Wen sie ihn beobachtete, aus der Ferne, wenn sie sein Gesicht nicht sah, sondern nur seine Rückseite, das Schwert an seiner Seite, dann konnte sie sich ganz kurz der Illusion hingeben, dass er noch der war, das beste was sie hervorbringen konnte. Dieser Junge, kämpferische Mann, überladen voller Energie und Kraft. Denn Mann den sie aufwachsen gesehen hatte und den sie unter Schmerzen in die Welt gesetzt hatte.
Es ist schwer zu sagen, wenn man wahrhaftig liebt. Den Göttern brachte man Ehrerbietung bei, Liebe waren nur bei den wenigsten wirklich vorhanden. Ihren Mann hatte sie akzeptiert und sogar manchmal gemocht, geliebt hatte sie ihn nie. Das gleiche galt für ihre zwei weiteren Söhne, der eine als Mechanikus in Nuln, der andere als Gelehrter in Altdorf. Irgendwie hatten die beiden ihr Herz nie ganz erobern können. Ihre Tochter, die sich den Tempel der Shallya angeschlossen hatte, sie liebte sie. Dieses starrsinnige Weibsbild das voller Trotz gesagt hatte, das Kloster sei die einzige Möglichkeit für eine Frau von den Dummheiten der Männer verschont zu werden. Selten hatte sie so einen intensiven Stolz verspürt. Ja, Sieglinde war wohl sonst die einzige, von der sie sicher sein konnte, Liebe zu empfinden.
Denn weitaus größeren Anteil von Liebe hatte jedoch ihr Goldjunge gehabt. Großgewachsen, starke Augen die von der Welt forderten, was gefordert werden musste. Ein Soldat und Ritter. Ihr Sohn hatte ihr Herz erobert, ganz ohne Zweifel. Als er dann starb, war ihr Herz zum größtenteils mit ihm untergegangen. Vielleicht hätten die Wunden heilen können und sie hätte sich eben mit der Lustbarkeit des Landadels, zu einem angenehmen Leben verhelfen können.
Nur Leider hatte sich ihr Sohn entschieden, nicht vollends zu sterben. Irgendwo weit im Norden, als einer der jüngsten und besten seines Jahrganges, ging es gegen eine überzahl an Verderblichen. Tiermenschen, widernatürlich verformte Kreaturen und genauso viele von der Verderbtheit korrumpierte Menschen. Die Lage schien aussichtlos und der Rückzug wurde befohlen. Ob es ein Göttlicher Wink war oder plötzlich aufkeimender Trotz. Ihr Sohn gab seinem Wallach die Sporen, direkt gegen ein aus wildem Fleische wuchernde Kreatur, die, wie man ihr sagte, Chaosbrut genannt wurde. Nur ein Batzen Fleisch von der Größe eines Pferdewagens. Bestehend aus Zähnen, wild um sich schlagenden Armen, Tentakeln, Scherenhänden, riesigen Mäulern. Ein Alptraum der sich vorwärtsbewegte und nur verzehrend und fressend durch die Landschaft streift.
Egal was es nun genau war, ihr Goldjunge ritt todesmutig genau gegen diese Bestie an. Seine Kameraden meinten einhellig, dass Sigmar mit ihm war. Obwohl sie bei einem Gespräch des Kommandanten sehr wohl heraushörte, dass er wohl einfach zufällig in die Richtige Stelle gestochen hatte. Mit vollem Galopp wollte er gegen die Bestie anrennen, die kurzerhand aber einfach nur sich selbst aufriss, um ihn mitsamt seinem Pferd auf einmal zu verschlingen. Dabei durchstieß seine Lanze genau den einzigen Punkt, der für die verkommene Kreatur noch von existenziellem Wert war. Sein Wallach starb, von hunderten stachelbewehrtem Tentakel durchbohrt im Maul der Bestie.
Ihr Sohn kam völlig unbeschadet aus seinem Maul hervor. Er selbst brauchte Stunden, um sich völlig dem inneren herauszuschneiden und durchzukämpfen. Seine gesamte Rüstung, sein Untergewand, alles war voller Schleim und Blut der Kreatur. Ohne ihre bösartige Kreatur kamen die Widernatürlichen ins Stocken. Die Schlacht war dank ihm Siegreich, die undisziplinierten und von Feigheit durchzogenen Kreaturen, konnten gegen die Rechtschaffenen Imperialen nichts ausrichten. Wie erstaunt sie wohl alle waren, als sie ihn aus der riesigen, aufgeblähten, dampfenden Leiche emporsteigen sahen?
Gleich darauf wurde er untersucht. Zweimal befragten ihn ein Sigmar Priester. Mehr als zehn Mal ein Hexenjäger. Sie alle konnten nicht glauben, dass er unbeschadet und ohne jegliche Verunreinigung vor ihnen stehen konnte. Zwar fand man nichts, was ihn als befleckt ausweisen konnte, doch sein Geist war vorüber. Worte waren selten, Gehorsam oder Abfolgen waren für ihn nicht mehr nachvollziehbar. Ihr kleiner tapferer Goldjunge, war nichts weiter als eine Leiche, die sich noch durch die Gegend quälte.
Vollkommen blass, beinahe Blutleer. Dürr und mit leerem Ausdruck in den Augen, der endlos in die Ferne zu gehen schien. Man konnte fast meinen, er wäre einer dieser merkwürdigen Kreaturen aus dem Osten, mit dem Aussehen eines Menschen, doch mit dem inneren eines Dämons ausgestattet waren. In den ersten Monaten versuchte sie noch, etwas zu finden, was ihr Junge sein konnte. Irgendetwas. Sie holte Priester, Heiler, sogar eine Zauberin arrangierte sie. Doch nichts wollte passieren, nichts tat sich. Er blieb stumm, bewegte sich durch die Gegend wie ein Gespenst.
