmauer nach oben führte. Plötzlich erschien dort ein Priester mit einem silbernen Amulett um den Hals und erstarrte, als er die auf sich gerichtete Waffe sah. Er hob die Hände, um zu zeigen, dass er keine Bedrohung darstellte.
Auch er und die beiden anderen, die hinter ihm hinab kamen, waren für eine längere Reise gekleidet. Sie alle trugen schwere Taschen auf dem Rücken und hüllten sich in weite Umhänge. An ihren Gürteln hingen Schwerter, die sie vermutlich noch nie benutzt hatten.
„Wollt ihr die Stadt verlassen?“, fragte Viverla’atar und senkte die Armbrust ein wenig. Sie hätte die Kerle am liebsten einfach erschossen, aber vielleicht ergab sich hier eine Chance. Und wer wusste schon, ob es oben nicht noch mehr gab. Wenn sie hier Leichen hinterließ, würde das nur unnötige Aufmerksamkeit erregen. Der vorderste der Priester nickte.
„Wir wollen hier weg, bevor die Untoten kommen. Es ist vermutlich nur eine Frage der Zeit. Kommt Ihr aus der Schlacht?“
„Ja, es steht nicht gut. Ich habe mich davongemacht, solange es noch möglich war. All meine Stammesbrüder sind schon gefallen. Ich will zurück in die Berge, dieser Kampf hier geht mich nichts an.“, behauptete sie kühn. Aus ihrer Sicht entsprach das sogar alles der Wahrheit. Und sie würde diese Kerle ganz bestimmt nicht darauf hinweisen, dass die Schlacht längst gelaufen war. „Kennt ihr einen Weg, der nicht durch die Stadttore führt?“, fragte sie weiter. „Die Untoten bewachen sie vielleicht.“ Die Wahrheit war, dass sie eher von Druchii gesichert wurden. Und wenn die Priester das bemerkten, würde klar werden, dass es keinen Grund mehr zur Flucht gab.
„Ja, es gibt Pfade nach Norden ins Gebirge.“, erklärte jetzt einer der andere Männer. „Wenn man ein bisschen klettert, kommt man von dort aus wieder auf die Ebene. Die Pforten zu diesen Wegen sind inmitten der Kämpfe bestimmt unbewacht.“
„Dann komme ich mit euch.“, entschied Viverla’atar und senkte die Armbrust ganz. Die Priester wirkten erleichtet. Inzwischen waren noch einige mehr die Treppe heruntergekommen. Zum Glück wagte es niemand, die Autarii mit Fragen zu belästigen. Das war ihr nur recht. Sie hatte keine Lust, sich noch einen falschen Namen oder irgendwelche Berichte zur Schlacht auszudenken.
„Seht mal, das lag in meinem Zimmer.“, verkündete nun ein recht junger Mann und schwenkte einen blutgetränkten und ziemlich zerschlissenen Umhang. „Das Fenster ist zerstört und das Bett zerwühlt. Ob die Aydar dort drin war?“
Aydar? War Yerill diesen Priestern begegnet? Anscheinend schienen die Kerle unsterbliche Frauen wie magisch anzuziehen. Nun, Viverla’atar würde ihre wahre Natur lieber geheim halten. Die ganze Gruppe bat nun darum, das Kleidungsstück auch einmal begutachten zu dürfen, und der junge Mann tat ihnen den Gefallen. Einzig die scharfen Sinne der Autarii bemerkten, dass er erst noch einen kleinen Gegenstand aus einer der Taschen zog, bevor er den Umhang seinem nächststehenden Kameraden gab. Rasch, aber unauffällig ließ er das Objekt unter seiner Robe verschwinden. Er war gut und wäre Viverla’atar den Druchii nicht in Sachen Wahrnehmungsgeschwindigkeit deutlich überlegen, hätte sie es auch nicht bemerkt. Sie ließ sich nichts anmerken, tat ebenfalls kurz so, als würde sie den Lumpen untersuchen, als der an sie weitergereicht wurde, und fragte dann, von was für einer Aydar die Priester sprachen.
Ihre Erzählungen bestätigten Viverla’atars Vermutung, dass Yerill hier gewesen war. Sie konnte sich jedoch nicht vorstellen, weshalb die einen blutgetränkten Umhang zurücklassen sollte. Wenn sie dort oben jemanden getötet hätte, dann hätte sie auch die Leiche liegen gelassen. Aber eigentlich hörte sie den schwärmerischen Worten der Männer kaum zu. Sie wartete unruhig, bis endlich alle bereit zum Aufbruch waren. Die Gottesdiener schienen es doch nicht ganz so eilig zu haben.
„Wir sollten los. Die Untoten könnten jeden Moment durchbrechen.“, mahnte sie und die anderen nickten. Ihre Mienen wurden furchtsam, als ihnen die unmittelbare Bedrohung wieder in Erinnerung gerufen wurde. Das mysteriöse Kleidungsstück wurde beiseite geworfen und dann übernahm der Priester die Führung, der von den Gebirgspfaden erzählt hatte. Viverla’atar ging direkt neben ihm und hielt die Armbrust schussbereit. Sie wollte den Anschein erwecken, die Gruppe zu schützen, auch wenn es ihr vorrangig darum ging, das Tempo mitzubestimmen.
Innerlich waren ihre Nerven bis zum Zerreißen gespannt. Der Weg durch die Stadt war noch weit und sie rechnete jederzeit damit, dass die Kinder des Mordes oder von ihnen beauftragte Soldaten vor ihr auftauchen und sie angreifen würden. Immer wieder blickte sie in den Himmel, um nach gewaltigen, schwarzroten Schwingen Ausschau zu halten. Doch kein Drache ließ sich in der Nähe blicken.
Aber sie war unterwegs und möglicherweise konnten diese Priester ihr tatsächlich helfen, unerkannt von hier zu entkommen. Eines Tages würde sie vielleicht zurückkehren und endlich ihre Rache einfordern, nach der sie sich so verzehrte. Doch bis dahin galt es, am Leben zu bleiben.
 
Vielen Dank, Forget. Schön, dass es dir gefällt.

Gut, kommen wir zum nächsten Teil.

Da die Geschichte leider noch nicht ganz fertig ist (es fehlen noch 1,5 Kapitel), werde ich ab und zu wieder Kapitel teilen, damit ihr nicht am Ende unnötig warten müsst, sondern jeden Tag wenigstens einen kurzen Teil bekommt.

So auch in diesem Fall. Ich denke, inhaltlich passt der Schnitt ganz gut.

Eine Anmerkung noch: Das Zitat wird euch bekannt vorkommen, tatsächlich ist es das gleiche, das bei "Krankenbesuche" verwendet wurde. An dieser Stelle passt es aber besser. Das andere Kapitel hat nun ein anderes Zitat bekommen.

Nun, dann viel Spaß

Die Hoffnung auf Leben (1/2)



Nach jeder Schlacht der Schwerter folgt stets der nächste Kampf: Das Ringen der Heiler um das Leben der Verletzten.
- Redensart

