Wie die Drehtürenkapitalisten der Wallstreet-Bank Goldman Sachs in Europa die Macht übernehmen
Es war ein Vorgang, der für das Agieren des Finanzhauses Goldman Sachs bezeichnend ist: Im Jahre 2004 hob die amerikanische Börsenaufsicht SEC die bis dahin gültige Regelung auf, nach der Investmentbanken mindestens ein Zwölftel ihres Gesamtkapitals als Eigenkapital halten müssen. Die Folge war, daß die Investmentbanken ihre Ausleihungen zum Teil auf das bis zu Dreißigfache ihres Eigenkapitals erhöhten – was die Gefahr eines Finanzcrashs deutlich erhöhte. Zu diesem Crash kam es nur wenige Jahre nach dieser, um es vorsichtig zu sagen, zweifelhaften Entscheidung. Dieser Entscheidung voran ging, so Hans-Werner Sinn, Chef des Münchener Ifo-Institutes, eine „intensive Lobbyarbeit der fünf führenden US-Investmentbanken“, die mit windigen Argumenten plausibel zu machen versuchten, daß niedrigere Eigenkapitalquoten unabdingbar seien, um den Kunden weiterhin hohe Renditen zahlen zu können. Der Staat solle besser auf die „Selbstregulierung der Märkte“ setzen. Ein rühriger Propagandist dieser Kampagne war Henry Paulson, von 1999 bis 2006 Chefmanager von Goldman Sachs (GS), der größten US-Investmentbank. Nach dem Ausbruch der Finanzkrise wurde er im September 2008 Finanzminister in der Regierung George W. Bush und war maßgeblich an der Entscheidung beteiligt, den GS-Konkurrenten Lehman Brothers pleitegehen zu lassen, was nach Sinn „beinahe zum Kollaps des Weltfinanzsystems geführt hätte“. Kurz nach dieser Entscheidung entschied Paulson, den Versicherungskonzern AIG, einen wichtigen Geschäftspartner von GS, zu retten, was den US-Steuerzahler Abermilliarden an Dollar gekostet hat. Neuer Aufsichtsrat bei AIG wurde im übrigen Ed Lilly, bis dahin Aufsichtsrat bei GS. Mit den Steuergeldern konnte AIG die Ansprüche seiner Geschäftspartner – es handelte sich um Kreditausfallversicherungen – befriedigen; nach Monaten des beharrlichen Schweigens darüber, wer denn diese Geschäftspartner waren, rückte Paulson damit heraus, daß GS ein Empfänger der AIG-Zahlungen war.
Vor Ausbruch der Finanzkrise hatte Paulson privat bereits vorgebaut: Er veräußerte, so berichtete unter anderem das Internet-Finanzportal MarketWatch, seine GS-Anteile, für die er 500 Millionen Dollar erzielte. Für den Erlös aus dieser Veräußerung, mit der er einer Art Ehrenkodex Rechnung trug, um etwaigen „Interessenkonflikten“ vorzubeugen, zahlte Paulson keinen Cent Steuern. Größere Aktienanteile sollten, so die Begründung für diese Regelung, kein Hinderungsgrund für eine Mitarbeit in der Regierung darstellen. Paulson leistete als Finanzminister ganze Arbeit im Sinne von GS, so daß die Prophezeiung von Hans-Werner Sinn, daß GS „vermutlich als strahlender Sieger“ aus dem „Vernichtungskampf“ der Finanzkrise hervorgehen werde, sich wenig überraschend bewahrheitet hat: Heute gehört GS zu den einflußreichsten Finanzhäusern der Welt und mischt inzwischen auch munter in der EU mit, wo sie hinter den Kulissen mehr und mehr die Strippen zieht.
Auch zur Euro-Krise hat GS sein Scherflein beigetragen, half die Bank Griechenland gegen ein stattliches Entgelt doch, Milliardenschulden zu verbergen. „Die Finanzmagier brachten Schulden einfach zum Verschwinden“, berichtete Spiegel Online im Februar 2010; mit „einem Trick, der jedem Hütchenspieler zur Ehre gereichen würde – aber völlig legal war“. Dieser „Hütchenspielertrick“ lief im wesentlichen so ab, daß Goldman Sachs Griechenland einen versteckten Kredit gab, der aber nicht als Kredit ausgewiesen werden mußte, so daß der Betrag wie Eigenkapital aussah. So wurde das griechische Staatsdefizit gedrückt, das als tickende Zeitbombe der Eurozone Jahre später explodieren sollte. Inwieweit Mario Draghi, der jetzige EZB-Chef, der von 2002 bis 2005 Vizedirektor von GS International war, von diesen Manipulationen Kenntnis hatte, mag an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Von ihm kolportierte im übrigen die Financial Times Deutschland, daß das „gesamte internationale Finanzestablishment hinter ihm“ stünde.
