In der Höhle des Löwen
Aueliun und seine Ranger standen vor einem kleinen Tor an der Südseite des Chaospalastes. Ihr Weg durch die helle Savanne war ohne Zwischenfälle verlaufen. Tiberius hatte ihm gesagt, er müsse sichergehen, dass sie niemand entdeckt, also gab er ihnen Chamoelinmäntel der Menschen und einen neuartigen Störsender, der verhindert, dass ein Psioniker sie spüren kann. Aueliun griff sich an den Kragen. Der Sender in Form eines imperialen Adlers hing immer noch an seinem Platz und verrichtete seine Arbeit. Er würde ihn sofort abnehmen, sobald die Mission vorbei war. Der Mensch hätte es wohl gerne, dass ein Eldar den Adler ihres Imperators trägt.
„Was meint ihr? Warum gibt es Tore, die nicht verwendet werden?“
Einer seiner Ranger sah ihn an.
„Ich weiß es nicht.“
Er trat an das Tor. Groteske Zeichen und Runen schmückten das Tor aus geschwärztem Metall. Eine leichte Vibration ging von ihm aus. Wie jedes Ding, dass dem Chaos entsprungen ist, ließ auch dieses Tor Aueliun einen kalten Schauer über den Rücken laufen.
Ein anderer Ranger trat vor.
„Was wenn das hier kein Tor ist, sondern die Endschleuse einer Kanalisation.“
Aueliun wollte gar nicht daran denken.
Plötzlich fiel ihm etwas auf. In der Mitte der Tür war Platz für eine Hand. Ein Handabdruck. Eine Vertiefung in Form einer Hand. Wahrscheinlich der Mechanismus zum Öffnen des Tores.
Aueliun legte seine Hand hinein. Zwar war das Loch selbst groß genug für die Hand eines Orks, doch etwas passte bei dem Ranger nicht. Seine schlanke Eldarhand hatte zu lange Finger. Ungeachtet dessen, das sie hineinpasste, stimmten die Proportionen nicht. Das Tor blieb verschlossen.
„Wir hätten einige Chem- Pan- Sey mitnehmen sollen.“, sagte Aueliun.
„Warum hat Lord Tiberius keine von ihnen mit uns geschickt?“
„Er scheint die Künste der Eldar zu bevorzugen. Die Menschenkrieger sind zu groß, zu ungeschliffen um diese Aufgabe so gut wie wir zu erfüllen.“
„Das ist Eure Meinung, ehrenwerter Ältester.“
„Ich denke, dass diese Vermutung wahr ist. Lord Tiberius ist enger mit uns verbunden, als ihr euch vorstellen könnt.“
„Wie meint Ihr das?“
„Das darf ich nicht sagen.“
Aueliun sah zum Tor.
„Wartet hier.“
Der Älteste eilte in den Wald. Sie waren vor einigen Minuten an einem bewachten Tor der Chaoskrieger vorbeigekommen. An diesem Tor patrouillierten Kultisten und Renegaten. Er musste sich nur einem von ihnen von hinten nähern um sein Ziel zu erreichen.
Vor ihm endete abrupt der Wald und überließ ihn der Savanne. Einige Schritte entfernt saß ein Verräter der Chem- Pan- Sey an einem Maschinengewehr. Aueliun schlich sich langsam an. Niemand durfte ihn bemerken. Als er hinter dem Mann stand, legte er vorsichtig sein Messer an dessen Kehle und strich über sie. Den Mund des Anderen hielt er mit der Hand zu.
Er ließ den Körper nach vorne kippen. Dann hieb er mit dem Messer eine seiner Hände ab. Das müsste genügen, um in die Festung zu gelangen. Den Armstumpf versteckte er unter einer Decke. Gerade als er sich umdrehen wollte, standen plötzlich zwei Kultisten vor ihm.
„Sieh dir das an. Hat der Arme etwa einen Hitzschlag erlitten?“
„Sieht mir mehr wie ein Schläfchen bei der Arbeit aus.“
Der Zweite kam näher heran. Aueliun schlich leise einige Meter davon. Der Mann stand nun vor dem Opfer. Er trat ihm in den Rücken.
„He! Wach auf!“
Der Tote fiel zur Seite.
„Hat der sich selbst gekillt?“
„Kann sein. Der hat immer gejammert, dass er es nicht aushält.“
„Lass ihn liegen. Falls wir angegriffen werden, muss ihn nur einer zur Seite schieben, um an das MG zu kommen.“
„Fängt der nicht an zu stinken?“
„Schlimmer als die Meister wird’s wohl nicht werden.“
„Und lassen wir ihn hier liegen?“
„Soll ihn doch eine der Raubkatzen fressen, dann hat der wenigstens noch was Nützliches gemacht.“
Die Beiden gingen, Witze reißend, davon.
Ich habe mir ein gutes Opfer ausgesucht, dachte sich Aueliun.
Er eilte zurück. Dort angekommen präsentierte er die abgetrennte Hand und drückte sie gegen das Tor. Ein roter Schimmer umfasste die Hand. Sie begann zu vibrieren.
Langsam glitt das Tor auf und ließ die Ranger in die Festung des Blutes. Tiberius hatte diese Aufgabe, die Höhle des Löwen genannt. Jetzt verstand der Ranger, warum.
Das Bild, welches sich ihnen bot, war nicht sehr einladend. Dunkle Korridore, erhellt von unnatürlichem Rot, das aus dem Nichts zu kommen schien, wurden selten von einer elliptischen Kammer oder einer Treppe aus Knochen abgelöst. Chaostruppen begegneten sie nicht. Das Einzige, was sie hörten, war ein leises Dröhnen, das stets von unter ihnen zu hören war. Nach mehreren Minuten ließ Aueliun Halt machen.