Naggarond; Naggaroth
2567 IC; 8.Vollmond (5.Tag)
1 Stunde nach Sonnenuntergang

Mit lautlosen Schritten erreichte Sisrall die unterste Stufe der langen Treppe, die hinauf in den Turm des Hexenklosters und zu Yetails provisorischem Gemach führte. Er hatte die schlafende Zauberin aufs Bett gelegt und sich dann davongeschlichen, weil er es nicht mehr aushielt. Er konnte nicht länger still sitzen und Yetail beim Schlafen zusehen, während seine Tochter vielleicht gerade ihren letzten Atemzug tat. Er hatte noch immer nichts von Xiucalta gehört und allmählich schwanden seine Hoffnungen.
Er wandte sich nach rechts in Richtung der Räume, in denen die Kinder des Mordes untergebracht worden waren, und zögerte dann. Die Seherin hatte versprochen, ihn rufen zu lassen. Vielleicht würde er alles kaputt machen, wenn er sie nun störte. Ein bisschen Zeit würde er ihr noch lassen. Aber nicht mehr allzu viel. Er hielt es nicht mehr aus. Er brauchte Gewissheit. Bald.
Entschlossen wandte er sich um und ging in die andere Richtung weiter, dorthin, wo sich die großen Krankensäle befanden. Trizil hatte ihm vor einer halben Stunde mitgeteilt, dass sie Artewu gefunden hatte. Lebendig, aber schwer verletzt. Seine Rippen, Arme und sein Becken waren mehrfach gebrochen und ein Teil seiner Wirbelsäule verschoben. Außerdem waren mehrere innere Organe gequetscht worden. Sisrall hatte ein Echo des unglaublichen Drucks in ihren vereinten Gedanken gespürt, als die Lichtschlinge den Erwählten zerquetscht hatte. Es war ein Wunder, dass er nicht schon längst tot war.
Er trat leise durch die großen Doppeltüren und hielt inne. Dicht an dicht lagen die Verwundeten hier, teilweise mehrere in einem Bett und viele auch auf dem Boden. Doch das Schlimmste schien hier bereits wieder vorbei zu sein. Nur noch gelegentlich hörte man Schreie oder schmerzhaftes Stöhnen. Eine täuschend friedliche Stille hing in der Halle. Die meisten Verletzten schliefen inzwischen. Blutklinge vermutete, dass die Heiler da mit Tränken und Zaubern nachgeholfen hatten, weil es eigentlich noch recht früh war. Auch wenn er sich selbst fühlte, als hätte er seit einer Woche nicht geschlafen.
Vorsichtig bahnte er sich einen Weg und musste teilweise über einige der Soldaten hinweg steigen. Etwa in der Mitte hatte er Trizil ausgemacht. Die Erwählte in ihrer silbernen Rüstung mit dem blauen Umhang war wahrlich schwer zu übersehen. Sie leuchtete wie ein Stern inmitten des Elends. Sisrall bemerkte, dass nicht wenige der noch wachen Soldaten in der Nähe sie mit Erstaunen musterten. Deutlich zeichnete sich neue Zuversicht in ihren Gesichtern ab.
„Meisterin Todeslied.“, rief er leise, als er näher kam, aber laut genug, damit einige der Druchii es hörten. Sollten sie ruhig wissen, wen sie vor sich hatten. Die Erwählte wandte sich zu ihm um und sah ihn mit einer Mischung aus Erleichterung und Sorge an. Sie wirkte wie jemand, der zu unruhig war, um sich zu setzen.
„Meister Blutklinge.“, nickte sie. Dann stand er vor ihr und sie senkte die Stimme, bis nur er sie noch verstehen konnte. „Artewu ist schon seit fast einer Viertelstunde da drin.“ Sie deutete auf eine der Türen, hinter denen die Heiler die Verletzten behandelten. „Ich habe noch nichts gehört. Verzeiht, dass ich Euch nicht gerufen habe, aber ich wollte erst wissen, was die Heiler sagen.“
Er legte ihr die Hand auf den Arm. „Das ist schon in Ordnung. Ich bin hier, weil ich es auch nicht mehr ausgehalten habe und wissen musste, wie es um die Unseren steht.“ Eigentlich hatte er dabei nicht unbedingt an Artewu gedacht sondern an Yerill, aber das musste er ja nicht aussprechen. Er hatte aber auch nicht gewusst, dass Trizil schon zurück war, sonst wäre er vielleicht gleich hierhergekommen.
So standen sie in stummer Zweisamkeit und warteten. Artewu war der einzige von ihnen, der noch in akuter Lebensgefahr schwebte und auch Trizil schien kein Bedürfnis zu haben, zum schlafenden Kerkil zurückzukehren, solange einer der Ihren um sein Leben kämpfte. Blutklinge schien es nur gerecht, dass er nun hier stand, nachdem er den Krieger so leichtfertig seinem Schicksal überlassen hatte.
Um sie herum tuschelten die Soldaten und plötzlich schnappte Sisrall einen vertrauten Namen auf. Lautlos trat er näher heran und lauschte dem Gespräch, ohne dass die Männer es bemerkten. Der eine schien ein Khainler zu sein, der andere war dem Wappen auf seiner abgelegten Rüstung nach zu schließen der Gardist eines Hochgeborenen aus Naggarond.
„Fürst Reckdis gebührte die größte Ehre.“, erklärte gerade der Khainler voller Überzeugung. „Ohne sein Auftauchen hätten wir die Untoten nie kommen gesehen. Sie hätten uns einfach überrannt, während wir noch am Essen waren. Und die Kinder des Mordes hätten uns nicht helfen können.“
„Reckdis mag die Verteidigung aufgebaut haben, aber es waren die Aydari, die sie gehalten haben. Ohne sie wären wir niemals zu euch gestoßen und ihr wäret noch schneller überrannt worden.“
„Wo kamt ihr überhaupt plötzlich her?“, fragte der Khainler nun. „Ich erinnere mich, dass ihr die Straße heraufkamt, kurz nachdem die Schwarze Aydari den Skelettriesen zerschmettert und unsere Flucht gestoppt hat. Warst du nicht sogar der Kerl mit den Kratzern auf der Brust?“
Der andere nickte und hob mit einer Hand seinen Brustpanzer hoch. Den anderen, verbundenen Arm hatte er in einer Schlinge um den Hals. Sisrall konnte deutlich fünf lange Schrammen auf dem dunklen Metall erkennen.
„Das war die Weiße Aydar. Sie hat unseren Lord erschlagen und uns vor die Wahl gestellt, ob wir unserem feigen Herrn, der sich und uns von der der Schlacht ferngehalten hat, in den Tod folgen oder unsere Fehler im Dienste Khaines und unseres Volkes in der Schlacht tilgen wollten. Wir alle haben geschworen, zu kämpfen. Für sie und für Khaine. Sie hat mir diese Kratzer mit ihren bloßen Fingern als Warnung und als überzeugenden Beweis ihrer überweltlichen Kräfte in den Panzer geritzt und dann den Schaft meiner Hellebarde zusammengepresst. Man kann den Abdruck ihrer Hand erkennen. Danach sind die anderen mir gefolgt, während wir die Paläste abgeklappert und nach weiteren Soldaten gesucht haben, die bereit waren, trotz der Befehle ihrer Herren in die Schlacht zu ziehen. Drei Hochgeborene kamen noch bereitwillig mit, die anderen haben wir im Namen der Weißen Aydar dem Schwert und damit Khaines gerechtem Zorn übergeben.“
„Die Adligen sind doch überall gleich.“, meinte der Khainler grinsend. „Es gibt immer welche, die sich für zu wertvoll halten, um ihr Leben im Kampf zu riskieren. Sie glauben, es reiche, Khaine zu opfern, damit der Gott mit der Blutigen Hand darüber hinwegsieht. Aber den wahren Dienst an Khaine kann man nur in der Schlacht leisten.“
„Ja, aber ich bin froh, dass er uns seine Aydari gesandt hat. Ansonsten würde mein Leben immer noch diesem Schwächling gehören, selbst wenn die Untoten uns nicht schon restlos abgeschlachtet hätten.“
„Das stimmt. Wir sollten dem Blutigen Gott für diese Gabe danken.“ Sie verstummten beide und auch Blutklinge nutzte die Zeit, um Khaine still zu danken, dass er sie heute so beschützt und ihrer aller Leben bewahrt hatte.
„Weshalb hat Sturmtanz eigentlich dich ausgewählt?“, fragte der Khainler nachdem, beide ihr Gebet beendet hatten. Der Gardist zuckte mit den Schultern.
„Das hab ich mich auch mehrfach gefragt. Vielleicht hat sie irgendwas in mir gesehen. Vielleicht war ich der erste, der geschworen hat, zu kämpfen. Oder der überzeugendste.“ Er senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. „Aber ehrlich gesagt, glaube ich, dass ich einfach am nächsten stand.“
„Vermutlich werden wir das nie erfahren. Genauso wenig, weshalb die Schwarze Aydar manche von euch zu den anderen Stellungen geschickt hat und manche nicht. Ob sie da auch nur geraten hat?“
Der Gardist schüttelte energisch den Kopf. „Nein, das glaube ich nicht. Geisterauge war anders. Sie kannte jeden unserer Namen und wusste, zu welchem Haus wir gehörten. Sie hat jeden von uns einzeln oder nach Zugehörigkeit aufgerufen und dann zu einer bestimmten Stelle geschickt. Ich glaube, die wusste, was sie tat. Sturmtanz war halt mehr Khaines Richterin. Hast du nicht gehört, wie sie gesagt hat, sie wäre Khaines Schwert, aber Geisterauge wüsste, was wir am besten tun sollen?“
„Ja, doch das stimmt.“, erwiderte der Khainler nachdenklich. „Ich frage mich, welche Rolle die Schwarze Aydari denn hat. Ich habe gesehen, wie die Weiße gekämpft hat und sie hat ihrem Namen alle Ehre gemacht. Es war, als würde Khaines Klinge selbst durch die Reihen der Untoten fahren. Sie war einfach unglaublich. Was denkst du, ist Geisterauge dann Khaines Schild?“
„Hat Khaine einen Schild?“, fragte der Gardist. „Nein, ich glaube das nicht so recht. Sie hat euch vielleicht mit einem riesigen Schutzschild eingefangen und dann vor den Untoten geschützt, aber ansonsten habe ich sie nie kämpfen sehen. Sie hat uns gesagt, was wir tun sollten, und am Ende hat sie uns zur Flucht geraten. Hast du das Drachenfeuer gesehen? Wirklich gut, dass wir da nicht mehr standen. Ich glaube, die Schwarze Aydar ist Khaines Stab, das Symbol seiner Weisheit.“
„Du meinst, wie ein Zeigestock?“, antwortete der Khainler mit einem leichten Grinsen.
„Ein Stab ist mehr als nur ein Stock, mit dem man in eine bestimmte Richtung zeigen kann. Er ist auch gleichzeitig eine Waffe, eine Möglichkeit, Angriffe abzuwehren, und auch eine Stütze.“, erklärte der Gardist vorsichtig. „Denk doch mal darüber nach. Wäre die Schwarze Aydari nicht gekommen, um eure Flucht aufzuhalten, wäre die Verteidigung vielleicht da schon zerbrochen. Hätte sie uns nicht eingeteilt, wie es am besten war, wäre es vielleicht auch noch schneller bergab gegangen. Sie war die Stütze, die unsere Verteidigung aufrechterhalten hat. Auch wenn wir sie vielleicht nie richtig wahrgenommen haben.“
„Ja, sie heißt ja nicht umsonst Geisterauge. Ich fand sie schon ein wenig gruselig, wie sie plötzlich vor uns aufgetaucht ist, als wir die Untoten verfolgen wollten. So aus dem Nichts mit wehenden Gewändern und dieser leeren Kapuze.“ Er schüttelte sich ein wenig. „Gut zu wissen, dass sie Khaines Aydar ist, sonst würde ich jetzt vielleicht nicht mehr so ruhig schlafen.“
„Das war sie nicht wirklich.“, widersprach der Gardist. „Sie saß über uns auf ihrem Drachen. Und man kann zumindest einen Teil ihres Gesichts unter der Kapuze sehen. Ich glaube, sie ist auch gar nicht so groß wie die Erscheinung.“
„Ich finde sie trotzdem gruselig.“, meinte der Khainler. „Ich kämpfe ja bereitwillig gegen untoten Skelette oder auch Tiermenschen, aber vor so etwas habe ich Respekt.“
„Ja, du hast recht. Beeindruckend war es schon und wenn ich an sie denke, sehe ich auch immer diese leere Kapuze vor Augen. Es ist schwer, sich klarzumachen, dass sie das gar nicht war. Es wirkte so echt.“
„Naja, ich habe sie vorher ja auch schonmal gesehen. Als sie diese Kuppel um uns gespannt hat, stand ich ganz in ihrer Nähe, etwa einen Meter entfernt. Aber glaub mir, näher hat sich nur einer der Tempelkrieger getraut. Der hat sie verteidigt, weil er als erster erkannt hat, dass sie uns nicht gefangen hält, sondern vor den Untoten schützt. Und es war wirklich eindrucksvoll. Ich habe ja auch ihr Gesicht und ihre Haare unter der Kapuze gesehen, aber es war, als stünde dort ein Wesen, das nicht wirklich von dieser Welt ist. Ihr ganzer Stab hat gezittert, als sie die blaurote Blase geschaffen hat. Ich hatte das Gefühl, dass sich die Luft um sie herum zusammenballen würde. Als würde irgendwas um sie herumschwirren. Geister vielleicht. Ja genau, es war, als wäre sie von einer Schar unsichtbarer Geister umgeben. Man konnte ihre Macht spüren.“
„Bis heute Mittag hätte ich dich für verrückt erklärt.“, erwiderte der Gardist. „Aber jetzt glaube ich dir. Ich habe die Weiße Aydar aus nächster Nähe gesehen und sie war genauso seltsamen. Ihre Haut hat geleuchtet und es war, als hätte auch sie eine Art Aura. Sie wirkte unberührbar. Sie ist so unglaublich schön, dass man bei ihrem Anblick nicht anders kann, als sie anzubeten, aber sie anzufassen, hätte ich selbst dann nicht gewagt, wenn sie damit einverstanden gewesen wäre. Sie steht halt ein bisschen über dieser Welt und sie zu berühren wäre … wie Gotteslästerung. Man würde sie damit zu etwas Sterblichem machen. Vielleicht würde sie auch einfach verschwinden.“
„Ja das stimmt. Ich hätte es auch niemals gewagt, Meisterin Geisterauge zu berühren.“
Die beiden versanken in Schweigen und Blutklinge schwirrte der Kopf von all den Dingen, die er soeben erfahren hatte. Xiucalta war die Schwarze Aydar? Erst jetzt wurde ihm so richtig bewusst, dass Yerill von Aydari gesprochen hatte, als sie Geisterauges Botschaft überbracht hatte. Damals hatte er nicht wirklich darauf geachtet. Aber wie kam sie denn zu dieser Rolle? Und hatte Yerill wirklich die Gardisten dazu angestachelt, ihre Herren umzubringen? So viele neue Fragen. Aber eine interessierte ihn ganz besonders.
Lautlos trat er näher. Als sie ihn bemerkten, wollten die beiden Verletzten aufspringen, aber Blutklinge winkte ab. Jetzt konnte er auch deutlich die verbundene Schulter und das geschiente Bein des Khainlers sehen. Die beiden schienen noch recht glimpflich davongekommen zu sein. Aber deshalb waren sie vermutlich auch noch wach und konnten sich unterhalten.
„Seid gegrüßt, Meister Blutklinge.“, sprach der Khainler, während der Gardist ihn einen Augenblick lang anstarrte und sich dann hastig verneigte. Vermutlich hatte der Khainler ihn bereits während der letzten Tage in der Schlacht gesehen, der andere jedoch nur von ihm gehört.
„Bleibt ruhig sitzen, meine Herren. Ihr habt heute gut gekämpft und verdient die Ruhe. Ich habe nur eine Frage.“ Er wandte sich an den Khainler. „Ich habe gehört, wie Ihr von Fürst Reckdis spracht. Was genau tat er, um die Verteidigung gegen die Untoten zu errichten?“ Die eigentliche Frage war, was Reckdis dort überhaupt gesucht hatte, obwohl er ja eigentlich tot war. Hatte Xiucalta sich geirrt? Nein, das war unmöglich. Sie hatte seinen Tod ja mit eigenen Augen gesehen.
„Er kam ins Kriegslager und rief die Khainler in die Schlacht.“, erklärte der Krieger nun. „Er sagte, Khaine habe ihm eine Vision gesandt, dass die Untoten noch nicht besiegt seien. Deshalb folgten ihm dann auch die übrigen Truppen. Er führte uns zum Platz der Heiligen und gab uns dort Anweisungen, wie wir uns aufstellen sollten. Plötzlich explodierte das Pflaster unter ihm durch Magie und dann kamen die Skelette aus dem Loch, das dort entstanden war. Von Reckdis haben wir nie wieder etwas gesehen. Er hat sich geopfert, um uns zu warnen.“ Er senkte die Stimme ein wenig. „Ich glaube, Khaine hat ihn zu sich gerufen als Ausgleich für die Vision, die er ihm gesandt hatte.“
Blutklinge nickte, als würde er diese Ansicht teilen, obwohl ihm der Kopf noch immer von all den Neuigkeiten schwirrte. Es wurde wirklich Zeit, dass dieser Tag der Veränderungen endlich zu Ende ging. Er wollte den Khainler gerade fragen, ob er sicher war, dass es sich wirklich um Reckdis gehandelt hatte, als er hinter sich Trizils Stimme hörte, die ihn rief.
„Dann starb Reckdis wie ein wahrer Held.“, meinte er noch in Richtung der beiden Soldaten und ließ sie dann allein. Die Erwählte starrte gebannt auf die Tür, die sich nun geöffnet hatte. Zwei Gehilfen schoben das Bett, in dem Artewu lag, heraus und holten dafür ein anderen herein. Für die Heiler würde es noch eine lange Nacht werden. Und das Hexenkloster war nur eines von fünf Verwundetenlagern in der Stadt.
Allerdings gab es bedeutend mehr Tote als Verwundete. Sisrall hatte bisher recht wenig Informationen zum Verlauf der Kämpfe gegen die Untoten erhalten, aber es schien, als hätten sich nur wenige Verletzte zurückziehen können. Es schien auch kaum noch überlebende Offiziere oder Hochgeborene zu geben, die ihm da hätten Auskunft geben können. Zumindest hatte er noch keinen von ihnen wach angetroffen. Xiucalta würde ihnen da sicher mehr zu sagen können. Allerdings war er sich nicht ganz sicher, ob er das wirklich so genau wissen wollte.
Als sie an Artewus Bett traten, tauchte neben ihnen eine Novizin der Heiler auf. Als Sisrall ihren Blick suchte, weiteten sich seine Augen vor Überraschung. Es war dieselbe junge Frau, die Yetail hatte bewachen müssen. Jetzt lächelte sie schüchtern und verneigte sich artig vor den beiden Kindern des Mordes.
„Wie geht es ihm?“, fragte Trizil, bevor die Novizin zu einer förmlichen Begrüßung ansetzen konnte. Sie sammelte sich und richtete sich wieder auf.
„Die Meisterin sagt, er wird wieder gesund.“ Blutklinge spürte Trizils Freude in seinen Gedanken und musste sich selbst beherrschen, um nicht breit zu grinsen. „Bei einem normalen Krieger, meinte sie, hätte sie nicht so viel Kraft verschwendet, um seine Wunden zu versorgen, aber sein Körper hat sich ungewöhnlich schnell erholt. Sie hat seine Wirbelsäule gerichtet, seine inneren Organe regeneriert und auch das angebrochene Becken geflickt. Seine Rippen fangen schon an, von selbst zu heilen. Er wird wohl noch eine Weile sehr schwach sein, aber wenigstens laufen müsste er bald wieder können. Die Meisterin befielt aber, dass er mindestens fünf Tage lang keine Waffe in die Hand nimmt.“
„Oh, da wird er aber sauer sein.“, meinte Trizil mit sichtlich guter Laune. Sie tätschelte Artewus Gesicht, das blass und eingefallen aussah, ansonsten aber von friedlichem Schlaf sprach. Der Rest seines Körpers war unter einer Decke verborgen. Seine Atemzüge waren ein bisschen schwerfällig, aber sein Herzschlag klang normal. Er würde es schaffen.
„Danke.“, meinte Sisrall in Richtung der Novizin, die sich noch einmal artig verneigte und dann zurück in den Behandlungsraum huschte. Er sah Trizil an und beobachtete, wie die Anspannung des bangen Hoffens langsam von ihr abfiel und die gleiche tiefe Müdigkeit entblößte, die er selbst fühlte. Eine Weile standen sie so an Artewus Bett und blickten auf den schlafenden Krieger hinab. Dann wandten sie sich in stummem Einvernehmen ab und verließen den Krankensaal.
 
