Als van Bent auf den Hof trat und mit entschlossener Stimme nach Strauß rief, musste selbst Haller die Selbstdisziplin des jungen Kommissar-Kadetten anerkennen. Van Bents Gang war so sicher, als hätte sein kaum fünf Minuten zurückliegender Schwächenanfall nie stattgefunden, und sein Rufen klang nicht nach der Stimme eines Mannes, der sich übergeben hatte, bis nur noch Galle aus seinen gemarterten Eingeweiden kam. Er war noch immer blass wie der Tod, aber in Kombination mit seinem dunklen Mantel und der bedrohlichen Entschlossenheit seines Auftretens wirkte dies eher einschüchternd als wie ein Zeichen von Schwäche.
Haller hielt sich im Hintergrund, als Strauß angelaufen kam und so zackig vor dem Kommissar-Kadetten salutierte, als sei ihm soeben mitgeteilt worden, dass er die Abschlussprüfung der Offiziersakademie bestanden hatte. Ganz offensichtlich sah der adlige Leutnant seine große Stunde gekommen. Jeder Mann in der Kompanie wusste, dass seine Ambitionen auf Krügers Posten abzielten, und nun, da der Hauptmann vermisst wurde, war die Versuchung für Strauß nur zu groß, seine gierigen Hände nach dem so lange herbeigesehnten auszustrecken.
„Nicht in diesem Leben, Strauß.“, murmelte Haller.
„Leutnant Strauß“, begann van Bent, „wie ich höre, wird Hauptmann Krüger vermisst?“
„Ja, Sir.“, entgegnete Strauß mit einer so betroffen wirkenden Miene, dass Haller ihm am liebsten auf der Stelle den Schädel eingeschlagen hätte. Der Leutnant mochte von Adel sein, aber er log und buckelte wie der niederste Makropolabschaum. „Ich habe das Kommando über die Kompanie übernommen, Sir. Die Männer brauchen entschlossene Führung, Sir.“
„Deshalb bin ich hier, Leutnant.“, erklärte van Bent. „Man hat mir zugetragen, dass sie das Kommando übernommen haben, obwohl ein gleichrangiger Offizier Einwände dagegen hatte.“
Strauß Seitenblick traf Haller mit unverhohlenem Hass, aber zumindest seine Stimme hatte der Leutnant noch immer meisterhaft unter Kontrolle. „Sir, mit Verlaub, Leutnant Haller ist in dieser Frage nicht als gleichrangig mit mir zu betrachten. Der Leutnant hat noch nicht einmal die Ausbildung der imperialen Offiziersakademie auf Krieg absolviert. Er war gewöhnlicher Soldat der Infanterie. Ich sehe nicht ein, warum er über das entscheiden sollte, was ich zu tun und zu lassen habe, Sir.“
Van Bent strich in einer unerträglich beiläufigen Bewegung die rechte Front seines Mantels zurück, sodass Strauß Blick auf die Laserpistole in ihrem verzierten Holster am Gürtel des Kommissar-Kadetten fallen musste. „In dieser Frage, Leutnant, halte ich als Kommissar mich für kompetenter im Umgang mit den imperialen Statuten als sie. Leutnant Hallers Kampferfahrung wiegt ihre Akademieausbildung in meinen Augen auf. Zur Benennung eines Vertreters für die zeit, in der die Kompanie ohne Hauptmann Krügers Führung auskommen muss, ist aufgrund dieser Gleichwertigkeit eine Inbetrachtziehung des Dienstalters angebracht. Ich ernenne mit sofortiger Wirkung Leutnant Fahrenhorst zum vorübergehenden befehlshabenden Offizier.“
Strauß entglitten nun doch die Gesichtszüge. Er ballte die Fäuste an der Hosennaht. „Sie... Sie können das nicht tun, Sir!“, rief er aus.
Van Bent ließ den Mantel zurückfallen und richtete den behandschuhten Zeigefinger der Rechten auf Strauß. „Ich kann, Leutnant. Ich verweise sie hiermit ausdrücklich auf das Kapitel ‚Befehlshierarchie’ der Tactica Imperialis, genauer gesagt auf Paragraph sieben, Absatz drei. In exaktem Wortlaut heißt es dort: ‚Ist aus irgendeinem Grund die aus einem Ausfall eines Gliedes der Befehlskette folgende Neuverteilung der Befehlsgewalt nicht durch einvernehmliche Beratung der im Rang nachfolgenden Offiziere aufzuklären, so entscheidet das Dienstalter der in Frage kommenden Offiziere über die vorübergehende Neubesetzung des Postens.’“. Van Bent hielt einen Moment inne, um den Blick zu Haller zu wenden, dann fuhr er, wieder an Strauß gewandt fort: „Mir scheint, Leutnant, dass ihre Akademieausbildung nicht im gewünschten Maße positiv auf sie gewirkt hat. Sie können wegtreten.“
Strauß wandte sich auf dem Absatz um und stampfte davon, jede Ehrenbezeugung vergessend oder absichtlich auslassend. Haller trat an van Bent heran. „Und nun, Sir?“, fragte er. „Leutnant Fahrenhorst weiß noch nichts von seinem Glück.“
Van Bent wischte sich mit dem Handschuh den Schweiß von der blassen Stirn. „Lassen sie mich für einen Augenblick ausruhen, Leutnant, dann werde ich mit ihnen zu Fahrenhorst gehen und dafür sorgen, dass sie Hauptmann Krüger suchen gehen können, zusammen mit ihrem gesamten Zug.“, sagte er.
Haller ergriff aus spontaner Dankbarkeit heraus van Bents Hand und drückte sie. „Ich danke ihnen, Sir. Hauptmann Krüger wird davon erfahren, wie sehr sie sich heute engagiert haben, sollten wir ihn finden. Wenn nicht, werde ich es Kommissar Streesen persönlich berichten.“
„Ich... Ich tue doch nur meine Pflicht, Leutnant.“, murmelte van Bent und blickte betreten zu Boden. „Noch nicht einmal sonderlich gut, wie mir scheint.“