Im Oktober 2009 wurden die Manipulationen, die Griechenland den Eintritt in die Eurozone ermöglichten, ruchbar. Der neugewählte griechische Premierminister Giorgios Papandreou mußte einräumen, daß die Vorgängerregierung das Budgetdefizit für das laufende Jahr falsch angegeben hatte. Es war knapp dreieinhalb Mal höher als veranschlagt. GS bot Griechenland Unterstützung an; diesmal in Gestalt seines Vorstandsmitgliedes Gary D. Cohn, der den Griechen „kreative Buchhaltung“ beibringen wollte, wie es der österreichische Standard ausdrückte. Papandreou aber winkte ab und kündigte in der Folge ein Referendum über die Sparauflagen an, die er nach massiver innen- wie außenpolitischer Kritik wieder absagen mußte; obendrein sah er sich gezwungen, seinen Stuhl zu räumen. An die Stelle von Papandreou trat Loukas Papadimos als neuer Premierminister – ohne Wahl. Papadimos ist ein Mann der Finanzeliten: Von 1973 bis 1975 war er Dozent am Massachusetts Institute of Technology (MIT), von 1975 bis 1984 Professor für Ökonomie an der Columbia University; 1980 wurde Papadimos leitender Volkswirt der Federal Reserve Bank in Boston. Zuletzt war er von 2002 bis 2010 Vizepräsident der Europäischen Zentralbank.
Ohne Wahl kam auch Italiens neuer Ministerpräsident Mario Monti an die Macht. Er wurde vom Staatspräsidenten ernannt; Wahlen sind in Italien erst für 2013 vorgesehen. Mit Monti wurde erstmals ein ehemaliger Berater von Goldman Sachs Regierungschef einer westlichen Nation. 2011 wurde er im Jahresbericht von GS noch als „internationaler Berater“ geführt. Die Londoner Zeitung The Independent sieht hier ein planvolles Vorgehen und spricht vom „Goldman-Sachs-Projekt“: Die Bank sei dazu da, „um Regierungen zu beraten, zu finanzieren, eigene Leute in den Staatsdienst zu schicken und Regierungsmitarbeiter mit Jobs zu versorgen. Das Projekt soll einen derart tiefgreifenden Austausch von Menschen, Ideen und Geld befördern, daß es unmöglich wird, zwischen dem öffentlichen Interesse und dem Interesse von Goldman Sachs zu unterscheiden“. Zum GS-Netzwerk der „masters of the eurozone“ zählt der Independent neben Monti auch den ehemaligen EU-Wettbewerbskommissar Karel van Miert, den ehemaligen Chefvolkswirt der EZB Ottmar Issing, Loukas Papadimos, Mario Draghi und Petros Christodoulou, seit Februar 2010 Chef der staatlichen griechischen Schuldenagentur. Christodoulou steht im Mittelpunkt einer von der US-Notenbank „Fed“ angestrengten Untersuchung; er gründete nämlich 2009 mit GS in London die Zweckgesellschaft Titlos, um einen Teil des griechischen Schuldenberges auf die Griechische Nationalbank zu übertragen.
Eine Schlüsselfigur des „Sachs Government“, wie das europäische Netzwerk der Bank in Europa laut eines Le Monde-Artikels von Marc Roche in Washington bezeichnenderweise genannt wird, sei Peter Sutherland, Präsident von GS International. „Die fürstlich belohnten Berater [von GS]“, so schreibt Roche, „kennen alle Feinheiten in den Machtkulissen der EU. Sie finden bei den Entscheidungsträgern Gehör und können sie im Krisenfall direkt erreichen“.
