Kapitel 2: Erwachen / Teil 2.1
Kapitel 2
Erwachen
Makropole Damasia, 311.994, M41
"Defätistische Reden untergraben die Moral der Bevölkerung und ihren Glauben an den Imperator selbst.
Jegliche Verbreitung muss verhindert, Redner unverzüglich liquidiert werden"
- interne Mitteilung der Sicherheitsbehörde
Noch in vollständiger Montur lag ich auf dem gemachten Bett, die Beine überschlagen, und starrte mit leerem Blick an die Decke. Nur an der Schulter war die Uniform aufgeschnitten, ein klinisch weißer Verband war dort sichtbar. Wohl unbewusst lag meine Rechte noch auf dem Holster meiner Pistole, die Waffe selbst hatte ich vor scheinbar endlos langer Zeit verloren.
Das Zimmer, in dem ich lag, war zweckdienlich, geradezu karg eingerichtet. Neben dem Bett befand sich ein kleiner, quadratischer Nachttisch mit einem Chronometer, etwas weiter in den Raum stand ein leerer Stuhl. An der mir gegenüberliegenden Wand konnte ich im Zwielicht – keine Lampe brannte – einen Schrank erahnen, sonst umgaben mich nur nackte Wände.
Wie ich wusste, grenzten an diesen Raum weitere, das gesamte Appartement war eine bloße Aneinanderreihung kalter, schmuckloser Zimmer.
Es war einer jener Wohnung in einem der exklusiveren Teil der Makropole, die jedem Mitarbeiter der Behörde zustanden. Jeder von uns brauchte bloß einen symbolischen Betrag für die Miete zahlen, die den Jahreslohn eines Manufacturarbeiters in einem Monat aufgezehrt hätte.
Diese Wohnung bot an klaren Tagen einen fantastischen Ausblick über die Makropole selbst, sie lag nah an den Türmen, in denen sich einige der besten Einkaufsmeilen der Stadt befanden. Sie war das Ergebnis harter Arbeit.
Ich habe sie hassen gelernt.
Mein ganzer Körper schmerzte dumpf, mir war bewusst, dass er von Abschürfungen und Prellungen übersät sein musste. Auch auf meiner Brust schien ein ungeheures Gewicht zu liegen, so als ob
er auf mir sitzt. Sein Gesicht übernatürlich scharf zu erkennen, jede Falte, die Lippen, die sich zu einem Lächeln kräuseln. Die harten Augen, die mich ohne nachlassende Wachsamkeit mustern. Und die Hand, die Hand, die nun an den Gürtel greift.
Die Pistole an meine Stirn gelegt, meine Augen verdrehen sich leicht, um den nahen Tod anzublicken. Sein Finger krümmt sich, ich krümme mich. Vorbei. Ein Schuss.
Wärme auf dem Gesicht, feuchte Wärme, die Mund und Nase zu schließen versucht. Meine Augen, weit aufgerissen, brauchen einen Moment, um zu erfassen, was das ist. Blut. Wärme. Ist das der Tod?
Das Gewicht auf meiner Brust verschwindet, als der Mann von mir herunterkippt, eine sich entfaltende rote Blüte auf der Brust. Baruch und Killian sind außer Sicht, aber aus den Augenwinkeln sehe ich Killian, der noch mit einem Gegner ringt. Mit einem Mal wird auch dieser Mann weggeschleudert, getroffen von der Macht mehrerer Geschosse.
Menschen treten in mein Blickfeld. Einige von ihnen kenne ich nicht, bei anderen will mir der Name nicht in den Sinn kommen. Doch den, den kenne ich. Das ist Phelan.
Das Gewicht auf meiner Brust ist davon, und ich
keuchte auf, mein Atem ging flach. Erinnerungen, nichts als Erinnerungen. Schaudernd zwang ich mich, die Füße über die Bettkante zu schieben, beide Beine, ehe ich herunterrutschte.
Die Erinnerungen schienen schon wieder seltsam fern, als wäre ich heute früh jemand anderes gewesen. Auch jetzt noch war ich wenig mehr als ein Gast im eigenen Körper, er funktionierte, ohne dass mein Geist sich regnete.
Ich streifte meine Kleidung ab, zerschlissene Uniform, Koppel, Unterwäsche, und warf sie achtlos auf den Stuhl. Soetwas zu tun, irgendetwas zu tun, bewahrte mich vor den Gedanken, den Bildern, die noch in mir schlummern mochten.
Ich sah an mir herunter. Die Haut war tatsächlich an den meisten Stellen grün und blau verfärbt, an den Ellbogen und Knien hingegen war sie abgeschürft. Einzelne Strähnen hatten sich aus meinem Zopf gelöst, der mir über die Schulter und zwischen die Brüste fiel. Mein Körper war am ehesten drahtig zu nennen, Sehnen spannten sich sichtbar unter dem Fleisch. Ich war kränklich blass, und noch immer glänzte Schweiß auf meiner Haut. Mir war kalt.