Sehr nice, diese kleine Unterhaltung zwischen den zwei Kriegern. Hat mich öfters zum Schmunzeln gebracht. 🙂

das hör ich gern. Ich wollte halt auch mal zeigen, wie die "einfachen" Soldaten die Schlacht und vor allem die beiden Damen erlebt haben. Sollte nicht unbedingt lustig sein, aber wenns zum Schmunzeln ist, umso besser. 😉

Ansonsten: Ich will endlich wissen, wie es mit Xiucalta weitergeht! (Ja, ich bin schon so sehr gespannt, dass ich es offen fordere!)

Wow, so deutliche worte hört man von dir ja selten 😉

Morgen gegen 10-11 gehts weiter. Kannst dich ja bereithalten.
Ich habe heute versucht, das Bonuskapitel zu schreiben, aber nur 4 Seiten geschafft, weil irgendwie die Kreativiät fehlt. Ansonsten würde ich den zweiten Teil jetzt schon posten, aber ich weiß halt nicht, ob ich dieses Wochenende noch fertig werde und nächste Woche geht das Studium dann richtig los. Keine Ahnung, wie viel ich in nächster Zeit zum Schreiben komme.
Außerdem war ja der Sinn der Kapitelteilung, die Spannung aufrecht zu erhalten.
Aber wie gesagt, morgen gehts weiter.
 
So, wie versprochen und pünktlich geht's hier jetzt weiter. Jetzt wird auch deutlicher, wie das Kapitel zu seinem Namen kam, denke ich.
Und irgendwie mag ich Trizil immer mehr. Ist schon cool, wohin sich Charakter so entwickeln können 😉

Die Hoffnung auf Leben (2/2)


Nach jeder Schlacht der Schwerter folgt stets der nächste Kampf: Das Ringen der Heiler um das Leben der Verletzten.
- Redensart