Zu seiner Rechten stand eine Statue, die einen Minotaurus darstellte.
„Was ist das?“, fragte einer der Ranger.
„Ein Dämon. Zur Strafe in Stein verwandelt, steht er nun hier und fristet sein Dasein, ohne sich dagegen wehren zu können.“
„Warum sollte das Chaos einen eigenen Dämon einsperren?“
„Versagen wird nicht toleriert. Verrat wird bestraft. Ketzerei wird ausgemerzt. Die Chaosgötter sind nicht erfreut, wenn sich ihre Schäfchen von ihnen abwenden. Und wenn es noch dazu eigenmächtige Dämonen sind, sind die Götter rasend vor Wut.“
„Dieser Dämon wollte also selbst ein Gott werden?“
„Sonst wüsste ich keinen Grund, warum er hier steht. Außer vielleicht Versagen.“
Der Dämon hielt in beiden Händen ein langes Schwert, das etwa anderthalb Meter lang und leicht gewellt war. Der Griff war mit violetten Steinen und Silber verziert. Chaossymbole oder Runen der vier Götter waren darauf nicht zu sehen.
Aueliun trat vor die Statue und packte das Schwert am Griff. Langsam zog er es aus dem Griff des Dämons.
Plötzlich begannen die Augen der Statue rot zu glühen und der Mund öffnete sich.
„Zerschlagt sie!“
Aueliun hob das Schwert über den Kopf und ließ es auf die Statue niederfahren. Der Schlag traf in die Brust und brach den Körper entzwei. Die Gliedmaßen und der zerschlagene Körper fielen zu Boden, doch der Kopf blieb, wo er war.
„DANKE, DASS DU MICH BEFREIT HAST.“
„Warum warst du eingesperrt?“
„DIESE MIKRIGEN DÄMONEN, DIE SICH GÖTTER NENNEN, AKZEPTIERTEN MEINE HERRSCHAFT ÜBER EINE GROßE SCHAR JÜNGER NICHT.“
„Das heißt, du willst nun gegen sie kämpfen?“
„JA! ICH WERDE IHNEN ZEIGEN, WAS ES HEIßT, MIT MIR ZU KÄMPFEN. ALS BELOHNUNG, DARFST DU DAS SCHWERT BEHALTEN.“
Der Kopf begann sich zu drehen und zog sich in sich zusammen. Was blieb, waren die Reste des Körpers und graue Asche.
„Warum habt ihr den Dämon einfach ziehen lassen?“
„Und was hätte ich gegen ihn unternehmen sollen? Besser, wenn das Chaos sich gegenseitig bekämpft.“
„Was geschieht nun mit diesem Schwert?“
„Ich denke, ich gebe es einem der Space Marines. Dieses Schwert ist zu schwer und grobschlächtig. Damit kann ein Eldar nicht vernünftig kämpfen.“
Sie wollten gerade weitergehen, als sie hinter sich Stimmen hörten. Sie reaktivierten ihre Tarngeneratoren und eilten in verschiedene Ecken des Raumes.
„Was ist los, Gallos? Freust du dich nicht auf die morgige Schlacht?“
„Waquega hat…“
„Vergiss Waquega. Er gibt hier zwar die Befehle, doch selbst er ist einer Horde Psiwaffen schwingender Grey Knights nicht gewachsen. Sobald er fällt, reißen wir die Macht an uns.“
„Der Angriff auf Meridian ist trotzdem ein unnötiger Zug. Ich würde die Space Marines in ihrer Orbitalfestung angreifen und auslöschen, den Planeten korrumpieren oder in die Luft jagen und dann weiterziehen.“
„Waquega wird von seiner Rivalität mit Tiberius geleitet. Er hat den Sinn für das Wahre verloren. Den Sinn für die Macht.“
„Lumius, du machst deinem Namen alle Ehre. Apostel. Du redest genauso schleimig wie diese elenden Hexer.“
„Umso besser lassen sich die Schwachen beeinflussen.“
„Was, wenn die Geschenke der Götter ihm genug Kraft verleihen und er Tiberius besiegt?“
„Werden sie nicht. Die Götter dulden keine fehlgeleiteten Geister.“
„Und wie sollen wir diesen Primarch und seinen Inquisitor und diesen Scriptor, wie hieß er noch gleich, erledigen?“
„Slaanesh ist auf meiner Seite. Wir müssen lediglich einem Titanen die Saat der Finsternis einsetzen und ihn uns gefügig machen. Sobald Waquega gefallen ist, werden wir den Titan offenbaren und ihn gegen die Space Marines einsetzen. Selbst Tiberius, Tzeez und Octavius zusammen werden ihm nicht standhalten können.“
„Bitte Slaanesh um weitere Saaten. Wir können sie uns einpflanzen und somit in den Dämonenstatus aufsteigen. Dann können wir sie im Nahkampf zerlegen. Das wäre mir eine Befriedigung.“
„Nur die Götter entscheiden, wer zum Dämonen wird und wer nicht. Befolgen wir seine Pläne, wird er uns sicherlich Belohnen.“
„Solltest du Unrecht haben…“
„Werden wir uns im Zweikampf wiedersehen, ich weiß.“
„Aber mir fällt noch ein, dass wir…“
Die Stimmen hatten sich zu weit entfernt, als dass sie etwas hätten verstehen können. Die Ranger kamen in der Mitte des Raumes zusammen.
„Wir müssen sofort zurück! Das Chaos darf uns nicht unvorbereitet treffen.“
Die Ranger eilten den Weg zurück, den sie gekommen waren.