Ich sah nach oben. Über mir blinkten matt die Lichter des Luftaustauschers, dazu kam ein für diese Geräte charakteristisches Summen, das
meine Ohren erfüllt. Es vermischt sich mit einem hellen, regelmäßig wiederkehrenden Piepen, mit meinen Atemzügen, mit einem Pulston wie aus einem menschlichen Herz. Mit menschlichen Schreien. Über allem der durchdringende Geruch von Weihrauch und Desinfektionsmitteln, der die Sinne betäubt und in der Nase beißt.
Einige Menschen – sind es Männer oder Frauen? - rennen vorbei, sie schieben ein Bett vor sich her, in dem sich jemand windet. Todesqualen? Ich weiß es nicht.
Ich sitze auf einem harten Stuhl, mein Platz bietet Sicht auf verschiedene Facetten des menschlichen Elends. Dort in der Ecke, mit fahlem Gesicht, ein Mann in der Uniform der Sicherheitsbehörde. Er beißt die Zähne zusammen, hält sich die blutende Hand. Und da, Rand, den scheinbar nichts erschüttern konnte. Nicht mehr bei Bewusstsein, der Bauch eine blutige Masse. Ein halbes Dutzend Beamte, die nach vorne starren, ohne wirklich etwas zu erblicken. Sehe ich auch so aus? Jemand näht mir die Wunde an der Braue und tupft das Blut dort weg, auch um meine Schulter kümmert er sich. Ein gutmütig lächelnder Mann, auch im weißen Kittel. Ein Lazarett, Krankenhaus? Der Mann sagt etwas, ich höre es nicht. Will es nicht hören, kann es nicht hören. Der Mann geht. Unter mir
fühlte ich kühl an meinem nackten Leib den Boden der Wohnung. Mir fiel mit einer nüchternen Distanz auf, dass mein ganzer Körper zitterte. War es die Kälte? Zum Teil wohl auch.
Der Sturm, der in meinem Kopf tobte, schien fort. Ich wusste es besser – ich befand mich nun nur im Auge des Sturms. Ich schmiegte meinen Leib an den Boden, um die Kälte zu fühlen, etwas, das zwischen mir und dem Sturm stand. Ich wollte die Bilder nicht mehr sehen.
Am Fuße des Bettes rollte ich mich zusammen. Wieder durchlief ein Zittern meinen Körper, ein Hustenkrampf schüttelte mich. Ein trockenes Keuchen, als
Brennain sich zum wiederholten Male räuspert. Das tut er sonst selten. Als Leiter der Sicherheitsbehörde tritt er doch so resolut auf... er stellt Fragen, auf die ich nicht antworten kann, Fragen, auf die ich nicht antworten will. Manchmal bewegt sich sein Mund wie der eines Fisches, und ich weiß, dass er wieder fragt. Ich höre ihn nicht. Will ich ihn nicht hören?
Neben mir sind noch andere im Raum. Killian. Arkian. Kettler. Phelan. Manchmal dringen Worte zu mir durch, verschwommen, so als wolle jemand mich aus einem Traum wecken.
„Sie haben sich heute hervorragend verhalten“, schwebt Brennains Stimme durch den Raum. Ich blinzle einige Male, bis ich erkenne, dass er mit Phelan spricht. „Durch ihren tapferen Angriff konnte das Leben mehrerer Beamter noch gerettet werden“
Da ist sie wieder, eine kurze Pause. Die anderen schauen mich an. Soll ich etwas sagen? Ich bleibe stumm.
Sie reden wieder weiter. Ich bin im Geist schon wieder fort. Die Pistole, hart an meine Stirn gedrückt, der Finger. Lebe ich noch?
„... steht unter Schock. Das wundert mich wenig, ich glaube kaum, dass jemand diese Erfahrung einfach wegstecken könnte“, höre ich Killian sagen. Wie nüchtern er das sagt.
Brennain legt mir die Hand auf die Schulter. „Dann wäre es das Beste, wenn sie vorerst vom Dienst freigestellt wird“ Warum redet er nicht direkt mit mir?
„Sie soll sich zu Hause erholen und kann sich in vielleicht einer Woche oder zwei wieder melden. Phelan, ich weiß, dass Sie einen langen Tag hatten, aber könnten Sie Felkyo nach Hause bringen? Ich glaube nicht, dass sie das allein schafft“
Nur noch Gesprächsfetzen dringen zu mir durch. Ich verstehe sie kaum, doch ahne ich, dass sie mir bald übel aufstoßen werden. Ahnung?
Mir ist kalt, so kalt. Die Kälte
kroch mir in die Glieder. Das Bett war nur wenige Schritte entfernt, doch blieb ich liegen. Der Sturm war noch nicht vorbeigezogen.
Mein Geist dämmerte langsam davon. Über mir leuchtete in regelmäßigen Abständen die kleine Kontrollleuchte des Luftaustauschers auf.
Mir war ein traumloser Schlaf vergönnt.