Dieses Netzwerk macht sich nun im wahrsten Sinne des Wortes bezahlt, ist doch die Staatsschulden- oder Eurokrise, wie Paul Schreyer in einem Beitrag für das Online-Magazin Telepolis schrieb, „in Wahrheit nichts anderes als die Fortsetzung der Bankenkrise“. Es gehe darum, die „Gläubiger von Griechenland, Irland, Portugal usw. herauszukaufen – im wesentlichen also Banken und die oberen Zehntausend, deren Vermögen sie verwalten“. Hierin erblickt Schreyer den Zweck des Euro-Rettungsfonds EFSF, mit dem Steuergelder in Milliardenhöhe in die „Taschen der Gläubiger“ geleitet werden; durchgewunken von nationalen Parlamenten, die zu reinen Abnick-Instanzen degradiert werden. Nur wenigen dürfte bewußt sein, daß der EFSF (der demnächst durch den ESM abgelöst werden soll) kein staatlicher Fonds, sondern eine privatrechtliche Gesellschaft ist, die ihren Sitz in der Steueroase Luxemburg hat. Über welches Land der Rettungsfonds aufgespannt wird, entscheidet ein Direktorium, bestehend aus den Euro-Finanzministern. Geleitet wird der EFSF von Klaus Regling. Reglings Biographie, so konstatiert Schreyer, erinnere an die Draghis: Beide hätten lange in Washington für die Weltbank bzw. den IWF gearbeitet und danach führende Positionen in ihren nationalen Finanzministerien innegehabt. Der parteilose Regling war überdies auch noch als Manager eines Hedge Fonds aktiv. 2001, als die Prüfung der von Goldman Sachs „geschönten“ Kennziffern Griechenlands anstanden, war Regling Generaldirektor der Wirtschafts- und Finanzabteilung der EU. Ihm oblag die Prüfung dieser Zahlen; ob und inwieweit der ausgebuffte Finanzprofi Regling das manipulierte griechische Zahlenwerk damals durchschaut hat, darüber kann nur spekuliert werden.
Keiner Spekulation indes bedarf es, um zu erkennen, daß öffentliche Rettungsschirme wie der EFSF bzw. die staatlichen Bankenrettungen nicht zu weniger, sondern zu mehr Staatsverschuldung führen. Deutschland allein steht mit einer Garantiesumme in der Haftung, die etwa zwei Drittel des Bundeshaushaltes entspricht. Angeblich dienen alle diese Rettungsmaßnahmen dazu, das Staatsschuldenproblem in den Griff zu bekommen. Zu Recht stellt Schreyer aber fest, daß hier „viel Heuchelei im Spiel“ sei, profitierten Banken und Kapitalgeber doch von nichts mehr als von wachsender Staatsverschuldung, die „eine dauerhafte Abhängigkeit der Politik von privaten Investoren erzeugt“.
Goldman Sachs verdient am europäischen Rettungsfonds EFSF als „Betreuerbank“ immer dann, wenn Garantien emittiert werden, um Staaten wie Griechenland oder Portugal zu helfen. Was Banken wie GS konkret erhielten, so das Onlineportal Deutsche Mittelstandsnachrichten (DMN), darüber ließe der EFSF nichts verlauten. Geht es nach GS, so die DMN Ende November 2011, dann sollte die EZB unbegrenzt Geld drucken; allerdings müsse der Sparkurs eisern eingehalten werden. Bekanntermaßen wird das Anwerfen der Gelddruckmaschine von deutscher Seite als Todsünde betrachtet; GS suggeriert dessen ungeachtet, daß der Ankauf von Staatsschulden durch eine Zentralbank unter bestimmten Bedingungen nicht notwendigerweise zur Inflation führt. Was das Interesse von GS ist, erläutern die DMN: „All die schönen Milliarden, die die EZB drucken soll, gehen direkt zu Goldman und den anderen Banken, die sich mit Papieren jener Staaten, die sie beraten haben und gegen die sie wetten, eingedeckt haben“. „Die Völker Europas“, so die DMN resümierend, „müssen sich auf eine verlorene Dekade einstellen, damit Goldman Sachs & Co. ihre Cash-Belohnung in Form von exorbitanten Gehältern und Boni in inflationsferne Werte wie Penthäuser, Karibikinseln oder in die nächste zu erfindende Blase stecken können.“