Naggarond; Naggaroth
2567 IC; 8.Vollmond (5.Tag)
1 Stunde nach Sonnenuntergang

„Sisrall?“, fragte Trizil, als die Türen hinter ihnen zugefallen waren. „Wie geht es dem Eismädchen?“ Sofort fühlte er wieder diesen Stich der Furcht, den er so erfolgreich verdrängt hatte.
„Xiucalta kümmert sich um sie und hat mich rausgeworfen. Als ich sie zuletzt gesehen habe, sah sie ziemlich schwach aus.“ Er schluckte. „Ich fürchte, dass sie es nicht schaffen wird. Eigentlich hätten wir schon längst etwas hören müssen.“
„Immerhin geht es unserer Seherin gut.“, meinte Trizil. Dann legte sie Sisrall die Hand auf den Arm. „Komm, lass uns zu ihnen gehen. Ich möchte das Mädchen kennenlernen, das mich gerettet hat und mich bei ihr bedanken. Oder zumindest bei ihr sein, falls …“
Sisrall nickte und gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Er hatte Trizil noch nicht gesagt, dass Yerill seine Tochter war. Genau genommen hatte er ihr noch überhaupt nichts über sie erzählt. Sie waren zu sehr damit beschäftigt gewesen, die verwundeten Kinder des Mordes auf Szar’zriss Rücken zu laden und ins Hexenkloster zu bringen. Sie hatte nur geschlussfolgert, dass das Eismädchen, wie Trizil sie so passend nannte, sie gerettet hatte. Nur, dass ihre Haut, als Sisrall sie zum ersten Mal gesehen hatte, nicht aus Eis, sondern aus Licht bestanden hatte. Der Splitterdrache hatte das gründlich geändert.
Als sie die Tür erreichten, hinter der Yerills Zimmer lag, holte Sisrall tief Luft und wappnete sich innerlich gegen das, was dort vielleicht auf ihn warten würde. Er hatte keine Ahnung, was Xiucalta vorhatte. Vielleicht hatte sie dort drin irgendeine Art fremdartige Magie gewirkt. Wahrscheinlicher aber war, dass Yerill tot war und die Seherin es nicht gewagt hatte, nach ihm zu schicken. Er beschloss, davon auszugehen. Wenn er mit dem Schlimmsten rechnete, würde er wenigstens nicht enttäuscht werden.
Auf den Anblick, der sich ihm beim Betreten des Zimmers bot, war dann aber doch nicht vorbereitet. Er erstarrte im Türrahmen und blinzelte ein paar Mal, weil er einfach nicht glauben konnte, was er sah. Es war, als hätte sich nichts geändert und doch alles. Die beiden Frauen hatten die Plätze getauscht.
Dort, wo vor über einer Stunde Yerill im Bett gelegen hatte, lag jetzt Xiucalta. Dafür saß Yerill vollkommen gesund und erneut mit makelloser, leuchtend weißer Haut neben ihrem Bett und hielt ihre Hand, während sie sanft über das totenbleiche Gesicht der Seherin strich. Eine leuchtend rote Wunde zog sich als Kontrast dazu über ihren Hals. Die war Sisrall vorhin gar nicht aufgefallen, aber sie musste schon ein paar Stunden alt sein. Vielleicht hatte ihr Haar den Schnitt verdeckt oder vielleicht war er nicht so auffällig gewesen, weil Xiucaltas Haut da nicht so schrecklich blass gewesen war.
„Was ist passiert?“, hauchte er und Yerill zuckte zusammen. Überraschenderweise hatte sie das Öffnen der Tür wohl überhört. Sie löste ihren Blick von Xiucaltas leblosem Körper und starrte die beiden Erwählten an. Trizil schlüpfte leise hinter Sisrall in den Raum und schob ihn ein bisschen beiseite, bis sie die Tür schließen konnte.
Die Unsterbliche barg den Kopf in den Händen und schluchzte laut. „Sie hat ihr … ihre Kraft geopfert, um mich zu retten. Ich war so schwach. Ich hatte keine Kontrolle. Ich konnte nicht aufhören, bis ich … ihr alles genommen hatte. Bis sie so … bis sie so …“ Sie deutete nur stumm auf Xiucaltas Gestalt und Sisrall konnte sich denken, was sie nicht aussprechen wollte.
„Warum sie?“, fluchte Sisrall leise, während er auf die andere Seite des Bettes trat. Trizil legte einen Arm um Yerill, die noch immer ihr Gesicht in den Händen versteckte. „Warum musste sie das allein machen? Wir alle hätten dir etwas von unserer Kraft abgeben können.“
Ruckartig hob Yerill den Kopf und schüttelte ihn dann, dass ihre Haare durch die Luft peitschten. „Nein, das könnt ihr nicht. Ich kann nur nehmen, nicht empfangen. Und euer Lebenslicht ist voller Silber. Voller Magie. Xiu ist eine Seherin. Ihre Kraft ist … reiner.“ Sisrall hatte den Eindruck, dass Yerill ihnen etwas verschwieg, auch wenn er ihr glaubte, dass sie ihre Worte ernst meinte. Zumindest mit dem ersten Teil aber hatte sie vermutlich recht. Sisrall hatte Yetail mehrfach Kraft geschenkt, aber zwischen ihnen gab es auch eine besondere Verbindung. Bei Yerill oder jedem anderen Druchii, der kein Kind des Mordes war, hätte das wohl nicht funktioniert. Was sie mit dem Lebenslicht meinte, verstand er nicht so recht, aber Xiucalta war in vieler Hinsicht einzigartig, genau wie Yerill. Vielleicht konnten sie auf anderem Wege Kraft tauschen. War das der Grund, der die beiden Frauen so aneinander band? Vielleicht sogar der Grund, weshalb Yerill sich auf Seiten der Druchii gestellt hatte? Brauchte sie Xiucaltas Kraft?
„Ihr seid die Frau, die das schöne Lied gemacht hat, nicht wahr?“, fragte Yerill an Trizil gewandt. Die nickte traurig. „Ja, ich bin Trizil Todeslied. Eigentlich bin ich hergekommen, um mich bei dir zu bedanken, dass du dich an meiner statt geopfert hast. Aber das ist jetzt wohl unpassend. Es tut mir leid, was passiert ist. Xiucalta war eine einzigartige Frau.“
Sisrall nickte stumm und blickte auf die leblose Seherin hinab. Er schloss die Augen, um für sie zu beten, aber als Yerill abermals unter heftigem Kopfschütteln antwortete, riss er sie gleich wieder auf.
„Sie ist nicht tot.“, widersprach die Unsterbliche heftig. „Sie wird nur nicht wieder gesund.“, fügte sie dann deutlich leiser hinzu. Wieder nahm sie Xiucaltas Hand in ihre. Es dauerte eine Weile, bis sie merkte, dass die Erwählten sie zweifelnd anstarrten.
„Hört ihr es denn nicht?“, fragte sie erstaunt. „Ihr Herz schlägt und sie atmet noch. Es ist nur alles sehr schwach und sehr langsam.“ Sisrall beugte sich verwirrt zu der offensichtlich Toten hinab und lauschte. Tatsächlich. Als sein Ohr schon beinahe ihre Decke berührte, konnte er einen ganz schwachen, sehr langsamen Herzschlag vernehmen. Es klang kaum wie ein Pochen, sondern eher wie ferne, schlurfende Schritte. Ihr Herz dehnte sich nur allmählich aus und zog sich genauso schwerfällig wieder zusammen.
Auch ihren Atem konnte er nun vernehmen. Der war etwas deutlicher, aber genauso entstellt. Er spürte und hörte, wie sie die Luft einsog und wieder ausstieß, doch beides zog sich über jeweils fast eine halbe Minute hin und dazwischen lagen nochmal endlose Sekunden, in denen sie völlig reglos dalag. Es war, als würde die Zeit in ihrem Körper sehr viel langsamer vergehen als darum, aber das war unmöglich. Vielleicht hatte Nerglot so etwas beherrscht, aber Yerill hätte niemanden an Xiucalta herangelassen, der versuchte, sie zu verzaubern.
„Würdet Ihr noch einmal spielen?“, fragte Yerill die Erwählte, die sich überrascht erhob. „Für sie?“
Trizil und Blutklinge blickten sich verwundert an. Noch nie hatte jemand sie gebeten, ihre Macht zu zeigen. Wenn sie es tat, dann in der Schlacht, und immer war es ihre Entscheidung gewesen. Denn das Lied sprach von Tod. Oder? Blutklinge verstand im selben Augenblick, in dem sich ein Lächeln auf das Gesicht der Erwählten schob und sie das Schwert zog.
Der eine, makellose Ton hallte in dem engen Zimmer wider und vervielfältigte sich innerhalb eines Herzschlages zu einem wahren Sturm aus Klang, der über sie hinweg glitt und sie durchdrang. Sisrall erschauderte, als ihm gleichzeitig heiß und kalt wurde. Macht, Leben und Tod umspülten ihn, brachen sich an den Wänden und verwandelten die Luft in Musik.
Ganz langsam schwang Trizil das Schwert und der Ton wurde zur Melodie. Tief und tragend schien sie all die Traurigkeit in diesem Raum aufzusaugen und ihr einen Rahmen zu geben, in dem sie sich zeigen konnte. Und während das Lied ihrer aller Trauer einfing, fühlte Sisrall, wie sein Herz höher schlug und ihn eine wunderbare Wärme durchdrang. Seine Sorge, sein Schmerz und sein Mitleid verschwanden und zurück blieb nur die Hoffnung.
Für einen Augenblick lang hallte die Melodie noch wie die Manifestation von Trauer und Verlust durch die Kammer, dann veränderten sich Trizils Bewegungen und fast gleichzeitig begannen beide Frauen zu singen, während sich Yerill erhob und Xiucaltas Hand losließ. Die silberne, helle Stimme der Erwählten untermalte das Lied und dieses Mal versprach ihr wortloser Gesang nicht den Tod. Dieses Mal sang sie vom Leben.
Und über dieses Lied erhob sich Yerills Stimme, deren vollkommener Klang die Luft zu warmem Gold zerfließen ließ. Sie unterwarf sich Trizils Melodie und doch hob jeder Ton aus ihrer Kehle das Lied auf eine Ebene, die jenseits allem Sterblichen lag. Gold und Silber schienen sich in diesem Raum zu vermischen, zu umspielen und zu ergänzen, bis sie zu etwas wurden, das so vollkommen war, dass es keine Worte mehr beschreiben konnten. Es war, als würden die Götter selbst für dieses Leben singen.
Und ganz vorsichtig erst, begannen Trizil und Yerill, einander zu umtanzen. Immer sicherer und immer schneller wurden ihre Bewegungen, während sie sich dem Lied anpassten und sich das Lied ihnen anpasste. Gleichermaßen verschmolzen beide, die Melodie und der Tanz, miteinander, bis es nicht mehr möglich war, das eine ohne das andere zu sehen. Immer reiner wurden ihre Stimmen und schienen jeden Winkel des Raumes zu erfüllen, wie sie auch Sisralls Seele erfüllten. Silber und Gold in einem ewigen Wechselspiel aus Macht und Leben, vereint zu etwas Göttlichem, etwas Unsterblichem, bis es unmöglich schien, dass dies die Realität war. Die Winde der Magie selbst schienen sich dem Tanz anzuschließen, sich um die beiden Frauen zu winden und ihr Lied den Göttern zu bringen, damit diese teilhaben konnten, an der Vollkommenheit dieser Vereinigung aus Klang und Stimme, aus Melodie und Bewegung, aus Silber und Gold. Dieser Vereinigung, die von Leben sprach.
Sisrall tastete unwillkürlich nach der Wand hinter sich, um sich zu vergewissern, dass dies alles echt war, als vor ihm die kleine Kammer in einem Rausch aus Silber, Blau, Weiß und Gold zu explodieren schien, während überweltliche Klänge sein Herz zum Rasen brachten und seine Seele zum Glühen. Hoffnung durchströmte ihn, süß und klar, während alles andere an Bedeutung verlor, zurückblieb unter diesem Lied, das die Grenzen zwischen Macht, Leben und Tod auflöste. Hier gab es keinen Platz für den Tod. Hier wurde keine Macht gebraucht. Dieser Augenblick galt dem Leben.
Und als der Moment vorbei war, als die letzten Klänge verstummten, die letzten Melodien verblassten und die letzten Bewegungen endeten, blieb die Hoffnung zurück. Die Welt selbst schien den Tod vergessen zu haben.
Erst nach und nach kehrte Sisrall in die Wirklichkeit zurück. Blinzend sah er sich um. Trizil und Yerill standen dicht voreinander, jedoch ohne sich zu berühren. Zwischen ihnen funkelte die lange silberne Klinge. Zögerlich traten sie auseinander, offensichtlich genauso mitgenommen wie Sisrall. Langsam ließ die Erwählte das Schwert zurück in die saphirbesetzte Scheide gleiten und das leise Schleifgeräusch verdrängte den göttlichen Klang des Liedes allmählich. Vergessen würden sie es jedoch niemals.
Vorsichtig trat Yerill wieder an Xiucaltas Seite und nahm die Hand der Seherin. Trizil trat neben Sisrall auf die andere Seite und gemeinsam blickten sie auf die Bewusstlose hinab, während in ihren Seelen noch immer Macht, Leben und Tod zu singen schienen. Die Hoffnung selbst schien den Raum zu füllen.
„Ich finde, sie sieht schon nicht mehr ganz so blass aus.“, meinte Trizil und Yerill lächelte leise. Tatsächlich hatte sie recht. Ein wenig Farbe war in Xiucaltas Wangen zurückgekehrt und der Schnitt an ihrem Hals war kaum noch zu sehen. Ihr Herzschlag und ihr Atem gingen wieder in normaler Geschwindigkeit, waren aber immer noch erschreckend schwach. Es konnte wohl noch sehr lange dauern, bis sie aufwachen würde.
„Ich sehe mal nach Kerkil.“, meinte Trizil. „Und den anderen.“, fügte sie dann ein wenig schuldbewusst hinzu und wandte sich der Tür zu. Dann zuckte sie überrascht zurück, als plötzlich Yerill vor ihr stand und sie unsicher anlächelte.
„Danke.“, sagte die Unsterbliche und drückte die Erwählte kurz an sich, bevor sie rasch an Xiucaltas Seite zurückkehrte. Trizil war einen Moment lang verdutzt und lächelte dann. „Ich danke dir auch für dieses Lied.“, meinte sie und verschwand durch die Tür.
Sisrall betrachtete noch einmal die schlafende Seherin und nickte zufrieden. Artewu war auf dem Weg der Besserung, Yerill war anscheinend wieder völlig gesund und auch Xiucalta konnte es jetzt schaffen. Es sah so aus, als würde dieser Tag doch noch für sie alle gut enden.
Hoffnung besaß er jedenfalls genug.
 