Sein Schwert war nie weit fern von ihm. Obwohl er mehr an einen völlig Geistlosen erinnerte, er zog sich immer noch vollkommen akkurat an. Zuerst wollte sie ihn noch in dem Burgartigen Landhaus verstecken. Doch er büchste einfach immer wieder aus und ging durch das Dorf, das sich seit zweihundert Jahren stetig um ihr Heim ausweitete. Die Dörfler hatten zuerst Angst von ihm, jetzt hatten sie sich gewöhnt. Menschen wie ihr Sohn wurden normalerweise mit Pferdeäpfeln beworfen, sobald man sie sah. Für den Abschaum aus den kleinen, stinkenden Hütten gab es nicht viel Abwechslung. Sein Stand und seine Erscheinung verhinderten das am Anfang. Jetzt taten sie es wohl, weil sie ihn wertschätzten.
Für sie war es beinahe eine Beleidigung. Pöbel hatte nicht zu wertschätzen, er hatte zu dienen und zu gehorchen. Ihr Sohn begann zuerst damit dem Gerber seine Last abzunehmen. Der wohl älteste Mann in dem Ort, keine Zähne mehr im Mund und nur noch ein spärlicher, weißer Haarschopf. Ein Greis, doch seine Kinder waren weit weg oder interessierten sich nicht sonderlich für ihn. Also schleppte er weiter so gut es ging, immer kurz vor dem Zusammenbruch. Ohne ein Wort zu sagen, half er dem Alten Greis. Er half ihm die Scheiße von irgendwelchen Tieren dahinzuschleppen. Als sie davon gehört hatte, war ihr erster Gedanke, ob das höchste Fenster ausreichte, um sie ins Jenseits zu befördern. Zu gern hätte sie ihm jede weitere Schmach für ihr Haus verboten, doch er hörte nicht.
Mit was konnte man einem Toten auch drohen? Egal wo er hinkam und wie nieder die Arbeit war, er half einfach mit. Reden tat er nie etwas, er bekam jedoch alles Mögliche mit. Der Pöbel und die verdreckten Bauern sahen ihn nun mehr wie einen hilfreichen Priester, als ihren Herren an. Das Zeichen des Mors, das ihr Junge um den Hals trug, tat sein Übriges. Sigmar schien für ihn nicht mehr wichtig, viel mehr trieb es ihren Sohn zu dem Alten Oberhaupt der Götter, der die Ruhe der Toten als sein oberstes Ziel sah. Im ständigen Kampf gegen diejenigen, die sie aus dem letzten Schlaf wecken wollten und dem verkommenen Sohn, den Schlächter Gott. Ja, selbst Götter hatten Kinder die sie beschämten.
Jeden Tag verbrachte sie damit ihn zu beobachten. Jedes Mal riss die Kleine Wunde wieder auf und ließ ihr Herz weiterbluten. Nichts würde sie sich mehr wünschen, wenn er wieder Leben würde. Da das aber nicht passieren wird, wünschte sie sich einfach nur, dass er vollkommen sterben sollte. Ein Held, der sein Leben für die Große Sache gegeben hat. Nur Mut führte zum Ruhm. Niemals hätte sie gedacht, dass er auch in eine solch armselige Erscheinung enden konnte.
Jeden Tag betete sie, zuerst für das eine, in das sie keine Hoffnungen hegte. Dann für das zweite, jedoch immer mit dem bitteren Beigeschmack, dass es nicht richtig war. Dabei sagte sie sich das es weit weniger richtig sein konnte, was jetzt gerade passierte. Es war während eines dieser Gebete, mitten im Sommer, wo die Sonne am längsten blieb, dass ihr Gebet scheinbar erhört wurde.
Schreie drangen aus den weiter entfernten Häusern. Hunderte von Menschen mit Angst geweiteten Nasen, dreckig und unwürdig wie sie waren, nahmen ihre Beine in die Hand um sich in das einzige Gebäude zu flüchten, was halbwegs Schutz bitten konnte. Ihren Landsitz. Trotz aller Abneigung ließ sie die Tore öffnen, Pflichten waren Pflichten. Hinter den letzten Flüchtenden kamen Bocksbeinige Kreaturen hervor. Teilweise von Fell bedeckt, mit kahlen Stellen übersäht. Sie sah Insektenartige, schlangenförmige, ja sogar Vogelartige Körper, in wilder Mischung. Leuchtende Augen, der unsterblicher Hunger des Wahnsinns in den Augen. Dunkelheit war tief in ihnen und versuchte alles was anders war, zu verschlingen.
Ihr Sohn trat an ihr vorbei, blieb vor den Toren stehen. Seine Kleidung gepflegt, die Rüstung umgeschnallt. Das Zeichen des Mors auf der Brust. Er war nur der Schatten des Mannes von einst, dennoch, sie konnte nicht leugnen das irgendetwas in ihm zu scheinen schien. In einem Anfall blinder Emotionen, rief sie ihn an, bei ihr zu bleiben. Er soll nicht gehen. Er schenkte ihr einen Blick, den ersten seit seinem Tod. Die Augen kalt und leer, blickten weit in die Ferne. Doch tief darunter, irgendwo begraben, da glomm etwas. Sie konnte und würde auch nie sagen können, was es genau war. Die einzige Vermutung, die sie sich selbst zugestand, war, das obwohl sein innerstes wohl völlig leer schien, irgendwie Liebe in ihm war.
Die Lebende Leiche zog ihr Schwert und trat dem Körperlichen Verfall und Degeneration in Tiergestalt entgegen.
Ende