Die Banker von GS wären nicht die, die sie sind, wenn sie nicht gleichzeitig auch auf der anderen Seite des Tisches sitzen würden. Anfang September 2011 berichtete das WJ nämlich, daß GS seinen Kunden raten würde, „sie mögen gegen die europäischen Banken und gegen den Euro wetten“. Das Blatt bezieht sich auf eine 54seitige Analyse des GS-Strategen Alan Brazil, der ein düsteres Bild der Lage der Banken in Europa zeichnet: Er glaubt, so das WJ, daß die europäischen Banken rund eine Billion Dollar an zusätzlichem Kapital benötigten, mit dem sie abgestützt werden müßten. Eine Reihe von europäischen Finanzinstitutionen sieht Brazil überdies am Rande des Kollaps. Der Goldman-Sachs-Stratege läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß der Versuch, ein Schuldenproblem mit noch mehr Schulden zu lösen, noch nie das zugrundeliegende Problem gelöst habe. Vor diesem Hintergrund diskutiert Brazil, wie GS auch in dieser Situation „Geld machen“ könnte, und schlägt eine Reihe von Produkten vor, mit denen gegen europäische Banken und Versicherungen spekuliert werden kann. Weiter wird empfohlen, gegen den Euro zu wetten, der, so die Erwartung, bei weiteren Rettungspaketen weiter geschwächt werde. Anders gewendet: Das Insiderwissen, das GS über seine Beratungstätigkeiten für europäische Regierungen erworben hat, wird genutzt, um die eigenen Kunden zu animieren, gegen europäische Kunden und den Euro zu spekulieren. In diesem Zusammenhang seien noch einmal die DMN zitiert, die diese „Strategie“ auf den Punkt brachten: „Je mehr die Investmentbanker über die Lage in Europa erfahren, desto weniger glauben sie an eine Rettung aus dem Schuldendilemma. Und je weniger sie daran glauben, desto überzeugter können sie die Produkte verkaufen, die aus einem Euro-Crash satte Profite ziehen würden“.
Man kann das Agieren von GS aber noch von einer ganz anderen Ebene sehen, wie es der renommierte Mittelstandsexperte Eberhard Hamer in einem Interview mit dem Wiener Wochenmagazin Zur Zeit (1/2012) getan hat. Dort erklärte er, warum die Amerikaner ein so großes Interesse daran haben, das „bestehende System“ zu erhalten: Einen Staatsbankrott Griechenlands, so erläuterte Hamer, wollten die Amerikaner am wenigsten, denn „die französischen und vor allem die amerikanischen Banken wären die Leidtragenden gewesen“. Das heißt, sie hätten ihre leichtsinnig vergebenen Kredite abschreiben müssen. Da aber auch die französischen Banken bei den amerikanischen Banken mit 518 Milliarden rückversichert sind, wäre die amerikanische Rückversicherung zusammengebrochen“. Hier verortet Hamer auch den Grund für das amerikanische Drängen, daß es keine private Beteiligung bei der Griechenlandhilfe geben dürfe. „Wären nämlich die Banken beteiligt worden“, so der Finanzexperte, „dann wäre die Rückversicherung sofort fällig geworden.“
Die Amerikaner setzen laut Hamer darauf, die Krise in „zusätzlicher Geldmenge“ zu ertränken. In diesem Sinne, siehe oben, „berät“ Goldman Sachs auch Angela Merkel. Hamer läßt keine Illusionen aufkommen: Aus seiner Sicht steht uns für die nächsten ca. zweieinhalb Jahre eine Rezession ins Haus, orchestriert von bereits jetzt überall zu hörenden Sparappellen. Dann gingen wir auf „eine grandiose Inflation“ zu, über die der Wert der Schulden reduziert werden könne. Die Amerikaner hätten dann ihr Ziel im laufenden „Weltwährungskrieg“ um den Erhalt des Dollars als Weltleitwährung erreicht. Der Euro als „derzeit einzige in Frage kommende Ersatzleitwährung“ wäre aus dem Spiel. Für die Vereinigten Staaten ist es eine Frage des Überlebens, daß der Dollar Weltleitwährung bleibt; nur in dieser Funktion sichert er einen ständigen Geldzufluß aus aller Welt in die USA. Bleibe dieser Zufluß aus, so betont Hamer, wären die USA zahlungsunfähig. Vor diesem Hintergrund agieren nicht nur die US-Ratingagenturen als „Handlanger der amerikanischen Währungspolitik“, wie Hamer meint, sondern auch US-Banken wie Goldman Sachs, deren „Beratung“ europäischer Regierungen darauf hinausläuft, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.