Puuh.... Das war eine ganz schön spannende Angelegenheit gewesen!

In dieser Hinsicht endlich aufatmen zu können, tut sehr gut.

😀

dachtest du, ich lass meine 2.Lieblings-Charakterin verrecken? Außerdem hab ich doch schon gesagt, dass es ein vielleicht zu fröhnliches Happy End gibt 😉

Freut mich trotzdem, dass du das spannend fandest. Ein bisschen Unsicherheit muss es ja auch nach der Schlacht noch geben.
 
Gut, ich will dann mal pünktlich weitermachen, auch wenn ich es echt schade finde, dass mixerria hier so ziemlich der einzige ist, der noch antwortet. Geht es euch vielleicht zu schnell? Wenn ihr wollt, können wir das auch noch ein bisschen langsamer angehen, wenns dafür dann mehr Feedback gibt.


Ansonsten hier nun der nächste Teil. Der Titel sollte in erster Linie ein Wiederaufgreifen des Kapitels "Die verhasste Verwandtschaft" sein und weniger eine Anlehnung an Goethes Werk, das dann inhaltlich ja eigentlich doch eine andere Richtung geht. Nichtsdestotrotz fand ich die eine, zitierte Stelle hier sehr passend.

Nunja, viel Spaß.

Die gewählte Verwandtschaft (1/2)



„Hier ist eine Trennung, eine neue Zusammensetzung entstanden, und man glaubt sich nunmehr berechtigt, sogar das Wort Wahlverwandtschaften anzuwenden, weil es wirklich aussieht, als wenn ein Verhältnis dem anderen vorgezogen, eins vor dem andern erwählt würde.“
[FONT=&quot]— [/FONT]Aus ‚Wahlverwandtschaften‘, Kapitel 4, Johann Wolfgang von Goethe‘

Naggarond; Naggaroth
2567 IC; 8.Vollmond (5.Tag)
2 Stunden nach Sonnenuntergang

Blutklinge betrat das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich. Die Szenerie hatte sich nicht verändert. Yerill saß noch immer an Xiucaltas Bett und hielt die Hand der Bewusstlosen. Tatsächlich wagte Sisrall die Vermutung, dass sich auch die Haltung der Unsterblichen keinen Millimeter verändert hatte. Sie saß so ruhig und starr wie eine Statue.
Jetzt hob sie den Kopf, erkannte ihn und betrachtete daraufhin wieder die Seherin. Vor einer halben Stunde hatte Sisrall den Raum verlassen und die anderen Kinder des Mordes besucht. Die meisten schliefen und erholten sich von ihren Verletzungen. Er hatte dafür gesorgt, dass man Artewu in das Zimmer brachte, in dem Xiucalta aufgewacht war, und deren Sachen dann hierher geholt. Kerkil war inzwischen wieder wach und erholte sich sichtlich. Er würde bald wieder auf den Beinen sein. Dalehon und Lokira ging es abgesehen von Trizil und ihm am besten und auch Zalandra erholte sich rasch. Die beiden anderen Erwählten, die wie Artewu die grünen Lichtzungen des Splitterdrachens zu spüren bekommen hatte, waren noch nicht wieder bei Bewusstsein, aber auf dem Weg der Besserung. In ein paar Stunden müssten sie soweit geheilt sein, dass sie zumindest ihre Betten verlassen konnten. An Kämpfe war in nächster Zeit aber nicht zu denken, vor allem auch, weil sie die Marilim wieder füllen mussten.
Seine Gefährten, zumindest die, die wach waren, hatten ihn mit Fragen gelöchert. Wie Trizil überlebt habe, wie die Untoten aufgehalten worden waren, was mit Nerglot geschehen war und so weiter. Er hatte sie fast alle abgewehrt und die Antworten auf später verschoben. Er wollte nicht alles mehrfach erklären müssen. Außerdem wollte Yetail auch gerne die Berichte vom Kampf gegen den Splitterdrachen hören und er war neugierig, was Xiucalta ihnen noch erzählen konnte. Welche Rolle sie und Yerill gespielt hatten. Nach den Erzählungen der beiden Soldaten war er umso mehr darauf gespannt.
Aber erst einmal musste die Seherin wieder zu Kräften kommen. Sie war die einzige, bei der er nicht sagen konnte, wann sie aufwachen würde. Vielleicht würde sie im Laufe der Nacht mal kurz zu sich kommen, genauso wahrscheinlich war es aber, dass sie die nächsten Tage durchschlafen würde. Nun ja, verdient hatte sie es sicherlich.
Er betrachtete das Gesicht der Bewusstlosen. Sie war noch immer sehr blass und ihre Haut wirkte blutleer. Ihre Lippen waren fast weiß. Ihr Atem war noch immer kaum hörbar, wenn auch regelmäßig. Ihr Zustand schien sich in der halben Stunde, seit Trizils Lied verklungen war, nicht gebessert zu haben. Aber immerhin sah sie nicht mehr so aus, als würde sie innerhalb der nächsten Minuten versterben.
„Hat sich irgendetwas verändert?“, fragte er dennoch. Immerhin hatte Yerill sie schon einmal überrascht, als Trizil und er geglaubt hatten, Xiucalta wäre tot. Jetzt schüttelte die Unsterbliche jedoch nur den Kopf und blickte weiterhin mit einer Mischung aus Trauer und Schuld auf die Schlafende. Einmal mehr fragte Sisrall sich, was die beiden Frauen verband. Auch wenn ein Teil von Yerills Treue wohl der Tatsache geschuldet war, dass die Seherin ihretwegen am Rande des Todes schwebte.
Er setzte sich neben die Unsterbliche und gemeinsam wachten sie eine Weile stumm über Xiucaltas Schlaf. Dem Erwählten war das nur recht. Der Tag war lang und anstrengend gewesen und er fühlte sich, als hätte die Schlacht Jahre statt nur Stunden gedauert. Es tat gut, eine Weile einfach ruhig dazusitzen.
„Yerill?“, fragte er schließlich. Die Unsterbliche wandte sich ihm zu und blickte ihn fragend an. „Du hast Viverla’atar entkommen lassen, oder?“
„Ja.“, antwortete das Mädchen mit ihrer unglaublichen Stimme und senkte den Blick. „Ich hatte sie beinahe, aber dann habe ich Trizils Lied gehört. Xiucalta hatte mir gesagt, dass das ein Zeichen sei, dass ich zurückkehren sollte, um in der Schlacht zu helfen. Ich glaube, das war wichtiger.“
„Ja, das war es vermutlich und es lässt sich nicht mehr ändern.“ Er zögerte. „Hättest du sie getötet?“
Die Unsterbliche überlegte lange, bevor sie antwortete. „Ich glaube schon. Es ist natürlich leicht, das zu sagen, aber ich empfinde wirklich nichts mehr für sie. Ich weiß, dass sie mich geboren hat, aber es ist, als hätte man mir das nur gesagt. Ich fühle mich nicht, als würde uns etwas derart Tiefes verbinden. Sie kannte keine Liebe mehr und für sie war ich nur ein Werkzeug ihrer Rache.“
„Du hast ihr gegenüber oft von Liebe gesprochen. Weißt du denn, wie sich Liebe anfühlt?“
Die Unsterbliche nickte, schwieg sich aber aus. Sisrall hätte erwartet, dass ein Lächeln ihre Lippen erhellen würde, während sie an denjenigen dachte, den sie möglicherweise liebte, aber sie streichelte nur stumm Xiucaltas Hand. Er fragte sich, ob Yerill sich vielleicht irrte oder ob sie wirklich jemanden gefunden hatte, für den sie solche Gefühle empfand. Aber wer konnte das sein? Welcher Mann konnte gut genug für die Unsterbliche sein? Er dachte an die Worte des Gardisten. Ja, er konnte sich gut vorstellen, welche Wirkung Yerill auf die Sterblichen haben musste. Sie musste ihre ganze Begierde wecken und sie mit unerfüllter Sehnsucht zurücklassen, weil niemand es wagen würde, diese glatte Haut zu berühren. Selbst ihm war das schwer gefallen, als er sie auf Szar’zriss Rücken gehoben hatte. Und da war sie nur von Eis umgeben gewesen, nicht von diesem überirdischen Licht.
„Empfindest du denn eine Bindung zu mir? Als deinen Vater?“
Sie sah ihn an mit ihren goldschwarzen Augen und nickte dann. „Ich würde es nicht als Liebe bezeichnen, Sisrall, aber ich mag dich. Aber es ist nicht der Schutz oder die Geborgenheit, die ich bei dir suche, sondern deine Leitung. Du bist für mich ein Vorbild. Ich habe dich beobachtet, bevor Viverla auf dich geschossen hat. Du warst stark erschöpft und doch hast du nicht aufgegeben, sondern hast dich wieder in die Schlacht geschleppt. Du hast an etwas geglaubt. Daran, dass du gebraucht wirst. So wollte ich auch sein. Ich bin stolz, deine Tochter zu sein, auch wenn ich dich vielleicht eher als einen Lehrmeister denn als einen Vater sehe.“ Sie grinste schief. „Versteh mich nicht falsch, aber es käme mir irgendwie unpassend vor, mich an deine Brust zu drücken und mir meine Sorgen von der Seele zu weinen.“
Sisrall lächelte. „Nun, das käme mir auch seltsam vor. Immerhin hast du das körperliche Alter einer Siebzehnjährigen. Du bist ein bisschen zu groß dafür.“ Er zögerte. „Ich bin auch stolz, eine Tochter wie dich zu haben. Nach dem, was ich gehört habe, bist du inzwischen auch schon eine Heldin. Weiße Aydar.“ Er schüttelte den Kopf. „Auch wenn es wirklich schwer ist, mein Kind in dir zu sehen. Ich verstehe, weshalb Viverla’atar Schwierigkeiten damit hatte. Du bist nicht nur beinahe erwachsen, du bist auch so … unglaublich. Selbst gegenüber uns Kindern des Mordes bist du noch außergewöhnlich. Wir können vielleicht mit deinen Fähigkeiten mithalten, aber deine Erscheinung ist einzigartig. Es ist wahrlich schwer, in dir meine fleischliche Tochter zu sehen und dich so zu lieben, wie du es verdienst. Ich bin auch niemand, der groß seine Gefühle zeigt. Aber ich mag dich.“
Yerill ließ sich seine Worte durch den Kopf gehen und lächelte dann. Er spürte ihre leicht kühle Hand auf seinem Arm. „Das ist mehr, als ich erwarten kann. Ich wäre auch damit zufrieden, wenn du mich nur als eine Kriegerin sehen würdest. Denn ich weiß, dass du, im Gegensatz zu Viverla’atar, wirkliche Zuneigung empfinden und dich verändern kannst. Eines Tages wirst du mich vielleicht wirklich als deine Tochter betrachten und ich dich als meinen Vater. Wir haben Zeit.“
„Du bist erstaunlich weise für jemanden, der erst einen Tag alt ist, Yerill.“ Das entlockte der Unsterblichen ein weiteres Lächeln. „Allerdings“, fuhr er fort. „gibt es da noch etwas zu bedenken. Weißt du, ich habe eine Gefährtin, eine Frau, die ich liebe. Als meine Tochter müsstest du dich auch mit ihr arrangieren.“
Die Unsterbliche nickte ernst. „Ich weiß. Ich habe euch gesehen. Auf dem Turm, bevor Xiucalta zu euch kam.“ Sisrall erinnerte sich und lächelte unwillkürlich, als er an den innigen Kuss dachte. Dass Yerill das gesehen hatte, störte ihn nicht. „Sie ist sehr schön und ich habe gesehen, dass ihr euch liebt. Das hat mich endgültig überzeugt, dass die Druchii nicht so schlecht sein können, wie Nerglot und Viverla es dargestellt haben.“ Sie schaute ihn ein wenig furchtsam an. „Glaubst du, sie mag mich?“
Er nickte und stand auf. „Ich denke, das wird sie. Lass es uns herausfinden.“ Er streckte ihr die Hand entgegen, aber die Unsterbliche zögerte. „Xiucalta ist nicht mehr in Lebensgefahr.“, meinte Sisrall. „Sie wird sich langsam erholen, auch wenn wir nicht hier sind. Ich werde Trizil bitten, ab und zu nach ihr zu sehen.“
Damit gab Yerill sich zufrieden, strich noch einmal über die leblose Hand der Seherin und erhob sich dann. Gemeinsam verließen sie das Zimmer und machten sich auf den Weg.

Yetail ließ sich nichts anmerken, als sie spürte, wie Sisrall lautlos neben sie trat und sich auf das Bett neben sie sinken ließ. Sie musste alle Kraft aufbieten, um nicht zu grinsen. Es war so schön, ihn wieder zu haben und nicht fürchten zu müssen, dass einer von ihnen beiden in der nächsten Stunde sterben könnte. Sie sog sanft die Luft ein und roch ganz leicht seinen Geruch nach Feuer, Dunkelheit und scharfem Stahl.
Sie spürte, wie er sich über sie beugte, schmeckte seinen Atem, als seine Lippen sich ihren näherten. Oh verdammt, es war wirklich schwer, weiterhin so zu tun, als würde sie schlafen. Sie gab sich alle Mühe, ruhig liegen zu bleiben. Sie konnte es kaum erwarten, bis ihre Lippen sich berühren würden. Gleich musste es soweit sein, nur noch ein winziges Stück …
Sie konnte schon die Wärme seiner Haut über ihr spüren, als er innehielt. In seiner Stimme klang ein Grinsen mit, als er sprach. „Ich weiß, dass du wach bist. Los, raus aus dem Bett!“ Augenblicklich schlug Yetail die Augen auf und blitzte ihn zornig an. Sie beugte sich vor, um ihn trotzdem zu küssen, aber er entrang sich lachend ihren Armen und stand schon wieder neben dem Bett, während sie sich ein wenig missmutig aufrichtete. Sie merkte, dass ihr Umhang offen war und wickelte ihn eng um sich. Wenn er sie nicht küssen wollte, würde sie ihm wohl kaum freien Blick auf ihren Körper, der ansonsten nur in enge Leibchen um Brust- und Hüftbereich gehüllt war, gewähren.
„Was hat mich verraten?“, fragte sie mit gespielter schlechter Laune. Eigentlich fühlte sie sich wunderbar erholt nach knapp zwei Stunden Schlaf und hätte ohnehin nicht mehr lange liegen bleiben können. Sisrall lachte erneut.
„Bei Khaine, Yetail! Du bist eine ausgebildete Kampfmagierin des Hexenklosters. Du würdest niemanden so nah an dich heranlassen und dabei so ruhig liegen bleiben.“ Dem konnte sie nicht widersprechen und verfluchte ihn stumm. Beim nächsten Mal würde sie ihn mit einem Zauber einfangen, wenn es sein musste. Ihr einen Kuss vorzuenthalten, dass er es wagte!
Sisrall setzte sich neben sie, während sie den Oberkörper an die Wand lehnte. Er hob ihre Stiefel hoch und sie streckte ihm grinsend die nackten Füße entgegen, ohne ihre bequeme Haltung auf dem Bett zu verändern. Das würde jetzt seine Strafe sein.
„Hast du das gestern ernst gemeint, als du mich gefragt hast, ob ich ein Kind mit dir möchte?“, fragte er überraschend, während er ihre Füße massierte, statt ihr die Stiefel anzuziehen. Naja, das ging auch. Sie seufzte und schloss die Augen.
„Ja, habe ich. Als Novizin habe ich mich oft gefragt, wie es wohl ist, mit einem Mann zu schlafen, obwohl das dank der Gebote des Klosters nie eine wirkliche Option war. Jetzt, da ich einen Gefährten habe, frage ich mich, wie es wohl wäre, ein Kind zu haben. Weißt du, ich habe Xiucalta damals – oh bei Khaine, war das wirklich erst vorgestern? – auch deshalb als Novizin angenommen, weil sie so verloren wirkte und ich schrecklich allein war. Ich dachte, sie könnte vielleicht in gewisser Weise das Kind sein, das ich nie haben würde.
Ich hätte gerne eine Tochter. Ich stelle mir gerne vor, dass sie lange blonde Haare und deine goldenen Augen hat und dass die Männer sie anhimmeln, weil sie so schön ist. Aber das ist ein Traum. Selbst wenn es uns möglich wäre – ich weiß nicht, ob ich die richtige wäre, ein Kind großzuziehen. Es ist einfach, von einer klugen, vernünftigen und reifen Tochter zu träumen, aber bis dahin braucht es Jahre der Erziehung. Schade, dass Xiucalta inzwischen so … mächtig geworden ist. Sie mag im Grunde noch immer jung und unerfahren sein, aber ihr Wissen hat sie reif und weise gemacht. Es ist schwierig, so jemanden noch als Kind zu sehen. Gott, sie ist eine Meisterin und das wohlverdient.“
Sie öffnete die Augen und merkte, dass Sisrall sie angrinste. In seinen Augen lag ein erwartungsvolles Funkeln. Außerdem stellte sie stirnrunzelnd fest, dass sie ihre Stiefel an den Füßen hatte. Er würde doch nicht … Verdammt, fluchte sie in Gedanken, als er aufstand und ihr die Hand entgegen streckte. Widerwillig ließ sie sich aus dem Bett und auf die Beine ziehen. Sie zog noch einmal die goldfarbenen Roben eng um ihren Körper und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Ärmel waren lang genug, um die Hände darin zu verstecken. Sie würde eine neue Rüstung brauchen. Nerglot hatte ihre wirkungsvoll zusammen mit ihrer Haut zerstört.
„Ich möchte dir jemanden vorstellen.“, meinte Sisrall sichtlich zufrieden und deutete in Richtung der Tür, die er offen gelassen hatte. Yetail ließ erstaunt die Arme sinken, als sie die Gestalt erblickte, die dort mit vorsichtigen Schritten hereinkam und die Zauberin ein wenig schüchtern musterte. Yetails Blick wanderte über das atemberaubende Gesicht und den vollkommenen Körper des Mädchens, musterte dessen goldene Haarpracht und die weißglühende Haut. An ihren Hüften hingen lange Schwerter, von denen Yetail, die auch nicht gerade schwächlich war, höchstens eines ordentlich hätte schwingen können. Sie war ein wenig kleiner als die Zauberin, aber ihre Bewegungen waren weich und anmutig, obwohl sie nur zögerlich näher trat. Einen Augenblick lang kochte heiße Eifersucht in ihr hoch. War das vielleicht Sisralls neue? Die Kleine war deutlich jünger als Yetail und offensichtlich hübsch genug, um ihr Konkurrenz zu machen. Dann bemerkte sie die sonderbaren Augen der Fremden, den goldenen Ring, der ihre Pupillen umgab und nach außen wieder in reines Schwarz überging, das vor dem Weiß ihrer Augäpfel zu glitzern schien.
„Das ist Yerill Sturmtanz.“, erklärte Sisrall, bevor sie irgendetwas sagen oder sich ganz über ihrer Gefühle klar werden konnte. „Weiße Aydar des Khaine und nach dem, was ich gehört habe, Heldin der heutigen Schlacht.“ Er holte tief Luft. „Und sie ist meine Tochter.“
Yetail stockte der Atem und sie starrte Sisrall an. Sie wollte lachen, aber er sah sie vollkommen ruhig und ein wenig erwartungsvoll an. Die Zauberin musterte wieder das Mädchen, das auch keine Hinweise darauf gab, dass das möglicherweise ein Scherz sein sollte.
„Aber wie … Viverla’atars?“, fragte sie, nicht ganz sicher, was sie eigentlich denken oder sagen sollte. Sie spürte Sisralls Hand in ihrem Rücken.
„Ja, sie ist das Kind, das du gestern in Viverla’atar entdeckt hast. Anscheinend hatte ihre Mutter auch eine Affäre mit Darmal, der Yerill es zu verdanken hat, dass sie nun seinen Fluch trägt. Dennoch ist sie von mir gezeugt und hat von ihm sonst nichts bekommen. Dafür sollte das Geschenk des Flammenbrunnens das Eis des Fluches im Schach halten und verhindern, dass sie genauso den Verstand verliert wie Darmal.“ Er zögerte kurz. „Weshalb sie so aussieht, als wäre sie siebzehn Jahre alt, weiß ich nicht. Nerglot hat Viverla’atars Schwangerschaft beschleunigt und irgendwie muss der Zauber auch ihren weiteren Wachstumsprozess stark verkürzt haben. Sie ist jetzt etwa achtzehn Stunden alt.“
Yetail blickte verdutzt zwischen beiden hin und her. Verdammt, hätte sie sich doch bloß geweigert, das warme Bett zu verlassen. Da war ihr die Welt noch bedeutend einfacher erschienen. Was Sisrall ihr da erzählte, klang alles ganz vernünftig und er schien überzeugt davon, aber irgendwie war es dennoch unmöglich.
„Achtzehn Stunden auf dieser Welt und schon eine Heldin, ja?“, fragte sie ein wenig zweifelnd. Das Mädchen zuckte betreten mit den Schultern. Offensichtlich verstand es sie. Aber es war Sisrall, der ruhig fortfuhr.
„Allerdings. Sie hat den Kampf gegen die Untoten unterstützt und die Verteidigung aufrecht erhalten, sie war es letztendlich, die mir das Horn des Splitterdrachen brachte, sie rettete mir das Leben, als Viverla’atar mich töten wollte, und sie bewahrte Trizil vor dem Rachen des Splitterdrachens und opferte sich selbst als Ablenkung.“
„Ich habe auch Xiucalta beschützt.“, fügte das Mädchen hinzu und ihre Stimme war so rein und schön, dass Yetail für einen Augenblick ihre Zweifel und ihre Eifersucht einfach vergaß. „Gegen den Anderen, den ihr Darmal nennt. Ich habe ihn aufgehalten, als er sie töten wollte. Und dann habe ich sie aus dem Khainetempel gerettet, bevor er zerstört wurde.“
Yetail spürte, wie es ihr eiskalt den Rücken runter lief. Xiucalta war dort drin gewesen? In dem Turm, den sie im Prinzip sogar mehrfach gesprengt hatte? Verdammt, sie hätte beinahe ihre Seherin ausgelöscht, bevor sie überhaupt wusste, dass sie derartige Fähigkeiten besaß. Aber anscheinend hatte das Schicksal auf die junge Frau aufgepasst. Oder Khaine selbst, wenn Yerill so etwas wie eine Aydar war.
„Wie kann sie eine Aydar sein, wenn sie deine Tochter ist?“, fragte die Zauberin, jetzt allerdings neugierig und nicht mehr zweifelnd. „Und was soll das heißen, Viverla’atar wollte dich töten? Wieso hat Yerill dir das Horn gebracht, nachdem …“
Doch weiter kam sie nicht, denn Sisrall legte ihr sanft einen Finger auf die Lippen und sie verstummte.
„Es gibt so viele Fragen. Ich habe genauso viele wie du und alle anderen Kinder des Mordes auch. Einige davon können wir gegenseitig beantworten, andere kann Yerill uns vielleicht erläutern. Für die meisten möchte ich aber gerne Xiucaltas Antworten hören. Ich verspreche dir, du wirst alles erfahren, was du erfahren möchtest, aber lass es uns gemeinsam tun. Abgesehen von Trizil kennt noch keiner unserer Brüdern und Schwestern Yerill.“
Er zögerte und blickte ihr dann direkt in die Augen. „Ich wollte sie zuerst dir vorstellen. Sie hat sich gegen Viverla’atar entschieden und sie beinahe getötet. Sie hat mich als ihren Vater akzeptiert und ich würde sie sehr gerne auch als meine Tochter annehmen. Als unsere Tochter.“, schloss er und Yerill und Yetail blickte ihn beide erstaunt an, bevor sie einander anstarrten, Yetail überrascht und zweifelnd, Yerill erwartungsvoll und unsicher.
„Nun, sie hat nicht ganz deine Augen.“, meinte Yetail in Anspielung an das, was sie vorhin über ihre Träume gesagt hatte. Sie musste zugeben, dass Yerill sogar noch vollkommener war, als sie es sich jemals hätte ausmalen können. „Aber wieso nicht?“
Sisrall lächelte und auch Yerill entspannte sich sichtlich. Die Zauberin dachte noch einmal über das Gehörte nach. Wenn das Mädchen Sisralls leibliche Tochter war, dann hatte sie auch ziemlich viel mit ihr, Yetail, gemeinsam. Ihre eigene fleischliche Tochter könnte im Grunde durchaus so aussehen wie Yerill. Sie war ein wenig kleiner als Yetail, etwa eine Handbreit. Das war nicht überraschend, wenn sie von Viverla’atar kam, die fast einen ganzen Kopf kleiner gewesen war und damit fast so groß wie Xiucalta.
Die wunderbare glatte Haut kam natürlich von Darmal, auch wenn das Licht vielleicht eine Gabe des Flammenbrunnens war. Vielleicht materialisierte sich der Fluch auch bei jedem Träger anders. Wer verstand schon das Wesen des Chaos? Aber wenn man diese Haut einmal außer Acht ließ, dann erkannte Yetail deutliche Ähnlichkeit mit sich selbst und auch Sisrall. Da waren einige Details in ihren Gesichtszügen, die eindeutig von Viverla’atar kamen, aber was spielte das schon für eine Rolle? Niemand sah genauso aus wie die Mischung der Eltern. Und Yerill könnte auf jeden Fall als ihre und Sisralls Tochter durchgehen.
Sie blickte dem Mädchen in die Augen und lächelte sanft. „Es freut mich, dich kennen zu lernen, Yerill. Verzeih mir, wenn ich ein wenig skeptisch war und vielleicht auch noch bin, aber es ist schwierig das zu akzeptieren, was Sisrall eben erzählt hat. Aber ich denke, ich werde lernen, dich als meine Tochter zu sehen.“
Yerill strahlte und allein die Schönheit ihres leuchtenden, lächelnden Gesichts war schon genug, damit Yetail ihre Zweifel beiseiteschob. Es war auch egal, dass Sisrall Viverla’atar geliebt und mit ihr ein Kind gezeugt hatte. Dieses Kind war nun ihre Tochter und damit konnte sie die Autarii befriedigt aus ihren Gedanken vertreiben. Jetzt brauchte sie wirklich nicht länger eifersüchtig zu sein.
„Ich werde mir Mühe geben, dir eine gute Tochter zu sein, M…“
„Halt!“, rief Yetail, der gerade mit Schrecken klar geworden war, was Yerill vorhatte. „Eine Bedingung: Nenn mich niemals Mutter.“ Sie erschauderte. „Das klingt nach einer viel reiferen und besonnenen Frau als ich es bin. Nach jemandem, der sich zu Hause um die Kinder kümmert und nicht nach einer mächtigen Zauberin, die auf dem Schlachtfeld ihre Feinde in Asche verwandelt. Nenn mich einfach Yetail.“
„Hat die Erste Meisterin der Kriegskünste der Hexenkonvente etwa doch Angst vor dem Mutterdasein?“, stichelte Sisrall und fing sich einen finsteren Blick ein. Eigentlich hatte er recht. Yerill war die Manifestation ihrer Wünsche nach einer Tochter. Aber in ihren Träumen hatte dieses Kind sie nie Mutter genannt. Deshalb waren es eben Träume.
„Yetail.“, sprach Yerill ihren Namen aus. „Ich denke, das gefällt mir auch besser. Keine Sorge, um mich brauchst du mich nicht mehr kümmern. Ich brauche keine Geschichten, um abends einzuschlafen.“ Sie lachte und Yetail entspannte sich in dem Gefühl warmen Goldes, das aus der Luft zu sickern schien.
[FONT=&quot] „Ihr seht aus wie ein Spiegelbild mit falschen Farben.“, erklang eine Stimme [...].[/FONT] „Weiße Haut und goldenes Haar bei der einen, weißes Haar und goldene Haut bei der anderen.“
 
Zuletzt bearbeitet:
Gut! 🙂

Hier noch was kleines:
An ihren Hüften hingen lange Schwerter, von denen Yetail, die auch nicht gerade schwächlich war, höchstens eines ordentlich hätte schwingen können. Sie war ein wenig kleiner als Yetail, aber ihre Bewegungen waren weich und anmutig, obwohl sie nur zögerlich näher trat. Einen Augenblick lang kochte heiße Eifersucht in ihr hoch. War das vielleicht Sisralls neue? Die Kleine war deutlich jünger als Yetail und offensichtlich hübsch genug, um ihr Konkurrenz zu machen.
Fiel mir aber auch nur auf, weil sich die beiden markierten Stellen genau am Anfang zweier direkt übereinander befindender Zeilen befanden.
 
Naja, wenn es nix mehr hinzuzufügen gibt... 😉

Insbesondere kann ich ja nix zu meckern haben, schließlich gab es ja keine aktiven Magieanwendungen hier... 😀

verdammt, da ist was dran. Ich hatte aber wenigstens auf Spekulationen bezüglich des letzten Absatzes gehofft, oder ist das doch zu eindeutig?

Naja, vielleicht gibts dann überübermorgen mehr Kritik nach der Dusch-Szene 😉 Ich bin mal gespannt, was du davon hälst. Jetzt natürlich vor allem wegen der elfischen Technik.
 
verdammt, da ist was dran. Ich hatte aber wenigstens auf Spekulationen bezüglich des letzten Absatzes gehofft, oder ist das doch zu eindeutig?
Also ich vermute da sehr stark in eine Richtung... Eine ganz besonders geisterhafte ^^
Aber naja, es könnten theoretisch sehr viele Leute die ominöse Stimme sein.
 
Eine ganz besonders geisterhafte ^^
Aber naja, es könnten theoretisch sehr viele Leute die ominöse Stimme sein.

ja, unser Möchtegerngeist hat irgendwie die Angewohnheit, überraschend aufzutauchen ... aber die liegt doch noch halbtot im Bett oder wie? 😉

naja, dann wirst du es wohl morgen erfahren.
 
Zuletzt bearbeitet:
So, jetzt der absolute Kitsch-Höhepunkt dieser Geschichte, aber muss auch mal sein. 😀

Leider muss ich dir bescheinigen, mixerria, dass deine Vermutung korrekt war. Nicht wundern, der erste Absatz ist derselbe wie der letzte Absatz der ersten Hälfte, dieses Mal aber ohne zensierte Abschnitte 😉


Die gewählte Verwandtschaft (2/2)



„Hier ist eine Trennung, eine neue Zusammensetzung entstanden, und man glaubt sich nunmehr berechtigt, sogar das Wort Wahlverwandtschaften anzuwenden, weil es wirklich aussieht, als wenn ein Verhältnis dem anderen vorgezogen, eins vor dem andern erwählt würde.“
[FONT=&quot]— [/FONT]Aus ‚Wahlverwandtschaften‘, Kapitel 4, Johann Wolfgang von Goethe‘

Naggarond; Naggaroth
2567 IC; 8.Vollmond (5.Tag)
2 Stunden nach Sonnenuntergang

„Ihr seht aus wie ein Spiegelbild mit falschen Farben.“, erklang eine Stimme, die vertraut und doch fremdartig war, voller Macht und Wissen und doch jung und unschuldig. Die Worte schienen um sie herum aus dem Nichts zu kommen und alle drei wirbelten herum. „Weiße Haut und goldenes Haar bei der einen, weißes Haar und goldene Haut bei der anderen.“
Und da stand sie. Gehüllt in schwarzgraue Gewänder, die Kapuze ins Gesicht gezogen und ihren langen silbernen Stab in der Hand lehnte Xiucalta am Türrahmen und betrachtete das Familientreffen mit einem zufriedenen Lächeln.
Ein wenig verwirrt beobachtete Yetail, wie Sisrall ungläubig den Mund öffnete und schloss, bevor er „Wie ist das möglich?“ hauchte, und wie Yerill plötzlich mit unglaublicher Geschwindigkeit auf die Seherin zu schoss und dann einen Meter vor ihr erstarrte. Genauso zögerlich, wie sie eben das Zimmer betreten hatte, näherte sie sich nun der jungen Frau.
„Oh Xiu.“, schluchzte sie und rang sichtlich die Hände. „Es tut mir so leid. Ich hatte keine Kontrolle mehr über mich. Ich habe dich fast umgebracht.“ Sie blieb stehen und ließ den Kopf hängen. „Ich könnte es verstehen, wenn du mich nie wiedersehen willst. Ich wollte dir nur sagen …“
Xiucalta lachte, während sie die Kapuze abstreifte, und ihre Stimme wehte um Yetail herum, als wäre sie direkt in ihren Ohren. Aber es war ein entspanntes Lachen. Sie ließ ihren Stab in der Tür stehen, überbrückte die Distanz zu Yerill mit ein paar Schritten und nahm ohne jedes Zögern die Hände des Mädchens in ihre. „Hör auf, dich lächerlich zu machen, Yerill. Ich wusste, dass das passieren könnte, auch wenn ich gehofft hatte, es würde ein bisschen … glimpflicher ausgehen. Aber lass die Selbstvorwürfe. Du hast aufgehört. Du hast mich nicht getötet. Ich habe dir vertraut und du hast mich nicht enttäuscht.“
Die Seherin kniff die Augen zusammen und funkelte die Unsterbliche finster an, die sichtlich zusammenschrumpfte. „Aber ich warne dich. Wenn du mich nochmal fast umbringst, dann lass verdammt nochmal meine Hand los, sonst … sonst … sonst hau ich dir meinen Stab gegen den Kopf!“, tobte sie und Yetail war sich nicht sicher, wie ernst sie das meinte. Yerill aber schien überzeugt zu sein, dass Xiucalta nicht wirklich böse war. Ein erleichtertes und verspieltes Lächeln legte sich auf die Lippen des Mädchens und blitzschnell schlang sie die Arme um die überraschte Seherin und küsste sie.
Einen Augenblick lang wehrte sich Xiucalta, aber sie hatte Yerills Kraft nichts entgegenzusetzen und schon noch zwei Sekunden schmolz sie in deren Armen dahin und erwiderte den Kuss. Sie legte die Hände auf Nacken und Schultern der etwas größeren Frau und zog sich daran hoch, um ihr entgegen zu kommen, während Yerill sie an die Wand drückte.
Yetail konnte nur starren und sie zuckte heftig zusammen, als sie plötzlich Sisrall dicht neben sich spürte. Sie blickte ihn fragend an und er zuckte mit den Schultern. Ein leises Grinsen lag auf seinen Lippen. „Falls du das fragen willst: Nein, ich wusste davon nichts. Das ist das erste Mal, dass ich die beiden zusammen sehe, ohne dass eine von ihnen bewusstlos und dem Tode nahe ist. Ich habe die ganze Zeit überlegt, was wohl der Grund dafür ist, dass Xiucalta bereitwillig all ihre Kraft für Yerill geopfert hat, und weshalb Yerill so viel über Liebe wusste, dass sie Viverla’atar einen ziemlich beeindruckenden Vortrag halten konnte. Ich konnte nicht glauben, dass sie sich in einen Mann verliebt hat. Dazu steht sie zu weit über jedem Sterblichen. Nun, jetzt kenne ich die Antworten.“
Yetail nickte nur, während sie beobachtete, wie die beiden jungen Frauen den Kuss beendeten und sich aneinanderdrückten. Dann grinste sie. „Es sieht so aus, als hätten wir auch gleich eine Schwiegertochter bekommen, wie?“
Auch Sisrall lächelte schief. „Naja, die beiden da wird es wohl nicht mehr einzeln geben. Aber so langsam reicht es mir für einen Tag mit Überraschungen.“
„Wem sagst du das? Du kennst sie wenigstens schon ein paar Stunden.“

Sisrall beobachtete, wie sich Yerill nun von Xiucalta löste. Gemeinsam kamen die beiden auf die Erwählten zu. Ein Bild aus Weiß und Schwarz. Sie waren äußerlich so gegensätzlich und doch harmonierten sie perfekt miteinander. Er hatte Xiucalta noch nie so gelöst gesehen, seit sie ihre Fähigkeiten entdeckt hatte. Und das stumme Glück, das in Yerills Gesicht lag, ließ ihn alle möglichen Zweifel verdrängen. Wenn die beiden jungen Frauen einander wollten, dann würde er sich da nicht einmischen.
„Es tut mir leid, dass wir euch so … überrumpelt haben.“, erklärte Xiucalta. „Bittet behaltet dies für euch. Die anderen Kinder des Mordes können es erfahren, aber es könnte Schwierigkeiten geben, wenn die Druchii es bemerken.“ Sisrall nickte. Da hatte sie wohl recht. Yetail und er konnten sich wenigstens noch offen sehen lassen, solange keiner von ihrer Verwandtschaft erfuhr. Die Seherin begann zu grinsen, als sie sich ihm zuwandte. „Muss ich nun um die Hand Eurer Tochter anhalten, Meister Blutklinge?“
„Du kannst darauf verzichten …“, meinte er scharf, obwohl er vermutete, dass er seine Erleichterung über ihre Genesung nicht ganz verbergen konnte. Aber allmählich hatte er die Überraschungen des Tages, bei denen irgendwie immer Xiucalta ihre Finger im Spiel gehabt hatte, wirklich satt. „…wenn du mir erklärst, wie es möglich ist, dass du hier munter und gesund vor mir stehst, obwohl du vor kaum einer halben Stunde noch fast tot warst. Ich hätte kaum erwartet, dass du innerhalb von vierundzwanzig Stunden auswachst, geschweige denn dass du das Bett verlassen kannst.“
Xiucalta lächelte leise und ihre Augen funkelten. „Habt Ihr vergessen, was ich Euch erzählt habe? Ich bin mit den Winden der Magie verbunden, jetzt und für immer. Ich bin ein Teil von ihnen und sie sind ein Teil von mir. Ich bin das Kind der Winde, wie ihr die Kinder des Mordes seid. Die Tochter der Magie. Sie werden mich nicht sterben lassen, solange mein Körper noch irgendwie zu retten ist. Hätte Yerill nicht die ganze Zeit meine Hand gehalten, wäre ich schon nach einer halben Stunde wieder auf den Beinen gewesen.“
„Was hat Yerill damit zu tun?“, fragte Yetail verwundert, während die Unsterbliche sichtlich schuldbewusst dreinblickte. Sisrall erinnerte sich daran, wie Xiucalta ihr gedroht hatte, sie zu schlagen, wenn sie beim nächsten Mal ihre Hand nicht losließe. Nicht, dass das eine ernsthafte Gefahr für die Unsterbliche gewesen wäre. Dennoch war er genauso neugierig, was es mit diesem Rätsel auf sich hatte. Auch wenn das vermutlich wieder so eine Überraschung werden würde.
„Sie blockiert die Ströme, weil ihre Haut andere Lebenskraft absorbiert, ganz besonders meine. Diese Lebenskraft ist es aber, die mich erst mit den Winden der Magie verbindet. Wenn Yerill mich berührt, durchtrennt sie diese Verbindung. Dann kann ich nichts sehen. Und genauso wenig können die Winde mich heilen. Das ist die praktische Seite unserer Beziehung. Sie braucht meine Kraft und dafür befreit sie mich von der Last der Visionen, solange sie mich berührt.“
„Aha.“, meinte Yetail nur, die noch dabei war, das zu verarbeiten. Für Sisrall war die Erklärung nun doch nicht ganz so überraschend, wie er erwartet hatte. Yerill hatte ihm und Trizil ja schon gesagt, dass sie in erster Linie Xiucaltas Kraft brauchte. Welche Auswirkungen das auf die Seherin haben würde, war zwar neu, aber es hätte ihn gewundert, wenn es keine gegeben hätte.
„Ich muss mich so bald wie möglich bei Trizil bedanken.“, riss Xiucalta ihn nun aus seinen Gedanken. Sie klang ein wenig melancholisch. „Sie hat mir zwar nicht das Leben gerettet, aber ich habe ihr Lied gehört. Es war, als würden die Geister für mich singen. Selbst die Götter schienen zu lauschen und einen Moment innezuhalten. Es war so schön und es hat mir und womöglich allen Patienten des Klosters den Lebensmut zurückgegeben. Auch wenn nur die wenigsten es bewusst wahrgenommen haben. Sie hat unseren Herzen die Kraft gegeben, diese Schwäche aus unseren Körpern zu vertreiben, und unsere Hoffnungen geschürt, dass diese Zeit des Leides vorübergehen würde.“ Sie seufzte und ihr Blick kehrte ins Jetzt zurück.
„Du hast gesagt, dass Yerill dich von deinen Visionen befreit.“, setzte Yetail nachdenklich an. „Hast du denn keine Kontrolle darüber, ob du siehst oder nicht?“
Die Seherin neigte den Kopf. „Doch, ich kann sie zurückdrängen, wenn ich will. Aber es ist, als stünde vor mir ein riesiger Tisch, voll mit Essen und Trinken beladen. Niemand, der Hunger hat, würde dort nicht zulangen, auch wenn er sich eigentlich vorgenommen hat, nichts zu essen. Es ist ja so leicht. Man braucht nur die Hand auszustrecken. Es ist viel einfacher, sich zu kontrollieren, wenn der Tisch leer ist.“, erklärte sie und Yetail nickte. Auch Sisrall fand das einleuchtend. „Ich kann auch dann noch sehen, wenn Yerill mich berührt, wenn auch nur sehr mühsam, weil ich sozusagen um sie herum blicken muss. Aber die Verlockungen dieses unendlichen Wissens verschwinden dank ihr.“
Ein Lächeln kehrte auf ihre Lippen zurück. „Wo wir gerade vom Essen sprechen …“ Sie zögerte und blickte dann Sisrall ruhig an. „Ich weiß, dass Ihr viele Fragen habt. Ich werde sie beantworten, so gut es mir möglich ist. Aber wie Ihr bereits erklärt habt, werden auch Eure Gefährten dabei sein wollen. Also lasst uns damit warten. Ich habe jetzt riesigen Hunger, nachdem ich mehrfach durch die halbe Stadt gelaufen bin, und außerdem wäre es schön, wenn Yerill und ich ein wenig Zeit für uns bekommen würden.“
„Wir werden später gemeinsam speisen, wenn alle wieder erwacht sind.“, erklärte Sisrall. „Auch die Kinder des Mordes müssen essen. Ihr beiden seid herzlich eingeladen.“
„Vielen Dank.“, antwortete Xiucalta und kurz verschwamm ihr Blick. „Also in drei Stunden. Ich werde gerne kommen. Aber ich brauche jetzt unbedingt etwas zu essen, sonst kippe ich um. Leistest du mir Gesellschaft, Yerill?“
„Natürlich.“, meinte die Unsterbliche sanft. „Nicht, dass ich dich wieder tragen muss.“ Sie lächelte den Erwählten zu. „Bis später.“ Dann verließen die beiden jungen Frauen das Zimmer. Als die Tür hinter ihnen zufiel, drehte sich Sisrall zu Yetail um, die ihn breit angrinste.
„Ich hätte auch gern etwas Warmes im Bauch.“ Sie drückte sich an ihn. „Aber das Essen kann warten.“ Sanft, aber entschlossen schob sie ihn in Richtung Bett, während ihre Lippen nur noch Zentimeter von seinen entfernt waren. „Du schuldest mir noch was, nachdem du mich so um meinen wohlverdienten Schlaf gebracht hast.“, raunte sie, bevor sie ihn küsste.
Das sah Sisrall zwar nicht so, aber wer hätte da widersprochen?